Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Saadia: Einwände gegen die Atomistik.
ihrer Vorstellung dem Staube vergleichen, dem allerfeinsten,
einem Teile, der sich nicht teilen läßt; das ist undenkbar.

"Zweitens: Ich bin der Meinung, daß diese Dinge, die
sie behaupten, weder warm noch kalt, weder feucht noch
trocken sein können, da sie ja sagen, daß aus ihnen die vier
Elemente geschaffen seien. Ich bin auch der Meinung, daß man
ihnen weder Gestalt, noch Geschmack, noch Geruch, noch
Grenze, noch Maß, nicht Viel oder Wenig zuschreiben kann;
sie gehören weder dem Raume noch der Zeit an. Denn alle
diese Dinge sind Accidentien der Körper; aber jene Dinge
sind ja ihrer Ansicht nach vor den Körpern gewesen. Das
ist wiederum ein Undenkbares. Sie wollen nicht, daß etwas
aus nichtetwas entstanden sei und lassen sich auf etwas ein,
was unwahrscheinlicher und unfaßbarer ist.

"Drittens: Ich halte es für unwahrscheinlich, ja für falsch,
daß etwas nicht mit Form Begabtes sich so verwandeln könne,
daß es die Form von Feuer, Wasser, Luft und Erde annähme,
daß das, was seiner Form nach nicht lang, breit und tief ist,
sich so verwandeln kann, daß es lang, breit und tief werden
kann; ebenso, daß das, was gegenstandlos ist, sich so ver-
wandeln könne, daß es die jetzt sichtbaren Gegenstände ent-
hielte. Sollten nach der Meinung jener alle diese Wandlungen
und Veränderungen angehen, weil der weise und allmächtige
Schöpfer sie verwandeln und verändern kann, so kann ja auch
seine Weisheit und Allmacht etwas aus nichts schaffen. Fort
also mit diesen trüglichen Ideellen (d. h. Atomen)!

"Viertens läßt sich auch das nicht vertreten, womit sie sich
durch den Glauben an Schneiden, Zusammenfügen, Zusammen-
setzen, Befestigen, den zweiten Schnitt und alles, was
mit solchen Dingen zusammenhängt, abgemüht haben.
Keines dieser Dinge läßt sich beweisen, es sind nur An-
nahmen und Hypothesen. Ja, ich glaube sogar, daß sie
einen Widerspruch in sich tragen. Nämlich: Wenn der --
ihrer Ansicht nach -- Wirkende die Ideellen in Körper ver-
wandeln kann, so kann er sie ja auf einmal verwandeln, so
daß die einzelnen Thätigkeiten überflüssig werden; wenn er
sie aber nur allmählich verwandeln kann, wie die Geschaffenen
nur eine Sache nach der andern thun können, so kann er ja
noch weniger Ideelles in Körper verwandeln. Also belasten

Saadia: Einwände gegen die Atomistik.
ihrer Vorstellung dem Staube vergleichen, dem allerfeinsten,
einem Teile, der sich nicht teilen läßt; das ist undenkbar.

„Zweitens: Ich bin der Meinung, daß diese Dinge, die
sie behaupten, weder warm noch kalt, weder feucht noch
trocken sein können, da sie ja sagen, daß aus ihnen die vier
Elemente geschaffen seien. Ich bin auch der Meinung, daß man
ihnen weder Gestalt, noch Geschmack, noch Geruch, noch
Grenze, noch Maß, nicht Viel oder Wenig zuschreiben kann;
sie gehören weder dem Raume noch der Zeit an. Denn alle
diese Dinge sind Accidentien der Körper; aber jene Dinge
sind ja ihrer Ansicht nach vor den Körpern gewesen. Das
ist wiederum ein Undenkbares. Sie wollen nicht, daß etwas
aus nichtetwas entstanden sei und lassen sich auf etwas ein,
was unwahrscheinlicher und unfaßbarer ist.

