Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Cap. 4. v. 8-11. Erklärung des Briefes Jacobi. [Spaltenumbruch]
trifft, in einem gesegneten Zustande gewesen sey;andern theils aber, daß es ihr auch an sehr vielen Gebrechen und Mängeln bey ihrer gantzen Ver- fassung und bey vielen Gliedern gar nicht gefehlet habe. Welches letztere dazu dienet, daß man lerne mit dem Zustande der itzigen Evangelischen Kirche Geduld haben, und sich an ihren so vielen Gebrechen so sehr nicht stosse. Welches sonder- lich diejenigen wohl zu mercken haben, welche, da sie an ihrem Theile was bessers erkennen, und ihrer Erkenntniß auch in der That getreulich nachzukommen suchen, sich an dem Verfall der Kirche so sehr ärgern, daß sie sich aller Gemein- schaft derselben entziehen, dadurch aber nicht al- lein bey andern nichts bessern und bauen, sondern sich auch selbst mancher Versuchung exponiren. 2. Man hat hierbey die Worte unsers V. 10. Demüthiget euch vor GOtt, so wird Anmerckungen. 1. Die wahre Demuth unter und vor 2. Die Erhöhung der sich selbst demüthi- 3. Was der Apostel vorher v. 6. genennet 4. Es ist diese Apostolische Ermahnung V. 11. Afterredet nicht unter einander, lie- Anmerckungen. 1. Afterreden, katalalein, ist sich wider den a. Wenn man ihm etwas fälschlich zuschreibet, davon man gar keinen Grund hat. b. Wenn man von einer Sache zwar einigen, aber doch noch keinen solchen Grund hat, der gewiß und hinlänglich ist, und doch in der Ungewißheit davon zu seinem Nachtheil ur- theilet. c. Wenn man zu einer Sache bald dieses hinzu setzet, bald jenes davon thut, oder verschwei- get, bald auch diß und das verändert, oder anders erzehlet, als es sich verhält. d. Wenn man eine Sache grösser machet, als sie ist, und nicht auf die Umstände siehet, wel- che dem Nächsten dabey, wo nicht zur völligen, doch zu einiger, Entschuldigung dienen. e. Wenn man aus dem, was nur einigen bösen Schein hat und giebet, gleich das Böse selbst ohne alle Liebe schliesset. f. Wenn man aus des Nächsten Thun und Las- sen, auch Worten, solche Schlüsse machet, die entweder gar nicht daraus folgen, oder die er doch gar nicht intendiret hat. g. Wenn man das, was aus Unwissenheit des Verstandes, oder aus Schwachheit des Wil- lens, und aus Ubereilung ein und das andere mal geschehen, und wol schon gebessert ist, ei- ner Bosheit und einer Gewohnheit zuschrei- bet. h. Wenn man das, was verborgen war, und verborgen würde geblieben seyn, und ohne Aer- gerniß nicht kan kund gemachet, aber mit gu- tem Gewissen konte verschwiegen werden, andern offenbaret, und damit erst ein Aerger- niß anrichtet. i. Wenn man auch das gute an einem tadelt, und übel ausleget, und alles besser wissen und machen will, als ein anderer. k. Wenn man einem vorsetzlicher Weise seine unschul- O o o 3
Cap. 4. v. 8-11. Erklaͤrung des Briefes Jacobi. [Spaltenumbruch]
trifft, in einem geſegneten Zuſtande geweſen ſey;andern theils aber, daß es ihr auch an ſehr vielen Gebrechen und Maͤngeln bey ihrer gantzen Ver- faſſung und bey vielen Gliedern gar nicht gefehlet habe. Welches letztere dazu dienet, daß man lerne mit dem Zuſtande der itzigen Evangeliſchen Kirche Geduld haben, und ſich an ihren ſo vielen Gebrechen ſo ſehr nicht ſtoſſe. Welches ſonder- lich diejenigen wohl zu mercken haben, welche, da ſie an ihrem Theile was beſſers erkennen, und ihrer Erkenntniß auch in der That getreulich nachzukommen ſuchen, ſich an dem Verfall der Kirche ſo ſehr aͤrgern, daß ſie ſich aller Gemein- ſchaft derſelben entziehen, dadurch aber nicht al- lein bey andern nichts beſſern und bauen, ſondern ſich auch ſelbſt mancher Verſuchung exponiren. 2. Man hat hierbey die Worte unſers V. 10. Demuͤthiget euch vor GOtt, ſo wird Anmerckungen. 