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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Galilei und das coppernikanische System.
1604 neu erschienenen Stern nachgewiesen hatte. Jetzt zeigte
er alles das sichtbar am Himmel, was die Theorie des Copper-
nikus
verlangte,1 die Lichtphasen der Venus, die Ähnlichkeit
des Mondes mit der Erde, die Monde des Jupiter -- eine un-
leugbare Analogie zu unsrem terrestrischen Systeme --, end-
lich viele neue Sterne und selbst die Rotation der Sonne. Das
waren unwiderlegliche Beweise, so sehr auch die Anhänger
des Aristoteles gegen ihre Anerkennung sich sträubten.2 In
seinem Dialogo ... sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tole-
maico e Copernicano
(1632) ließ er die gesamte Wucht der
Gründe, wenn auch in verschleierter Form, gegen das ptole-
mäische und für das coppernikanische System wirken. Es ist
bekannt, wie sich die Kirche einmischte und Galilei zum
Widerrufe zwang. Die Feindschaft der Kirche hinderte freilich
die öffentliche, nicht die heimliche Anerkennung des copper-
nikanischen Systems in den ihrem Einflusse unterworfenen
Ländern. Die Wirkung der coppernikanischen Lehre war zu
verzögern, nicht mehr aufzuheben; sie trat, auf unwiderlegliche
Gründe gestützt, mit aller Macht in die Entwickelung der
Wissenschaften ein. Aus der scheinbaren Unbeweglichkeit der
Fixsterne folgte ihre unmeßbar grosse Entfernung; das Kristall-
gewölbe des Himmels öffnete sich zur Unendlichkeit, die Erde
wurde ein Planet unter Planeten, die Sonne ein Stern unter
Sternen, wie es Bruno geahnt. Die Menschen verloren ihre
Stellung im Mittelpunkte der Welt, die Sphärengeister ihre
Macht über den Mikrokosmos. Die gesamte Physik des Ari-
stoteles
, welche sich auf den Unterschied der sublunaren und
coelestischen Welt, die Ruhe der Erde und die Beeinflussung des
Lebens durch die Bewegung der Sphären stützte, war durch die
veränderten Rollen der Erde und des Himmels bedroht; der ganze
künstliche Bau der Scholastik fiel rettungslos in Trümmer.

6. Neuerungen in der Lehre von den Elementen.

Von den einzelnen physikalischen Lehren des Aristoteles
war es die Ableitung der vier Elemente aus den ihnen zu-

1 Nuncius Sidereus, Venet. 1610.
2 Vgl. hierüber besonders Karl v. Gebler, Galileo Galilei und die römi-
sche Kurie
, Stuttgart 1876. S. 32 ff.

Galilei und das coppernikanische System.
1604 neu erschienenen Stern nachgewiesen hatte. Jetzt zeigte
er alles das sichtbar am Himmel, was die Theorie des Copper-
nikus
verlangte,1 die Lichtphasen der Venus, die Ähnlichkeit
des Mondes mit der Erde, die Monde des Jupiter — eine un-
leugbare Analogie zu unsrem terrestrischen Systeme —, end-
lich viele neue Sterne und selbst die Rotation der Sonne. Das
waren unwiderlegliche Beweise, so sehr auch die Anhänger
des Aristoteles gegen ihre Anerkennung sich sträubten.2 In
seinem Dialogo … sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tole-
maico e Copernicano
(1632) ließ er die gesamte Wucht der
Gründe, wenn auch in verschleierter Form, gegen das ptole-
mäische und für das coppernikanische System wirken. Es ist
bekannt, wie sich die Kirche einmischte und Galilei zum
Widerrufe zwang. Die Feindschaft der Kirche hinderte freilich
die öffentliche, nicht die heimliche Anerkennung des copper-
nikanischen Systems in den ihrem Einflusse unterworfenen
Ländern. Die Wirkung der coppernikanischen Lehre war zu
verzögern, nicht mehr aufzuheben; sie trat, auf unwiderlegliche
Gründe gestützt, mit aller Macht in die Entwickelung der
Wissenschaften ein. Aus der scheinbaren Unbeweglichkeit der
Fixsterne folgte ihre unmeßbar grosse Entfernung; das Kristall-
gewölbe des Himmels öffnete sich zur Unendlichkeit, die Erde
wurde ein Planet unter Planeten, die Sonne ein Stern unter
Sternen, wie es Bruno geahnt. Die Menschen verloren ihre
Stellung im Mittelpunkte der Welt, die Sphärengeister ihre
Macht über den Mikrokosmos. Die gesamte Physik des Ari-
stoteles
, welche sich auf den Unterschied der sublunaren und
coelestischen Welt, die Ruhe der Erde und die Beeinflussung des
Lebens durch die Bewegung der Sphären stützte, war durch die
veränderten Rollen der Erde und des Himmels bedroht; der ganze
künstliche Bau der Scholastik fiel rettungslos in Trümmer.

