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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 2. v. 14-16. Erklärung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch] (ein solcher Werckloser Glaube) selig machen?
(keines weges.)

Anmerckungen.

1. Der Apostel siehet dem Verstande nach
noch zurück auf die Reichen, welche sich bey ih-
rer Lieblosigkeit, ja grossen Unbarmhertzigkeit,
des Glaubens an Christum gerühmet haben.
Da nun solches ein gantz falsches Vorgeben war,
so machet er alhier aus Veranlassung ihres Ex-
empels eine gemeine Regel von allen denen,
welche sich des Glaubens und der Seligkeit
fälschlich rühmten.

2. Es ist gantz offenbar, daß der Apostel
alhier rede nicht vom wahren Glauben, den ei-
ner hat, sondern den einer zu haben vorgiebet,
und nur saget; der aber falsch ist; und, daß er
nicht rechter Art, sondern nur lauter Einbil-
dung ist, wird daraus klar, daß er ohne seine
wesentliche Eigenschaften und unfehlbares Kenn-
zeichen der Wercke, oder der Liebe ist; als wo-
durch er sich thätig erweiset. Von der wahren
Natur des Glaubens soll hernach bey dem 17 den
Verse ein mehrers erinnert werden.

3. Was aber nun kein rechter Glaube ist,
das kan unmöglich selig machen. Denn da das
Seligmachen eigentlich zu verstehen ist von der
Ergreifung und Zueignung der schon erworbe-
nen Seligkeit; so kan ein eingebildeter Glaube
eben so wenig die Seligkeit in und mit der Ge-
rechtigkeit Christi ergreiffen, so wenig eine ver-
dorrete, oder gemahlete Hand eine Gabe zu sich
nehmen und sich zueignen kan.

4. Es ist kaum zusagen, wie gemein die
Jrrthümer sind, nach welchen einige zur Lincken,
andere zur Rechten von der Evangelischen
Haupt-Wahrheit, welche in der Erlösung und
Rechtfertigung bestehet, sich aufs äusserste ver-
gehen. Denn da wollen einige aus ihren eige-
nen Kräften sich zu ihrem ewigen Heyl helfen,
und verleugnen daher, oder verdunckeln doch,
und verfälschen die theure Lehre von der Genug-
thuung Christi und von der daher entstehenden
Rechtfertigung. Andere aber fallen zwar gar
häufig an diese Lehre; wollen aber dabey von
der rechten Ordnung, darinnen sie allein recht
erkannt und angenommen wird, nichts wissen,
oder verstehen sie doch gantz unrichtig, nemlich
die wahre Bekehrung zu GOtt und die tägliche
Erneuerung.

V. 15. 16.

So aber ein Bruder, oder Schwester
(gläubiger Christ, dem man doch, als einem
Glaubens-Genossen Gal. 5, 10. vor andern helf-
fen solte) bloß wäre und Mangel hätte der
täglichen Nahrung: und iemand unter
euch spräche zu ihnen: GOtt berathe euch

(Gr. gehet hin in Frieden, gebet euch zu frieden,
seyd gutes Muths,) wärmet euch, sättiget
euch
(behelfet euch mit dem, was ihr habet, das
ist, mit nichts:) gäbe ihnen aber nichts, was
des Leibes Nothdurft ist, was hülfe sie
das?
(und wo bliebe da der Glaube, da er so
lieblos wäre?)

[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.

1. Das Exempel, womit Jacobus das,
was er von dem lieblosen Glauben gesaget batte,
erläutert, giebt noch itzo aller Orten die tägliche
Erfahrung leider überflüßig an die Hand. Wie
verderbt die menschliche Natur durch die San-
de und wie allgemein das Verderben sey, siehet
man auch hieraus, daß unter allen Völckern,
auch denen, welche das Licht der göttlichen Of-
fenbarung unter sich haben, zu aller Zeit einerley
Sünden im Schwange gehn.

2. Ja viele Leute sind so unbarmhertzig,
und so rauh gegen die Armen, daß sie sich noch
härter erweisen, als also, wie es Jacobus alhier
beschreibet. Denn sie geben ihnen nicht einmal
gute Worte, sondern fahren sie aufs harteste
an: wodurch sie ihre Sünde gewiß so viel mehr
häufen.

