Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite
Richtige und erbauliche Cap. 4. v. 11. 12.
[Spaltenumbruch] unschuldige Worte verkehret, auch die un-
behutsamen für irrige hält, und alles, was
einen guten Verstand haben, oder doch
nach der Liebe entschuldiget werden kan, aufs
ärgste deutet.

2. Dieses Afterreden nennet der Apostel
auch ein richten, weil sich der Mensch dadurch
zum Richter über andere aufwirft, und nicht
allein einen unbestelleten, sondern auch einen
partheyischen, ungütigen und ungerechten Rich-
ter abgiebt, der Unschuldige verdammet, und
Schuldigen Recht spricht, und nach seinen Af-
fect
en urtheilet. Welchen Richtern unser Hey-
land eine nachdrückliche Lection lieset, wenn er
Matth. 7, 1-5. spricht: Richtet nicht, auf-
daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit
welcherley Gericht ihr richtet, werdet
ihr gerichtet werden, und mit welcherley
Maß ihr messet, wird euch gemessen
werden. Was siehest du aber den Split-
ter in deines Bruders Auge, und wirst
nicht gewahr des Balcken in deinem Au-
ge? Oder wie darfst du sagen zu deinem
Bruder: halt! ich will dir den Splitter
aus deinem Auge ziehen, und siehe, ein
Balcke ist in deinem Auge. Du Heuchler,
zeuch am ersten den Balcken aus deinem
Auge, darnach besiehe, wie du den Split-
ter aus deines Bruders Auge ziehest!

3. Nun aber fraget sich: wie denn gesaget
werden könne, daß der, wer seinem Bruder af-
terredet, und ihn urtheilet, dem Gesetz after-
rede und es urtheile?
diß geschiehet auf man-
cherley Art. Uberhaupt kan man sagen, der
Apostel zeige damit eine Mißhandlung an wider
das Gesetz des achten Gebots, 2 B. Mos. 20, 16.
3 B. Mos. 19, 16. und bezeichne solche mit den
von der Versündigung wider den Nächsten ge-
brauchten Worten des afterredens und rich-
tens.
Doch daß diese dabey auch ihren Nach-
druck behalten; sintemal man sich dabey auf
mancherley Art zu vergehen pfleget: wenn man
nemlich das verwirft, was das Gesetz nicht ver-
dammet, ja billiget; und hingegen das gut heis-
set und lobet, was das Gesetz als Sünde bestra-
fet und verdammet: womit in der That das Ge-
setz selbst der Unrichtigkeit beschuldiget wird. Fer-
ner wenn man einem gewisse Menschen-Satzun-
gen, wie ein göttliches Gebot aufdringet, und,
wenn man solchen nicht nachlebet, ihn für einen
Ubertreter hält, und damit in der That selbst
das göttliche Gesetz zu seinem Nachtheil für un-
vollkommen erkläret. Jmgleichen wenn einer
mit afterreden und falschen richten dasjenige
thut, was doch das Gesetz verboten hat, und
doch nicht will unrecht gethan haben, so ist diß
eben soviel, als mißbillige er am Gesetz solches
Verbot, als unrecht. Wodurch sich denn ein
Mensch, als ein Richter über das Gesetz, nach
welchem er handeln solte, mit seiner frechen
Ubertretung hinweg setzet, und GOTT in sein
Richter-Amt greifet.

4. Es ist nicht zu sagen, wie gemein die
Sünde des Afterredens sey, und wie leicht man
dahin verfallen könne, daß man sie, wo nicht
[Spaltenumbruch] auf eine grobe, doch auf eine subtile Art begehe.
Nichts gemeiners ist unter andern in den ge-
wöhnlichen Visiten, oder Besuchungen, wel-
che in grössern Städten von mehrentheils müßi-
gen Leuten, als guten Freunden unter einander,
abgeleget werden. Denn weil man einige Zeit
bey einander bleibet, und doch etwas geredet
werden muß, von etwas guten aber zur Erbau-
ung zu reden das vom guten leere und hingegen
vom bösen erfüllete Hertz keine Lust hat; so muß
der Nächste herhalten und durchgenommen wer-
den. Da man doch dencken solte: was ihr wol-
let, das die Leute euch nicht thun sollen, das thut
ihr auch ihnen nicht. Man hat sich demnach
wider diese so gemeine Sünde zuvorderst mit dem
Grunde der Wahrheit und Liebe, und denn
auch mit einem oft wiederholten Vorsatze davor
zu hüten, wohl zu waffnen, sonderlich so oft
man mit andern bey Zuspruchen zu reden
kömmt.

