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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Brunos Naturbegriff.
zelne Atom der Beseelung fähig. Alles ist durchdrungen von
der Weltseele.1 Im Menschen ist die Weltseele die herrschende
und gestaltende Monade, welche den unzerstörbaren Mittel-
punkt bildet, von dem aus die ebenfalls unzerstörbaren Atome
des Körpers geordnet, angezogen und ausgeschieden, belebt
und bewegt werden. Es ändert sich nur Gebrauch, Ordnung
und Stelle der Teile, doch ruhig und unverändert im Wechsel
beharrt das unteilbare Wesen der Dinge.2 Wenn auch somit
alles Naturgeschehen bei Bruno als ein notwendiges gilt, und
wenn auch die Ordnung der Natur mit der Ordnung des er-
kennenden Geistes identifiziert wird, so liefert dieser allgemeine
Naturbegriff doch keinerlei Anhalt für die Erforschung der
Natur. Denn die Natur bei Bruno handelt wie ein Künstler,
sie ist selbst eine lebendige Kunst und gewissermaßen eine
geistige Seelenkraft.3 Wie soll unter diesen Umständen ein
einfaches mechanisches Gesetz aufgefunden werden, wo Brunos
Bestreben überall darauf geht, Naturgeschehen, wissenschaft-
liche Forschung und künstlerisches Verfahren zu identifizieren?
Das Weltgesetz in der Alleinheit von Natur und Gott zeigt
sich als Leben und tritt damit wohl unserem Gefühl näher,
entzieht sich aber der Erkenntnis durch Zahl und Maß. Rühmt
Bruno die Mathematik als Erkenntnismittel, so geschieht dies
in einem ganz andren Sinne, als in welchem die fortschreitende
Naturforschung sich der Mathematik thatsächlich als Erkennt-
nismittel bedient.

6. Keine Anwendung der Atomistik auf Physik.

Bei dem Gewicht, welches Bruno auf die Entwickelung
der Natur von innen heraus legt, findet sich bei ihm eine
eigentliche Anwendung seiner Atomistik zur Erklärung spe-
zieller physischer Erscheinungen und somit ein positiver Fort-
schritt in der Naturerkenntnis nicht. Seine phantastische
Naturanschauung sucht Befriedigung des Gemüts in meta-
physischer Dichtung und begnügt sich vielfach mit dem Bilde

1 De imm. V, 12. De l'infin. W. II, p. 49. De la causa, W. I, p. 241.
Lasson, S. 59.
2 De min. I, 3, p. 11 f.
3 Acrot. De natura, 10.

Brunos Naturbegriff.
zelne Atom der Beseelung fähig. Alles ist durchdrungen von
der Weltseele.1 Im Menschen ist die Weltseele die herrschende
und gestaltende Monade, welche den unzerstörbaren Mittel-
punkt bildet, von dem aus die ebenfalls unzerstörbaren Atome
des Körpers geordnet, angezogen und ausgeschieden, belebt
und bewegt werden. Es ändert sich nur Gebrauch, Ordnung
und Stelle der Teile, doch ruhig und unverändert im Wechsel
beharrt das unteilbare Wesen der Dinge.2 Wenn auch somit
alles Naturgeschehen bei Bruno als ein notwendiges gilt, und
wenn auch die Ordnung der Natur mit der Ordnung des er-
kennenden Geistes identifiziert wird, so liefert dieser allgemeine
Naturbegriff doch keinerlei Anhalt für die Erforschung der
Natur. Denn die Natur bei Bruno handelt wie ein Künstler,
sie ist selbst eine lebendige Kunst und gewissermaßen eine
geistige Seelenkraft.3 Wie soll unter diesen Umständen ein
einfaches mechanisches Gesetz aufgefunden werden, wo Brunos
Bestreben überall darauf geht, Naturgeschehen, wissenschaft-
liche Forschung und künstlerisches Verfahren zu identifizieren?
Das Weltgesetz in der Alleinheit von Natur und Gott zeigt
sich als Leben und tritt damit wohl unserem Gefühl näher,
entzieht sich aber der Erkenntnis durch Zahl und Maß. Rühmt
Bruno die Mathematik als Erkenntnismittel, so geschieht dies
in einem ganz andren Sinne, als in welchem die fortschreitende
Naturforschung sich der Mathematik thatsächlich als Erkennt-
nismittel bedient.

6. Keine Anwendung der Atomistik auf Physik.

Bei dem Gewicht, welches Bruno auf die Entwickelung
der Natur von innen heraus legt, findet sich bei ihm eine
eigentliche Anwendung seiner Atomistik zur Erklärung spe-
zieller physischer Erscheinungen und somit ein positiver Fort-
schritt in der Naturerkenntnis nicht. Seine phantastische
Naturanschauung sucht Befriedigung des Gemüts in meta-
physischer Dichtung und begnügt sich vielfach mit dem Bilde

1 De imm. V, 12. De l’infin. W. II, p. 49. De la causa, W. I, p. 241.
Lasson, S. 59.
2 De min. I, 3, p. 11 f.
3 Acrot. De natura, 10.
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[391/0409] Brunos Naturbegriff. zelne Atom der Beseelung fähig. Alles ist durchdrungen von der Weltseele. 1 Im Menschen ist die Weltseele die herrschende und gestaltende Monade, welche den unzerstörbaren Mittel- punkt bildet, von dem aus die ebenfalls unzerstörbaren Atome des Körpers geordnet, angezogen und ausgeschieden, belebt und bewegt werden. Es ändert sich nur Gebrauch, Ordnung und Stelle der Teile, doch ruhig und unverändert im Wechsel beharrt das unteilbare Wesen der Dinge. 2 Wenn auch somit alles Naturgeschehen bei Bruno als ein notwendiges gilt, und wenn auch die Ordnung der Natur mit der Ordnung des er- kennenden Geistes identifiziert wird, so liefert dieser allgemeine Naturbegriff doch keinerlei Anhalt für die Erforschung der Natur. Denn die Natur bei Bruno handelt wie ein Künstler, sie ist selbst eine lebendige Kunst und gewissermaßen eine geistige Seelenkraft. 3 Wie soll unter diesen Umständen ein einfaches mechanisches Gesetz aufgefunden werden, wo Brunos Bestreben überall darauf geht, Naturgeschehen, wissenschaft- liche Forschung und künstlerisches Verfahren zu identifizieren? Das Weltgesetz in der Alleinheit von Natur und Gott zeigt sich als Leben und tritt damit wohl unserem Gefühl näher, entzieht sich aber der Erkenntnis durch Zahl und Maß. Rühmt Bruno die Mathematik als Erkenntnismittel, so geschieht dies in einem ganz andren Sinne, als in welchem die fortschreitende Naturforschung sich der Mathematik thatsächlich als Erkennt- nismittel bedient. 6. Keine Anwendung der Atomistik auf Physik. Bei dem Gewicht, welches Bruno auf die Entwickelung der Natur von innen heraus legt, findet sich bei ihm eine eigentliche Anwendung seiner Atomistik zur Erklärung spe- zieller physischer Erscheinungen und somit ein positiver Fort- schritt in der Naturerkenntnis nicht. Seine phantastische Naturanschauung sucht Befriedigung des Gemüts in meta- physischer Dichtung und begnügt sich vielfach mit dem Bilde 1 De imm. V, 12. De l’infin. W. II, p. 49. De la causa, W. I, p. 241. Lasson, S. 59. 2 De min. I, 3, p. 11 f. 3 Acrot. De natura, 10.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/409>, abgerufen am 18.05.2024.