3. Die Ausflüchte, womit sich die Reichen
behelfen, sind unter andern sonderlich diese:

a. Die Armen wären es nicht werth, wolten nicht
arbeiten, und lebten unordentlich.
b. Es wären ihrer zuviel; es sey nicht möglich
allen zu geben.
c. Man gebe zu der Armen-Casse monatlich ein
gewisses, und dabey müsse es bleiben.

4. Allein es sind dieses bey den meisten
nur kale Entschuldigungen ihrer Lieblosigkeit.
Denn

a. Gesetzet, es sind viele Armen der Allmosen
nicht werth; so sind sie doch derselben nicht al-
le unwerth. Und wie leicht kan ein Würdi-
ger, dessen Hertz und Auge bey der Unbarm-
hertzigkeit zu GOTT thränet, sich unter den
Unwürdigen befinden. Und ist mancher der
Gabe nicht werth, so ist er ihrer doch höchst
bedürftig. Giebt doch auch GOtt uns Un-
würdigen, und suchet uns durch Wohlthun
in die rechte Ordnung zu bringen: Dahin
man auch bey den Armen sehen muß. Man-
cher arbeitete gern; er kan aber keine Arbeit
bekommen, oder ist kräncklich und dazu un-
tüchtig. Ein anderer arbeitet, aber die Ar-
beit reichet nicht hin, eine gantze Familie davon
zu unterhalten.
b. Jst es nicht möglich allen zu geben, so gebe
man doch nach Vermögen vielen, oder meh-
rern, sonderlich Haus-Armen. Und wenn
man ihre Noth weiß, so warte man nicht, bis
sie einen erst ansprechen, snndern man komme
ihnen mit der Hülfe zuvor.
c. Zu dieser und jener Armen-Anstalt ein gewis-
ses geben ist gut: da aber solche noch lange
nicht hinreichet, sondern noch immer dürftige
Glieder Christi übrig bleiben, die dazu ent-
weder nicht gelangen, oder damit nicht aus-
kommen; so soll man das Hertz deswegen
nicht verschliessen.

5. Und so auch noch manche Reiche den
Dürftigen geben, so findet sich doch dieser Geitz
bey den allermeisten, daß sie nicht nach Pro-
portion
ihres Vermögens thun, was sie thun
könten, und darinnen oft denen, welche selbst

nichts,

Cap. 2. v. 14-16. Erklaͤrung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch] (ein ſolcher Werckloſer Glaube) ſelig machen?
(keines weges.)

Anmerckungen.

1. Der Apoſtel ſiehet dem Verſtande nach
noch zuruͤck auf die Reichen, welche ſich bey ih-
rer Liebloſigkeit, ja groſſen Unbarmhertzigkeit,
des Glaubens an Chriſtum geruͤhmet haben.
Da nun ſolches ein gantz falſches Vorgeben war,
ſo machet er alhier aus Veranlaſſung ihres Ex-
empels eine gemeine Regel von allen denen,
welche ſich des Glaubens und der Seligkeit
faͤlſchlich ruͤhmten.

2. Es iſt gantz offenbar, daß der Apoſtel
alhier rede nicht vom wahren Glauben, den ei-
ner hat, ſondern den einer zu haben vorgiebet,
und nur ſaget; der aber falſch iſt; und, daß er
nicht rechter Art, ſondern nur lauter Einbil-
dung iſt, wird daraus klar, daß er ohne ſeine
weſentliche Eigenſchaften und unfehlbares Kenn-
zeichen der Wercke, oder der Liebe iſt; als wo-
durch er ſich thaͤtig erweiſet. Von der wahren
Natur des Glaubens ſoll hernach bey dem 17 den
Verſe ein mehrers erinnert werden.

3. Was aber nun kein rechter Glaube iſt,
das kan unmoͤglich ſelig machen. Denn da das
Seligmachen eigentlich zu verſtehen iſt von der
Ergreifung und Zueignung der ſchon erworbe-
nen Seligkeit; ſo kan ein eingebildeter Glaube
eben ſo wenig die Seligkeit in und mit der Ge-
rechtigkeit Chriſti ergreiffen, ſo wenig eine ver-
dorrete, oder gemahlete Hand eine Gabe zu ſich
nehmen und ſich zueignen kan.

