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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 3. v. 19-22. des ersten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch] thätigen und aufrichtigen Liebe gegen den
Nächsten. Denn weil der angefochtene
davon aus eigner Erfahrung gewiß überzeu-
get seyn kan, und doch auch nicht zweifeln
darf, daß das, was er bey sich erfähret, GOtt
noch viel besser von ihm weiß, und was er
selbst in ihm gewircket hat, für sein Werck
erkennet; so kan er denn daher den Schluß
machen, daß ihn auch GOtt für sein Kind
erkennen; und solcher gestalt kan er denn
sein Hertz vor ihm stillen.

4. Einige Ausleger nehmen die Worte,
daß GOtt grösser ist, denn unser Hertz und
erkennet alle Dinge,
im gesetzlichen Verstande,
also, daß, wenn einen das eigene Gewissen ver-
dammet, solches da vielmehr von GOtt geschehe,
so viel genauer GOTT alles in uns durchschaue
und erkenne: allein dieser Verstand kömmt mir
dunckler und schwerer vor, als der bisher ange-
zeigte und erläuterte. Von dem Stande der
Anfechtung kömmt nun der Apostel auf den
Stand eines ausser derselben stehenden freudigen
Gewissens, und schreibet davon also:

V. 21. 22.

Jhr Lieben, so uns unser Hertz nicht
verdammet, so haben wir eine Freudigkeit
zu GOtt: und was wir bitten, werden wir
von ihm nehmen. Denn wir halten seine
Gebot, und thun, was vor ihm gefäl-
lig ist.

Anmerckungen.

1. Wir finden alhier vier Stücke nach ein-
ander: erstlich den Stand eines ruhigen
Gewissens:
zum andern die daher entstehende
Freudigkeit zu GOtt: zum dritten die Ubung
solcher Freudigkeit
in dem erhörlichen Gebet:
und denn viertens die Ordnung, in welcher
GOtt das Gebet erhöret.

2. Der Stand des ruhigen Gewissens
wird bezeichnet mit diesen Worten: so uns un-
ser Hertz nicht verdammet.
Da denn das
nicht verdammen, als eine Verneinung, das
stille und ruhig seyn, als eine Bejahung, in sich
hält. Der ruhige und Friedens-volle Zustand
der Seelen ist dem Evangelio gemäß, und entste-
het dergestalt aus der Wiedergeburt und Recht-
fertigung, daß man mit Paulo sagen kan: Nach-
dem wir sind gerecht worden durch den
Glauben, so haben wir Friede mit GOtt
durch unsern HErrn JEsum Christum - -
Die Liebe GOttes ist ausgegossen in unser
Hertz durch den Heiligen Geist, der uns ge-
geben ist.
Röm. 5, 1-5. Ob denn nun gleich
angefochtene die Gnade der Wiedergeburt und
der Rechtfertigung allerdinge empfangen haben,
so empfinden sie doch den Frieden GOttes in sich
noch nicht so mercklich; und eben daher entstehet
ihre Beängstigung. Es ist aber leichtlich zu er-
achten, daß der Genuß des Friedens, bey welchem
sich kein verdammender Vorwurf findet, gar sehr
von der fleischlichen Sicherheit unterschieden
sey.

3. Wo nun Friede ist da ist auch Freudig-
[Spaltenumbruch] keit.
Das Griechische Wort paRResia heißt
eigentlich eine Freymündigkeit, da man ohne
knechtische Furcht und Blödigkeit seinen Mund
getrost aufthut, und saget, was man zu sagen hat:
wozu eine zuversichtliche Freymüthigkeit des
Hertzens gehöret. Beydes fasset das Wort der
Parrhesie, oder Freudigkeit alhier in sich, und
wird damit eigentlich der Glaube in seiner rechten
zuversichtlichen Kraft bezeichnet. Man sehe da-
von sonderlich Hebr. 4, 16. c. 10, 19. Die fleisch-
liche Sicherheit und Heucheley machet eine Nach-
äffung von der Freudigkeit, wenn der Mensch
mit eigenem Ruhm seinen Mund aufthut nach
Röm. 2, 17. u. f.

