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Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

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tut es ungestraft. Jn einem Berliner Lyzeum wurde
in der 1. Klasse als Aufsatzthema "Das weibliche Dienst-
jahr" gestellt. Die Oberlehrerin, die den deutschen Un-
terricht in dieser Klasse hat, ist eine in frauenrechtlerischen
Kreisen angesehene Persönlichkeit; in ihrem Sinne ist
aller Wahrscheinlichkeit nach das Thema bearbeitet worden.
Da fehlt wirklich nicht mehr viel, und die jungen Mädchen
verlassen als Frauenrechtlerinnen bereits das Lyzeum.
Die Führerinnen der Frauenemanzipation wissen ganz
genau: Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft! Deshalb
ist ihre Begünstigung der Wandervogelbewegung, die
Aufnahme der (meist minderjährigen) Pfadfinderinnen in
den Bund deutscher Frauenvereine (der immer mehr
politischen Charakter annimmt!) und die politische Be-
einflussung der Schülerinnen wohlüberlegt. Die Frauen-
bewegung gibt zu, daß die Jugendbewegung aus gleicher
Wurzel, wie sie selbst entspringt. Wohin die Auswüchse
dieser Jugendbewegung führen, mögen einige Stellen aus
dem "Anfang", der vor dem Kriege herausgegebenen Zeit-
schrift, die Schüler zu ihren Mitarbeitern zählt, belegen.

"Kampf gegen geistige Knechtung, gegen Heuchelei
und Lüge, gegen Barbarei und Dummheit in der Schule
ist Pflicht und Ehrensache." - "Ausbesserungsarbeiten
können wir ruhig den Leuten vom Bau, den Wirklichen
Geheimen Ober- und Unterregierungsräten überlassen.
Wir wollen die Schulrevolution." - Das Familienleben
wird eine "Farce" genannt, die Schule eine "Tretmühle",
die Studienzeit "stumpfsinnige Tollheit", von den Eltern
spricht man als von "alten, lieben Möbeln", und eine
Schülerin der höheren Mädchenschule schreibt: "Was in

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tut es ungestraft. Jn einem Berliner Lyzeum wurde
in der 1. Klasse als Aufsatzthema „Das weibliche Dienst-
jahr“ gestellt. Die Oberlehrerin, die den deutschen Un-
terricht in dieser Klasse hat, ist eine in frauenrechtlerischen
Kreisen angesehene Persönlichkeit; in ihrem Sinne ist
aller Wahrscheinlichkeit nach das Thema bearbeitet worden.
Da fehlt wirklich nicht mehr viel, und die jungen Mädchen
verlassen als Frauenrechtlerinnen bereits das Lyzeum.
Die Führerinnen der Frauenemanzipation wissen ganz
genau: Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft! Deshalb
ist ihre Begünstigung der Wandervogelbewegung, die
Aufnahme der (meist minderjährigen) Pfadfinderinnen in
den Bund deutscher Frauenvereine (der immer mehr
politischen Charakter annimmt!) und die politische Be-
einflussung der Schülerinnen wohlüberlegt. Die Frauen-
bewegung gibt zu, daß die Jugendbewegung aus gleicher
Wurzel, wie sie selbst entspringt. Wohin die Auswüchse
dieser Jugendbewegung führen, mögen einige Stellen aus
dem „Anfang“, der vor dem Kriege herausgegebenen Zeit-
schrift, die Schüler zu ihren Mitarbeitern zählt, belegen.

„Kampf gegen geistige Knechtung, gegen Heuchelei
und Lüge, gegen Barbarei und Dummheit in der Schule
ist Pflicht und Ehrensache.“ – „Ausbesserungsarbeiten
können wir ruhig den Leuten vom Bau, den Wirklichen
Geheimen Ober- und Unterregierungsräten überlassen.
Wir wollen die Schulrevolution.“ – Das Familienleben
wird eine „Farce“ genannt, die Schule eine „Tretmühle“,
die Studienzeit „stumpfsinnige Tollheit“, von den Eltern
spricht man als von „alten, lieben Möbeln“, und eine
Schülerin der höheren Mädchenschule schreibt: „Was in

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[133/0135] tut es ungestraft. Jn einem Berliner Lyzeum wurde in der 1. Klasse als Aufsatzthema „Das weibliche Dienst- jahr“ gestellt. Die Oberlehrerin, die den deutschen Un- terricht in dieser Klasse hat, ist eine in frauenrechtlerischen Kreisen angesehene Persönlichkeit; in ihrem Sinne ist aller Wahrscheinlichkeit nach das Thema bearbeitet worden. Da fehlt wirklich nicht mehr viel, und die jungen Mädchen verlassen als Frauenrechtlerinnen bereits das Lyzeum. Die Führerinnen der Frauenemanzipation wissen ganz genau: Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft! Deshalb ist ihre Begünstigung der Wandervogelbewegung, die Aufnahme der (meist minderjährigen) Pfadfinderinnen in den Bund deutscher Frauenvereine (der immer mehr politischen Charakter annimmt!) und die politische Be- einflussung der Schülerinnen wohlüberlegt. Die Frauen- bewegung gibt zu, daß die Jugendbewegung aus gleicher Wurzel, wie sie selbst entspringt. Wohin die Auswüchse dieser Jugendbewegung führen, mögen einige Stellen aus dem „Anfang“, der vor dem Kriege herausgegebenen Zeit- schrift, die Schüler zu ihren Mitarbeitern zählt, belegen. „Kampf gegen geistige Knechtung, gegen Heuchelei und Lüge, gegen Barbarei und Dummheit in der Schule ist Pflicht und Ehrensache.“ – „Ausbesserungsarbeiten können wir ruhig den Leuten vom Bau, den Wirklichen Geheimen Ober- und Unterregierungsräten überlassen. Wir wollen die Schulrevolution.“ – Das Familienleben wird eine „Farce“ genannt, die Schule eine „Tretmühle“, die Studienzeit „stumpfsinnige Tollheit“, von den Eltern spricht man als von „alten, lieben Möbeln“, und eine Schülerin der höheren Mädchenschule schreibt: „Was in 9

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-13T13:51:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/135>, abgerufen am 12.05.2024.