4. Es iſt kaum zuſagen, wie gemein die
Jrrthuͤmer ſind, nach welchen einige zur Lincken,
andere zur Rechten von der Evangeliſchen
Haupt-Wahrheit, welche in der Erloͤſung und
Rechtfertigung beſtehet, ſich aufs aͤuſſerſte ver-
gehen. Denn da wollen einige aus ihren eige-
nen Kraͤften ſich zu ihrem ewigen Heyl helfen,
und verleugnen daher, oder verdunckeln doch,
und verfaͤlſchen die theure Lehre von der Genug-
thuung Chriſti und von der daher entſtehenden
Rechtfertigung. Andere aber fallen zwar gar
haͤufig an dieſe Lehre; wollen aber dabey von
der rechten Ordnung, darinnen ſie allein recht
erkannt und angenommen wird, nichts wiſſen,
oder verſtehen ſie doch gantz unrichtig, nemlich
die wahre Bekehrung zu GOtt und die taͤgliche
Erneuerung.

V. 15. 16.

So aber ein Bruder, oder Schweſter
(glaͤubiger Chriſt, dem man doch, als einem
Glaubens-Genoſſen Gal. 5, 10. vor andern helf-
fen ſolte) bloß waͤre und Mangel haͤtte der
taͤglichen Nahrung: und iemand unter
euch ſpraͤche zu ihnen: GOtt berathe euch

(Gr. gehet hin in Frieden, gebet euch zu frieden,
ſeyd gutes Muths,) waͤrmet euch, ſaͤttiget
euch
(behelfet euch mit dem, was ihr habet, das
iſt, mit nichts:) gaͤbe ihnen aber nichts, was
des Leibes Nothdurft iſt, was huͤlfe ſie
das?
(und wo bliebe da der Glaube, da er ſo
lieblos waͤre?)

[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.

1. Das Exempel, womit Jacobus das,
was er von dem liebloſen Glauben geſaget batte,
erlaͤutert, giebt noch itzo aller Orten die taͤgliche
Erfahrung leider uͤberfluͤßig an die Hand. Wie
verderbt die menſchliche Natur durch die San-
de und wie allgemein das Verderben ſey, ſiehet
man auch hieraus, daß unter allen Voͤlckern,
auch denen, welche das Licht der goͤttlichen Of-
fenbarung unter ſich haben, zu aller Zeit einerley
Suͤnden im Schwange gehn.

2. Ja viele Leute ſind ſo unbarmhertzig,
und ſo rauh gegen die Armen, daß ſie ſich noch
haͤrter erweiſen, als alſo, wie es Jacobus alhier
beſchreibet. Denn ſie geben ihnen nicht einmal
gute Worte, ſondern fahren ſie aufs harteſte
an: wodurch ſie ihre Suͤnde gewiß ſo viel mehr
haͤufen.

3. Die Ausfluͤchte, womit ſich die Reichen
behelfen, ſind unter andern ſonderlich dieſe:

a. Die Armen waͤren es nicht werth, wolten nicht
arbeiten, und lebten unordentlich.
b. Es waͤren ihrer zuviel; es ſey nicht moͤglich
allen zu geben.
c. Man gebe zu der Armen-Caſſe monatlich ein
gewiſſes, und dabey muͤſſe es bleiben.