4. Da die wahre Freudigkeit eine rechte
Freymündigkeit in sich hält, so äussert sie sich durch
diese sonderlich im Gebete. Denn gleichwie der,
den sein Hertz im Stande der Anfechtung ver-
dammet, dadurch vom zuversichtlichen Gebet ab-
geschrecket wird, indem er gedencket, er sey nicht
würdig zu beten, GOtt erhöre auch sein Gebet
nicht: also findet hingegen ein Frieden- und Freu-
digkeit-volles Hertz einen offenen und freyen Zu-
tritt zu GOtt im Gebete, und zwar in der Versi-
cherung, daß das Gebet GOtt in Christo ange-
nehm sey, und gewiß erhöret werde. Siehe Röm.
5, 2. Eph. 3, 12. Warum aber der Mensch GOtt
anzurufen habe, das lehret ihn sein und anderer
Menschen erkanntes Anliegen nach Leib und See-
le. Zu welchem Gebete denn auch die davon sonst
unterschiedene Bitte, mit der Fürbitte und
Dancksagung nach 1 Tim. 2, 2. gehöret. Von
der Erhöhrung des Gebets, nach welcher wir
von GOtt nehmen, was wir bitten, siehe den La-
teinischen Commentarium p. 530. u. f. Johan-
nes spricht davon c. 5, 14. 15. Das ist die Freu-
digkeit, die wir haben zu ihm, daß, so wir
etwas bitten nach seinem Willen
(und im
Namen JEsu Christi Joh. 16, 24. u. f.) so hö-
ret er uns, und so wir wissen, daß er uns
höret, was wir bitten, so wissen wir, daß
wir die Bitte haben, die wir von ihm ge-
beten haben.

5. Die Ordnung, in welcher das Gebet
erhöret wird, ist der gantze Stand und Lauf der
Erneuerung; welcher mit diesen Worten ausge-
drucket wird: Denn wir halten seine Gebote,
und thun, was vor ihm gefällig ist.
Da-
bey folgendes zu mercken:

a. Obgleich der Apostel das Wörtlein denn die-
sen Worten vorsetzet; so zeiget er doch keine
Ursache, sondern nur die Ordnung der Er-
hörung an. Denn obgleich die Ubertretung
der Gebote GOttes eine Ursache ist, daß GOtt
das Gebet nicht erhöret: so kan doch die Hal-
tung der Gebote die Erhörung nicht verursa-
chen, weil sie unvollkommen ist, und dazu nicht
aus unsern eignen Kräften, sondern aus der
Gnaden-Kraft GOttes herrühret, und GOtt
um Christi willen angenehm ist. Hielte aber
der Mensch die Gebote nicht, so wandelte er
mit keinem guten Gewissen vor GOtt und
folglich könte sein Gebet dem lieben GOtt un-
möglich gefallen.
b. Der Verstand dieser Worte ist der, daß, wenn
wir
T t t t 3
Cap. 3. v. 19-22. des erſten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch] thaͤtigen und aufrichtigen Liebe gegen den
Naͤchſten. Denn weil der angefochtene
davon aus eigner Erfahrung gewiß uͤberzeu-
get ſeyn kan, und doch auch nicht zweifeln
darf, daß das, was er bey ſich erfaͤhret, GOtt
noch viel beſſer von ihm weiß, und was er
ſelbſt in ihm gewircket hat, fuͤr ſein Werck
erkennet; ſo kan er denn daher den Schluß
machen, daß ihn auch GOtt fuͤr ſein Kind
erkennen; und ſolcher geſtalt kan er denn
ſein Hertz vor ihm ſtillen.

4. Einige Ausleger nehmen die Worte,
daß GOtt groͤſſer iſt, denn unſer Hertz und
erkennet alle Dinge,
im geſetzlichen Verſtande,
alſo, daß, wenn einen das eigene Gewiſſen ver-
dammet, ſolches da vielmehr von GOtt geſchehe,
ſo viel genauer GOTT alles in uns durchſchaue
und erkenne: allein dieſer Verſtand koͤmmt mir
dunckler und ſchwerer vor, als der bisher ange-
zeigte und erlaͤuterte. Von dem Stande der
Anfechtung koͤmmt nun der Apoſtel auf den
Stand eines auſſer derſelben ſtehenden freudigen
Gewiſſens, und ſchreibet davon alſo:

V. 21. 22.

Jhr Lieben, ſo uns unſer Hertz nicht
verdammet, ſo haben wir eine Freudigkeit
zu GOtt: und was wir bitten, werden wir
von ihm nehmen. Denn wir halten ſeine
Gebot, und thun, was vor ihm gefaͤl-
lig iſt.

Anmerckungen.