1. Die wahre Demuth unter und vor 2. Die Erhoͤhung der ſich ſelbſt demuͤthi- 3. Was der Apoſtel vorher v. 6. genennet 4. Es iſt dieſe Apoſtoliſche Ermahnung V. 11. Afterredet nicht unter einander, lie- Anmerckungen. 1. Afterreden, καταλαλεῖν, iſt ſich wider den a. Wenn man ihm etwas faͤlſchlich zuſchreibet, davon man gar keinen Grund hat. b. Wenn man von einer Sache zwar einigen, aber doch noch keinen ſolchen Grund hat, der gewiß und hinlaͤnglich iſt, und doch in der Ungewißheit davon zu ſeinem Nachtheil ur- theilet. c. Wenn man zu einer Sache bald dieſes hinzu ſetzet, bald jenes davon thut, oder verſchwei- get, bald auch diß und das veraͤndert, oder anders erzehlet, als es ſich verhaͤlt. d. Wenn man eine Sache groͤſſer machet, als ſie iſt, und nicht auf die Umſtaͤnde ſiehet, wel- che dem Naͤchſten dabey, wo nicht zur voͤlligen, doch zu einiger, Entſchuldigung dienen. e. Wenn man aus dem, was nur einigen boͤſen Schein hat und giebet, gleich das Boͤſe ſelbſt ohne alle Liebe ſchlieſſet. f. Wenn man aus des Naͤchſten Thun und Laſ- ſen, auch Worten, ſolche Schluͤſſe machet, die entweder gar nicht daraus folgen, oder die er doch gar nicht intendiret hat. g. Wenn man das, was aus Unwiſſenheit des Verſtandes, oder aus Schwachheit des Wil- lens, und aus Ubereilung ein und das andere mal geſchehen, und wol ſchon gebeſſert iſt, ei- ner Bosheit und einer Gewohnheit zuſchrei- bet. h. Wenn man das, was verborgen war, und verborgen wuͤrde geblieben ſeyn, und ohne Aer- gerniß nicht kan kund gemachet, aber mit gu- tem Gewiſſen konte verſchwiegen werden, andern offenbaret, und damit erſt ein Aerger- niß anrichtet. i. Wenn man auch das gute an einem tadelt, und uͤbel ausleget, und alles beſſer wiſſen und machen will, als ein anderer. k. Wenn man einem vorſetzlicher Weiſe ſeine unſchul- O o o 3
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Cap. 4. v. 8-11. Erklaͤrung des Briefes Jacobi.
trifft, in einem geſegneten Zuſtande geweſen ſey;
andern theils aber, daß es ihr auch an ſehr vielen
Gebrechen und Maͤngeln bey ihrer gantzen Ver-
faſſung und bey vielen Gliedern gar nicht gefehlet
habe. Welches letztere dazu dienet, daß man
lerne mit dem Zuſtande der itzigen Evangeliſchen
Kirche Geduld haben, und ſich an ihren ſo vielen
Gebrechen ſo ſehr nicht ſtoſſe. Welches ſonder-
lich diejenigen wohl zu mercken haben, welche,
da ſie an ihrem Theile was beſſers erkennen, und
ihrer Erkenntniß auch in der That getreulich
nachzukommen ſuchen, ſich an dem Verfall der
Kirche ſo ſehr aͤrgern, daß ſie ſich aller Gemein-
ſchaft derſelben entziehen, dadurch aber nicht al-
lein bey andern nichts beſſern und bauen, ſondern
ſich auch ſelbſt mancher Verſuchung exponiren.
2. Man hat hierbey die Worte unſers
Heylandes zu conferiren, wenn er Luc. 6, 24.
25. c. 2, 14. 15. ſaget: Wehe euch Reichen:
denn ihr habt euren Troſt dahin. We-
he euch, die ihr voll ſeyd: denn euch wird
hungern. Wehe euch, die ihr hier la-
chet: denn ihr werdet weinen und heulen.
Wehe euch, wenn euch iedermann wohl
redet. Desgleichen thaͤten ihre Vaͤter den
falſchen Propheten auch. Siehe auch Joel
2, 12. 2 Cor. 7, 8. 9. 10.
V. 10.
Demuͤthiget euch vor GOtt, ſo wird
er euch erhoͤhen.
Anmerckungen.
1. Die wahre Demuth unter und vor
GOtt beſtehet darinn, daß man ſein Elend buß-
fertig erkennet, und ſich in die von ihm ange-
wieſene Heyls-Ordnung bringen laͤſſet, auch
darinnen alſo verharret, daß man allwege ſeine
Dependentz von GOtt recht bedencke, und
ſich ſeiner gnaͤdigen Fuͤhrung uͤberlaſſe. Da hin-
gegen ſich ſelbſt fuͤhren, und nur ſeinem eignen
Willen folgen, und ſich dazu fuͤr klug und gut
genug halten, iſt, ſich wider und uͤber GOTT
erheben, welche ſtoltze Geiſter von GOtt gede-
muͤthiget werden.
