Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

G. Bruno: Keine physikalische Erklärung.
statt mit der Sache; für eine rein physikalische Erklärung der
Vorgänge in der Körperwelt hat er kein Interesse, ja er stellt
sich ihr geradezu feindlich gegenüber und verkennt vollständig
den Weg, auf welchem die Naturforschung vorwärts gehen mußte.
Das größte Verdienst des Paracelsus, seine Scheidung der Kör-
per in die drei Grundsubstanzen, will Bruno nicht loben; daß
jener dagegen über die chemischen Prinzipien hinaus bis zu
dem formalen Prinzip, der gestaltenden Weltseele, fortge-
schritten sei, rechnet er ihm hoch an.1 In seinen Thesen gegen
Aristoteles übergeht er absichtlich das dritte Buch De coelo
und die Bücher De generatione et corruptione, welche denselben
Stoff behandeln,2 weil die Frage nach dem Verharren der Be-
standteile in den Mischungen für ihn kein Interesse besitzt.
Die Erklärung aus der mechanischen Zusammenfügung und
Scheidung gilt ihm nicht als eine ausreichende und philo-
sophische, sie mag höchstens praktischen Zwecken genügen.
Die "Form" hat ihren Begriff, den sie bei Aristoteles besaß,
verloren; Form und Materie sind durch die lebendige Substanz
ersetzt. Somit erklärt sich auch der Mangel einer systema-
tischen Lehre über die Elemente. Die Ansichten, welche Bruno
über die Natur der Elemente und die physikalische Konstitution
der sinnlichen Welt äußert, sind teils ohne bestimmte Ent-
scheidung gehalten, teils untereinander und mit den allgemeinen
atomistischen Grundvorstellungen schwer zu vereinigen.

Bruno nimmt keinen Anstoß daran, von Feuer, Luft,
Wasser und Erde in hergebrachter Weise als von den vier
Elementen zu sprechen.3 Aber der Sinn des Wortes Element
ist ein andrer geworden. Vor allen Dingen protestiert Bruno
dagegen, daß man sich jene vier Körper als durch ihre Schwere
in vier getrennte Sphären von Natur geordnet denke. Nach
Bruno gibt es ja nicht eine einzige Welt mit einem bestimmten
Oben und Unten, sondern ein unendliches Universum, in wel-
chem sich der Zahl nach unendlich viele Welten befinden. Die
Schwere der Körper kann daher nur in Bezug auf das Centrum

1 De la causa etc. W. p. 251, 252. Lasson S. 75.
2 Acrot. Art. 73, p. 122.
3 De imm. V, 1. v. 32. p. 453. Omnia comprendo ex unda, terra,
aere et igne.

G. Bruno: Keine physikalische Erklärung.
statt mit der Sache; für eine rein physikalische Erklärung der
Vorgänge in der Körperwelt hat er kein Interesse, ja er stellt
sich ihr geradezu feindlich gegenüber und verkennt vollständig
den Weg, auf welchem die Naturforschung vorwärts gehen mußte.
Das größte Verdienst des Paracelsus, seine Scheidung der Kör-
per in die drei Grundsubstanzen, will Bruno nicht loben; daß
jener dagegen über die chemischen Prinzipien hinaus bis zu
dem formalen Prinzip, der gestaltenden Weltseele, fortge-
schritten sei, rechnet er ihm hoch an.1 In seinen Thesen gegen
Aristoteles übergeht er absichtlich das dritte Buch De coelo
und die Bücher De generatione et corruptione, welche denselben
Stoff behandeln,2 weil die Frage nach dem Verharren der Be-
standteile in den Mischungen für ihn kein Interesse besitzt.
Die Erklärung aus der mechanischen Zusammenfügung und
Scheidung gilt ihm nicht als eine ausreichende und philo-
sophische, sie mag höchstens praktischen Zwecken genügen.
Die „Form‟ hat ihren Begriff, den sie bei Aristoteles besaß,
verloren; Form und Materie sind durch die lebendige Substanz
ersetzt. Somit erklärt sich auch der Mangel einer systema-
tischen Lehre über die Elemente. Die Ansichten, welche Bruno
über die Natur der Elemente und die physikalische Konstitution
der sinnlichen Welt äußert, sind teils ohne bestimmte Ent-
scheidung gehalten, teils untereinander und mit den allgemeinen
atomistischen Grundvorstellungen schwer zu vereinigen.

Bruno nimmt keinen Anstoß daran, von Feuer, Luft,
Wasser und Erde in hergebrachter Weise als von den vier
Elementen zu sprechen.3 Aber der Sinn des Wortes Element
ist ein andrer geworden. Vor allen Dingen protestiert Bruno
dagegen, daß man sich jene vier Körper als durch ihre Schwere
in vier getrennte Sphären von Natur geordnet denke. Nach
Bruno gibt es ja nicht eine einzige Welt mit einem bestimmten
Oben und Unten, sondern ein unendliches Universum, in wel-
chem sich der Zahl nach unendlich viele Welten befinden. Die
Schwere der Körper kann daher nur in Bezug auf das Centrum