1. Wir finden alhier vier Stuͤcke nach ein-
ander: erſtlich den Stand eines ruhigen
Gewiſſens:
zum andern die daher entſtehende
Freudigkeit zu GOtt: zum dritten die Ubung
ſolcher Freudigkeit
in dem erhoͤrlichen Gebet:
und denn viertens die Ordnung, in welcher
GOtt das Gebet erhoͤret.

2. Der Stand des ruhigen Gewiſſens
wird bezeichnet mit dieſen Worten: ſo uns un-
ſer Hertz nicht verdammet.
Da denn das
nicht verdammen, als eine Verneinung, das
ſtille und ruhig ſeyn, als eine Bejahung, in ſich
haͤlt. Der ruhige und Friedens-volle Zuſtand
der Seelen iſt dem Evangelio gemaͤß, und entſte-
het dergeſtalt aus der Wiedergeburt und Recht-
fertigung, daß man mit Paulo ſagen kan: Nach-
dem wir ſind gerecht worden durch den
Glauben, ſo haben wir Friede mit GOtt
durch unſern HErrn JEſum Chriſtum ‒ ‒
Die Liebe GOttes iſt ausgegoſſen in unſer
Hertz durch den Heiligen Geiſt, der uns ge-
geben iſt.
Roͤm. 5, 1-5. Ob denn nun gleich
angefochtene die Gnade der Wiedergeburt und
der Rechtfertigung allerdinge empfangen haben,
ſo empfinden ſie doch den Frieden GOttes in ſich
noch nicht ſo mercklich; und eben daher entſtehet
ihre Beaͤngſtigung. Es iſt aber leichtlich zu er-
achten, daß der Genuß des Friedens, bey welchem
ſich kein verdammender Vorwurf findet, gar ſehr
von der fleiſchlichen Sicherheit unterſchieden
ſey.

3. Wo nun Friede iſt da iſt auch Freudig-
[Spaltenumbruch] keit.
Das Griechiſche Wort παῤῥησία heißt
eigentlich eine Freymuͤndigkeit, da man ohne
knechtiſche Furcht und Bloͤdigkeit ſeinen Mund
getroſt aufthut, und ſaget, was man zu ſagen hat:
wozu eine zuverſichtliche Freymuͤthigkeit des
Hertzens gehoͤret. Beydes faſſet das Wort der
Parrheſie, oder Freudigkeit alhier in ſich, und
wird damit eigentlich der Glaube in ſeiner rechten
zuverſichtlichen Kraft bezeichnet. Man ſehe da-
von ſonderlich Hebr. 4, 16. c. 10, 19. Die fleiſch-
liche Sicherheit und Heucheley machet eine Nach-
aͤffung von der Freudigkeit, wenn der Menſch
mit eigenem Ruhm ſeinen Mund aufthut nach
Roͤm. 2, 17. u. f.

4. Da die wahre Freudigkeit eine rechte
Freymuͤndigkeit in ſich haͤlt, ſo aͤuſſert ſie ſich durch
dieſe ſonderlich im Gebete. Denn gleichwie der,
den ſein Hertz im Stande der Anfechtung ver-
dammet, dadurch vom zuverſichtlichen Gebet ab-
geſchrecket wird, indem er gedencket, er ſey nicht
wuͤrdig zu beten, GOtt erhoͤre auch ſein Gebet
nicht: alſo findet hingegen ein Frieden- und Freu-
digkeit-volles Hertz einen offenen und freyen Zu-
tritt zu GOtt im Gebete, und zwar in der Verſi-
cherung, daß das Gebet GOtt in Chriſto ange-
nehm ſey, und gewiß erhoͤret werde. Siehe Roͤm.
5, 2. Eph. 3, 12. Warum aber der Menſch GOtt
anzurufen habe, das lehret ihn ſein und anderer
Menſchen erkanntes Anliegen nach Leib und See-
le. Zu welchem Gebete denn auch die davon ſonſt
unterſchiedene Bitte, mit der Fuͤrbitte und
Danckſagung nach 1 Tim. 2, 2. gehoͤret. Von
der Erhoͤhrung des Gebets, nach welcher wir
von GOtt nehmen, was wir bitten, ſiehe den La-
teiniſchen Commentarium p. 530. u. f. Johan-
nes ſpricht davon c. 5, 14. 15. Das iſt die Freu-
digkeit, die wir haben zu ihm, daß, ſo wir
etwas bitten nach ſeinem Willen
(und im
Namen JEſu Chriſti Joh. 16, 24. u. f.) ſo hoͤ-
ret er uns, und ſo wir wiſſen, daß er uns
hoͤret, was wir bitten, ſo wiſſen wir, daß
wir die Bitte haben, die wir von ihm ge-
beten haben.