6. Neuerungen in der Lehre von den Elementen.

Von den einzelnen physikalischen Lehren des Aristoteles
war es die Ableitung der vier Elemente aus den ihnen zu-

1 Nuncius Sidereus, Venet. 1610.
2 Vgl. hierüber besonders Karl v. Gebler, Galileo Galilei und die römi-
sche Kurie
, Stuttgart 1876. S. 32 ff.
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[324/0342] Galilei und das coppernikanische System. 1604 neu erschienenen Stern nachgewiesen hatte. Jetzt zeigte er alles das sichtbar am Himmel, was die Theorie des Copper- nikus verlangte, 1 die Lichtphasen der Venus, die Ähnlichkeit des Mondes mit der Erde, die Monde des Jupiter — eine un- leugbare Analogie zu unsrem terrestrischen Systeme —, end- lich viele neue Sterne und selbst die Rotation der Sonne. Das waren unwiderlegliche Beweise, so sehr auch die Anhänger des Aristoteles gegen ihre Anerkennung sich sträubten. 2 In seinem Dialogo … sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tole- maico e Copernicano (1632) ließ er die gesamte Wucht der Gründe, wenn auch in verschleierter Form, gegen das ptole- mäische und für das coppernikanische System wirken. Es ist bekannt, wie sich die Kirche einmischte und Galilei zum Widerrufe zwang. Die Feindschaft der Kirche hinderte freilich die öffentliche, nicht die heimliche Anerkennung des copper- nikanischen Systems in den ihrem Einflusse unterworfenen Ländern. Die Wirkung der coppernikanischen Lehre war zu verzögern, nicht mehr aufzuheben; sie trat, auf unwiderlegliche Gründe gestützt, mit aller Macht in die Entwickelung der Wissenschaften ein. Aus der scheinbaren Unbeweglichkeit der Fixsterne folgte ihre unmeßbar grosse Entfernung; das Kristall- gewölbe des Himmels öffnete sich zur Unendlichkeit, die Erde wurde ein Planet unter Planeten, die Sonne ein Stern unter Sternen, wie es Bruno geahnt. Die Menschen verloren ihre Stellung im Mittelpunkte der Welt, die Sphärengeister ihre Macht über den Mikrokosmos. Die gesamte Physik des Ari- stoteles, welche sich auf den Unterschied der sublunaren und coelestischen Welt, die Ruhe der Erde und die Beeinflussung des Lebens durch die Bewegung der Sphären stützte, war durch die veränderten Rollen der Erde und des Himmels bedroht; der ganze künstliche Bau der Scholastik fiel rettungslos in Trümmer. 6. Neuerungen in der Lehre von den Elementen. Von den einzelnen physikalischen Lehren des Aristoteles war es die Ableitung der vier Elemente aus den ihnen zu- 1 Nuncius Sidereus, Venet. 1610. 2 Vgl. hierüber besonders Karl v. Gebler, Galileo Galilei und die römi- sche Kurie, Stuttgart 1876. S. 32 ff.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/342>, abgerufen am 18.05.2024.