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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Korpuskulartheorie. -- Lubin.
Metaphysik zu einer nur praktisch verwendbaren physikalischen
Hypothese hat ihre Vermittelung in der bereits im Altertum
eingetretenen Verschmelzung der Theorien der Materie (S. 1. Buch
S. 211 ff.). Die Tradition der Mediziner spielt hier eine Rolle, und
ein Mediziner, Daniel Sennert, ist es auch, welcher diese
physikalische Atomistik zuerst mit Nachdruck vertritt. An
Stelle der Atome wird jetzt, dem von Heraklides eingeführten
Namen # entsprechend, die richtigere Bezeichnung Corpuscula
gebräuchlich, und wir nennen daher diese Lehre die Korpus-
kulartheorie
.

Natürlich aber sind die beiden soeben angedeuteten Haupt-
motive nicht immer nach den Personen der einzelnen Denker
trennbar; auch die Erneuerer der physikalischen Atomistik
fühlen das Bedürfnis, sich mit den systematischen Lehren der
Schule auseinanderzusetzen; und wenngleich ihr Interesse ein
wesentlich physikalisches ist, so stehen sie doch unter den Ein-
flüssen bestimmter philosophischer Richtungen. Namentlich macht
sich der Nominalismus zu Gunsten atomistischer Ansichten geltend.

Wir erwähnen zunächst in Lubin einen Vertreter der
metaphysischen Atomistik.

2. Eilhard Lubin.

Der Philologe Eilhard Lubin (geb. 1565, gest. zu Rostock
1631) gelangt in einem Werke über die Natur des Bösen zu
einer atomistischen Auffassung des Kontinuums.1 Er nimmt
zwei Prinzipien an: Gott und Nichts; das Nichts ist gleichbe-
deutend mit dem Bösen. Nunmehr beabsichtigt er den Beweis
zu führen, daß die Welt nicht seit Ewigkeit bestehe, sondern
in der Zeit durch Gott aus dem Nichts erschaffen sei. Um dies
zu ermöglichen, sucht er die Zusammensetzung des Kontinuums
aus Unteilbarem zu erhärten. Denn wenn die kontinuierlichen
Größen, wie Zeit, Bewegung, Körper und Raum, bis ins Un-

1 Eilhardi Lubini, Phosphorus, de prima causa et natura mali, in quo
multorum gravissimae et dubitationes tolluntur et errores deteguntur.
Iterata
editio, auctior et perfectior. Rostockii 1601. Die erste Ausgabe erschien
1596. -- Leibniz erwähnt Lubin neben andern (Basso, Bonartes) als Ver-
treter einer diskontinuierlichen Auffassung der mathematischen Figuren in der
Hypothesis physica, Math. Schriften ed. Gerhardt VI p. 78.
26*

Korpuskulartheorie. — Lubin.
Metaphysik zu einer nur praktisch verwendbaren physikalischen
Hypothese hat ihre Vermittelung in der bereits im Altertum
eingetretenen Verschmelzung der Theorien der Materie (S. 1. Buch
S. 211 ff.). Die Tradition der Mediziner spielt hier eine Rolle, und
ein Mediziner, Daniel Sennert, ist es auch, welcher diese
physikalische Atomistik zuerst mit Nachdruck vertritt. An
Stelle der Atome wird jetzt, dem von Heraklides eingeführten
Namen # entsprechend, die richtigere Bezeichnung Corpuscula
gebräuchlich, und wir nennen daher diese Lehre die Korpus-
kulartheorie
.

Natürlich aber sind die beiden soeben angedeuteten Haupt-
motive nicht immer nach den Personen der einzelnen Denker
trennbar; auch die Erneuerer der physikalischen Atomistik
fühlen das Bedürfnis, sich mit den systematischen Lehren der
Schule auseinanderzusetzen; und wenngleich ihr Interesse ein
wesentlich physikalisches ist, so stehen sie doch unter den Ein-
flüssen bestimmter philosophischer Richtungen. Namentlich macht
sich der Nominalismus zu Gunsten atomistischer Ansichten geltend.

Wir erwähnen zunächst in Lubin einen Vertreter der
metaphysischen Atomistik.

