Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

des menschlichen Geistes, der reformiren will, neben
dem unabsehbaren Reichthume, der unendlichen Man-
nigfaltigkeit dieser Welt und ihres verborgnen ewi-
gen Gedankens. Wie ein Prisma schimmerte ihm
aus dem Dunkel seiner Seele jener ewige Gott der
Welt mit seinen Farben. Und dies Gefühl der
Schwäche, daß er nicht eine einzelne bestimmte Farbe
herausblicken konnte, das Gefühl der Ohnmacht, sie
nicht im Geiste alle vereinigt halten zu können,
dies Gefühl der menschlichen Beschränktheit drückte
ihn zu Boden.

Es giebt Menschen, welche zu stolz sind, einen
Schritt weiter zu gehen, bevor sie das Ziel genau
kennen, auf welches sie losschreiten. Zu diesen
gehörte Valerius. Er glaubte noch an all seine
früheren Gedanken, aber sie erschienen ihm jetzt
unvollkommen, Anfänge der Bildung.

Das sind die trostlosesten Momente im Leben,
wo wir den Fuß erhoben haben von einer früheren
Entwickelungsstufe, und noch keinen neuen festen
Boden unter uns fühlen. Wir sehen mit Schrecken,
wie tief jene Stufe noch gelegen, wir erinnern uns
mit Schaam, wie weit wir uns schon vorgeschritten

des menſchlichen Geiſtes, der reformiren will, neben
dem unabſehbaren Reichthume, der unendlichen Man-
nigfaltigkeit dieſer Welt und ihres verborgnen ewi-
gen Gedankens. Wie ein Prisma ſchimmerte ihm
aus dem Dunkel ſeiner Seele jener ewige Gott der
Welt mit ſeinen Farben. Und dies Gefühl der
Schwäche, daß er nicht eine einzelne beſtimmte Farbe
herausblicken konnte, das Gefühl der Ohnmacht, ſie
nicht im Geiſte alle vereinigt halten zu können,
dies Gefühl der menſchlichen Beſchränktheit drückte
ihn zu Boden.

Es giebt Menſchen, welche zu ſtolz ſind, einen
Schritt weiter zu gehen, bevor ſie das Ziel genau
kennen, auf welches ſie losſchreiten. Zu dieſen
gehörte Valerius. Er glaubte noch an all ſeine
früheren Gedanken, aber ſie erſchienen ihm jetzt
unvollkommen, Anfänge der Bildung.

Das ſind die troſtloſeſten Momente im Leben,
wo wir den Fuß erhoben haben von einer früheren
Entwickelungsſtufe, und noch keinen neuen feſten
Boden unter uns fühlen. Wir ſehen mit Schrecken,
wie tief jene Stufe noch gelegen, wir erinnern uns
mit Schaam, wie weit wir uns ſchon vorgeſchritten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="74"/>
des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes, der reformiren will, neben<lb/>
dem unab&#x017F;ehbaren Reichthume, der unendlichen Man-<lb/>
nigfaltigkeit die&#x017F;er Welt und ihres verborgnen ewi-<lb/>
gen Gedankens. Wie ein Prisma &#x017F;chimmerte ihm<lb/>
aus dem Dunkel &#x017F;einer Seele jener ewige Gott der<lb/>
Welt mit &#x017F;einen Farben. Und dies Gefühl der<lb/>
Schwäche, daß er nicht eine einzelne be&#x017F;timmte Farbe<lb/>
herausblicken konnte, das Gefühl der Ohnmacht, &#x017F;ie<lb/>
nicht im Gei&#x017F;te alle vereinigt halten zu können,<lb/>
dies Gefühl der men&#x017F;chlichen Be&#x017F;chränktheit drückte<lb/>
ihn zu Boden.</p><lb/>
          <p>Es giebt Men&#x017F;chen, welche zu &#x017F;tolz &#x017F;ind, einen<lb/>
Schritt weiter zu gehen, bevor &#x017F;ie das Ziel genau<lb/>
kennen, auf welches &#x017F;ie los&#x017F;chreiten. Zu die&#x017F;en<lb/>
gehörte Valerius. Er glaubte noch an all &#x017F;eine<lb/>
früheren Gedanken, aber &#x017F;ie er&#x017F;chienen ihm jetzt<lb/>
unvollkommen, Anfänge der Bildung.</p><lb/>
          <p>Das &#x017F;ind die tro&#x017F;tlo&#x017F;e&#x017F;ten Momente im Leben,<lb/>
wo wir den Fuß erhoben haben von einer früheren<lb/>
Entwickelungs&#x017F;tufe, und noch keinen neuen fe&#x017F;ten<lb/>
Boden unter uns fühlen. Wir &#x017F;ehen mit Schrecken,<lb/>
wie tief jene Stufe noch gelegen, wir erinnern uns<lb/>
mit Schaam, wie weit wir uns &#x017F;chon vorge&#x017F;chritten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0084] des menſchlichen Geiſtes, der reformiren will, neben dem unabſehbaren Reichthume, der unendlichen Man- nigfaltigkeit dieſer Welt und ihres verborgnen ewi- gen Gedankens. Wie ein Prisma ſchimmerte ihm aus dem Dunkel ſeiner Seele jener ewige Gott der Welt mit ſeinen Farben. Und dies Gefühl der Schwäche, daß er nicht eine einzelne beſtimmte Farbe herausblicken konnte, das Gefühl der Ohnmacht, ſie nicht im Geiſte alle vereinigt halten zu können, dies Gefühl der menſchlichen Beſchränktheit drückte ihn zu Boden. Es giebt Menſchen, welche zu ſtolz ſind, einen Schritt weiter zu gehen, bevor ſie das Ziel genau kennen, auf welches ſie losſchreiten. Zu dieſen gehörte Valerius. Er glaubte noch an all ſeine früheren Gedanken, aber ſie erſchienen ihm jetzt unvollkommen, Anfänge der Bildung. Das ſind die troſtloſeſten Momente im Leben, wo wir den Fuß erhoben haben von einer früheren Entwickelungsſtufe, und noch keinen neuen feſten Boden unter uns fühlen. Wir ſehen mit Schrecken, wie tief jene Stufe noch gelegen, wir erinnern uns mit Schaam, wie weit wir uns ſchon vorgeſchritten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/84
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/84>, abgerufen am 06.05.2024.