Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 3. v. 17. 18. [Spaltenumbruch]
der That und mit der Wahrheit (wie thä-tig, also auch aufrichtig.) Anmerckungen. 1. Bey den Worten: Wenn aber je- a. Die grosse Ungleichheit im äusserlichen, daß mancher zeitliche Güter hat, mancher aber nicht, hat vielerley Ursachen. Uberhaupt fin- det sich darunter die Providentz GOttes, welche dem einen mehr, dem andern weni- ger, ja fast gar nichts zuwirft, um diesen theils zur Arbeit, dadurch er ihn segnen will, theils zur Gelassenheit, jenen zur Barmher- tzigkeit gegen den Dürftigen und zur Ver- leugnung zeitlicher Dinge dadurch anzutrei- ben. Es äussert sich aber bey der Providentz nicht allein der gnädige und wohlgefällige, sondern auch der zuläßige, und dabey ungnä- dige Wille GOttes, nach welchem er es ohne gewaltsame Verhinderungen geschehen lässet, daß mancher durch verbotene Mittel reich, und mancher durch Unachtsamkeit, Unordnung und Faulheit arm wird. Bey welchem Zu- stande denn beyde, der Reiche und der Dürf- tige, unter dem Fluche GOttes stehen: sin- temal ihr Verhalten eine klare Anzeige ist, daß sie sich nicht in der Heyls-Ordnung befin- den. b. Die zeitlichen Güter heissen Güter der Welt zum Unterscheide der Güter des Heyls, nach welchen man reich in GOtt ist, Luc. 1, 53. und daher reich wird an guten Wercken 1 Tim. 6, 18. 19. daher Paulus die Reichen nennet die Reichen von dieser Welt. v. 17. Deren Güter noch viel vergänglicher sind, als die Welt selbst 1 Joh. 2, 17. c. Güter dieser Welt haben ist nicht allein einen Uberfluß daran haben, sondern auch nur so viel besitzen, daß man nicht alles zu seiner eignen Nothdurft, welche auch nicht zuweit gedehnet werden muß, gebrauchet, und also dem, der nichts hat, davon zu Hülfe kommen kan. Welcher Verstand auch aus dem Lich- te der Natur erhellet; da es heißt: Was ihr wollet, daß euch die Leute thun sol- len, das thut ihnen auch. So bringet ihn auch mit sich das Griechische Wort bios, welches, nechst der Bedeutung von dem Le- ben selbst, das, was zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehöret, bedeutet, wie man siehet Luc. 8, 43. Luc. 21, 4. 34. Und aus diesem Grunde fodert Paulus auch so gar von denen, welche mit der Hand-Arbeit ihren Unterhalt verdienen, daß sie den Dürftigen etwas da- von geben sollen. 2. Bey den übrigen Worten des 17. Ver- a. Der Bruder ist ein ieder Nächster. Doch hat man darunter einigen Unterscheid zu hal- ten, darinn der Gläubige und Gottselige dem Gottlosen vorgehet. Darum Paulus Gal. 6, 10. spricht: Als wir nun Zeit haben, so lasset uns gutes thun an iederman, aller- [Spaltenumbruch] meist aber an des Glaubens Genossen. So hat man auch billig zuvorderst auf die Seinigen und allernechsten Anverwandten zu sehen nach dem Rechte und der Pflicht der Natur, so das göttliche Sitten-Gesetze nicht aufhebet, sondern vielmehr aufkläret und einschärfet. Daher Paulus 1 Tim. 5, 8. spricht: Wenn iemand die Seinen, son- derlich seine Haus- Genossen (welche zur Familie gehören, als alhier die Wittwen, welche Kinder, oder Kindes-Kinder haben, die sie verpflegen können) nicht versorget, der hat den Glauben verleugnet, und ist ärger, denn ein Heyde. b. Das Darben hat auch seine gewisse Stuffen. Denn manchem fehlet die alleräusserste Noth- durft, obgleich nicht am Trancke; als dazu endlich das Wasser hinlänglich ist; doch an der Speise und an der Kleidung, auch Feue- rung, daß er ausser der Hülfe umkommen müßte. Andere sind zwar so extrem dürftig nicht; es fehlet ihnen doch aber an hinlängli- cher Nothdurft und Pflege, sonderlich