V. 12.

Es ist ein einiger Gesetzgeber, (und
also auch der Allerhöchste, von dem alle mensch-
liche gute Gesetzgeber in ihren guten Gesetzen ihre
Auctorität haben,) der kan selig machen und
verdammen,
(also daß er dazu nicht allein das
Recht, sondern auch die Macht hat.) Wer bist
du
(gegen GOtt) der du einen andern ur-
theilest,
(also daß du ihn ohne Grund verdam-
mest, oder dieses und jenes aus Argwohn, oder
Haß, übel deutest, und damit GOTT in sein
Richter-Amt greifest?

Anmerckungen.

1. Die Christliche Religion hat an dem
Moral-Gesetze, davon der Apostel alhier eigent-
lich redet, ein vollkommnes Recht der Natur und
ein solches Systema der Sitten-Lehre, dagegen
das, was man ausser der heiligen Schrift davon
erkennet, nur ein Schatten ist. Jst nun das in
der menschlichen Natur noch übrig gebliebene
Licht und Recht der Natur von GOTT, dem
Schöpfer der Natur, so ist vielmehr das auf
dem Berge Sinai promulgirte und in der gan-
tzen heiligen Schrift erklärte Sitten-Gesetz von
GOtt: und folglich hat die Christliche Religion
daran einen herrlichen Character von ihrem
göttlichen Ursprunge und von ihrer Vortref-
lichkeit.

2. Da GOtt der einige Gesetzgeber ist, sein
Gesetz auch über alles gehet, so sind billig alle
menschliche Gesetze also einzurichten, daß sie den
Principiis seines allgemeinen Gesetzes, und folg-
lich auch dem Rechte der Natur, also gemäß sind,
daß sie dagegen nicht streiten. Dannenhero die
hohen Gesetzgeber unter Menschen ihre Gesetze,
ehe sie dieselbe promulgiren, nach dieser Richt-
schnur wohl zu prüfen haben. Geschiehet es
nicht, so haben sie es vor GOTT zu verant-
worten.

3. Je mehr menschliche Gesetzgeber ihre
Gesetze nach dem göttlichen einrichten, ie mehr ge-
winnen sie damit zum Gehorsam. Denn ie nä-
her sie dem göttlichen Gesetze kommen, ie mehr

ver-
Richtige und erbauliche Cap. 4. v. 11. 12.
[Spaltenumbruch] unſchuldige Worte verkehret, auch die un-
behutſamen fuͤr irrige haͤlt, und alles, was
einen guten Verſtand haben, oder doch
nach der Liebe entſchuldiget werden kan, aufs
aͤrgſte deutet.

2. Dieſes Afterreden nennet der Apoſtel
auch ein richten, weil ſich der Menſch dadurch
zum Richter uͤber andere aufwirft, und nicht
allein einen unbeſtelleten, ſondern auch einen
partheyiſchen, unguͤtigen und ungerechten Rich-
ter abgiebt, der Unſchuldige verdammet, und
Schuldigen Recht ſpricht, und nach ſeinen Af-
fect
en urtheilet. Welchen Richtern unſer Hey-
land eine nachdruͤckliche Lection lieſet, wenn er
Matth. 7, 1-5. ſpricht: Richtet nicht, auf-
daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit
welcherley Gericht ihr richtet, werdet
ihr gerichtet werden, und mit welcherley
Maß ihr meſſet, wird euch gemeſſen
werden. Was ſieheſt du aber den Split-
ter in deines Bruders Auge, und wirſt
nicht gewahr des Balcken in deinem Au-
ge? Oder wie darfſt du ſagen zu deinem
Bruder: halt! ich will dir den Splitter
aus deinem Auge ziehen, und ſiehe, ein
Balcke iſt in deinem Auge. Du Heuchler,
zeuch am erſten den Balcken aus deinem
Auge, darnach beſiehe, wie du den Split-
ter aus deines Bruders Auge zieheſt!

