Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. eine seltsame Geschichte, die ich nicht glauben kann. Eswar ein Mensch, wahrscheinlich ein Führer, der mehr wußte wie die andern und ihnen das alles sagte, weil er glaubte, daß es gut sein würde für den Stock; und das finde ich ganz selbstverständlich. Den andern Führern aber gefiel es nicht, weil er auch zu den Sklaven sprach, daß sie nicht geringer seien als die Führer. Da nahmen sie ihn und sagten, wenn er nicht seine Taster still halte, so würden sie ihn totzwacken. Das ist ja auch ganz richtig, denn wer den Führern und damit dem Stock schadet, muß totgezwackt werden. Nun aber kommt das, was ich nicht verstehe. Der Mensch wurde nicht etwa still, sondern er fuhr fort, seine Meinung zu behalten und zu behaupten. Wie kann das sein, daß einer von der Meinung der Führer abweicht? Und wie sie ihn nun zwackten, so hörte er doch nicht auf zu reden, sondern er hob seine Taster vor allem Volke und rief: "Jhr könnt nicht richten über mein Gewissen, das mich heißt die Wahrheit zu künden. Höher als das Leben steht die Freiheit der Überzeu- gung. Totzwacken könnt Jhr mich wohl, aber meine Worte werden bleiben und ich sterbe gern für die Freiheit!" Was soll das alles heißen? Freiheit? Dummes Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. eine ſeltſame Geſchichte, die ich nicht glauben kann. Eswar ein Menſch, wahrſcheinlich ein Führer, der mehr wußte wie die andern und ihnen das alles ſagte, weil er glaubte, daß es gut ſein würde für den Stock; und das finde ich ganz ſelbſtverſtändlich. Den andern Führern aber gefiel es nicht, weil er auch zu den Sklaven ſprach, daß ſie nicht geringer ſeien als die Führer. Da nahmen ſie ihn und ſagten, wenn er nicht ſeine Taſter ſtill halte, ſo würden ſie ihn totzwacken. Das iſt ja auch ganz richtig, denn wer den Führern und damit dem Stock ſchadet, muß totgezwackt werden. Nun aber kommt das, was ich nicht verſtehe. Der Menſch wurde nicht etwa ſtill, ſondern er fuhr fort, ſeine Meinung zu behalten und zu behaupten. Wie kann das ſein, daß einer von der Meinung der Führer abweicht? Und wie ſie ihn nun zwackten, ſo hörte er doch nicht auf zu reden, ſondern er hob ſeine Taſter vor allem Volke und rief: „Jhr könnt nicht richten über mein Gewiſſen, das mich heißt die Wahrheit zu künden. Höher als das Leben ſteht die Freiheit der Überzeu- gung. Totzwacken könnt Jhr mich wohl, aber meine Worte werden bleiben und ich ſterbe gern für die Freiheit!“ Was ſoll das alles heißen? Freiheit? Dummes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0124" n="118"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi></fw><lb/> eine ſeltſame Geſchichte, die ich nicht glauben kann. Es<lb/> war ein Menſch, wahrſcheinlich ein Führer, der mehr<lb/> wußte wie die andern und ihnen das alles ſagte, weil<lb/> er glaubte, daß es gut ſein würde für den Stock; und<lb/> das finde ich ganz ſelbſtverſtändlich. Den andern<lb/> Führern aber gefiel es nicht, weil er auch zu den<lb/> Sklaven ſprach, daß ſie nicht geringer ſeien als die<lb/> Führer. Da nahmen ſie ihn und ſagten, wenn er nicht<lb/> ſeine Taſter ſtill halte, ſo würden ſie ihn totzwacken.<lb/> Das iſt ja auch ganz richtig, denn wer den Führern<lb/> und damit dem Stock ſchadet, muß totgezwackt werden.<lb/> Nun aber kommt das, was ich nicht verſtehe. Der<lb/> Menſch wurde nicht etwa ſtill, ſondern er fuhr fort,<lb/> ſeine Meinung zu behalten und zu behaupten. Wie<lb/> kann das ſein, daß einer von der Meinung der Führer<lb/> abweicht? Und wie ſie ihn nun zwackten, ſo hörte er<lb/> doch nicht auf zu reden, ſondern er hob ſeine Taſter<lb/> vor allem Volke und rief: „Jhr könnt nicht richten über<lb/> mein Gewiſſen, das mich heißt die Wahrheit zu künden.<lb/> Höher als das Leben ſteht die Freiheit der Überzeu-<lb/> gung. Totzwacken könnt Jhr mich wohl, aber meine<lb/> Worte werden bleiben und ich ſterbe gern für die<lb/> Freiheit!“</p><lb/> <p>Was ſoll das alles heißen? Freiheit? Dummes<lb/> Zeug! Jch krieche in meine Winterzelle.</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [118/0124]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
eine ſeltſame Geſchichte, die ich nicht glauben kann. Es
war ein Menſch, wahrſcheinlich ein Führer, der mehr
wußte wie die andern und ihnen das alles ſagte, weil
er glaubte, daß es gut ſein würde für den Stock; und
das finde ich ganz ſelbſtverſtändlich. Den andern
Führern aber gefiel es nicht, weil er auch zu den
Sklaven ſprach, daß ſie nicht geringer ſeien als die
Führer. Da nahmen ſie ihn und ſagten, wenn er nicht
ſeine Taſter ſtill halte, ſo würden ſie ihn totzwacken.
Das iſt ja auch ganz richtig, denn wer den Führern
und damit dem Stock ſchadet, muß totgezwackt werden.
Nun aber kommt das, was ich nicht verſtehe. Der
Menſch wurde nicht etwa ſtill, ſondern er fuhr fort,
ſeine Meinung zu behalten und zu behaupten. Wie
kann das ſein, daß einer von der Meinung der Führer
abweicht? Und wie ſie ihn nun zwackten, ſo hörte er
doch nicht auf zu reden, ſondern er hob ſeine Taſter
vor allem Volke und rief: „Jhr könnt nicht richten über
mein Gewiſſen, das mich heißt die Wahrheit zu künden.
Höher als das Leben ſteht die Freiheit der Überzeu-
gung. Totzwacken könnt Jhr mich wohl, aber meine
Worte werden bleiben und ich ſterbe gern für die
Freiheit!“
Was ſoll das alles heißen? Freiheit? Dummes
Zeug! Jch krieche in meine Winterzelle.
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