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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Metaphysische und physikalische Atomistik.
leitung angedeutet, auf Erzeugung einer einheitlichen Welt-
anschauung zielt, sondern auch wegen ihres Verfahrens. Sie
geht nicht von der empirischen Thatsache diskontinuierlicher
Körper aus, sondern von der theoretischen Voraussetzung, daß
das Kontinuum aus diskreten Unteilbaren bestehe. Sie stützt
sich auf den Begriff des Einfachen; indem sie diesen zu grunde
legt, betrachtet sie alle kontinuierlichen Größen in atomisti-
schem Sinne und bezieht sich daher auch auf mathematische
Spekulationen. Die Atome gelten ihr als punktuelle Größen,
in der späteren Entwickelung als Kraftpunkte oder Monaden,
und alle Monadologien haben hier ihren Ursprung. Das
physikalische Interesse ist dabei ein durchaus untergeordnetes,
und die Anwendung der Atome zur Erklärung der Erscheinungen
in der Physik betrachtet sie nicht als ihre Aufgabe. Sie hat
also vorläufig mit der Physik nicht direkt zu thun. Aus der
antiken Atomistik hat sie sich durch das Eindringen neu-
platonischer Gedanken entwickelt, wie dies in der Lehre Brunos
vor Augen liegt.

Die physikalische Atomistik dagegen ist, wie eben-
falls in der Einleitung bereits gesagt, aus durchaus praktischen
Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung der
Naturerscheinungen hervorgegangen. Für sie ist die Ableitung
der Atome aus philosophischen Begriffen Nebensache. Ob die
Atome wirklich das letzte und äußerste Element der Körper-
welt und das absolut Einfache sind, ist eine Frage, auf deren
Beantwortung sie verzichtet. Es genügt ihr anzunehmen, daß
es sehr kleine Körperteile gibt, deren weitere Teilbarkeit für
ihre physikalischen Zwecke nicht in Betracht kommt. Aus
diesen konstruiert sie die physischen Phänomene, ohne um den
letzten Grund der Berechtigung zur Annahme jener Teilchen
zu sorgen. Ihr Verfahren ist daher ebenfalls physikalisch; sie
sucht für die beobachteten Erscheinungen zunächst eine Ver-
anschaulichung, im weiteren Fortschritte ein Mittel der
mathematischen Darstellung. Den strengen Mechanismus und
die Ewigkeit der Atome weist sie daher aus kirchlichen Rück-
sichten vorsichtig zurück und ergänzt die Lehren der alten
Atomistik nach Bedarf durch Annahme eines intramolekularen
Äthers oder Weltgeistes und die Voraussetzung eines allmächtigen
Schöpfers. Diese Umgestaltung der antiken atomistischen

Metaphysische und physikalische Atomistik.
leitung angedeutet, auf Erzeugung einer einheitlichen Welt-
anschauung zielt, sondern auch wegen ihres Verfahrens. Sie
geht nicht von der empirischen Thatsache diskontinuierlicher
Körper aus, sondern von der theoretischen Voraussetzung, daß
das Kontinuum aus diskreten Unteilbaren bestehe. Sie stützt
sich auf den Begriff des Einfachen; indem sie diesen zu grunde
legt, betrachtet sie alle kontinuierlichen Größen in atomisti-
schem Sinne und bezieht sich daher auch auf mathematische
Spekulationen. Die Atome gelten ihr als punktuelle Größen,
in der späteren Entwickelung als Kraftpunkte oder Monaden,
und alle Monadologien haben hier ihren Ursprung. Das
physikalische Interesse ist dabei ein durchaus untergeordnetes,
und die Anwendung der Atome zur Erklärung der Erscheinungen
in der Physik betrachtet sie nicht als ihre Aufgabe. Sie hat
also vorläufig mit der Physik nicht direkt zu thun. Aus der
antiken Atomistik hat sie sich durch das Eindringen neu-
platonischer Gedanken entwickelt, wie dies in der Lehre Brunos
vor Augen liegt.