1 De la causa etc. W. p. 251, 252. Lasson S. 75.
2 Acrot. Art. 73, p. 122.
3 De imm. V, 1. v. 32. p. 453. Omnia comprendo ex unda, terra,
aëre et igne.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0410" n="392"/><fw place="top" type="header">G. <hi rendition="#k">Bruno</hi>: Keine physikalische Erklärung.</fw><lb/>
statt mit der Sache; für eine rein physikalische Erklärung der<lb/>
Vorgänge in der Körperwelt hat er kein Interesse, ja er stellt<lb/>
sich ihr geradezu feindlich gegenüber und verkennt vollständig<lb/>
den Weg, auf welchem die Naturforschung vorwärts gehen mußte.<lb/>
Das größte Verdienst des <hi rendition="#k">Paracelsus</hi>, seine Scheidung der Kör-<lb/>
per in die drei Grundsubstanzen, will <hi rendition="#k">Bruno</hi> nicht loben; daß<lb/>
jener dagegen über die chemischen Prinzipien hinaus bis zu<lb/>
dem formalen Prinzip, der gestaltenden Weltseele, fortge-<lb/>
schritten sei, rechnet er ihm hoch an.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">De la causa</hi> etc. W. p. 251, 252. <hi rendition="#k">Lasson</hi> S. 75.</note> In seinen Thesen gegen<lb/><hi rendition="#k">Aristoteles</hi> übergeht er absichtlich das dritte Buch <hi rendition="#i">De coelo</hi><lb/>
und die Bücher <hi rendition="#i">De generatione et corruptione</hi>, welche denselben<lb/>
Stoff behandeln,<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Acrot.</hi> Art. 73, p. 122.</note> weil die Frage nach dem Verharren der Be-<lb/>
standteile in den Mischungen für ihn kein Interesse besitzt.<lb/>
Die Erklärung aus der mechanischen Zusammenfügung und<lb/>
Scheidung gilt ihm nicht als eine ausreichende und philo-<lb/>
sophische, sie mag höchstens praktischen Zwecken genügen.<lb/>
Die &#x201E;Form&#x201F; hat ihren Begriff, den sie bei <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> besaß,<lb/>
verloren; Form und Materie sind durch die lebendige Substanz<lb/>
ersetzt. Somit erklärt sich auch der Mangel einer systema-<lb/>
tischen Lehre über die Elemente. Die Ansichten, welche <hi rendition="#k">Bruno</hi><lb/>
über die Natur der Elemente und die physikalische Konstitution<lb/>
der sinnlichen Welt äußert, sind teils ohne bestimmte Ent-<lb/>
scheidung gehalten, teils untereinander und mit den allgemeinen<lb/>
atomistischen Grundvorstellungen schwer zu vereinigen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#k">Bruno</hi> nimmt keinen Anstoß daran, von Feuer, Luft,<lb/>
Wasser und Erde in hergebrachter Weise als von den vier<lb/>
Elementen zu sprechen.<note place="foot" n="3"><hi rendition="#i">De imm.</hi> V, 1. v. 32. p. 453. Omnia comprendo ex unda, terra,<lb/>
aëre et igne.</note> Aber der Sinn des Wortes Element<lb/>
ist ein andrer geworden. Vor allen Dingen protestiert <hi rendition="#k">Bruno</hi><lb/>
dagegen, daß man sich jene vier Körper als durch ihre Schwere<lb/>
in vier getrennte Sphären von Natur geordnet denke. Nach<lb/><hi rendition="#k">Bruno</hi> gibt es ja nicht eine einzige Welt mit einem bestimmten<lb/>
Oben und Unten, sondern ein unendliches Universum, in wel-<lb/>
chem sich der Zahl nach unendlich viele Welten befinden. Die<lb/>
Schwere der Körper kann daher nur in Bezug auf das Centrum<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0410] G. Bruno: Keine physikalische Erklärung. statt mit der Sache; für eine rein physikalische Erklärung der Vorgänge in der Körperwelt hat er kein Interesse, ja er stellt sich ihr geradezu feindlich gegenüber und verkennt vollständig den Weg, auf welchem die Naturforschung vorwärts gehen mußte. Das größte Verdienst des Paracelsus, seine Scheidung der Kör- per in die drei Grundsubstanzen, will Bruno nicht loben; daß jener dagegen über die chemischen Prinzipien hinaus bis zu dem formalen Prinzip, der gestaltenden Weltseele, fortge- schritten sei, rechnet er ihm hoch an. 1 In seinen Thesen gegen Aristoteles übergeht er absichtlich das dritte Buch De coelo und die Bücher De generatione et corruptione, welche denselben Stoff behandeln, 2 weil die Frage nach dem Verharren der Be- standteile in den Mischungen für ihn kein Interesse besitzt. Die Erklärung aus der mechanischen Zusammenfügung und Scheidung gilt ihm nicht als eine ausreichende und philo- sophische, sie mag höchstens praktischen Zwecken genügen. Die „Form‟ hat ihren Begriff, den sie bei Aristoteles besaß, verloren; Form und Materie sind durch die lebendige Substanz ersetzt. Somit erklärt sich auch der Mangel einer systema- tischen Lehre über die Elemente. Die Ansichten, welche Bruno über die Natur der Elemente und die physikalische Konstitution der sinnlichen Welt äußert, sind teils ohne bestimmte Ent- scheidung gehalten, teils untereinander und mit den allgemeinen atomistischen Grundvorstellungen schwer zu vereinigen. Bruno nimmt keinen Anstoß daran, von Feuer, Luft, Wasser und Erde in hergebrachter Weise als von den vier Elementen zu sprechen. 3 Aber der Sinn des Wortes Element ist ein andrer geworden. Vor allen Dingen protestiert Bruno dagegen, daß man sich jene vier Körper als durch ihre Schwere in vier getrennte Sphären von Natur geordnet denke. Nach Bruno gibt es ja nicht eine einzige Welt mit einem bestimmten Oben und Unten, sondern ein unendliches Universum, in wel- chem sich der Zahl nach unendlich viele Welten befinden. Die Schwere der Körper kann daher nur in Bezug auf das Centrum 1 De la causa etc. W. p. 251, 252. Lasson S. 75. 2 Acrot. Art. 73, p. 122. 3 De imm. V, 1. v. 32. p. 453. Omnia comprendo ex unda, terra, aëre et igne.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/410
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/410>, abgerufen am 22.05.2024.