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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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des Todes sein, ehe ich in dieser Mittelmäßigkeit
fortvegetire.

Habt Jhr's nie begriffen, daß es der fürchter-
lichste Vorwurf war, wenn Eure Poeten die Poesie
da suchten, wo Jhr nicht wart, wo Eure Welt
nicht war? Wenn sie idealisirten, eine poetische
Welt erfanden, und Euch darauf Abonnements-
billets verschafften? Jhr verderbt für Eure Civili-
sation so viel Klugheit, daß Jhr Euch selbst in Euren
Lumpen nicht mehr erkennt, Abonnement und all die
Verwaschungen nicht mehr versteht, daß Jhr diejeni-
gen Poeten scheltet, welche Eure wirkliche Existenz,
Eure armselige Gleichmäßigkeit zur Dichtung erheben.
"Freßt Staub, wie Eure Muhme, die Schlange!"

Darum habt Jhr so viel Verbrechen in Eurer
Welt, wie in der Erziehung eines höflichen Kauf-
mannssohnes Alles verboten ist, und nur Einzel-
nes ausnahmsweise erlaubt wird. Was wißt Jhr
vom Verbrechen! Wenn wir dessen nicht mehr
fähig sind, so hören wir auf, Menschen zu
sein, werden Zahlen und Begriffe. Jn jedem
Menschen liegt jedes Verbrechen, oder er ist kein
vollständiger Mensch. Was erreicht Jhr nun mit

des Todes ſein, ehe ich in dieſer Mittelmäßigkeit
fortvegetire.

Habt Jhr’s nie begriffen, daß es der fürchter-
lichſte Vorwurf war, wenn Eure Poeten die Poeſie
da ſuchten, wo Jhr nicht wart, wo Eure Welt
nicht war? Wenn ſie idealiſirten, eine poetiſche
Welt erfanden, und Euch darauf Abonnements-
billets verſchafften? Jhr verderbt für Eure Civili-
ſation ſo viel Klugheit, daß Jhr Euch ſelbſt in Euren
Lumpen nicht mehr erkennt, Abonnement und all die
Verwaſchungen nicht mehr verſteht, daß Jhr diejeni-
gen Poeten ſcheltet, welche Eure wirkliche Exiſtenz,
Eure armſelige Gleichmäßigkeit zur Dichtung erheben.
„Freßt Staub, wie Eure Muhme, die Schlange!“

Darum habt Jhr ſo viel Verbrechen in Eurer
Welt, wie in der Erziehung eines höflichen Kauf-
mannsſohnes Alles verboten iſt, und nur Einzel-
nes ausnahmsweiſe erlaubt wird. Was wißt Jhr
vom Verbrechen! Wenn wir deſſen nicht mehr
fähig ſind, ſo hören wir auf, Menſchen zu
ſein, werden Zahlen und Begriffe. Jn jedem
Menſchen liegt jedes Verbrechen, oder er iſt kein
vollſtändiger Menſch. Was erreicht Jhr nun mit

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[268/0276] des Todes ſein, ehe ich in dieſer Mittelmäßigkeit fortvegetire. Habt Jhr’s nie begriffen, daß es der fürchter- lichſte Vorwurf war, wenn Eure Poeten die Poeſie da ſuchten, wo Jhr nicht wart, wo Eure Welt nicht war? Wenn ſie idealiſirten, eine poetiſche Welt erfanden, und Euch darauf Abonnements- billets verſchafften? Jhr verderbt für Eure Civili- ſation ſo viel Klugheit, daß Jhr Euch ſelbſt in Euren Lumpen nicht mehr erkennt, Abonnement und all die Verwaſchungen nicht mehr verſteht, daß Jhr diejeni- gen Poeten ſcheltet, welche Eure wirkliche Exiſtenz, Eure armſelige Gleichmäßigkeit zur Dichtung erheben. „Freßt Staub, wie Eure Muhme, die Schlange!“ Darum habt Jhr ſo viel Verbrechen in Eurer Welt, wie in der Erziehung eines höflichen Kauf- mannsſohnes Alles verboten iſt, und nur Einzel- nes ausnahmsweiſe erlaubt wird. Was wißt Jhr vom Verbrechen! Wenn wir deſſen nicht mehr fähig ſind, ſo hören wir auf, Menſchen zu ſein, werden Zahlen und Begriffe. Jn jedem Menſchen liegt jedes Verbrechen, oder er iſt kein vollſtändiger Menſch. Was erreicht Jhr nun mit

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/276>, abgerufen am 22.11.2024.