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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Neuerungen in d. Elementenlehre. Verro.
kommenden Bewegungen, welche am engsten mit der Ruhe
der Erde im Zentrum zusammenhing. Es ist daher natürlich,
daß die Diskussion über die astronomische Frage die bereits
erschütterte Elementenlehre in neue Gärung versetzte. Dazu
kam das Bestreben, auch die Ansichten andrer Philosophen
des Altertums neben Aristoteles gelten zu lassen, wobei solche
Theorien den Vorzug der Beachtung hatten, welche sich am
nächsten mit der aristotelischen Physik berührten. Hier gab
Galen Anregung, den Begriff des Elementes zu verändern, in-
dem derselbe (vgl. S. 233) ein Element "den kleinsten Teil"
eines Körpers nannte und somit nicht bloß in qualitativer,
sondern auch in quantitativer Beziehung das Element als Grenze
der Zerlegung auffaßte. Zugleich betonte er die Ansicht der
Stoiker, daß die Luft nicht warm, sondern kalt sei. Diese An-
sichten treten von nun ab bei den Physikern merklich hervor. Es
blieb auch nicht ohne Einfluß, daß Justus Lipsius (1547--1606,
erste Ausgabe seiner Werke 1585) und andre Gelehrte für die Ver-
breitung und Beachtung der stoischen Lehren lebhaft thätig waren.

Mit dem Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts
macht sich eine freiere Auffassung von der Natur der Ele-
mente geltend, insofern selbst diejenigen, welche im allgemeinen
noch an der aristotelischen Physik hängen, doch in dieser
Frage zuerst abzuweichen wagen. Es bildet sich eine Art von
Eklekticismus aus, bei welchem die Physiker sich vorbehalten,
nicht unbedingt auf die Worte des Meisters zu schwören, son-
dern auch selbst zu prüfen und aus verschiedenen Systemen
das herauszugreifen, was ihnen annehmbar erscheint. Ins-
besondere wird das Feuer nicht mehr als Element gerechnet.1
So erklärt der Schweizer Sebastian Verro, welcher ebenfalls
nur drei Elemente, Erde, Wasser, Luft, die sich ineinander ver-
wandeln, annimmt, das Feuer für kein Element und spricht
der Luft die Eigenschaft der Wärme ab; sie sei kalt und feucht.2

1 S. o. S. 321. Die Entwickelung der Umformungen in der Elementenlehre
habe ich, jedoch ohne Berücksichtigung von Gorlaeus, bereits 1882 gegeben.
(Die Lehre v. d. El. während des Übergangs v. d. schol. Phys. zur Korpus-
kulartheorie
, Gymn.-Progr. Gotha), worauf die Darstellung bei Heller (Gesch. d.
Phys.
II S. 354 ff.) beruht.
2 Sebast. Verronis, Friburgensis Helvetii Physicorum libri decem. Basil.
1581. 8. l. 3. c. 4. p. 97. l. 4. c. 10. p. 114.

Neuerungen in d. Elementenlehre. Verro.
kommenden Bewegungen, welche am engsten mit der Ruhe
der Erde im Zentrum zusammenhing. Es ist daher natürlich,
daß die Diskussion über die astronomische Frage die bereits
erschütterte Elementenlehre in neue Gärung versetzte. Dazu
kam das Bestreben, auch die Ansichten andrer Philosophen
des Altertums neben Aristoteles gelten zu lassen, wobei solche
Theorien den Vorzug der Beachtung hatten, welche sich am
nächsten mit der aristotelischen Physik berührten. Hier gab
Galen Anregung, den Begriff des Elementes zu verändern, in-
dem derselbe (vgl. S. 233) ein Element „den kleinsten Teil‟
eines Körpers nannte und somit nicht bloß in qualitativer,
sondern auch in quantitativer Beziehung das Element als Grenze
der Zerlegung auffaßte. Zugleich betonte er die Ansicht der
Stoiker, daß die Luft nicht warm, sondern kalt sei. Diese An-
sichten treten von nun ab bei den Physikern merklich hervor. Es
blieb auch nicht ohne Einfluß, daß Justus Lipsius (1547—1606,
erste Ausgabe seiner Werke 1585) und andre Gelehrte für die Ver-
breitung und Beachtung der stoischen Lehren lebhaft thätig waren.