3. Nun aber fraget ſich: wie denn geſaget
werden koͤnne, daß der, wer ſeinem Bruder af-
terredet, und ihn urtheilet, dem Geſetz after-
rede und es urtheile?
diß geſchiehet auf man-
cherley Art. Uberhaupt kan man ſagen, der
Apoſtel zeige damit eine Mißhandlung an wider
das Geſetz des achten Gebots, 2 B. Moſ. 20, 16.
3 B. Moſ. 19, 16. und bezeichne ſolche mit den
von der Verſuͤndigung wider den Naͤchſten ge-
brauchten Worten des afterredens und rich-
tens.
Doch daß dieſe dabey auch ihren Nach-
druck behalten; ſintemal man ſich dabey auf
mancherley Art zu vergehen pfleget: wenn man
nemlich das verwirft, was das Geſetz nicht ver-
dammet, ja billiget; und hingegen das gut heiſ-
ſet und lobet, was das Geſetz als Suͤnde beſtra-
fet und verdammet: womit in der That das Ge-
ſetz ſelbſt der Unrichtigkeit beſchuldiget wird. Fer-
ner wenn man einem gewiſſe Menſchen-Satzun-
gen, wie ein goͤttliches Gebot aufdringet, und,
wenn man ſolchen nicht nachlebet, ihn fuͤr einen
Ubertreter haͤlt, und damit in der That ſelbſt
das goͤttliche Geſetz zu ſeinem Nachtheil fuͤr un-
vollkommen erklaͤret. Jmgleichen wenn einer
mit afterreden und falſchen richten dasjenige
thut, was doch das Geſetz verboten hat, und
doch nicht will unrecht gethan haben, ſo iſt diß
eben ſoviel, als mißbillige er am Geſetz ſolches
Verbot, als unrecht. Wodurch ſich denn ein
Menſch, als ein Richter uͤber das Geſetz, nach
welchem er handeln ſolte, mit ſeiner frechen
Ubertretung hinweg ſetzet, und GOTT in ſein
Richter-Amt greifet.

4. Es iſt nicht zu ſagen, wie gemein die
Suͤnde des Afterredens ſey, und wie leicht man
dahin verfallen koͤnne, daß man ſie, wo nicht
[Spaltenumbruch] auf eine grobe, doch auf eine ſubtile Art begehe.
Nichts gemeiners iſt unter andern in den ge-
woͤhnlichen Viſiten, oder Beſuchungen, wel-
che in groͤſſern Staͤdten von mehrentheils muͤßi-
gen Leuten, als guten Freunden unter einander,
abgeleget werden. Denn weil man einige Zeit
bey einander bleibet, und doch etwas geredet
werden muß, von etwas guten aber zur Erbau-
ung zu reden das vom guten leere und hingegen
vom boͤſen erfuͤllete Hertz keine Luſt hat; ſo muß
der Naͤchſte herhalten und durchgenommen wer-
den. Da man doch dencken ſolte: was ihr wol-
let, das die Leute euch nicht thun ſollen, das thut
ihr auch ihnen nicht. Man hat ſich demnach
wider dieſe ſo gemeine Suͤnde zuvorderſt mit dem
Grunde der Wahrheit und Liebe, und denn
auch mit einem oft wiederholten Vorſatze davor
zu huͤten, wohl zu waffnen, ſonderlich ſo oft
man mit andern bey Zuſpruchen zu reden
koͤmmt.

V. 12.

Es iſt ein einiger Geſetzgeber, (und
alſo auch der Allerhoͤchſte, von dem alle menſch-
liche gute Geſetzgeber in ihren guten Geſetzen ihre
Auctoritaͤt haben,) der kan ſelig machen und
verdammen,
(alſo daß er dazu nicht allein das
Recht, ſondern auch die Macht hat.) Wer biſt
du
(gegen GOtt) der du einen andern ur-
theileſt,
(alſo daß du ihn ohne Grund verdam-
meſt, oder dieſes und jenes aus Argwohn, oder
Haß, uͤbel deuteſt, und damit GOTT in ſein
Richter-Amt greifeſt?

Anmerckungen.