bey einem schwachen und ungesunden Leibe und da seine Hausgenossen auf seine Hand sehen. Nach der Beschaffenheit der Dürftigkeit muß denn auch die Hülfs-Leistung eingerich- tet seyn. c. Manchen Dürftigen siehet man selbst dar- ben, da einem denn seine Noth soviel mehr zu Hertzen gehen, und man nicht erst erwarten soll, bis er einen anspricht; als davon man- cher abgeschrecket wird. Denn ie dürftiger und dabey aufrichtiger einer ist, ie blöder ist er, und, weil er aus der Erfahrung weiß, wie hart er oft ist angesehen worden, so unterste- het er sich oft nicht, seinen Mund aufzuthun. Da auch denn auf Seiten des Vermögenden das Sehen genug ist. Zu welchem Sehen aber auch das Erfahren und Hören von an- dern; auch das liebreiche Nachdencken, in welcher Bedrängniß sich zu dieser und jener Zeit dieser und jener wol finden müsse, gehö- ret. Es gibt auch mitleidige Seelen, wel- che, weil sie selbst den Nothleidenden nicht helfen können, gleichsam ihr Fuß, und ihr Auge und ihre Hand bey den Wohlhaben- den werden, und damit GOTT einen ange- nehmen Dienst thun. d. Wenn einem nun des Dürftigen Noth zum Gesicht, oder zun Ohren kömmt, so soll man sich dadurch das Hertz öffnen und bewegen lassen, ihm zu helfen, und zwar nach Pro- portion seines Vermögens und jenes seiner Dürftigkeit, aus folgenden Gründen: a. Weil er ein Bruder oder Nächster ist, der es bedarf. b. Weil, wenn man sich an seine Stelle se- tzet, man sofort bey sich findet, was man sich von den Reichen wünschet, und also sei- ne Pflicht erkennen kan, nach dem Ausspru- che Christi Matth. 7, 12. Alles, was ihr wollet, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen. Das ist das Gesetz und die Propheten. g. Weil
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 3. v. 17. 18. [Spaltenumbruch]
der That und mit der Wahrheit (wie thaͤ-tig, alſo auch aufrichtig.) Anmerckungen. 1. Bey den Worten: Wenn aber je- a. Die groſſe Ungleichheit im aͤuſſerlichen, daß mancher zeitliche Guͤter hat, mancher aber nicht, hat vielerley Urſachen. Uberhaupt fin- det ſich darunter die Providentz GOttes, welche dem einen mehr, dem andern weni- ger, ja faſt gar nichts zuwirft, um dieſen theils zur Arbeit, dadurch er ihn ſegnen will, theils zur Gelaſſenheit, jenen zur Barmher- tzigkeit gegen den Duͤrftigen und zur Ver- leugnung zeitlicher Dinge dadurch anzutrei- ben. Es aͤuſſert ſich aber bey der Providentz nicht allein der gnaͤdige und wohlgefaͤllige, ſondern auch der zulaͤßige, und dabey ungnaͤ- dige Wille GOttes, nach welchem er es ohne gewaltſame Verhinderungen geſchehen laͤſſet, daß mancher durch verbotene Mittel reich, und mancher durch Unachtſamkeit, Unordnung und Faulheit arm wird. Bey welchem Zu- ſtande denn beyde, der Reiche und der Duͤrf- tige, unter dem Fluche GOttes ſtehen: ſin- temal ihr Verhalten eine klare Anzeige iſt, daß ſie ſich nicht in der Heyls-Ordnung befin- den. b. Die zeitlichen Guͤter heiſſen Guͤter der Welt zum Unterſcheide der Guͤter des Heyls, nach welchen man reich in GOtt iſt, Luc. 1, 53. und daher reich wird an guten Wercken 1 Tim. 6, 18. 19. daher Paulus die Reichen nennet die Reichen von dieſer Welt. v. 17. Deren Guͤter noch viel vergaͤnglicher ſind, als die Welt ſelbſt 1 Joh. 2, 17. c. Guͤter dieſer Welt haben iſt nicht allein einen Uberfluß daran haben, ſondern auch nur ſo viel beſitzen, daß man nicht alles zu ſeiner eignen Nothdurft, welche auch nicht zuweit gedehnet werden muß, gebrauchet, und alſo dem, der nichts hat, davon zu Huͤlfe kommen kan. Welcher Verſtand auch aus dem Lich- te der Natur erhellet; da es heißt: Was ihr wollet, daß euch die Leute thun ſol- len, das thut ihnen auch. So bringet ihn auch mit ſich das Griechiſche Wort βίος, welches, nechſt der Bedeutung von dem Le- ben ſelbſt, das, was zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehoͤret, bedeutet, wie man ſiehet Luc. 8, 43. Luc. 21, 4. 