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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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das Leben quoll, mein Herz, mein Auge lechzten
nach der Welt, und wenn's die einsame Wiese,
der stille Forst, wenn ich ein beschränkter Ackerknecht
gewesen wäre, laßt mich dorthin, dachte ich, kein
Hauch von mir soll sich wieder in euer Leben und
Weben mischen. Umsonst aller Wunsch! Meine
Existenz war an's Gefängniß verloren, und zwar
an's todteinsame, dunkle, trostlose. Was Rechtes,
Genaues, weiß ich eigentlich nicht mehr von jener
ersten Zeit meiner jetzigen Gefangenschaft, ich erin-
nere mich nur, daß ich oft aus einer Starrheit und
Taubheit erwachte, mich an der Mauer lehnend
fand und zusammenschauerte, daß eine mir ganz
fremde Gesellschaft in meinem Kopfe zu wohnen
schien, und Dinge trieb, von denen mein eigent-
liches Jch gar nichts wußte. So fand ich nach
einem langen Vormittage mein Bewußtsein durch
Eintritt des Wärters wieder, und erkannte mit
Grausen, daß in mir etwas ganz Fremdes vorge-
gangen war, aus zwei unbedeutenden, mir höchst
gleichgültigen Menschen, die ich vor langer, langer
Zeit in tändelnder Liebe zu einander gesehn hatte,
war eine Novelle in meinem abwesenden Geiste auf-

das Leben quoll, mein Herz, mein Auge lechzten
nach der Welt, und wenn’s die einſame Wieſe,
der ſtille Forſt, wenn ich ein beſchränkter Ackerknecht
geweſen wäre, laßt mich dorthin, dachte ich, kein
Hauch von mir ſoll ſich wieder in euer Leben und
Weben miſchen. Umſonſt aller Wunſch! Meine
Exiſtenz war an’s Gefängniß verloren, und zwar
an’s todteinſame, dunkle, troſtloſe. Was Rechtes,
Genaues, weiß ich eigentlich nicht mehr von jener
erſten Zeit meiner jetzigen Gefangenſchaft, ich erin-
nere mich nur, daß ich oft aus einer Starrheit und
Taubheit erwachte, mich an der Mauer lehnend
fand und zuſammenſchauerte, daß eine mir ganz
fremde Geſellſchaft in meinem Kopfe zu wohnen
ſchien, und Dinge trieb, von denen mein eigent-
liches Jch gar nichts wußte. So fand ich nach
einem langen Vormittage mein Bewußtſein durch
Eintritt des Wärters wieder, und erkannte mit
Grauſen, daß in mir etwas ganz Fremdes vorge-
gangen war, aus zwei unbedeutenden, mir höchſt
gleichgültigen Menſchen, die ich vor langer, langer
Zeit in tändelnder Liebe zu einander geſehn hatte,
war eine Novelle in meinem abweſenden Geiſte auf-

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[114/0122] das Leben quoll, mein Herz, mein Auge lechzten nach der Welt, und wenn’s die einſame Wieſe, der ſtille Forſt, wenn ich ein beſchränkter Ackerknecht geweſen wäre, laßt mich dorthin, dachte ich, kein Hauch von mir ſoll ſich wieder in euer Leben und Weben miſchen. Umſonſt aller Wunſch! Meine Exiſtenz war an’s Gefängniß verloren, und zwar an’s todteinſame, dunkle, troſtloſe. Was Rechtes, Genaues, weiß ich eigentlich nicht mehr von jener erſten Zeit meiner jetzigen Gefangenſchaft, ich erin- nere mich nur, daß ich oft aus einer Starrheit und Taubheit erwachte, mich an der Mauer lehnend fand und zuſammenſchauerte, daß eine mir ganz fremde Geſellſchaft in meinem Kopfe zu wohnen ſchien, und Dinge trieb, von denen mein eigent- liches Jch gar nichts wußte. So fand ich nach einem langen Vormittage mein Bewußtſein durch Eintritt des Wärters wieder, und erkannte mit Grauſen, daß in mir etwas ganz Fremdes vorge- gangen war, aus zwei unbedeutenden, mir höchſt gleichgültigen Menſchen, die ich vor langer, langer Zeit in tändelnder Liebe zu einander geſehn hatte, war eine Novelle in meinem abweſenden Geiſte auf-

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/122>, abgerufen am 22.11.2024.