1. Die Chriſtliche Religion hat an dem
Moral-Geſetze, davon der Apoſtel alhier eigent-
lich redet, ein vollkommnes Recht der Natur und
ein ſolches Syſtema der Sitten-Lehre, dagegen
das, was man auſſer der heiligen Schrift davon
erkennet, nur ein Schatten iſt. Jſt nun das in
der menſchlichen Natur noch uͤbrig gebliebene
Licht und Recht der Natur von GOTT, dem
Schoͤpfer der Natur, ſo iſt vielmehr das auf
dem Berge Sinai promulgirte und in der gan-
tzen heiligen Schrift erklaͤrte Sitten-Geſetz von
GOtt: und folglich hat die Chriſtliche Religion
daran einen herrlichen Character von ihrem
goͤttlichen Urſprunge und von ihrer Vortref-
lichkeit.

2. Da GOtt der einige Geſetzgeber iſt, ſein
Geſetz auch uͤber alles gehet, ſo ſind billig alle
menſchliche Geſetze alſo einzurichten, daß ſie den
Principiis ſeines allgemeinen Geſetzes, und folg-
lich auch dem Rechte der Natur, alſo gemaͤß ſind,
daß ſie dagegen nicht ſtreiten. Dannenhero die
hohen Geſetzgeber unter Menſchen ihre Geſetze,
ehe ſie dieſelbe promulgiren, nach dieſer Richt-
ſchnur wohl zu pruͤfen haben. Geſchiehet es
nicht, ſo haben ſie es vor GOTT zu verant-
worten.

3. Je mehr menſchliche Geſetzgeber ihre
Geſetze nach dem goͤttlichen einrichten, ie mehr ge-
winnen ſie damit zum Gehorſam. Denn ie naͤ-
her ſie dem goͤttlichen Geſetze kommen, ie mehr

