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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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und zusammengewachsen, die mir als ein völlig
außer mir liegendes Objekt Unterhaltungsstoff und
Furcht vor mir selber brachte. Jch dachte mit Schauer
an die Wahnsinnigen, die furchtsam in sich selbst
zusammenkriechen, meine Nerven wurden nachgerade
auch sehr zupassend erschüttert: der eintönige Schild-
wachentritt auf der Flur, das regelmäßige Ablösen
nach je zwei Stunden, besonders zur Nachtzeit,
zerrüttete mich ganz. Mein Bett stand nämlich an
einer Mauer, die den Gang bilden half, durch wel-
chen die Wachtmannschaft vorüber trottete; war ich
Nachts eingeschlafen, um die wüste Existenz zu ver-
gessen, so fuhr ich immer nach je zwei Stunden
hoch auf, wenn die Schritte tief an mein Ohr tra-
ten, oder gar die Waffen klirrten und polterten.
Gott bewahre meinen ärgsten Feind vor solchem
Zustande, war das Wort meiner Mutter; ich hatte
einst von einem Gefangenen gehört, der alle Stun-
den auf den Anruf der Wache antworten mußte;
es war ihm das Nervensystem dadurch so zerstört
worden, daß er sich nicht mehr tief genug unter
die Erde retten konnte, um keine Nähe, kein Ge-
räusch zu empfinden. Jn einem Gemache, was

und zuſammengewachſen, die mir als ein völlig
außer mir liegendes Objekt Unterhaltungsſtoff und
Furcht vor mir ſelber brachte. Jch dachte mit Schauer
an die Wahnſinnigen, die furchtſam in ſich ſelbſt
zuſammenkriechen, meine Nerven wurden nachgerade
auch ſehr zupaſſend erſchüttert: der eintönige Schild-
wachentritt auf der Flur, das regelmäßige Ablöſen
nach je zwei Stunden, beſonders zur Nachtzeit,
zerrüttete mich ganz. Mein Bett ſtand nämlich an
einer Mauer, die den Gang bilden half, durch wel-
chen die Wachtmannſchaft vorüber trottete; war ich
Nachts eingeſchlafen, um die wüſte Exiſtenz zu ver-
geſſen, ſo fuhr ich immer nach je zwei Stunden
hoch auf, wenn die Schritte tief an mein Ohr tra-
ten, oder gar die Waffen klirrten und polterten.
Gott bewahre meinen ärgſten Feind vor ſolchem
Zuſtande, war das Wort meiner Mutter; ich hatte
einſt von einem Gefangenen gehört, der alle Stun-
den auf den Anruf der Wache antworten mußte;
es war ihm das Nervenſyſtem dadurch ſo zerſtört
worden, daß er ſich nicht mehr tief genug unter
die Erde retten konnte, um keine Nähe, kein Ge-
räuſch zu empfinden. Jn einem Gemache, was

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[115/0123] und zuſammengewachſen, die mir als ein völlig außer mir liegendes Objekt Unterhaltungsſtoff und Furcht vor mir ſelber brachte. Jch dachte mit Schauer an die Wahnſinnigen, die furchtſam in ſich ſelbſt zuſammenkriechen, meine Nerven wurden nachgerade auch ſehr zupaſſend erſchüttert: der eintönige Schild- wachentritt auf der Flur, das regelmäßige Ablöſen nach je zwei Stunden, beſonders zur Nachtzeit, zerrüttete mich ganz. Mein Bett ſtand nämlich an einer Mauer, die den Gang bilden half, durch wel- chen die Wachtmannſchaft vorüber trottete; war ich Nachts eingeſchlafen, um die wüſte Exiſtenz zu ver- geſſen, ſo fuhr ich immer nach je zwei Stunden hoch auf, wenn die Schritte tief an mein Ohr tra- ten, oder gar die Waffen klirrten und polterten. Gott bewahre meinen ärgſten Feind vor ſolchem Zuſtande, war das Wort meiner Mutter; ich hatte einſt von einem Gefangenen gehört, der alle Stun- den auf den Anruf der Wache antworten mußte; es war ihm das Nervenſyſtem dadurch ſo zerſtört worden, daß er ſich nicht mehr tief genug unter die Erde retten konnte, um keine Nähe, kein Ge- räuſch zu empfinden. Jn einem Gemache, was

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/123>, abgerufen am 07.05.2024.