34. Und aus dieſem Grunde fodert Paulus auch ſo gar von denen, welche mit der Hand-Arbeit ihren Unterhalt verdienen, daß ſie den Duͤrftigen etwas da- von geben ſollen. 2. Bey den uͤbrigen Worten des 17. Ver- a. Der Bruder iſt ein ieder Naͤchſter. Doch hat man darunter einigen Unterſcheid zu hal- ten, darinn der Glaͤubige und Gottſelige dem Gottloſen vorgehet. Darum Paulus Gal. 6, 10. ſpricht: Als wir nun Zeit haben, ſo laſſet uns gutes thun an iederman, aller- [Spaltenumbruch] meiſt aber an des Glaubens Genoſſen. So hat man auch billig zuvorderſt auf die Seinigen und allernechſten Anverwandten zu ſehen nach dem Rechte und der Pflicht der Natur, ſo das goͤttliche Sitten-Geſetze nicht aufhebet, ſondern vielmehr aufklaͤret und einſchaͤrfet. Daher Paulus 1 Tim. 5, 8. ſpricht: Wenn iemand die Seinen, ſon- derlich ſeine Haus- Genoſſen (welche zur Familie gehoͤren, als alhier die Wittwen, welche Kinder, oder Kindes-Kinder haben, die ſie verpflegen koͤnnen) nicht verſorget, der hat den Glauben verleugnet, und iſt aͤrger, denn ein Heyde. b. Das Darben hat auch ſeine gewiſſe Stuffen. Denn manchem fehlet die alleraͤuſſerſte Noth- durft, obgleich nicht am Trancke; als dazu endlich das Waſſer hinlaͤnglich iſt; doch an der Speiſe und an der Kleidung, auch Feue- rung, daß er auſſer der Huͤlfe umkommen muͤßte. Andere ſind zwar ſo extrem duͤrftig nicht; es fehlet ihnen doch aber an hinlaͤngli- cher Nothdurft und Pflege, ſonderlich bey einem ſchwachen und ungeſunden Leibe und da ſeine Hausgenoſſen auf ſeine Hand ſehen. Nach der Beſchaffenheit der Duͤrftigkeit muß denn auch die Huͤlfs-Leiſtung eingerich- tet ſeyn. c. Manchen Duͤrftigen ſiehet man ſelbſt dar- ben, da einem denn ſeine Noth ſoviel mehr zu Hertzen gehen, und man nicht erſt erwarten ſoll, bis er einen anſpricht; als davon man- cher abgeſchrecket wird. Denn ie duͤrftiger und dabey aufrichtiger einer iſt, ie bloͤder iſt er, und, weil er aus der Erfahrung weiß, wie hart er oft iſt angeſehen worden, ſo unterſte- het er ſich oft nicht, ſeinen Mund aufzuthun. Da auch denn auf Seiten des Vermoͤgenden das Sehen genug iſt. Zu welchem Sehen aber auch das Erfahren und Hoͤren von an- dern; auch das liebreiche Nachdencken, in welcher Bedraͤngniß ſich zu dieſer und jener Zeit dieſer und jener wol finden muͤſſe, gehoͤ- ret. Es gibt auch mitleidige Seelen, wel- che, weil ſie ſelbſt den Nothleidenden nicht helfen koͤnnen, gleichſam ihr Fuß, und ihr Auge und ihre Hand bey den Wohlhaben- den werden, und damit GOTT einen ange- nehmen Dienſt thun. d. Wenn einem nun des Duͤrftigen Noth zum Geſicht, oder zun Ohren koͤmmt, ſo ſoll man ſich dadurch das Hertz oͤffnen und bewegen laſſen, ihm zu helfen, und zwar nach Pro- portion ſeines Vermoͤgens und jenes ſeiner Duͤrftigkeit, aus folgenden Gruͤnden: α. Weil er ein Bruder oder Naͤchſter iſt, der es bedarf. β. Weil, wenn man ſich an ſeine Stelle ſe- tzet, man ſofort bey ſich findet, was man ſich von den Reichen wuͤnſchet, und alſo ſei- ne Pflicht erkennen kan, nach dem Ausſpru- che Chriſti Matth. 7, 12. Alles, was ihr wollet, daß euch die Leute thun ſollen, das thut ihr ihnen. Das iſt das Geſetz und die Propheten. γ. Weil
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Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 3. v. 17. 18.
