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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Augustinus: Unerkennbarkeit der Atome.

"Das Schmerzlichste bei all jenen Faseleien liegt darin,
daß nicht der bloße Bericht darüber schon genügt, sie ohne
jeden Widerspruch zu einem Gegenstande des Abscheus zu
machen. Vielmehr haben sich höchst geistreiche Männer der
Mühe unterzogen, Dinge weitläufig zurückzuweisen, deren bloße
Erwähnung auch für den Stumpfsinnigsten hinreichen müßte,
sie mit Hohnlachen zu verwerfen. Denn wenn man einmal
zugibt, daß Atome existieren, wenn man zugibt, daß sie sich
in zufälligem Zusammentreffen stoßen und treiben, so muß
man schließlich auch zugeben, daß die untereinander zufällig
sich treffenden Atome irgend ein Ding so beeinflussen, daß sie
es seinem Wesen nach bestimmen, seiner Gestalt nach begrenzen,
seine Oberfläche abschleifen, es mit Farbe schmücken und mit
einer Seele beleben. Aber alles dies kann doch lediglich durch
die Kunst der göttlichen Vorsehung geschehen, wie jeder be-
greift, der lieber mit dem geistigen als mit dem leiblichen Auge
sieht." "Daß übrigens die Atome keineswegs zuzugestehen
sind, kann, ohne auf die Spitzfindigkeiten, die über die Teilung
der Körper traditionell sind, einzugehen, leicht aus der eigenen
Lehre der Atomisten erwiesen werden. Denn zweifellos be-
haupten sie, daß alles, was zur Natur gehört, nur Körper und
das Leere sowie deren Accidentien sind, worunter sie, wie ich
glaube, Bewegung und Stoß nnd konsequenterweise die For-
men verstehen. Nun mögen sie angeben, in welches Genus
sie die Bilder (imagines) setzen, die nach ihrer Meinung von
den festen Körpern ausgehen und selbst keineswegs fest sind,
so daß sie, falls wir sie nicht durch Berührung mittels der Augen
sehen oder der Seele denken, nicht wahrgenommen werden
können, wenn sie auch selbst Körper sind. Denn dies halten
sie für notwendig, damit sie von den Körpern ausgehen und
zu den Augen oder selbst zur Seele gelangen können, die sie
nichtsdestoweniger für körperlich erklären. Nun frage ich,
ob auch von den Atomen selbst Bilder ausgehen. Wenn dies
der Fall ist, wie können das noch Atome sein, von denen
andere Körper sich abtrennen? Wenn nicht, so kann entweder
etwas ohne Vermittelung durch Bilder gedacht werden, was
sie lebhaft bestreiten, oder woher kennen sie dann die Atome,
die sie gar nicht denken konnten? Doch ich schäme mich
schon das zu widerlegen, was sie sich nicht gescheut haben,

Augustinus: Unerkennbarkeit der Atome.