5. Die Ordnung, in welcher das Gebet
erhoͤret wird, iſt der gantze Stand und Lauf der
Erneuerung; welcher mit dieſen Worten ausge-
drucket wird: Denn wir halten ſeine Gebote,
und thun, was vor ihm gefaͤllig iſt.
Da-
bey folgendes zu mercken:

a. Obgleich der Apoſtel das Woͤrtlein denn die-
ſen Worten vorſetzet; ſo zeiget er doch keine
Urſache, ſondern nur die Ordnung der Er-
hoͤrung an. Denn obgleich die Ubertretung
der Gebote GOttes eine Urſache iſt, daß GOtt
das Gebet nicht erhoͤret: ſo kan doch die Hal-
tung der Gebote die Erhoͤrung nicht verurſa-
chen, weil ſie unvollkommen iſt, und dazu nicht
aus unſern eignen Kraͤften, ſondern aus der
Gnaden-Kraft GOttes herruͤhret, und GOtt
um Chriſti willen angenehm iſt. Hielte aber
der Menſch die Gebote nicht, ſo wandelte er
mit keinem guten Gewiſſen vor GOtt und
folglich koͤnte ſein Gebet dem lieben GOtt un-
moͤglich gefallen.
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[703/0703] Cap. 3. v. 19-22. des erſten Briefes Johannis. thaͤtigen und aufrichtigen Liebe gegen den Naͤchſten. Denn weil der angefochtene davon aus eigner Erfahrung gewiß uͤberzeu- get ſeyn kan, und doch auch nicht zweifeln darf, daß das, was er bey ſich erfaͤhret, GOtt noch viel beſſer von ihm weiß, und was er ſelbſt in ihm gewircket hat, fuͤr ſein Werck erkennet; ſo kan er denn daher den Schluß machen, daß ihn auch GOtt fuͤr ſein Kind erkennen; und ſolcher geſtalt kan er denn ſein Hertz vor ihm ſtillen. 4. Einige Ausleger nehmen die Worte, daß GOtt groͤſſer iſt, denn unſer Hertz und erkennet alle Dinge, im geſetzlichen Verſtande, alſo, daß, wenn einen das eigene Gewiſſen ver- dammet, ſolches da vielmehr von GOtt geſchehe, ſo viel genauer GOTT alles in uns durchſchaue und erkenne: allein dieſer Verſtand koͤmmt mir dunckler und ſchwerer vor, als der bisher ange- zeigte und erlaͤuterte. Von dem Stande der Anfechtung koͤmmt nun der Apoſtel auf den Stand eines auſſer derſelben ſtehenden freudigen Gewiſſens, und ſchreibet davon alſo: V. 21. 22. Jhr Lieben, ſo uns unſer Hertz nicht verdammet, ſo haben wir eine Freudigkeit zu GOtt: und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen. Denn wir halten ſeine Gebot, und thun, was vor ihm gefaͤl- lig iſt. Anmerckungen. 1. Wir finden alhier vier Stuͤcke nach ein- ander: erſtlich den Stand eines ruhigen Gewiſſens: zum andern die daher entſtehende Freudigkeit zu GOtt: zum dritten die Ubung ſolcher Freudigkeit in dem erhoͤrlichen Gebet: und denn viertens die Ordnung, in welcher GOtt das Gebet erhoͤret. 2. Der Stand des ruhigen Gewiſſens wird bezeichnet mit dieſen Worten: ſo uns un- ſer Hertz nicht verdammet. Da denn das nicht verdammen, als eine Verneinung, das ſtille und ruhig ſeyn, als eine Bejahung, in ſich haͤlt. Der ruhige und Friedens-volle Zuſtand der Seelen iſt dem Evangelio gemaͤß, und entſte- het dergeſtalt aus der Wiedergeburt und Recht- fertigung, daß man mit Paulo ſagen kan: Nach- dem wir ſind gerecht worden durch den Glauben, ſo haben wir Friede mit GOtt durch unſern HErrn JEſum Chriſtum ‒ ‒ Die Liebe GOttes iſt ausgegoſſen in unſer Hertz durch den Heiligen Geiſt, der uns ge- geben iſt. Roͤm. 5, 1-5. Ob denn nun gleich angefochtene die Gnade der Wiedergeburt und der Rechtfertigung allerdinge empfangen haben, ſo empfinden ſie doch den Frieden