der That und mit der Wahrheit (wie thaͤ-
tig, alſo auch aufrichtig.)
Anmerckungen.
1. Bey den Worten: Wenn aber je-
mand dieſer Welt Guͤter hat, iſt folgendes
zu erwegen:
a. Die groſſe Ungleichheit im aͤuſſerlichen, daß
mancher zeitliche Guͤter hat, mancher aber
nicht, hat vielerley Urſachen. Uberhaupt fin-
det ſich darunter die Providentz GOttes,
welche dem einen mehr, dem andern weni-
ger, ja faſt gar nichts zuwirft, um dieſen
theils zur Arbeit, dadurch er ihn ſegnen will,
theils zur Gelaſſenheit, jenen zur Barmher-
tzigkeit gegen den Duͤrftigen und zur Ver-
leugnung zeitlicher Dinge dadurch anzutrei-
ben. Es aͤuſſert ſich aber bey der Providentz
nicht allein der gnaͤdige und wohlgefaͤllige,
ſondern auch der zulaͤßige, und dabey ungnaͤ-
dige Wille GOttes, nach welchem er es ohne
gewaltſame Verhinderungen geſchehen laͤſſet,
daß mancher durch verbotene Mittel reich,
und mancher durch Unachtſamkeit, Unordnung
und Faulheit arm wird. Bey welchem Zu-
ſtande denn beyde, der Reiche und der Duͤrf-
tige, unter dem Fluche GOttes ſtehen: ſin-
temal ihr Verhalten eine klare Anzeige iſt,
daß ſie ſich nicht in der Heyls-Ordnung befin-
den.
b. Die zeitlichen Guͤter heiſſen Guͤter der
Welt zum Unterſcheide der Guͤter des Heyls,
nach welchen man reich in GOtt iſt, Luc. 1, 53.
und daher reich wird an guten Wercken
1 Tim. 6, 18. 19. daher Paulus die Reichen
nennet die Reichen von dieſer Welt. v. 17.
Deren Guͤter noch viel vergaͤnglicher ſind, als
die Welt ſelbſt 1 Joh. 2, 17.
c. Guͤter dieſer Welt haben iſt nicht allein
einen Uberfluß daran haben, ſondern auch nur
ſo viel beſitzen, daß man nicht alles zu ſeiner
eignen Nothdurft, welche auch nicht zuweit
gedehnet werden muß, gebrauchet, und alſo
dem, der nichts hat, davon zu Huͤlfe kommen
kan. Welcher Verſtand auch aus dem Lich-
te der Natur erhellet; da es heißt: Was
ihr wollet, daß euch die Leute thun ſol-
len, das thut ihnen auch. So bringet
ihn auch mit ſich das Griechiſche Wort βίος,
welches, nechſt der Bedeutung von dem Le-
ben ſelbſt, das, was zur Leibes Nahrung und
Nothdurft gehoͤret, bedeutet, wie man ſiehet
Luc. 8, 43. Luc. 21, 4. 34. Und aus dieſem
Grunde fodert Paulus auch ſo gar von denen,
welche mit der Hand-Arbeit ihren Unterhalt
verdienen, daß ſie den Duͤrftigen etwas da-
von geben ſollen.