„Das Schmerzlichste bei all jenen Faseleien liegt darin,
daß nicht der bloße Bericht darüber schon genügt, sie ohne
jeden Widerspruch zu einem Gegenstande des Abscheus zu
machen. Vielmehr haben sich höchst geistreiche Männer der
Mühe unterzogen, Dinge weitläufig zurückzuweisen, deren bloße
Erwähnung auch für den Stumpfsinnigsten hinreichen müßte,
sie mit Hohnlachen zu verwerfen. Denn wenn man einmal
zugibt, daß Atome existieren, wenn man zugibt, daß sie sich
in zufälligem Zusammentreffen stoßen und treiben, so muß
man schließlich auch zugeben, daß die untereinander zufällig
sich treffenden Atome irgend ein Ding so beeinflussen, daß sie
es seinem Wesen nach bestimmen, seiner Gestalt nach begrenzen,
seine Oberfläche abschleifen, es mit Farbe schmücken und mit
einer Seele beleben. Aber alles dies kann doch lediglich durch
die Kunst der göttlichen Vorsehung geschehen, wie jeder be-
greift, der lieber mit dem geistigen als mit dem leiblichen Auge
sieht.‟ „Daß übrigens die Atome keineswegs zuzugestehen
sind, kann, ohne auf die Spitzfindigkeiten, die über die Teilung
der Körper traditionell sind, einzugehen, leicht aus der eigenen
Lehre der Atomisten erwiesen werden. Denn zweifellos be-
haupten sie, daß alles, was zur Natur gehört, nur Körper und
das Leere sowie deren Accidentien sind, worunter sie, wie ich
glaube, Bewegung und Stoß nnd konsequenterweise die For-
men verstehen. Nun mögen sie angeben, in welches Genus
sie die Bilder (imagines) setzen, die nach ihrer Meinung von
den festen Körpern ausgehen und selbst keineswegs fest sind,
so daß sie, falls wir sie nicht durch Berührung mittels der Augen
sehen oder der Seele denken, nicht wahrgenommen werden
können, wenn sie auch selbst Körper sind. Denn dies halten
sie für notwendig, damit sie von den Körpern ausgehen und
zu den Augen oder selbst zur Seele gelangen können, die sie
nichtsdestoweniger für körperlich erklären. Nun frage ich,
ob auch von den Atomen selbst Bilder ausgehen. Wenn dies
der Fall ist, wie können das noch Atome sein, von denen
andere Körper sich abtrennen? Wenn nicht, so kann entweder
etwas ohne Vermittelung durch Bilder gedacht werden, was
sie lebhaft bestreiten, oder woher kennen sie dann die Atome,
die sie gar nicht denken konnten? Doch ich schäme mich
schon das zu widerlegen, was sie sich nicht gescheut haben,

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[28/0046] Augustinus: Unerkennbarkeit der Atome. „Das Schmerzlichste bei all jenen Faseleien liegt darin, daß nicht der bloße Bericht darüber schon genügt, sie ohne jeden Widerspruch zu einem Gegenstande des Abscheus zu machen. Vielmehr haben sich höchst geistreiche Männer der Mühe unterzogen, Dinge weitläufig zurückzuweisen, deren bloße Erwähnung auch für den Stumpfsinnigsten hinreichen müßte, sie mit Hohnlachen zu verwerfen. Denn wenn man einmal zugibt, daß Atome existieren, wenn man zugibt, daß sie sich in zufälligem Zusammentreffen stoßen und treiben, so muß man schließlich auch zugeben, daß die untereinander zufällig sich treffenden Atome irgend ein Ding so beeinflussen, daß sie es seinem Wesen nach bestimmen, seiner Gestalt nach begrenzen, seine Oberfläche abschleifen, es mit Farbe schmücken und mit einer Seele beleben. Aber alles dies kann doch lediglich durch die Kunst der göttlichen Vorsehung geschehen, wie jeder be- greift, der lieber mit dem geistigen als mit dem leiblichen Auge sieht.‟ „Daß übrigens die Atome keineswegs zuzugestehen sind, kann, ohne auf die Spitzfindigkeiten, die über die Teilung der Körper traditionell sind, einzugehen, leicht aus der eigenen Lehre der Atomisten erwiesen werden. Denn zweifellos be- haupten sie, daß alles, was zur Natur gehört, nur Körper und das Leere sowie deren Accidentien sind, worunter sie, wie ich glaube, Bewegung und Stoß nnd konsequenterweise die For- men verstehen. Nun mögen sie angeben, in welches Genus sie die Bilder (imagines) setzen, die nach ihrer Meinung von den festen Körpern ausgehen und selbst keineswegs fest sind, so daß sie, falls wir sie nicht durch Berührung mittels der Augen sehen oder der Seele denken, nicht wahrgenommen werden können, wenn sie auch selbst Körper sind. Denn dies halten sie für notwendig, damit sie von den Körpern ausgehen und zu den Augen oder selbst zur Seele gelangen können, die sie nichtsdestoweniger für körperlich erklären. Nun frage ich, ob auch von den Atomen selbst Bilder ausgehen. Wenn dies der Fall ist, wie können das noch Atome sein, von denen andere Körper sich abtrennen? Wenn nicht, so kann entweder etwas ohne Vermittelung durch Bilder gedacht werden, was sie lebhaft bestreiten, oder woher kennen sie dann die Atome, die sie gar nicht denken konnten? Doch ich schäme mich schon das zu widerlegen, was sie sich nicht gescheut haben,

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/46>, abgerufen am 24.04.2024.