2. Eilhard Lubin.

Der Philologe Eilhard Lubin (geb. 1565, gest. zu Rostock
1631) gelangt in einem Werke über die Natur des Bösen zu
einer atomistischen Auffassung des Kontinuums.1 Er nimmt
zwei Prinzipien an: Gott und Nichts; das Nichts ist gleichbe-
deutend mit dem Bösen. Nunmehr beabsichtigt er den Beweis
zu führen, daß die Welt nicht seit Ewigkeit bestehe, sondern
in der Zeit durch Gott aus dem Nichts erschaffen sei. Um dies
zu ermöglichen, sucht er die Zusammensetzung des Kontinuums
aus Unteilbarem zu erhärten. Denn wenn die kontinuierlichen
Größen, wie Zeit, Bewegung, Körper und Raum, bis ins Un-

1 Eilhardi Lubini, Phosphorus, de prima causa et natura mali, in quo
multorum gravissimae et dubitationes tolluntur et errores deteguntur.
Iterata
editio, auctior et perfectior. Rostockii 1601. Die erste Ausgabe erschien
1596. — Leibniz erwähnt Lubin neben andern (Basso, Bonartes) als Ver-
treter einer diskontinuierlichen Auffassung der mathematischen Figuren in der
Hypothesis physica, Math. Schriften ed. Gerhardt VI p. 78.
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[403/0421] Korpuskulartheorie. — Lubin. Metaphysik zu einer nur praktisch verwendbaren physikalischen Hypothese hat ihre Vermittelung in der bereits im Altertum eingetretenen Verschmelzung der Theorien der Materie (S. 1. Buch S. 211 ff.). Die Tradition der Mediziner spielt hier eine Rolle, und ein Mediziner, Daniel Sennert, ist es auch, welcher diese physikalische Atomistik zuerst mit Nachdruck vertritt. An Stelle der Atome wird jetzt, dem von Heraklides eingeführten Namen # entsprechend, die richtigere Bezeichnung Corpuscula gebräuchlich, und wir nennen daher diese Lehre die Korpus- kulartheorie. Natürlich aber sind die beiden soeben angedeuteten Haupt- motive nicht immer nach den Personen der einzelnen Denker trennbar; auch die Erneuerer der physikalischen Atomistik fühlen das Bedürfnis, sich mit den systematischen Lehren der Schule auseinanderzusetzen; und wenngleich ihr Interesse ein wesentlich physikalisches ist, so stehen sie doch unter den Ein- flüssen bestimmter philosophischer Richtungen. Namentlich macht sich der Nominalismus zu Gunsten atomistischer Ansichten geltend. Wir erwähnen zunächst in Lubin einen Vertreter der metaphysischen Atomistik. 2. Eilhard Lubin. Der Philologe Eilhard Lubin (geb. 1565, gest. zu Rostock 1631) gelangt in einem Werke über die Natur des Bösen zu einer atomistischen Auffassung des Kontinuums. 1 Er nimmt zwei Prinzipien an: Gott und Nichts; das Nichts ist gleichbe- deutend mit dem Bösen. Nunmehr beabsichtigt er den Beweis zu führen, daß die Welt nicht seit Ewigkeit bestehe, sondern in der Zeit durch Gott aus dem Nichts erschaffen sei. Um dies zu ermöglichen, sucht er die Zusammensetzung des Kontinuums aus Unteilbarem zu erhärten. Denn wenn die kontinuierlichen Größen, wie Zeit, Bewegung, Körper und Raum, bis ins Un- 1 Eilhardi Lubini, Phosphorus, de prima causa et natura mali, in quo multorum gravissimae et dubitationes tolluntur et errores deteguntur. Iterata editio, auctior et perfectior. Rostockii 1601. Die erste Ausgabe erschien 1596. — Leibniz erwähnt Lubin neben andern (Basso, Bonartes) als Ver- treter einer diskontinuierlichen Auffassung der mathematischen Figuren in der Hypothesis physica, Math. Schriften ed. Gerhardt VI p. 78. 26*

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/421>, abgerufen am 22.11.2024.