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item><pb facs="#f0480" n="478"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Richtige und erbauliche Cap. 4. v. 11. 12.</hi></fw><lb/><cb/>
un&#x017F;chuldige Worte verkehret, auch die un-<lb/>
behut&#x017F;amen fu&#x0364;r irrige ha&#x0364;lt, und alles, was<lb/>
einen guten Ver&#x017F;tand haben, oder doch<lb/>
nach der Liebe ent&#x017F;chuldiget werden kan, aufs<lb/>
a&#x0364;rg&#x017F;te deutet.</item>
              </list><lb/>
              <p>2. Die&#x017F;es <hi rendition="#fr">Afterreden</hi> nennet der Apo&#x017F;tel<lb/>
auch ein <hi rendition="#fr">richten,</hi> weil &#x017F;ich der Men&#x017F;ch dadurch<lb/>
zum <hi rendition="#fr">Richter</hi> u&#x0364;ber andere aufwirft, und nicht<lb/>
allein einen unbe&#x017F;telleten, &#x017F;ondern auch einen<lb/>
partheyi&#x017F;chen, ungu&#x0364;tigen und ungerechten Rich-<lb/>
ter abgiebt, der Un&#x017F;chuldige verdammet, und<lb/>
Schuldigen Recht &#x017F;pricht, und nach &#x017F;einen <hi rendition="#aq">Af-<lb/>
fect</hi>en urtheilet. Welchen Richtern un&#x017F;er Hey-<lb/>
land eine nachdru&#x0364;ckliche <hi rendition="#aq">Lection</hi> lie&#x017F;et, wenn er<lb/>
Matth. 7, 1-5. &#x017F;pricht: <hi rendition="#fr">Richtet nicht, auf-<lb/>
daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit<lb/>
welcherley Gericht ihr richtet, werdet<lb/>
ihr gerichtet werden, und mit welcherley<lb/>
Maß ihr me&#x017F;&#x017F;et, wird euch geme&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden. Was &#x017F;iehe&#x017F;t du aber den Split-<lb/>
ter in deines Bruders Auge, und wir&#x017F;t<lb/>
nicht gewahr des Balcken in deinem Au-<lb/>
ge? Oder wie darf&#x017F;t du &#x017F;agen zu deinem<lb/>
Bruder: halt! ich will dir den Splitter<lb/>
aus deinem Auge ziehen, und &#x017F;iehe, ein<lb/>
Balcke i&#x017F;t in deinem Auge. Du Heuchler,<lb/>
zeuch am er&#x017F;ten den Balcken aus deinem<lb/>
Auge, darnach be&#x017F;iehe, wie du den Split-<lb/>
ter aus deines Bruders Auge ziehe&#x017F;t!</hi></p><lb/>
              <p>3. Nun aber fraget &#x017F;ich: wie denn ge&#x017F;aget<lb/>
werden ko&#x0364;nne, daß der, wer &#x017F;einem Bruder af-<lb/>
terredet, und ihn urtheilet, <hi rendition="#fr">dem Ge&#x017F;etz after-<lb/>
rede und es urtheile?</hi> diß ge&#x017F;chiehet auf man-<lb/>
cherley Art. Uberhaupt kan man &#x017F;agen, der<lb/>
Apo&#x017F;tel zeige damit eine Mißhandlung an wider<lb/>
das Ge&#x017F;etz des achten Gebots, 2 B. Mo&#x017F;. 20, 16.<lb/>
3 B. Mo&#x017F;. 19, 16. und bezeichne &#x017F;olche mit den<lb/>
von der Ver&#x017F;u&#x0364;ndigung wider den Na&#x0364;ch&#x017F;ten ge-<lb/>
brauchten Worten des <hi rendition="#fr">afterredens</hi> und <hi rendition="#fr">rich-<lb/>
tens.</hi> Doch daß die&#x017F;e dabey auch ihren Nach-<lb/>
druck behalten; &#x017F;intemal man &#x017F;ich dabey auf<lb/>
mancherley Art zu vergehen pfleget: wenn man<lb/>
nemlich das verwirft, was das Ge&#x017F;etz nicht ver-<lb/>
dammet, ja billiget; und hingegen das gut hei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et und lobet, was das Ge&#x017F;etz als Su&#x0364;nde be&#x017F;tra-<lb/>
fet und verdammet: womit in der That das Ge-<lb/>
&#x017F;etz &#x017F;elb&#x017F;t der Unrichtigkeit be&#x017F;chuldiget wird. Fer-<lb/>
ner wenn man einem gewi&#x017F;&#x017F;e Men&#x017F;chen-Satzun-<lb/>
gen, wie ein go&#x0364;ttliches Gebot aufdringet, und,<lb/>
wenn man &#x017F;olchen nicht nachlebet, ihn fu&#x0364;r einen<lb/>
Ubertreter ha&#x0364;lt, und damit in der That &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das go&#x0364;ttliche Ge&#x017F;etz zu &#x017F;einem Nachtheil fu&#x0364;r un-<lb/>
