Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Psychotomie.
über welche die Materie zur Jdee schreitet; darum hielt
Epikur die Seelenatome für das Glätteste. Nicht ohne
Grund alliteriert der Sprachgeist Glätte, Glaube,
Glück."

Linolinde drückte leise seinen Arm und hauchte:
"Warum sollen wir uns nicht sagen, daß wir uns ver-
stehen?"

"Wir verstehen uns," erwiderte er. Da hing Lino-
linde an seinem Halse, dank der Sparsamkeit des
Stadtrates im Dunklen auf der menschenleeren Prome-
nade, zwanzig Schritt von der roten Laterne. Ein
Räuspern ward vernehmbar, Schritte -- "Auf Wieder-
sehen!" Linolinde entschwand. Schulze trat seelenver-
gnügt in sein Stammlokal, wo er an der Thür
mit seinem Special-Kollegen, dem Professor Oberwasser
zusammentraf. --

Es wurde ein bedenklicher Abend für Schulze, denn
er konnte niemand etwas abschlagen. Für den fol-
genden Morgen versprach er dem Geologen, ihn auf
einer den ganzen Tag dauernden Exkursion zu begleiten,
zugleich aber seinem Nachbar zur Linken, ihm um
12 Uhr auf der Bibliothek eine Auskunft zu geben,
und nachdem die beiden fortgegangen, nahm er von
einem später Angekommenen für dieselbe Zeit eine Ein-
ladung zum Frühstück an. Jn Bezug auf seine Reise-
erinnerungen, die zur Sprache kamen, verstrickte er sich
in ein unendliches Netz von Lügen, weil er auf keine
Frage nein zu sagen vermochte, und zuletzt kam er
in Streit mit seinem Kollegen Oberwasser wegen der

Pſychotomie.
über welche die Materie zur Jdee ſchreitet; darum hielt
Epikur die Seelenatome für das Glätteſte. Nicht ohne
Grund alliteriert der Sprachgeiſt Glätte, Glaube,
Glück.“

Linolinde drückte leiſe ſeinen Arm und hauchte:
„Warum ſollen wir uns nicht ſagen, daß wir uns ver-
ſtehen?“

„Wir verſtehen uns,“ erwiderte er. Da hing Lino-
linde an ſeinem Halſe, dank der Sparſamkeit des
Stadtrates im Dunklen auf der menſchenleeren Prome-
nade, zwanzig Schritt von der roten Laterne. Ein
Räuſpern ward vernehmbar, Schritte — „Auf Wieder-
ſehen!“ Linolinde entſchwand. Schulze trat ſeelenver-
gnügt in ſein Stammlokal, wo er an der Thür
mit ſeinem Special-Kollegen, dem Profeſſor Oberwaſſer
zuſammentraf. —