Mit dem Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts
macht sich eine freiere Auffassung von der Natur der Ele-
mente geltend, insofern selbst diejenigen, welche im allgemeinen
noch an der aristotelischen Physik hängen, doch in dieser
Frage zuerst abzuweichen wagen. Es bildet sich eine Art von
Eklekticismus aus, bei welchem die Physiker sich vorbehalten,
nicht unbedingt auf die Worte des Meisters zu schwören, son-
dern auch selbst zu prüfen und aus verschiedenen Systemen
das herauszugreifen, was ihnen annehmbar erscheint. Ins-
besondere wird das Feuer nicht mehr als Element gerechnet.1
So erklärt der Schweizer Sebastian Verro, welcher ebenfalls
nur drei Elemente, Erde, Wasser, Luft, die sich ineinander ver-
wandeln, annimmt, das Feuer für kein Element und spricht
der Luft die Eigenschaft der Wärme ab; sie sei kalt und feucht.2

1 S. o. S. 321. Die Entwickelung der Umformungen in der Elementenlehre
habe ich, jedoch ohne Berücksichtigung von Gorlaeus, bereits 1882 gegeben.
(Die Lehre v. d. El. während des Übergangs v. d. schol. Phys. zur Korpus-
kulartheorie
, Gymn.-Progr. Gotha), worauf die Darstellung bei Heller (Gesch. d.
Phys.
II S. 354 ff.) beruht.
2 Sebast. Verronis, Friburgensis Helvetii Physicorum libri decem. Basil.
1581. 8. l. 3. c. 4. p. 97. l. 4. c. 10. p. 114.
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[325/0343] Neuerungen in d. Elementenlehre. Verro. kommenden Bewegungen, welche am engsten mit der Ruhe der Erde im Zentrum zusammenhing. Es ist daher natürlich, daß die Diskussion über die astronomische Frage die bereits erschütterte Elementenlehre in neue Gärung versetzte. Dazu kam das Bestreben, auch die Ansichten andrer Philosophen des Altertums neben Aristoteles gelten zu lassen, wobei solche Theorien den Vorzug der Beachtung hatten, welche sich am nächsten mit der aristotelischen Physik berührten. Hier gab Galen Anregung, den Begriff des Elementes zu verändern, in- dem derselbe (vgl. S. 233) ein Element „den kleinsten Teil‟ eines Körpers nannte und somit nicht bloß in qualitativer, sondern auch in quantitativer Beziehung das Element als Grenze der Zerlegung auffaßte. Zugleich betonte er die Ansicht der Stoiker, daß die Luft nicht warm, sondern kalt sei. Diese An- sichten treten von nun ab bei den Physikern merklich hervor. Es blieb auch nicht ohne Einfluß, daß Justus Lipsius (1547—1606, erste Ausgabe seiner Werke 1585) und andre Gelehrte für die Ver- breitung und Beachtung der stoischen Lehren lebhaft thätig waren. Mit dem Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts macht sich eine freiere Auffassung von der Natur der Ele- mente geltend, insofern selbst diejenigen, welche im allgemeinen noch an der aristotelischen Physik hängen, doch in dieser Frage zuerst abzuweichen wagen. Es bildet sich eine Art von Eklekticismus aus, bei welchem die Physiker sich vorbehalten, nicht unbedingt auf die Worte des Meisters zu schwören, son- dern auch selbst zu prüfen und aus verschiedenen Systemen das herauszugreifen, was ihnen annehmbar erscheint. Ins- besondere wird das Feuer nicht mehr als Element gerechnet. 1 So erklärt der Schweizer Sebastian Verro, welcher ebenfalls nur drei Elemente, Erde, Wasser, Luft, die sich ineinander ver- wandeln, annimmt, das Feuer für kein Element und spricht der Luft die Eigenschaft der Wärme ab; sie sei kalt und feucht. 2 1 S. o. S. 321. Die Entwickelung der Umformungen in der Elementenlehre habe ich, jedoch ohne Berücksichtigung von Gorlaeus, bereits 1882 gegeben. (Die Lehre v. d. El. während des Übergangs v. d. schol. Phys. zur Korpus- kulartheorie, Gymn.-Progr. Gotha), worauf die Darstellung bei Heller (Gesch. d. Phys. II S. 354 ff.) beruht. 2 Sebast. Verronis, Friburgensis Helvetii Physicorum libri decem. Basil. 1581. 8. l. 3. c. 4. p. 97. l. 4. c. 10. p. 114.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/343>, abgerufen am 18.05.2024.