vollkommen erkla&#x0364;ret. Jmgleichen wenn einer<lb/>
mit afterreden und fal&#x017F;chen richten dasjenige<lb/>
thut, was doch das Ge&#x017F;etz verboten hat, und<lb/>
doch nicht will unrecht gethan haben, &#x017F;o i&#x017F;t diß<lb/>
eben &#x017F;oviel, als mißbillige er am Ge&#x017F;etz &#x017F;olches<lb/>
Verbot, als unrecht. Wodurch &#x017F;ich denn ein<lb/>
Men&#x017F;ch, als ein Richter u&#x0364;ber das Ge&#x017F;etz, nach<lb/>
welchem er handeln &#x017F;olte, mit &#x017F;einer frechen<lb/>
Ubertretung hinweg &#x017F;etzet, und GOTT in &#x017F;ein<lb/>
Richter-Amt greifet.</p><lb/>
              <p>4. Es i&#x017F;t nicht zu &#x017F;agen, wie gemein die<lb/>
Su&#x0364;nde des Afterredens &#x017F;ey, und wie leicht man<lb/>
dahin verfallen ko&#x0364;nne, daß man &#x017F;ie, wo nicht<lb/><cb/>
auf eine grobe, doch auf eine <hi rendition="#aq">&#x017F;ubtil</hi>e Art begehe.<lb/>
Nichts gemeiners i&#x017F;t unter andern in den ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlichen <hi rendition="#aq">Vi&#x017F;it</hi>en, oder Be&#x017F;uchungen, wel-<lb/>
che in gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Sta&#x0364;dten von mehrentheils mu&#x0364;ßi-<lb/>
gen Leuten, als guten Freunden unter einander,<lb/>
abgeleget werden. Denn weil man einige Zeit<lb/>
bey einander bleibet, und doch etwas geredet<lb/>
werden muß, von etwas guten aber zur Erbau-<lb/>
ung zu reden das vom guten leere und hingegen<lb/>
vom bo&#x0364;&#x017F;en erfu&#x0364;llete Hertz keine Lu&#x017F;t hat; &#x017F;o muß<lb/>
der Na&#x0364;ch&#x017F;te herhalten und durchgenommen wer-<lb/>
den. Da man doch dencken &#x017F;olte: was ihr wol-<lb/>
let, das die Leute euch nicht thun &#x017F;ollen, das thut<lb/>
ihr auch ihnen nicht. Man hat &#x017F;ich demnach<lb/>
wider die&#x017F;e &#x017F;o gemeine Su&#x0364;nde zuvorder&#x017F;t mit dem<lb/>
Grunde der Wahrheit und Liebe, und denn<lb/>
auch mit einem oft wiederholten Vor&#x017F;atze davor<lb/>
zu hu&#x0364;ten, wohl zu waffnen, &#x017F;onderlich &#x017F;o oft<lb/>
man mit andern bey Zu&#x017F;pruchen zu reden<lb/>
ko&#x0364;mmt.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">V. 12.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Es i&#x017F;t ein einiger Ge&#x017F;etzgeber,</hi> (und<lb/>
al&#x017F;o auch der Allerho&#x0364;ch&#x017F;te, von dem alle men&#x017F;ch-<lb/>
liche gute Ge&#x017F;etzgeber in ihren guten Ge&#x017F;etzen ihre<lb/><hi rendition="#aq">Auctori</hi>ta&#x0364;t haben,) <hi rendition="#fr">der kan &#x017F;elig machen und<lb/>
verdammen,</hi> (al&#x017F;o daß er dazu nicht allein das<lb/>
Recht, &#x017F;ondern auch die Macht hat.) <hi rendition="#fr">Wer bi&#x017F;t<lb/>
du</hi> (gegen GOtt) <hi rendition="#fr">der du einen andern ur-<lb/>
theile&#x017F;t,</hi> (al&#x017F;o daß du ihn ohne Grund verdam-<lb/>
me&#x017F;t, oder die&#x017F;es und jenes aus Argwohn, oder<lb/>
Haß, u&#x0364;bel deute&#x017F;t, und damit GOTT in &#x017F;ein<lb/>
Richter-Amt greife&#x017F;t?</p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Die Chri&#x017F;tliche Religion hat an dem<lb/><hi rendition="#aq">Moral-</hi>Ge&#x017F;etze, davon der Apo&#x017F;tel alhier eigent-<lb/>
lich redet, ein vollkommnes Recht der Natur und<lb/>
ein &#x017F;olches <hi rendition="#aq">Sy&#x017F;tema</hi> der Sitten-Lehre, dagegen<lb/>
das, was man au&#x017F;&#x017F;er der heiligen Schrift davon<lb/>
erkennet, nur ein Schatten i&#x017F;t. J&#x017F;t nun das in<lb/>
der men&#x017F;chlichen Natur noch u&#x0364;brig gebliebene<lb/>
Licht und Recht der Natur von GOTT, dem<lb/>
