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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Aristoteles: Aktualität der Bestandteile.
Annahme, daß die Verbindung nur in einer Synthese ohne
Verwandlung bestehe (Aristoteles polemisiert gegen Empe-
dokles
), nur aus einem bestimmten Teilchen Fleisch Wasser,
aus einem andren bestimmten Teilchen Feuer wieder hervor-
gehen kann, will Aristoteles aus jedem beliebigen Teilchen
sowohl das eine als irgend ein andres Element, je nach der
formbestimmenden Kraft, welche hinzutritt, werden lassen.
Die Verwandlung der Elemente ineinander bedingt die Annahme
eines allen zu Grunde liegenden Stoffes (#); nun tritt aber
die Schwierigkeit auf zu erklären, wie aus den Elementen
überhaupt etwas Neues, eine Verbindung mit neuen Eigen-
schaften entstehen könne. Denn wenn die Bestandteile in der
Verbindung nicht bewahrt bleiben, die Elemente aber nur ent-
weder ineinander oder in den bloßen Stoff übergehen können,1
wie soll da eine Verbindung, z. B. Fleisch, zustande kommen?
Da ergreift Aristoteles folgenden Ausweg. Wenn z. B.
Warmes und Kaltes zusammenkommen, so können diese Eigen-
schaften in sehr verschiedenem Grade vorhanden sein, da es
ein mehr oder minder Warmes resp. Kaltes gibt; ist nun diese
Gradverschiedenheit so beschaffen, daß die eine Eigenschaft
schlechthin aktuell, die andere bloß potenziell ist, so wird
keine Mischung, sondern ein Übergang der Elemente inein-
ander eintreten. (Vgl. auch S. 128.) "Wenn aber nicht die
eine dieser Eigenschaften ausschließlich aktuell da ist, sondern
das Kalte wie Warmes und das Warme wie Kaltes durch ihre
Vermischung ihr Übermaß (#) gegenseitig tilgen,
dann wird weder der bloße Stoff, noch einer der beiden Gegen-
sätze schlechthin aktuell (#) dasein, son-
dern ein Mittelding (#)." Aristoteles führt also, um
die Verbindung mit neuen Eigenschaften möglich zu machen,
einen Zwischenzustand zwischen der Potenzialität und Aktua-
lität ein, etwas, das "nicht schlechthin aktuell", also doch
gewissermaßen aktuell und nicht schlechthin potenziell ist.
Diese Unsicherheit in dem Fundament der Theorie der che-
mischen Verbindung ist später der Anlaß zu einer der berühm-
testen Streitfragen geworden, die eine weit über die Grenzen
scholastisch-dialektischer Künste hinausgehende Bedeutung

1 Daselbst p. 334 b. 6--20.

Aristoteles: Aktualität der Bestandteile.
Annahme, daß die Verbindung nur in einer Synthese ohne
Verwandlung bestehe (Aristoteles polemisiert gegen Empe-
dokles
), nur aus einem bestimmten Teilchen Fleisch Wasser,
aus einem andren bestimmten Teilchen Feuer wieder hervor-
gehen kann, will Aristoteles aus jedem beliebigen Teilchen
sowohl das eine als irgend ein andres Element, je nach der
formbestimmenden Kraft, welche hinzutritt, werden lassen.
Die Verwandlung der Elemente ineinander bedingt die Annahme
eines allen zu Grunde liegenden Stoffes (#); nun tritt aber
die Schwierigkeit auf zu erklären, wie aus den Elementen
überhaupt etwas Neues, eine Verbindung mit neuen Eigen-
schaften entstehen könne. Denn wenn die Bestandteile in der
Verbindung nicht bewahrt bleiben, die Elemente aber nur ent-
weder ineinander oder in den bloßen Stoff übergehen können,1
wie soll da eine Verbindung, z. B. Fleisch, zustande kommen?
Da ergreift Aristoteles folgenden Ausweg. Wenn z. B.
Warmes und Kaltes zusammenkommen, so können diese Eigen-
schaften in sehr verschiedenem Grade vorhanden sein, da es
ein mehr oder minder Warmes resp. Kaltes gibt; ist nun diese
Gradverschiedenheit so beschaffen, daß die eine Eigenschaft
schlechthin aktuell, die andere bloß potenziell ist, so wird
keine Mischung, sondern ein Übergang der Elemente inein-
ander eintreten. (Vgl. auch S. 128.) „Wenn aber nicht die
eine dieser Eigenschaften ausschließlich aktuell da ist, sondern
das Kalte wie Warmes und das Warme wie Kaltes durch ihre
Vermischung ihr Übermaß (#) gegenseitig tilgen,
dann wird weder der bloße Stoff, noch einer der beiden Gegen-
sätze schlechthin aktuell (#) dasein, son-
dern ein Mittelding (#).‟ Aristoteles führt also, um
die Verbindung mit neuen Eigenschaften möglich zu machen,
einen Zwischenzustand zwischen der Potenzialität und Aktua-
lität ein, etwas, das „nicht schlechthin aktuell‟, also doch
gewissermaßen aktuell und nicht schlechthin potenziell ist.
Diese Unsicherheit in dem Fundament der Theorie der che-
mischen Verbindung ist später der Anlaß zu einer der berühm-
testen Streitfragen geworden, die eine weit über die Grenzen
scholastisch-dialektischer Künste hinausgehende Bedeutung