2. Die Erhoͤhung der ſich ſelbſt demuͤthi-
genden beſtehet darinnen, daß ſie GOtt zu Gna-
den, ja zu ſeinen Kindern, annimmt, ja ſie zu
Reichsgenoſſen ſeines Sohnes, und folglich
ewig ſelig machet. 1 Joh. 3, 1. 2. 1 Pet. 2, 9.
Offenb. 1, 5. 6. c. 9. 10. u. ſ. w.
3. Was der Apoſtel vorher v. 6. genennet
hatte: den Demuͤthigen giebt er Gnade,
das nennet er alhier: er wird euch erhoͤhen.
Damit bezeuget wird, daß wir durch die De-
muͤthigung bey GOtt nichts verdienen, ſondern
daß ſie nur zur Ordnung der Erhoͤhung gehoͤre,
dieſe aber aus lauter Gnade geſchehe: imgleichen
daß die Mittheilung der Gnade GOttes nicht
allein geiſtliche Kraͤfte zum guten, ſondern
auch eine groſſe geiſtliche Wuͤrde im guten
mit ſich bringe.
4. Es iſt dieſe Apoſtoliſche Ermahnung
ſo viel mehr zu mercken, und ſoviel treuer zu ap-
pliciren, ſoviel nachdruͤcklicher ſie unſer Heyland
ſelbſt in ſeinem Munde gefuͤhret hat. Matth. 23,
12. Wer ſich ſelbſt erhoͤhet, der wird er-
niedriget werden: und wer ſich ſelbſt ernie-
driget der wird erhoͤhet werden. Deßglei-
chen Luc. 14, 11. c. 18, 14. Siehe auch Job. 22, 29.
Sprichw. 23, 29. Ezech. 17, 24. 1 Pet. 5, 5.
V. 11.
Afterredet nicht unter einander, lie-
ben Bruͤder. Wer ſeinem Bruder afterre-
det; und urtheilet ſeinen Bruder, (unguͤ-
tig, wider die Wahrheit und Liebe,) der after-
redet dem Geſetz, und urtheilet das Ge-
Geſetz, (als haͤtte daſſelbe, ja der Geſetzgeber
ſelbſt, dieſes und jenes, was doch der Bruder
mit Recht thut, oder unterlaͤßt, nicht mit Recht
geboten, oder verboten.) Urtheileſt du aber
das Geſetz, ſo biſt du nicht ein Thaͤter des
Geſetzes, (der ihm, und dem Geſetzgeber ſelbſt
ſich gehorſamlich unterwirft,) ſondern ein
Richter, (der ſich uͤber das Geſetz mit ſeinem
Urtheil erhebet und es meiſtert.)
Anmerckungen.
1. Afterreden, καταλαλεῖν, iſt ſich wider den
Naͤchſten mit urtheilen verſuͤndigen; welches
auf vielerley Art geſchiehet, als:
a. Wenn man ihm etwas faͤlſchlich zuſchreibet,
davon man gar keinen Grund hat.
b. Wenn man von einer Sache zwar einigen,
aber doch noch keinen ſolchen Grund hat, der
gewiß und hinlaͤnglich iſt, und doch in der
Ungewißheit davon zu ſeinem Nachtheil ur-
theilet.
c. Wenn man zu einer Sache bald dieſes hinzu
ſetzet, bald jenes davon thut, oder verſchwei-
get, bald auch diß und das veraͤndert, oder
anders erzehlet, als es ſich verhaͤlt.
d. Wenn man eine Sache groͤſſer machet, als
ſie iſt, und nicht auf die Umſtaͤnde ſiehet, wel-
che dem Naͤchſten dabey, wo nicht zur voͤlligen,
doch zu einiger, Entſchuldigung dienen.
e. Wenn man aus dem, was nur einigen boͤſen
Schein hat und giebet, gleich das Boͤſe ſelbſt
ohne alle Liebe ſchlieſſet.
f. Wenn man aus des Naͤchſten Thun und Laſ-
ſen, auch Worten, ſolche Schluͤſſe machet, die
entweder gar nicht daraus folgen, oder die er
doch gar nicht intendiret hat.
g. Wenn man das, was aus Unwiſſenheit des
Verſtandes, oder aus Schwachheit des Wil-
lens, und aus Ubereilung ein und das andere
mal geſchehen, und wol ſchon gebeſſert iſt, ei-
ner Bosheit und einer Gewohnheit zuſchrei-
bet.
h. Wenn man das, was verborgen war, und
verborgen wuͤrde geblieben ſeyn, und ohne Aer-
gerniß nicht kan kund gemachet, aber mit gu-
tem Gewiſſen konte verſchwiegen werden,
andern offenbaret, und damit erſt ein Aerger-
niß anrichtet.
i. Wenn man auch das gute an einem tadelt,
und uͤbel ausleget, und alles beſſer wiſſen
und machen will, als ein anderer.
k. Wenn man einem vorſetzlicher Weiſe ſeine
unſchul-
O o o 3
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