Es wurde ein bedenklicher Abend für Schulze, denn
er konnte niemand etwas abſchlagen. Für den fol-
genden Morgen verſprach er dem Geologen, ihn auf
einer den ganzen Tag dauernden Exkurſion zu begleiten,
zugleich aber ſeinem Nachbar zur Linken, ihm um
12 Uhr auf der Bibliothek eine Auskunft zu geben,
und nachdem die beiden fortgegangen, nahm er von
einem ſpäter Angekommenen für dieſelbe Zeit eine Ein-
ladung zum Frühſtück an. Jn Bezug auf ſeine Reiſe-
erinnerungen, die zur Sprache kamen, verſtrickte er ſich
in ein unendliches Netz von Lügen, weil er auf keine
Frage nein zu ſagen vermochte, und zuletzt kam er
in Streit mit ſeinem Kollegen Oberwaſſer wegen der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">P&#x017F;ychotomie.</hi></fw><lb/>
über welche die Materie zur Jdee &#x017F;chreitet; darum hielt<lb/>
Epikur die Seelenatome für das Glätte&#x017F;te. Nicht ohne<lb/>
Grund alliteriert der Sprachgei&#x017F;t Glätte, Glaube,<lb/>
Glück.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Linolinde drückte lei&#x017F;e &#x017F;einen Arm und hauchte:<lb/>
&#x201E;Warum &#x017F;ollen wir uns nicht &#x017F;agen, daß wir uns ver-<lb/>
&#x017F;tehen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir ver&#x017F;tehen uns,&#x201C; erwiderte er. Da hing Lino-<lb/>
linde an &#x017F;einem Hal&#x017F;e, dank der Spar&#x017F;amkeit des<lb/>
Stadtrates im Dunklen auf der men&#x017F;chenleeren Prome-<lb/>
nade, zwanzig Schritt von der roten Laterne. Ein<lb/>
Räu&#x017F;pern ward vernehmbar, Schritte &#x2014; &#x201E;Auf Wieder-<lb/>
&#x017F;ehen!&#x201C; Linolinde ent&#x017F;chwand. Schulze trat &#x017F;eelenver-<lb/>
gnügt in &#x017F;ein Stammlokal, wo er an der Thür<lb/>
mit &#x017F;einem Special-Kollegen, dem Profe&#x017F;&#x017F;or Oberwa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
zu&#x017F;ammentraf. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Es wurde ein bedenklicher Abend für Schulze, denn<lb/>
er konnte niemand etwas ab&#x017F;chlagen. Für den fol-<lb/>
genden Morgen ver&#x017F;prach er dem Geologen, ihn auf<lb/>
einer den ganzen Tag dauernden Exkur&#x017F;ion zu begleiten,<lb/>
zugleich aber &#x017F;einem Nachbar zur Linken, ihm um<lb/>
12 Uhr auf der Bibliothek eine Auskunft zu geben,<lb/>
und nachdem die beiden fortgegangen, nahm er von<lb/>
einem &#x017F;päter Angekommenen für die&#x017F;elbe Zeit eine Ein-<lb/>
ladung zum Früh&#x017F;tück an. Jn Bezug auf &#x017F;eine Rei&#x017F;e-<lb/>
erinnerungen, die zur Sprache kamen, ver&#x017F;trickte er &#x017F;ich<lb/>
in ein unendliches Netz von Lügen, weil er auf keine<lb/>
Frage nein zu &#x017F;agen vermochte, und zuletzt kam er<lb/>
in Streit mit &#x017F;einem Kollegen Oberwa&#x017F;&#x017F;er wegen der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0177] Pſychotomie. über welche die Materie zur Jdee ſchreitet; darum hielt Epikur die Seelenatome für das Glätteſte. Nicht ohne Grund alliteriert der Sprachgeiſt Glätte, Glaube, Glück.“ Linolinde drückte leiſe ſeinen Arm und hauchte: „Warum ſollen wir uns nicht ſagen, daß wir uns ver- ſtehen?“ „Wir verſtehen uns,“ erwiderte er. Da hing Lino- linde an ſeinem Halſe, dank der Sparſamkeit des Stadtrates im Dunklen auf der menſchenleeren Prome- nade, zwanzig Schritt von der roten Laterne. Ein Räuſpern ward vernehmbar, Schritte — „Auf Wieder- ſehen!“ Linolinde entſchwand. Schulze trat ſeelenver- gnügt in ſein Stammlokal, wo er an der Thür mit ſeinem Special-Kollegen, dem Profeſſor Oberwaſſer zuſammentraf. — Es wurde ein bedenklicher Abend für Schulze, denn er konnte niemand etwas abſchlagen. Für den fol- genden Morgen verſprach er dem Geologen, ihn auf einer den ganzen Tag dauernden Exkurſion zu begleiten, zugleich aber ſeinem Nachbar zur Linken, ihm um 12 Uhr auf der Bibliothek eine Auskunft zu geben, und nachdem die beiden fortgegangen, nahm er von einem ſpäter Angekommenen für dieſelbe Zeit eine Ein- ladung zum Frühſtück an. Jn Bezug auf ſeine Reiſe- erinnerungen, die zur Sprache kamen, verſtrickte er ſich in ein unendliches Netz von Lügen, weil er auf keine Frage nein zu ſagen vermochte, und zuletzt kam er in Streit mit ſeinem Kollegen Oberwaſſer wegen der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/177
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/177>, abgerufen am 04.12.2024.