Wir sind alle wie im halben Somnambulismus: die Lady ahnt unklar Gefährliches, aber sie weiß nichts und wahrt in keiner Weise, und liebt Henry, Anna liebt ihn wahrscheinlich auch, und über Miß Mary schweigt alle Sicherheit. Zuweilen sah ich eine plötzliche Röthe in's bleiche Antlitz treten, und ich meine ein Wachtfeuer auflodern zu sehen, was den nahen Todfeind verkündet, dann fliegt ein Schauer über den zarten Leib, wie eine kalte Luft rasch durch den heißen Mittag fliegt.
Das ist ein dämonisches Verhältniß zu Henry: ich glaube, sie liebt ihn nicht, sie würde eher in meinem Arm weich und glücklich werden, so sagt es mir manchmal ein kleiner Strahl, der hinter ihrem Blicke ruht, und selten von einem so geüb- ten Auge wie das meine zu erkennen ist, so sagt es mir die elektrische Kraft, welche sich äußert, wenn ihr sammtnes Kleid an mich streift, oder gar die schönen Finger wie ein Hauch an mich treffen. Jhre Hand ist wie ein prächtig Trauerlied voll melancholischer Lockung, was in weisse Seide, in köstlichen Stoff gebunden ist, ein wollüstiger Schmerz lockt aus dieser weissen Hand.
Wir ſind alle wie im halben Somnambulismus: die Lady ahnt unklar Gefaͤhrliches, aber ſie weiß nichts und wahrt in keiner Weiſe, und liebt Henry, Anna liebt ihn wahrſcheinlich auch, und uͤber Miß Mary ſchweigt alle Sicherheit. Zuweilen ſah ich eine ploͤtzliche Roͤthe in’s bleiche Antlitz treten, und ich meine ein Wachtfeuer auflodern zu ſehen, was den nahen Todfeind verkuͤndet, dann fliegt ein Schauer uͤber den zarten Leib, wie eine kalte Luft raſch durch den heißen Mittag fliegt.
Das iſt ein daͤmoniſches Verhaͤltniß zu Henry: ich glaube, ſie liebt ihn nicht, ſie wuͤrde eher in meinem Arm weich und gluͤcklich werden, ſo ſagt es mir manchmal ein kleiner Strahl, der hinter ihrem Blicke ruht, und ſelten von einem ſo geuͤb- ten Auge wie das meine zu erkennen iſt, ſo ſagt es mir die elektriſche Kraft, welche ſich aͤußert, wenn ihr ſammtnes Kleid an mich ſtreift, oder gar die ſchoͤnen Finger wie ein Hauch an mich treffen. Jhre Hand iſt wie ein praͤchtig Trauerlied voll melancholiſcher Lockung, was in weiſſe Seide, in koͤſtlichen Stoff gebunden iſt, ein wolluͤſtiger Schmerz lockt aus dieſer weiſſen Hand.
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Wir ſind alle wie im halben Somnambulismus:
die Lady ahnt unklar Gefaͤhrliches, aber ſie weiß
nichts und wahrt in keiner Weiſe, und liebt Henry,
Anna liebt ihn wahrſcheinlich auch, und uͤber Miß
Mary ſchweigt alle Sicherheit. Zuweilen ſah ich
eine ploͤtzliche Roͤthe in’s bleiche Antlitz treten, und
ich meine ein Wachtfeuer auflodern zu ſehen, was
den nahen Todfeind verkuͤndet, dann fliegt ein
Schauer uͤber den zarten Leib, wie eine kalte Luft
raſch durch den heißen Mittag fliegt.
Das iſt ein daͤmoniſches Verhaͤltniß zu Henry:
ich glaube, ſie liebt ihn nicht, ſie wuͤrde eher in
meinem Arm weich und gluͤcklich werden, ſo ſagt
es mir manchmal ein kleiner Strahl, der hinter
ihrem Blicke ruht, und ſelten von einem ſo geuͤb-
ten Auge wie das meine zu erkennen iſt, ſo ſagt
es mir die elektriſche Kraft, welche ſich aͤußert, wenn
ihr ſammtnes Kleid an mich ſtreift, oder gar die
ſchoͤnen Finger wie ein Hauch an mich treffen.
Jhre Hand iſt wie ein praͤchtig Trauerlied voll
melancholiſcher Lockung, was in weiſſe Seide, in
koͤſtlichen Stoff gebunden iſt, ein wolluͤſtiger Schmerz
lockt aus dieſer weiſſen Hand.
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/238>, abgerufen am 24.11.2024.
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