2. Bey den uͤbrigen Worten des 17. Ver-
ſes iſt folgendes zu mercken:
a. Der Bruder iſt ein ieder Naͤchſter. Doch
hat man darunter einigen Unterſcheid zu hal-
ten, darinn der Glaͤubige und Gottſelige dem
Gottloſen vorgehet. Darum Paulus Gal.
6, 10. ſpricht: Als wir nun Zeit haben, ſo
laſſet uns gutes thun an iederman, aller-
meiſt aber an des Glaubens Genoſſen.
So hat man auch billig zuvorderſt auf die
Seinigen und allernechſten Anverwandten
zu ſehen nach dem Rechte und der Pflicht der
Natur, ſo das goͤttliche Sitten-Geſetze nicht
aufhebet, ſondern vielmehr aufklaͤret und
einſchaͤrfet. Daher Paulus 1 Tim. 5, 8.
ſpricht: Wenn iemand die Seinen, ſon-
derlich ſeine Haus- Genoſſen (welche zur
Familie gehoͤren, als alhier die Wittwen,
welche Kinder, oder Kindes-Kinder haben,
die ſie verpflegen koͤnnen) nicht verſorget,
der hat den Glauben verleugnet, und iſt
aͤrger, denn ein Heyde.
b. Das Darben hat auch ſeine gewiſſe Stuffen.
Denn manchem fehlet die alleraͤuſſerſte Noth-
durft, obgleich nicht am Trancke; als dazu
endlich das Waſſer hinlaͤnglich iſt; doch an
der Speiſe und an der Kleidung, auch Feue-
rung, daß er auſſer der Huͤlfe umkommen
muͤßte. Andere ſind zwar ſo extrem duͤrftig
nicht; es fehlet ihnen doch aber an hinlaͤngli-
cher Nothdurft und Pflege, ſonderlich bey
einem ſchwachen und ungeſunden Leibe und
da ſeine Hausgenoſſen auf ſeine Hand ſehen.
Nach der Beſchaffenheit der Duͤrftigkeit
muß denn auch die Huͤlfs-Leiſtung eingerich-
tet ſeyn.
c. Manchen Duͤrftigen ſiehet man ſelbſt dar-
ben, da einem denn ſeine Noth ſoviel mehr zu
Hertzen gehen, und man nicht erſt erwarten
ſoll, bis er einen anſpricht; als davon man-
cher abgeſchrecket wird. Denn ie duͤrftiger
und dabey aufrichtiger einer iſt, ie bloͤder iſt
er, und, weil er aus der Erfahrung weiß, wie
hart er oft iſt angeſehen worden, ſo unterſte-
het er ſich oft nicht, ſeinen Mund aufzuthun.
Da auch denn auf Seiten des Vermoͤgenden
das Sehen genug iſt. Zu welchem Sehen
aber auch das Erfahren und Hoͤren von an-
dern; auch das liebreiche Nachdencken, in
welcher Bedraͤngniß ſich zu dieſer und jener
Zeit dieſer und jener wol finden muͤſſe, gehoͤ-
ret. Es gibt auch mitleidige Seelen, wel-
che, weil ſie ſelbſt den Nothleidenden nicht
helfen koͤnnen, gleichſam ihr Fuß, und ihr
Auge und ihre Hand bey den Wohlhaben-
den werden, und damit GOTT einen ange-
nehmen Dienſt thun.
d. Wenn einem nun des Duͤrftigen Noth zum
Geſicht, oder zun Ohren koͤmmt, ſo ſoll man
ſich dadurch das Hertz oͤffnen und bewegen
laſſen, ihm zu helfen, und zwar nach Pro-
portion ſeines Vermoͤgens und jenes ſeiner
Duͤrftigkeit, aus folgenden Gruͤnden:
α. Weil er ein Bruder oder Naͤchſter iſt, der
es bedarf.
β. Weil, wenn man ſich an ſeine Stelle ſe-
tzet, man ſofort bey ſich findet, was man
ſich von den Reichen wuͤnſchet, und alſo ſei-
ne Pflicht erkennen kan, nach dem Ausſpru-
che Chriſti Matth. 7, 12. Alles, was ihr
wollet, daß euch die Leute thun ſollen,
das thut ihr ihnen. Das iſt das Geſetz
und die Propheten.
γ. Weil
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