Die physikalische Atomistik dagegen ist, wie eben-
falls in der Einleitung bereits gesagt, aus durchaus praktischen
Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung der
Naturerscheinungen hervorgegangen. Für sie ist die Ableitung
der Atome aus philosophischen Begriffen Nebensache. Ob die
Atome wirklich das letzte und äußerste Element der Körper-
welt und das absolut Einfache sind, ist eine Frage, auf deren
Beantwortung sie verzichtet. Es genügt ihr anzunehmen, daß
es sehr kleine Körperteile gibt, deren weitere Teilbarkeit für
ihre physikalischen Zwecke nicht in Betracht kommt. Aus
diesen konstruiert sie die physischen Phänomene, ohne um den
letzten Grund der Berechtigung zur Annahme jener Teilchen
zu sorgen. Ihr Verfahren ist daher ebenfalls physikalisch; sie
sucht für die beobachteten Erscheinungen zunächst eine Ver-
anschaulichung, im weiteren Fortschritte ein Mittel der
mathematischen Darstellung. Den strengen Mechanismus und
die Ewigkeit der Atome weist sie daher aus kirchlichen Rück-
sichten vorsichtig zurück und ergänzt die Lehren der alten
Atomistik nach Bedarf durch Annahme eines intramolekularen
Äthers oder Weltgeistes und die Voraussetzung eines allmächtigen
Schöpfers. Diese Umgestaltung der antiken atomistischen

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[402/0420] Metaphysische und physikalische Atomistik. leitung angedeutet, auf Erzeugung einer einheitlichen Welt- anschauung zielt, sondern auch wegen ihres Verfahrens. Sie geht nicht von der empirischen Thatsache diskontinuierlicher Körper aus, sondern von der theoretischen Voraussetzung, daß das Kontinuum aus diskreten Unteilbaren bestehe. Sie stützt sich auf den Begriff des Einfachen; indem sie diesen zu grunde legt, betrachtet sie alle kontinuierlichen Größen in atomisti- schem Sinne und bezieht sich daher auch auf mathematische Spekulationen. Die Atome gelten ihr als punktuelle Größen, in der späteren Entwickelung als Kraftpunkte oder Monaden, und alle Monadologien haben hier ihren Ursprung. Das physikalische Interesse ist dabei ein durchaus untergeordnetes, und die Anwendung der Atome zur Erklärung der Erscheinungen in der Physik betrachtet sie nicht als ihre Aufgabe. Sie hat also vorläufig mit der Physik nicht direkt zu thun. Aus der antiken Atomistik hat sie sich durch das Eindringen neu- platonischer Gedanken entwickelt, wie dies in der Lehre Brunos vor Augen liegt. Die physikalische Atomistik dagegen ist, wie eben- falls in der Einleitung bereits gesagt, aus durchaus praktischen Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung der Naturerscheinungen hervorgegangen. Für sie ist die Ableitung der Atome aus philosophischen Begriffen Nebensache. Ob die Atome wirklich das letzte und äußerste Element der Körper- welt und das absolut Einfache sind, ist eine Frage, auf deren Beantwortung sie verzichtet. Es genügt ihr anzunehmen, daß es sehr kleine Körperteile gibt, deren weitere Teilbarkeit für ihre physikalischen Zwecke nicht in Betracht kommt. Aus diesen konstruiert sie die physischen Phänomene, ohne um den letzten Grund der Berechtigung zur Annahme jener Teilchen zu sorgen. Ihr Verfahren ist daher ebenfalls physikalisch; sie sucht für die beobachteten Erscheinungen zunächst eine Ver- anschaulichung, im weiteren Fortschritte ein Mittel der mathematischen Darstellung. Den strengen Mechanismus und die Ewigkeit der Atome weist sie daher aus kirchlichen Rück- sichten vorsichtig zurück und ergänzt die Lehren der alten Atomistik nach Bedarf durch Annahme eines intramolekularen Äthers oder Weltgeistes und die Voraussetzung eines allmächtigen Schöpfers. Diese Umgestaltung der antiken atomistischen

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/420>, abgerufen am 22.11.2024.