Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. Durch wirbelude Blätter schritt ich dahin -- Was raunte der Wind mir ins Ohr? "Du findest ihn nimmer, den süßen Gewinn, Was suchst du, irrender Thor? Verweht die Wege, entfärbt die Flur, Grauwallende Nebel verhüllen die Spur, Und ferne der Lenz und das Licht -- Die Blumen, sie blühen dir nicht!" "Du wirbelndes Laub, du sausender Wind, Mir habt ihr vergebens gedroht! Nun bin ich getrost, nun schreit' ich geschwind, Enthoben der quälenden Not. Den Schleier durchbrach ein himmlisches Blau, Mich grüßten die Augen der holdesten Frau. Und Wangen, die rosig erglüht! Die Blumen, sie sind mir erblüht!" Warum nur die andern Menschen davon nichts wissen Wintersonne 16. Es ist kalt geworden. Die Eingänge zum Stock Jch las in der Bibliothek in einem Menschenbuche Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Durch wirbelude Blätter ſchritt ich dahin — Was raunte der Wind mir ins Ohr? „Du findeſt ihn nimmer, den ſüßen Gewinn, Was ſuchſt du, irrender Thor? Verweht die Wege, entfärbt die Flur, Grauwallende Nebel verhüllen die Spur, Und ferne der Lenz und das Licht — Die Blumen, ſie blühen dir nicht!“ „Du wirbelndes Laub, du ſauſender Wind, Mir habt ihr vergebens gedroht! Nun bin ich getroſt, nun ſchreit’ ich geſchwind, Enthoben der quälenden Not. Den Schleier durchbrach ein himmliſches Blau, Mich grüßten die Augen der holdeſten Frau. Und Wangen, die roſig erglüht! Die Blumen, ſie ſind mir erblüht!“ Warum nur die andern Menſchen davon nichts wiſſen Winterſonne 16. Es iſt kalt geworden. Die Eingänge zum Stock Jch las in der Bibliothek in einem Menſchenbuche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0123" n="117"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Durch wirbelude Blätter ſchritt ich dahin —</l><lb/> <l>Was raunte der Wind mir ins Ohr?</l><lb/> <l>„Du findeſt ihn nimmer, den ſüßen Gewinn,</l><lb/> <l>Was ſuchſt du, irrender Thor?</l><lb/> <l>Verweht die Wege, entfärbt die Flur,</l><lb/> <l>Grauwallende Nebel verhüllen die Spur,</l><lb/> <l>Und ferne der Lenz und das Licht —</l><lb/> <l>Die Blumen, ſie blühen dir nicht!“</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>„Du wirbelndes Laub, du ſauſender Wind,</l><lb/> <l>Mir habt ihr vergebens gedroht!</l><lb/> <l>Nun bin ich getroſt, nun ſchreit’ ich geſchwind,</l><lb/> <l>Enthoben der quälenden Not.</l><lb/> <l>Den Schleier durchbrach ein himmliſches Blau,</l><lb/> <l>Mich grüßten die Augen der holdeſten Frau.</l><lb/> <l>Und Wangen, die roſig erglüht!</l><lb/> <l>Die Blumen, ſie ſind mir erblüht!“</l> </lg> </lg><lb/> <p>Warum nur die andern Menſchen davon nichts wiſſen<lb/> ſollten? Das Unausſprechliche verhandeln ſie vor dem<lb/> Volke in großen Verſammlungen und das, wovon doch<lb/> das Gedeihen des Stockes abhängt, ſcheuen ſie ſich zu be-<lb/> ſprechen, und nur in der Einſamkeit wagen ſie ihre<lb/> Liebkoſungen. Trotz aller Ameiſenähnlichkeit — ſie<lb/> bleiben doch immer bloß Menſchen!</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>Winterſonne 16.</head><lb/> <p>Es iſt kalt geworden. Die Eingänge zum Stock<lb/> ſind verſchloſſen und verſtopft. Heut haben wir den<lb/> letzten Weibchen die Flügel abgenommen und ſie in ihre<lb/> Zellen geſteckt. Nun haben wir Ruhe!</p><lb/> <p>Jch las in der Bibliothek in einem Menſchenbuche<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0123]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Durch wirbelude Blätter ſchritt ich dahin —
Was raunte der Wind mir ins Ohr?
„Du findeſt ihn nimmer, den ſüßen Gewinn,
Was ſuchſt du, irrender Thor?
Verweht die Wege, entfärbt die Flur,
Grauwallende Nebel verhüllen die Spur,
Und ferne der Lenz und das Licht —
Die Blumen, ſie blühen dir nicht!“
„Du wirbelndes Laub, du ſauſender Wind,
Mir habt ihr vergebens gedroht!
Nun bin ich getroſt, nun ſchreit’ ich geſchwind,
Enthoben der quälenden Not.
Den Schleier durchbrach ein himmliſches Blau,
Mich grüßten die Augen der holdeſten Frau.
Und Wangen, die roſig erglüht!
Die Blumen, ſie ſind mir erblüht!“
Warum nur die andern Menſchen davon nichts wiſſen
ſollten? Das Unausſprechliche verhandeln ſie vor dem
Volke in großen Verſammlungen und das, wovon doch
das Gedeihen des Stockes abhängt, ſcheuen ſie ſich zu be-
ſprechen, und nur in der Einſamkeit wagen ſie ihre
Liebkoſungen. Trotz aller Ameiſenähnlichkeit — ſie
bleiben doch immer bloß Menſchen!
Winterſonne 16.
Es iſt kalt geworden. Die Eingänge zum Stock
ſind verſchloſſen und verſtopft. Heut haben wir den
letzten Weibchen die Flügel abgenommen und ſie in ihre
Zellen geſteckt. Nun haben wir Ruhe!
Jch las in der Bibliothek in einem Menſchenbuche
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Zitationshilfe: | Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/123>, abgerufen am 22.07.2024. |