„Drittens: Ich halte es für unwahrscheinlich, ja für falsch,
daß etwas nicht mit Form Begabtes sich so verwandeln könne,
daß es die Form von Feuer, Wasser, Luft und Erde annähme,
daß das, was seiner Form nach nicht lang, breit und tief ist,
sich so verwandeln kann, daß es lang, breit und tief werden
kann; ebenso, daß das, was gegenstandlos ist, sich so ver-
wandeln könne, daß es die jetzt sichtbaren Gegenstände ent-
hielte. Sollten nach der Meinung jener alle diese Wandlungen
und Veränderungen angehen, weil der weise und allmächtige
Schöpfer sie verwandeln und verändern kann, so kann ja auch
seine Weisheit und Allmacht etwas aus nichts schaffen. Fort
also mit diesen trüglichen Ideellen (d. h. Atomen)!

„Viertens läßt sich auch das nicht vertreten, womit sie sich
durch den Glauben an Schneiden, Zusammenfügen, Zusammen-
setzen, Befestigen, den zweiten Schnitt und alles, was
mit solchen Dingen zusammenhängt, abgemüht haben.
Keines dieser Dinge läßt sich beweisen, es sind nur An-
nahmen und Hypothesen. Ja, ich glaube sogar, daß sie
einen Widerspruch in sich tragen. Nämlich: Wenn der —
ihrer Ansicht nach — Wirkende die Ideellen in Körper ver-
wandeln kann, so kann er sie ja auf einmal verwandeln, so
daß die einzelnen Thätigkeiten überflüssig werden; wenn er
sie aber nur allmählich verwandeln kann, wie die Geschaffenen
nur eine Sache nach der andern thun können, so kann er ja
noch weniger Ideelles in Körper verwandeln. Also belasten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0172" n="154"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Saadia</hi>: Einwände gegen die Atomistik.</fw><lb/>
ihrer Vorstellung dem Staube vergleichen, dem allerfeinsten,<lb/>
einem Teile, der sich nicht teilen läßt; das ist undenkbar.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Zweitens: Ich bin der Meinung, daß diese Dinge, die<lb/>
sie behaupten, weder warm noch kalt, weder feucht noch<lb/>
trocken sein können, da sie ja sagen, daß aus ihnen die vier<lb/>
Elemente geschaffen seien. Ich bin auch der Meinung, daß man<lb/>
ihnen weder Gestalt, noch Geschmack, noch Geruch, noch<lb/>
Grenze, noch Maß, nicht Viel oder Wenig zuschreiben kann;<lb/>
sie gehören weder dem Raume noch der Zeit an. Denn alle<lb/>
diese Dinge sind Accidentien der Körper; aber jene Dinge<lb/>
sind ja ihrer Ansicht nach vor den Körpern gewesen. Das<lb/>
ist wiederum ein Undenkbares. Sie wollen nicht, daß etwas<lb/>
aus nichtetwas entstanden sei und lassen sich auf etwas ein,<lb/>
was unwahrscheinlicher und unfaßbarer ist.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Drittens: Ich halte es für unwahrscheinlich, ja für falsch,<lb/>
daß etwas nicht mit Form Begabtes sich so verwandeln könne,<lb/>
daß es die Form von Feuer, Wasser, Luft und Erde annähme,<lb/>
daß das, was seiner Form nach nicht lang, breit und tief ist,<lb/>
sich so verwandeln kann, daß es lang, breit und tief werden<lb/>
kann; ebenso, daß das, was gegenstandlos ist, sich so ver-<lb/>
wandeln könne, daß es die jetzt sichtbaren Gegenstände ent-<lb/>
hielte. Sollten nach der Meinung jener alle diese Wandlungen<lb/>
und Veränderungen angehen, weil der weise und allmächtige<lb/>
Schöpfer sie verwandeln und verändern kann, so kann ja auch<lb/>
seine Weisheit und Allmacht etwas aus nichts schaffen. Fort<lb/>
also mit diesen trüglichen Ideellen (d. h. Atomen)!</p><lb/>
