unter Aufrechterhaltung ihrer mathematischen Teilbarkeit be- tont.1 Bei den Mutakallimun liegt jedoch die Sache anders. Zwar nehmen sie ebenfalls den leeren Raum zwischen ihr en Atomen an, aber die Atome selbst fassen sie ausdehnungslos, punktuell, und aus ihrer atomistischen Fassung der Zeit und der Bewegung geht hervor, daß sie sich von der Bemerkung des Aristoteles über den Zusammenhang von Raum, Zeit und Bewegung getroffen fühlten, daß sie also den Raum wirklich als aus Punkten zusammengesetzt dachten.
Gegen die atomistische Auffassung des Kontinuums durch die Mutakallimun richten nun die arabischen Peripatetiker ihre Angriffe, und es erhebt sich von hier aus ein Streit um diese Frage, der sich durch die ganze abendländische Scholastik hinzieht. Soviel dialektische Wortspalterei hierbei auch mit unterläuft, so hatte die Diskussion doch zur Folge, daß der Begriff der stetigen Größe und des Grenzübergangs zum Unendlichkleinen eine Untersuchung und allmähliche Klärung erfuhr, welche im Beginn der neuen Zeit sowohl der Physik als der Mathematik zu gute kam. Die Atomistik der Muta- kallimun, welche die Physik aufheben sollte, wurde ein Ferment in dem geistigen Gärungsprozeß, als dessen klares Ergebnis die mathematische Naturwissenschaft sich abschied. Es fehlte dem Altertum und es fehlte dem Mittelalter das Denkmittel, im Kontinuum das Moment begrifflich zu fixieren, den Begriff der festen Grenze mit dem des fließenden Progresses zu ver- einigen und das Unendlichkleine zu gewinnen.2 Aber es fehlte ihm nicht an dem Bewußtsein, daß hier ein noch ungelöstes Problem vorliegt, daß auch Aristoteles in dieser Frage noch Bedenken offen lasse. Wir werden Gelegenheit haben, die Diskussion des Kontinuitätsproblems im Mittelalter wiederholt zu berühren.3 Die absurden Konsequenzen der Mutakallimun zwangen zu immer neuen Prüfungen; sie hatten etwas Ver- lockendes und reizten um so mehr zur Widerlegung. Was ihre arabischen Gegner in dieser Hinsicht gethan, ging durch die Kommentare zu Aristoteles in den Besitz des Abend- landes über.
1 Vgl. Zeller, 3. Aufl. I, S. 778. A. 1.
2 S. S. 50, 55, 133.
3 Vgl. Abschn. VI.
10*
Anregungen durch die Mutakallimun.
unter Aufrechterhaltung ihrer mathematischen Teilbarkeit be- tont.1 Bei den Mutakallimun liegt jedoch die Sache anders. Zwar nehmen sie ebenfalls den leeren Raum zwischen ihr en Atomen an, aber die Atome selbst fassen sie ausdehnungslos, punktuell, und aus ihrer atomistischen Fassung der Zeit und der Bewegung geht hervor, daß sie sich von der Bemerkung des Aristoteles über den Zusammenhang von Raum, Zeit und Bewegung getroffen fühlten, daß sie also den Raum wirklich als aus Punkten zusammengesetzt dachten.