Scho&#x0364;pfer der Natur, &#x017F;o i&#x017F;t vielmehr das auf<lb/>
dem Berge Sinai <hi rendition="#aq">promulgir</hi>te und in der gan-<lb/>
tzen heiligen Schrift erkla&#x0364;rte Sitten-Ge&#x017F;etz von<lb/>
GOtt: und folglich hat die Chri&#x017F;tliche Religion<lb/>
daran einen herrlichen <hi rendition="#aq">Character</hi> von ihrem<lb/>
go&#x0364;ttlichen Ur&#x017F;prunge und von ihrer Vortref-<lb/>
lichkeit.</p><lb/>
              <p>2. Da GOtt der einige Ge&#x017F;etzgeber i&#x017F;t, &#x017F;ein<lb/>
Ge&#x017F;etz auch u&#x0364;ber alles gehet, &#x017F;o &#x017F;ind billig alle<lb/>
men&#x017F;chliche Ge&#x017F;etze al&#x017F;o einzurichten, daß &#x017F;ie den<lb/><hi rendition="#aq">Principiis</hi> &#x017F;eines allgemeinen Ge&#x017F;etzes, und folg-<lb/>
lich auch dem Rechte der Natur, al&#x017F;o gema&#x0364;ß &#x017F;ind,<lb/>
daß &#x017F;ie dagegen nicht &#x017F;treiten. Dannenhero die<lb/>
hohen Ge&#x017F;etzgeber unter Men&#x017F;chen ihre Ge&#x017F;etze,<lb/>
ehe &#x017F;ie die&#x017F;elbe <hi rendition="#aq">promulgir</hi>en, nach die&#x017F;er Richt-<lb/>
&#x017F;chnur wohl zu pru&#x0364;fen haben. Ge&#x017F;chiehet es<lb/>
nicht, &#x017F;o haben &#x017F;ie es vor GOTT zu verant-<lb/>
worten.</p><lb/>
              <p>3. Je mehr men&#x017F;chliche Ge&#x017F;etzgeber ihre<lb/>
Ge&#x017F;etze nach dem go&#x0364;ttlichen einrichten, ie mehr ge-<lb/>
winnen &#x017F;ie damit zum Gehor&#x017F;am. Denn ie na&#x0364;-<lb/>
her &#x017F;ie dem go&#x0364;ttlichen Ge&#x017F;etze kommen, ie mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0480] Richtige und erbauliche Cap. 4. v. 11. 12. unſchuldige Worte verkehret, auch die un- behutſamen fuͤr irrige haͤlt, und alles, was einen guten Verſtand haben, oder doch nach der Liebe entſchuldiget werden kan, aufs aͤrgſte deutet. 2. Dieſes Afterreden nennet der Apoſtel auch ein richten, weil ſich der Menſch dadurch zum Richter uͤber andere aufwirft, und nicht allein einen unbeſtelleten, ſondern auch einen partheyiſchen, unguͤtigen und ungerechten Rich- ter abgiebt, der Unſchuldige verdammet, und Schuldigen Recht ſpricht, und nach ſeinen Af- fecten urtheilet. Welchen Richtern unſer Hey- land eine nachdruͤckliche Lection lieſet, wenn er Matth. 7, 1-5. ſpricht: Richtet nicht, auf- daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherley Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welcherley Maß ihr meſſet, wird euch gemeſſen werden. Was ſieheſt du aber den Split- ter in deines Bruders Auge, und wirſt nicht gewahr des Balcken in deinem Au- ge? Oder wie darfſt du ſagen zu deinem Bruder: halt! ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und ſiehe, ein Balcke iſt in deinem Auge. Du Heuchler, zeuch am erſten den Balcken aus deinem Auge, darnach beſiehe, wie du den Split- ter aus deines Bruders Auge zieheſt! 3. Nun aber fraget ſich: wie denn geſaget werden koͤnne, daß der, wer ſeinem Bruder af- terredet, und ihn urtheilet, dem Geſetz after- rede und es urtheile? diß geſchiehet auf man- cherley Art. Uberhaupt kan man ſagen, der Apoſtel zeige damit eine Mißhandlung an wider das Geſetz des achten Gebots, 2 B. Moſ. 20, 16. 