            <p>&#x201E;Viertens läßt sich auch das nicht vertreten, womit sie sich<lb/>
durch den Glauben an Schneiden, Zusammenfügen, Zusammen-<lb/>
setzen, Befestigen, den zweiten Schnitt und alles, was<lb/>
mit solchen Dingen zusammenhängt, abgemüht haben.<lb/>
Keines dieser Dinge läßt sich beweisen, es sind nur An-<lb/>
nahmen und Hypothesen. Ja, ich glaube sogar, daß sie<lb/>
einen Widerspruch in sich tragen. Nämlich: Wenn der &#x2014;<lb/>
ihrer Ansicht nach &#x2014; Wirkende die Ideellen in Körper ver-<lb/>
wandeln kann, so kann er sie ja auf einmal verwandeln, so<lb/>
daß die einzelnen Thätigkeiten überflüssig werden; wenn er<lb/>
sie aber nur allmählich verwandeln kann, wie die Geschaffenen<lb/>
nur eine Sache nach der andern thun können, so kann er ja<lb/>
noch weniger Ideelles in Körper verwandeln. Also belasten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0172] Saadia: Einwände gegen die Atomistik. ihrer Vorstellung dem Staube vergleichen, dem allerfeinsten, einem Teile, der sich nicht teilen läßt; das ist undenkbar. „Zweitens: Ich bin der Meinung, daß diese Dinge, die sie behaupten, weder warm noch kalt, weder feucht noch trocken sein können, da sie ja sagen, daß aus ihnen die vier Elemente geschaffen seien. Ich bin auch der Meinung, daß man ihnen weder Gestalt, noch Geschmack, noch Geruch, noch Grenze, noch Maß, nicht Viel oder Wenig zuschreiben kann; sie gehören weder dem Raume noch der Zeit an. Denn alle diese Dinge sind Accidentien der Körper; aber jene Dinge sind ja ihrer Ansicht nach vor den Körpern gewesen. Das ist wiederum ein Undenkbares. Sie wollen nicht, daß etwas aus nichtetwas entstanden sei und lassen sich auf etwas ein, was unwahrscheinlicher und unfaßbarer ist. „Drittens: Ich halte es für unwahrscheinlich, ja für falsch, daß etwas nicht mit Form Begabtes sich so verwandeln könne, daß es die Form von Feuer, Wasser, Luft und Erde annähme, daß das, was seiner Form nach nicht lang, breit und tief ist, sich so verwandeln kann, daß es lang, breit und tief werden kann; ebenso, daß das, was gegenstandlos ist, sich so ver- wandeln könne, daß es die jetzt sichtbaren Gegenstände ent- hielte. Sollten nach der Meinung jener alle diese Wandlungen und Veränderungen angehen, weil der weise und allmächtige Schöpfer sie verwandeln und verändern kann, so kann ja auch seine Weisheit und Allmacht etwas aus nichts schaffen. Fort also mit diesen trüglichen Ideellen (d. h. Atomen)! „Viertens läßt sich auch das nicht vertreten, womit sie sich durch den Glauben an Schneiden, Zusammenfügen, Zusammen- setzen, Befestigen, den zweiten Schnitt und alles, was mit solchen Dingen zusammenhängt, abgemüht haben. Keines dieser Dinge läßt sich beweisen, es sind nur An- nahmen und Hypothesen. Ja, ich glaube sogar, daß sie einen Widerspruch in sich tragen. Nämlich: Wenn der — ihrer Ansicht nach — Wirkende die Ideellen in Körper ver- wandeln kann, so kann er sie ja auf einmal verwandeln, so daß die einzelnen Thätigkeiten überflüssig werden; wenn er sie aber nur allmählich verwandeln kann, wie die Geschaffenen nur eine Sache nach der andern thun können, so kann er ja noch weniger Ideelles in Körper verwandeln. Also belasten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/172
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/172>, abgerufen am 04.05.2024.