4. Allein es ſind dieſes bey den meiſten
nur kale Entſchuldigungen ihrer Liebloſigkeit.
Denn

a. Geſetzet, es ſind viele Armen der Allmoſen
nicht werth; ſo ſind ſie doch derſelben nicht al-
le unwerth. Und wie leicht kan ein Wuͤrdi-
ger, deſſen Hertz und Auge bey der Unbarm-
hertzigkeit zu GOTT thraͤnet, ſich unter den
Unwuͤrdigen befinden. Und iſt mancher der
Gabe nicht werth, ſo iſt er ihrer doch hoͤchſt
beduͤrftig. Giebt doch auch GOtt uns Un-
wuͤrdigen, und ſuchet uns durch Wohlthun
in die rechte Ordnung zu bringen: Dahin
man auch bey den Armen ſehen muß. Man-
cher arbeitete gern; er kan aber keine Arbeit
bekommen, oder iſt kraͤncklich und dazu un-
tuͤchtig. Ein anderer arbeitet, aber die Ar-
beit reichet nicht hin, eine gantze Familie davon
zu unterhalten.
b. Jſt es nicht moͤglich allen zu geben, ſo gebe
man doch nach Vermoͤgen vielen, oder meh-
rern, ſonderlich Haus-Armen. Und wenn
man ihre Noth weiß, ſo warte man nicht, bis
ſie einen erſt anſprechen, ſnndern man komme
ihnen mit der Huͤlfe zuvor.
c. Zu dieſer und jener Armen-Anſtalt ein gewiſ-
ſes geben iſt gut: da aber ſolche noch lange
nicht hinreichet, ſondern noch immer duͤrftige
Glieder Chriſti uͤbrig bleiben, die dazu ent-
weder nicht gelangen, oder damit nicht aus-
kommen; ſo ſoll man das Hertz deswegen
nicht verſchlieſſen.

5. Und ſo auch noch manche Reiche den
Duͤrftigen geben, ſo findet ſich doch dieſer Geitz
bey den allermeiſten, daß ſie nicht nach Pro-
portion
ihres Vermoͤgens thun, was ſie thun
koͤnten, und darinnen oft denen, welche ſelbſt