1 Daselbst p. 334 b. 6—20.
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[126/0144] Aristoteles: Aktualität der Bestandteile. Annahme, daß die Verbindung nur in einer Synthese ohne Verwandlung bestehe (Aristoteles polemisiert gegen Empe- dokles), nur aus einem bestimmten Teilchen Fleisch Wasser, aus einem andren bestimmten Teilchen Feuer wieder hervor- gehen kann, will Aristoteles aus jedem beliebigen Teilchen sowohl das eine als irgend ein andres Element, je nach der formbestimmenden Kraft, welche hinzutritt, werden lassen. Die Verwandlung der Elemente ineinander bedingt die Annahme eines allen zu Grunde liegenden Stoffes (#); nun tritt aber die Schwierigkeit auf zu erklären, wie aus den Elementen überhaupt etwas Neues, eine Verbindung mit neuen Eigen- schaften entstehen könne. Denn wenn die Bestandteile in der Verbindung nicht bewahrt bleiben, die Elemente aber nur ent- weder ineinander oder in den bloßen Stoff übergehen können, 1 wie soll da eine Verbindung, z. B. Fleisch, zustande kommen? Da ergreift Aristoteles folgenden Ausweg. Wenn z. B. Warmes und Kaltes zusammenkommen, so können diese Eigen- schaften in sehr verschiedenem Grade vorhanden sein, da es ein mehr oder minder Warmes resp. Kaltes gibt; ist nun diese Gradverschiedenheit so beschaffen, daß die eine Eigenschaft schlechthin aktuell, die andere bloß potenziell ist, so wird keine Mischung, sondern ein Übergang der Elemente inein- ander eintreten. (Vgl. auch S. 128.) „Wenn aber nicht die eine dieser Eigenschaften ausschließlich aktuell da ist, sondern das Kalte wie Warmes und das Warme wie Kaltes durch ihre Vermischung ihr Übermaß (#) gegenseitig tilgen, dann wird weder der bloße Stoff, noch einer der beiden Gegen- sätze schlechthin aktuell (#) dasein, son- dern ein Mittelding (#).‟ Aristoteles führt also, um die Verbindung mit neuen Eigenschaften möglich zu machen, einen Zwischenzustand zwischen der Potenzialität und Aktua- lität ein, etwas, das „nicht schlechthin aktuell‟, also doch gewissermaßen aktuell und nicht schlechthin potenziell ist. Diese Unsicherheit in dem Fundament der Theorie der che- mischen Verbindung ist später der Anlaß zu einer der berühm- testen Streitfragen geworden, die eine weit über die Grenzen scholastisch-dialektischer Künste hinausgehende Bedeutung 1 Daselbst p. 334 b. 6—20.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/144>, abgerufen am 06.05.2024.