Gegen die atomistische Auffassung des Kontinuums durch die Mutakallimun richten nun die arabischen Peripatetiker ihre Angriffe, und es erhebt sich von hier aus ein Streit um diese Frage, der sich durch die ganze abendländische Scholastik hinzieht. Soviel dialektische Wortspalterei hierbei auch mit unterläuft, so hatte die Diskussion doch zur Folge, daß der Begriff der stetigen Größe und des Grenzübergangs zum Unendlichkleinen eine Untersuchung und allmähliche Klärung erfuhr, welche im Beginn der neuen Zeit sowohl der Physik als der Mathematik zu gute kam. Die Atomistik der Muta- kallimun, welche die Physik aufheben sollte, wurde ein Ferment in dem geistigen Gärungsprozeß, als dessen klares Ergebnis die mathematische Naturwissenschaft sich abschied. Es fehlte dem Altertum und es fehlte dem Mittelalter das Denkmittel, im Kontinuum das Moment begrifflich zu fixieren, den Begriff der festen Grenze mit dem des fließenden Progresses zu ver- einigen und das Unendlichkleine zu gewinnen.2 Aber es fehlte ihm nicht an dem Bewußtsein, daß hier ein noch ungelöstes Problem vorliegt, daß auch Aristoteles in dieser Frage noch Bedenken offen lasse. Wir werden Gelegenheit haben, die Diskussion des Kontinuitätsproblems im Mittelalter wiederholt zu berühren.3 Die absurden Konsequenzen der Mutakallimun zwangen zu immer neuen Prüfungen; sie hatten etwas Ver- lockendes und reizten um so mehr zur Widerlegung. Was ihre arabischen Gegner in dieser Hinsicht gethan, ging durch die Kommentare zu Aristoteles in den Besitz des Abend- landes über.
1 Vgl. Zeller, 3. Aufl. I, S. 778. A. 1.
2 S. S. 50, 55, 133.
3 Vgl. Abschn. VI.
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Anregungen durch die Mutakallimun.
unter Aufrechterhaltung ihrer mathematischen Teilbarkeit be-
tont. 1 Bei den Mutakallimun liegt jedoch die Sache anders.
Zwar nehmen sie ebenfalls den leeren Raum zwischen ihr en
Atomen an, aber die Atome selbst fassen sie ausdehnungslos,
punktuell, und aus ihrer atomistischen Fassung der Zeit und
der Bewegung geht hervor, daß sie sich von der Bemerkung
des Aristoteles über den Zusammenhang von Raum, Zeit und
Bewegung getroffen fühlten, daß sie also den Raum wirklich
als aus Punkten zusammengesetzt dachten.
Gegen die atomistische Auffassung des Kontinuums durch
die Mutakallimun richten nun die arabischen Peripatetiker ihre
Angriffe, und es erhebt sich von hier aus ein Streit um diese
Frage, der sich durch die ganze abendländische Scholastik
hinzieht. Soviel dialektische Wortspalterei hierbei auch mit
unterläuft, so hatte die Diskussion doch zur Folge, daß der
Begriff der stetigen Größe und des Grenzübergangs zum
Unendlichkleinen eine Untersuchung und allmähliche Klärung
erfuhr, welche im Beginn der neuen Zeit sowohl der Physik
als der Mathematik zu gute kam. Die Atomistik der Muta-
kallimun, welche die Physik aufheben sollte, wurde ein Ferment
in dem geistigen Gärungsprozeß, als dessen klares Ergebnis die
mathematische Naturwissenschaft sich abschied. Es fehlte
dem Altertum und es fehlte dem Mittelalter das Denkmittel, im
Kontinuum das Moment begrifflich zu fixieren, den Begriff
der festen Grenze mit dem des fließenden Progresses zu ver-
einigen und das Unendlichkleine zu gewinnen. 2 Aber es fehlte
ihm nicht an dem Bewußtsein, daß hier ein noch ungelöstes
Problem vorliegt, daß auch Aristoteles in dieser Frage noch
Bedenken offen lasse. Wir werden Gelegenheit haben, die
Diskussion des Kontinuitätsproblems im Mittelalter wiederholt
zu berühren. 3 Die absurden Konsequenzen der Mutakallimun
zwangen zu immer neuen Prüfungen; sie hatten etwas Ver-
lockendes und reizten um so mehr zur Widerlegung. Was ihre
arabischen Gegner in dieser Hinsicht gethan, ging durch
die Kommentare zu Aristoteles in den Besitz des Abend-
landes über.
1 Vgl. Zeller, 3. Aufl. I, S. 778. A. 1.
2 S. S. 50, 55, 133.
3 Vgl. Abschn. VI.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/165>, abgerufen am 26.11.2024.
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