GOttes in ſich noch nicht ſo mercklich; und eben daher entſtehet ihre Beaͤngſtigung. Es iſt aber leichtlich zu er- achten, daß der Genuß des Friedens, bey welchem ſich kein verdammender Vorwurf findet, gar ſehr von der fleiſchlichen Sicherheit unterſchieden ſey. 3. Wo nun Friede iſt da iſt auch Freudig- keit. Das Griechiſche Wort παῤῥησία heißt eigentlich eine Freymuͤndigkeit, da man ohne knechtiſche Furcht und Bloͤdigkeit ſeinen Mund getroſt aufthut, und ſaget, was man zu ſagen hat: wozu eine zuverſichtliche Freymuͤthigkeit des Hertzens gehoͤret. Beydes faſſet das Wort der Parrheſie, oder Freudigkeit alhier in ſich, und wird damit eigentlich der Glaube in ſeiner rechten zuverſichtlichen Kraft bezeichnet. Man ſehe da- von ſonderlich Hebr. 4, 16. c. 10, 19. Die fleiſch- liche Sicherheit und Heucheley machet eine Nach- aͤffung von der Freudigkeit, wenn der Menſch mit eigenem Ruhm ſeinen Mund aufthut nach Roͤm. 2, 17. u. f. 4. Da die wahre Freudigkeit eine rechte Freymuͤndigkeit in ſich haͤlt, ſo aͤuſſert ſie ſich durch dieſe ſonderlich im Gebete. Denn gleichwie der, den ſein Hertz im Stande der Anfechtung ver- dammet, dadurch vom zuverſichtlichen Gebet ab- geſchrecket wird, indem er gedencket, er ſey nicht wuͤrdig zu beten, GOtt erhoͤre auch ſein Gebet nicht: alſo findet hingegen ein Frieden- und Freu- digkeit-volles Hertz einen offenen und freyen Zu- tritt zu GOtt im Gebete, und zwar in der Verſi- cherung, daß das Gebet GOtt in Chriſto ange- nehm ſey, und gewiß erhoͤret werde. Siehe Roͤm. 5, 2. Eph. 3, 12. Warum aber der Menſch GOtt anzurufen habe, das lehret ihn ſein und anderer Menſchen erkanntes Anliegen nach Leib und See- le. Zu welchem Gebete denn auch die davon ſonſt unterſchiedene Bitte, mit der Fuͤrbitte und Danckſagung nach 1 Tim. 2, 2. gehoͤret. Von der Erhoͤhrung des Gebets, nach welcher wir von GOtt nehmen, was wir bitten, ſiehe den La- teiniſchen Commentarium p. 530. u. f. Johan- nes ſpricht davon c. 5, 14. 15. Das iſt die Freu- digkeit, die wir haben zu ihm, daß, ſo wir etwas bitten nach ſeinem Willen (und im Namen JEſu Chriſti Joh. 16, 24. u. f.) ſo hoͤ- ret er uns, und ſo wir wiſſen, daß er uns hoͤret, was wir bitten, ſo wiſſen wir, daß wir die Bitte haben, die wir von ihm ge- beten haben. 5. Die Ordnung, in welcher das Gebet erhoͤret wird, iſt der gantze Stand und Lauf der Erneuerung; welcher mit dieſen Worten ausge- drucket wird: Denn wir halten ſeine Gebote, und thun, was vor ihm gefaͤllig iſt. Da- bey folgendes zu mercken: a. Obgleich der Apoſtel das Woͤrtlein denn die- ſen Worten vorſetzet; ſo zeiget er doch keine Urſache, ſondern nur die Ordnung der Er- hoͤrung an. Denn obgleich die Ubertretung der Gebote GOttes eine Urſache iſt, daß GOtt das Gebet nicht erhoͤret: ſo kan doch die Hal- tung der Gebote die Erhoͤrung nicht verurſa- chen, weil ſie unvollkommen iſt, und dazu nicht aus unſern eignen Kraͤften, ſondern aus der Gnaden-Kraft GOttes herruͤhret, und GOtt um Chriſti willen angenehm iſt. Hielte aber der Menſch die Gebote nicht, ſo wandelte er mit keinem guten Gewiſſen vor GOtt und folglich koͤnte ſein Gebet dem lieben GOtt un- moͤglich gefallen. b. Der Verſtand dieſer Worte iſt der, daß, wenn wir T t t t 3

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/703>, abgerufen am 30.05.2024.