3 B. Moſ. 19, 16. und bezeichne ſolche mit den von der Verſuͤndigung wider den Naͤchſten ge- brauchten Worten des afterredens und rich- tens. Doch daß dieſe dabey auch ihren Nach- druck behalten; ſintemal man ſich dabey auf mancherley Art zu vergehen pfleget: wenn man nemlich das verwirft, was das Geſetz nicht ver- dammet, ja billiget; und hingegen das gut heiſ- ſet und lobet, was das Geſetz als Suͤnde beſtra- fet und verdammet: womit in der That das Ge- ſetz ſelbſt der Unrichtigkeit beſchuldiget wird. Fer- ner wenn man einem gewiſſe Menſchen-Satzun- gen, wie ein goͤttliches Gebot aufdringet, und, wenn man ſolchen nicht nachlebet, ihn fuͤr einen Ubertreter haͤlt, und damit in der That ſelbſt das goͤttliche Geſetz zu ſeinem Nachtheil fuͤr un- vollkommen erklaͤret. Jmgleichen wenn einer mit afterreden und falſchen richten dasjenige thut, was doch das Geſetz verboten hat, und doch nicht will unrecht gethan haben, ſo iſt diß eben ſoviel, als mißbillige er am Geſetz ſolches Verbot, als unrecht. Wodurch ſich denn ein Menſch, als ein Richter uͤber das Geſetz, nach welchem er handeln ſolte, mit ſeiner frechen Ubertretung hinweg ſetzet, und GOTT in ſein Richter-Amt greifet. 4. Es iſt nicht zu ſagen, wie gemein die Suͤnde des Afterredens ſey, und wie leicht man dahin verfallen koͤnne, daß man ſie, wo nicht auf eine grobe, doch auf eine ſubtile Art begehe. Nichts gemeiners iſt unter andern in den ge- woͤhnlichen Viſiten, oder Beſuchungen, wel- che in groͤſſern Staͤdten von mehrentheils muͤßi- gen Leuten, als guten Freunden unter einander, abgeleget werden. Denn weil man einige Zeit bey einander bleibet, und doch etwas geredet werden muß, von etwas guten aber zur Erbau- ung zu reden das vom guten leere und hingegen vom boͤſen erfuͤllete Hertz keine Luſt hat; ſo muß der Naͤchſte herhalten und durchgenommen wer- den. Da man doch dencken ſolte: was ihr wol- let, das die Leute euch nicht thun ſollen, das thut ihr auch ihnen nicht. Man hat ſich demnach wider dieſe ſo gemeine Suͤnde zuvorderſt mit dem Grunde der Wahrheit und Liebe, und denn auch mit einem oft wiederholten Vorſatze davor zu huͤten, wohl zu waffnen, ſonderlich ſo oft man mit andern bey Zuſpruchen zu reden koͤmmt. V. 12. Es iſt ein einiger Geſetzgeber, (und alſo auch der Allerhoͤchſte, von dem alle menſch- liche gute Geſetzgeber in ihren guten Geſetzen ihre Auctoritaͤt haben,) der kan ſelig machen und verdammen, (alſo daß er dazu nicht allein das Recht, ſondern auch die Macht hat.) Wer biſt du (gegen GOtt) der du einen andern ur- theileſt, (alſo daß du ihn ohne Grund verdam- meſt, oder dieſes und jenes aus Argwohn, oder Haß, uͤbel deuteſt, und damit GOTT in ſein Richter-Amt greifeſt? Anmerckungen. 1. Die Chriſtliche Religion hat an dem Moral-Geſetze, davon der Apoſtel alhier eigent- lich redet, ein vollkommnes Recht der Natur und ein ſolches Syſtema der Sitten-Lehre, dagegen das, was man auſſer der heiligen Schrift davon erkennet, nur ein Schatten iſt. Jſt nun das in der menſchlichen Natur noch uͤbrig gebliebene Licht und Recht der Natur von GOTT, dem Schoͤpfer der Natur, ſo iſt vielmehr das auf dem Berge Sinai promulgirte und in der gan- tzen heiligen Schrift erklaͤrte Sitten-Geſetz von GOtt: und folglich hat die Chriſtliche Religion daran einen herrlichen Character von ihrem goͤttlichen Urſprunge und von ihrer Vortref- lichkeit. 2. Da GOtt der einige Geſetzgeber iſt, ſein Geſetz auch uͤber alles gehet, ſo ſind billig alle menſchliche Geſetze alſo einzurichten, daß ſie den Principiis ſeines allgemeinen Geſetzes, und folg- lich auch dem Rechte der Natur, alſo gemaͤß ſind, daß ſie dagegen nicht ſtreiten. Dannenhero die hohen Geſetzgeber unter Menſchen ihre Geſetze, ehe ſie dieſelbe promulgiren, nach dieſer Richt- ſchnur wohl zu pruͤfen haben. Geſchiehet es nicht, ſo haben ſie es vor GOTT zu verant- worten. 3. Je mehr menſchliche Geſetzgeber ihre Geſetze nach dem goͤttlichen einrichten, ie mehr ge- winnen ſie damit zum Gehorſam. Denn ie naͤ- her ſie dem goͤttlichen Geſetze kommen, ie mehr ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/480
Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/480>, abgerufen am 13.06.2024.