nichts,
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[455/0457] Cap. 2. v. 14-16. Erklaͤrung des Briefes Jacobi. (ein ſolcher Werckloſer Glaube) ſelig machen? (keines weges.) Anmerckungen. 1. Der Apoſtel ſiehet dem Verſtande nach noch zuruͤck auf die Reichen, welche ſich bey ih- rer Liebloſigkeit, ja groſſen Unbarmhertzigkeit, des Glaubens an Chriſtum geruͤhmet haben. Da nun ſolches ein gantz falſches Vorgeben war, ſo machet er alhier aus Veranlaſſung ihres Ex- empels eine gemeine Regel von allen denen, welche ſich des Glaubens und der Seligkeit faͤlſchlich ruͤhmten. 2. Es iſt gantz offenbar, daß der Apoſtel alhier rede nicht vom wahren Glauben, den ei- ner hat, ſondern den einer zu haben vorgiebet, und nur ſaget; der aber falſch iſt; und, daß er nicht rechter Art, ſondern nur lauter Einbil- dung iſt, wird daraus klar, daß er ohne ſeine weſentliche Eigenſchaften und unfehlbares Kenn- zeichen der Wercke, oder der Liebe iſt; als wo- durch er ſich thaͤtig erweiſet. Von der wahren Natur des Glaubens ſoll hernach bey dem 17 den Verſe ein mehrers erinnert werden. 3. Was aber nun kein rechter Glaube iſt, das kan unmoͤglich ſelig machen. Denn da das Seligmachen eigentlich zu verſtehen iſt von der Ergreifung und Zueignung der ſchon erworbe- nen Seligkeit; ſo kan ein eingebildeter Glaube eben ſo wenig die Seligkeit in und mit der Ge- rechtigkeit Chriſti ergreiffen, ſo wenig eine ver- dorrete, oder gemahlete Hand eine Gabe zu ſich nehmen und ſich zueignen kan. 4. Es iſt kaum zuſagen, wie gemein die Jrrthuͤmer ſind, nach welchen einige zur Lincken, andere zur Rechten von der Evangeliſchen Haupt-Wahrheit, welche in der Erloͤſung und Rechtfertigung beſtehet, ſich aufs aͤuſſerſte ver- gehen. Denn da wollen einige aus ihren eige- nen Kraͤften ſich zu ihrem ewigen Heyl helfen, und verleugnen daher, oder verdunckeln doch, und verfaͤlſchen die theure Lehre von der Genug- thuung Chriſti und von der daher entſtehenden Rechtfertigung. Andere aber fallen zwar gar haͤufig an dieſe Lehre; wollen aber dabey von der rechten Ordnung, darinnen ſie allein recht erkannt und angenommen wird, nichts wiſſen, oder verſtehen ſie doch gantz unrichtig, nemlich die wahre Bekehrung zu GOtt und die taͤgliche Erneuerung. V. 15. 16. So aber ein Bruder, oder Schweſter (glaͤubiger Chriſt, dem man doch, als einem Glaubens-Genoſſen Gal. 5, 10. vor andern helf- fen ſolte) bloß waͤre und Mangel haͤtte der taͤglichen Nahrung: und iemand unter euch ſpraͤche zu ihnen: GOtt berathe euch (Gr. gehet hin in Frieden, gebet euch zu frieden, ſeyd gutes Muths,) waͤrmet euch, ſaͤttiget euch (behelfet euch mit dem, was ihr habet, das iſt, mit nichts:) gaͤbe ihnen aber nichts, was des Leibes Nothdurft iſt, was huͤlfe ſie das? (und wo bliebe da der Glaube, da er ſo lieblos waͤre?) Anmerckungen. 1. Das Exempel, womit Jacobus das, was er von dem liebloſen Glauben geſaget batte, erlaͤutert, giebt noch itzo aller Orten die taͤgliche Erfahrung leider uͤberfluͤßig an die Hand. Wie verderbt die menſchliche Natur durch die San- de und wie allgemein das Verderben ſey, ſiehet man auch hieraus, daß unter allen Voͤlckern, auch denen, welche das Licht der goͤttlichen Of- fenbarung unter ſich haben, zu aller Zeit einerley Suͤnden im Schwange gehn. 2. Ja viele Leute ſind ſo unbarmhertzig, und ſo rauh gegen die Armen, daß ſie ſich noch haͤrter erweiſen, als alſo, wie es Jacobus alhier beſchreibet. Denn ſie geben ihnen nicht einmal gute Worte, ſondern fahren ſie aufs harteſte an: wodurch ſie ihre Suͤnde gewiß ſo viel mehr haͤufen. 3. Die Ausfluͤchte, womit ſich die Reichen behelfen, ſind unter andern ſonderlich dieſe: a. Die Armen waͤren es nicht werth, wolten nicht arbeiten, und lebten unordentlich. b. Es waͤren ihrer zuviel; es ſey nicht moͤglich allen zu geben. c. Man gebe zu der Armen-Caſſe monatlich ein gewiſſes, und dabey muͤſſe es bleiben. 4. Allein es ſind dieſes bey den meiſten nur kale Entſchuldigungen ihrer Liebloſigkeit. Denn a. Geſetzet, es ſind viele Armen der Allmoſen nicht werth; ſo ſind ſie doch derſelben nicht al- le unwerth. Und wie leicht kan ein Wuͤrdi- ger, deſſen Hertz und Auge bey der Unbarm- hertzigkeit zu GOTT thraͤnet, ſich unter den Unwuͤrdigen befinden. Und iſt mancher der Gabe nicht werth, ſo iſt er ihrer doch hoͤchſt beduͤrftig. Giebt doch auch GOtt uns Un- wuͤrdigen, und ſuchet uns durch Wohlthun in die rechte Ordnung zu bringen: Dahin man auch bey den Armen ſehen muß. Man- cher arbeitete gern; er kan aber keine Arbeit bekommen, oder iſt kraͤncklich und dazu un- tuͤchtig. Ein anderer arbeitet, aber die Ar- beit reichet nicht hin, eine gantze Familie davon zu unterhalten. b. Jſt es nicht moͤglich allen zu geben, ſo gebe man doch nach Vermoͤgen vielen, oder meh- rern, ſonderlich Haus-Armen. Und wenn man ihre Noth weiß, ſo warte man nicht, bis ſie einen erſt anſprechen, ſnndern man komme ihnen mit der Huͤlfe zuvor. c. Zu dieſer und jener Armen-Anſtalt ein gewiſ- ſes geben iſt gut: da aber ſolche noch lange nicht hinreichet, ſondern noch immer duͤrftige Glieder Chriſti uͤbrig bleiben, die dazu ent- weder nicht gelangen, oder damit nicht aus- kommen; ſo ſoll man das Hertz deswegen nicht verſchlieſſen. 5. Und ſo auch noch manche Reiche den Duͤrftigen geben, ſo findet ſich doch dieſer Geitz bey den allermeiſten, daß ſie nicht nach Pro- portion ihres Vermoͤgens thun, was ſie thun koͤnten, und darinnen oft denen, welche ſelbſt nichts,

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/457>, abgerufen am 26.11.2024.