Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Tyrannie, welche die Gefälligkeit für andre
an mir ausüben wird, und dann werde ich
meine Sternheim wieder sehen. O Emilia!
mit was für Entzücken der Freude werde
ich dieses Haus betreten, wo jeder Platz
an die ausgeübten Tugenden meiner Ael-
tern mich erinnern und aufmuntern wird,
ihrem Beyspiel zu folgen; Tugenden und
Fehler der großen Welt sind nichts für
meinen Charakter; die ersten sind mir zu
glänzend und die andern zu schwarz. Ein
ruhiger Cirkel von Beschäfftigung für mei-
nen Geist und für mein Herz ist das mir
zugemessene Glück, und dieses finde ich
auf meinem Guthe. Ehemals wurde es
durch den freundschaftlichen Umgang mei-
ner Emilia vergrößert; aber die Vorsicht
wollte ihre Tugenden in einer andern Ge-
gend leuchten lassen, ließ mir aber ihren
Briefwechsel.

Sehr lieb ist mir, daß ich die große
Welt und ihre Herrlichkeiten kennen ge-
lernt habe. Jch werde sie nun in allen
Theilen richtiger zu beurtheilen wissen. Jch
habe ihr die Verfeinerung meines Ge-

schmacks

Tyrannie, welche die Gefaͤlligkeit fuͤr andre
an mir ausuͤben wird, und dann werde ich
meine Sternheim wieder ſehen. O Emilia!
mit was fuͤr Entzuͤcken der Freude werde
ich dieſes Haus betreten, wo jeder Platz
an die ausgeuͤbten Tugenden meiner Ael-
tern mich erinnern und aufmuntern wird,
ihrem Beyſpiel zu folgen; Tugenden und
Fehler der großen Welt ſind nichts fuͤr
meinen Charakter; die erſten ſind mir zu
glaͤnzend und die andern zu ſchwarz. Ein
ruhiger Cirkel von Beſchaͤfftigung fuͤr mei-
nen Geiſt und fuͤr mein Herz iſt das mir
zugemeſſene Gluͤck, und dieſes finde ich
auf meinem Guthe. Ehemals wurde es
durch den freundſchaftlichen Umgang mei-
ner Emilia vergroͤßert; aber die Vorſicht
wollte ihre Tugenden in einer andern Ge-
gend leuchten laſſen, ließ mir aber ihren
Briefwechſel.

Sehr lieb iſt mir, daß ich die große
Welt und ihre Herrlichkeiten kennen ge-
lernt habe. Jch werde ſie nun in allen
Theilen richtiger zu beurtheilen wiſſen. Jch
habe ihr die Verfeinerung meines Ge-

ſchmacks
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0360" n="334"/>
Tyrannie, welche die Gefa&#x0364;lligkeit fu&#x0364;r andre<lb/>
an mir ausu&#x0364;ben wird, und dann werde ich<lb/>
meine Sternheim wieder &#x017F;ehen. O Emilia!<lb/>
mit was fu&#x0364;r Entzu&#x0364;cken der Freude werde<lb/>
ich die&#x017F;es Haus betreten, wo jeder Platz<lb/>
an die ausgeu&#x0364;bten Tugenden meiner Ael-<lb/>
tern mich erinnern und aufmuntern wird,<lb/>
ihrem Bey&#x017F;piel zu folgen; Tugenden und<lb/>
Fehler der großen Welt &#x017F;ind nichts fu&#x0364;r<lb/>
meinen Charakter; die er&#x017F;ten &#x017F;ind mir zu<lb/>
gla&#x0364;nzend und die andern zu &#x017F;chwarz. Ein<lb/>
ruhiger Cirkel von Be&#x017F;cha&#x0364;fftigung fu&#x0364;r mei-<lb/>
nen Gei&#x017F;t und fu&#x0364;r mein Herz i&#x017F;t das mir<lb/>
zugeme&#x017F;&#x017F;ene Glu&#x0364;ck, und die&#x017F;es finde ich<lb/>
auf meinem Guthe. Ehemals wurde es<lb/>
durch den freund&#x017F;chaftlichen Umgang mei-<lb/>
ner Emilia vergro&#x0364;ßert; aber die Vor&#x017F;icht<lb/>
wollte ihre Tugenden in einer andern Ge-<lb/>
gend leuchten la&#x017F;&#x017F;en, ließ mir aber ihren<lb/>
Briefwech&#x017F;el.</p><lb/>
          <p>Sehr lieb i&#x017F;t mir, daß ich die große<lb/>
Welt und ihre Herrlichkeiten kennen ge-<lb/>
lernt habe. Jch werde &#x017F;ie nun in allen<lb/>
Theilen richtiger zu beurtheilen wi&#x017F;&#x017F;en. Jch<lb/>
habe ihr die Verfeinerung meines Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chmacks</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0360] Tyrannie, welche die Gefaͤlligkeit fuͤr andre an mir ausuͤben wird, und dann werde ich meine Sternheim wieder ſehen. O Emilia! mit was fuͤr Entzuͤcken der Freude werde ich dieſes Haus betreten, wo jeder Platz an die ausgeuͤbten Tugenden meiner Ael- tern mich erinnern und aufmuntern wird, ihrem Beyſpiel zu folgen; Tugenden und Fehler der großen Welt ſind nichts fuͤr meinen Charakter; die erſten ſind mir zu glaͤnzend und die andern zu ſchwarz. Ein ruhiger Cirkel von Beſchaͤfftigung fuͤr mei- nen Geiſt und fuͤr mein Herz iſt das mir zugemeſſene Gluͤck, und dieſes finde ich auf meinem Guthe. Ehemals wurde es durch den freundſchaftlichen Umgang mei- ner Emilia vergroͤßert; aber die Vorſicht wollte ihre Tugenden in einer andern Ge- gend leuchten laſſen, ließ mir aber ihren Briefwechſel. Sehr lieb iſt mir, daß ich die große Welt und ihre Herrlichkeiten kennen ge- lernt habe. Jch werde ſie nun in allen Theilen richtiger zu beurtheilen wiſſen. Jch habe ihr die Verfeinerung meines Ge- ſchmacks

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/360
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/360>, abgerufen am 06.05.2024.