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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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v. 10. an den Philemonem.
[Spaltenumbruch] GOtt dienen sahe und hörete: andern theils
aber hat er ihn doch zum Christenthum nicht ge-
zwungen, ob es ihm gleich bey einem leibeignen
Knechte nach den damaligen Zeiten an Zwanges-
Mitteln nicht fehlete; sondern er hat ihn mit
aller Geduld liebreich getragen, und auf seine
Bekehrung gewartet. Und also haben wir an
Philemone ein Exempel von dem, wie sich eine
Christliche Herrschaft gegen ihr unchristliches
Gesinde zu verhalten habe: gleichwie hingegen
Paulus 1 Tim. 6, 1. 2. anzeiget, wie sich das
Christliche Gesinde gegen die unchristliche, theils
auch Christliche, Herrschaft zu bezeigen habe.

3. Und dabey ließ es Onesimus nicht, daß
er die Berufungs-Gnade zum Christenthum und
Reiche GOttes ausschlug, sondern er verfiel
bey seinem heydnischen und unbekehrten Sinn
auch dahin, daß er sich an seines Herrn Güter
durch Diebstal vergriff: davor ihn der Glau-
be an Christum, wenn er sich dazu hätte brin-
gen lassen, gewiß genug würde bewahret haben.
Daraus man demnach billig diese Lehre ziehet,
wie daß das Christenthum einem auch zur leibli-
chen Wohlfarth mit nützlich sey; hingegen aber
die Verachtung der Bekehrungs-Gnade wie
manche Sünde, also auch manches zeitliches
Unglück nach sich zu ziehen pflege.

4. Worinn der Diebstal bestanden, und
wie hoch er sich belaufen, das läßt sich nicht sa-
gen: daß er aber nicht gering gewesen seyn müsse,
das ist aus der Flucht zu schliessen. Da sich nun
Onesimus der Strafe wegen furchte; sintemal
er leichtlich erachten konte, daß er, als der Thä-
ter, nicht verborgen bleiben würde, das gestohl-
ne Gut auch in dem Dienste seines Herrn nicht zu
gebrauchen wußte: so entschliesset er sich zur
Flucht, und will sich, bey der Sclaverey seiner
Sünden, durch die Flucht in die leibliche Frey-
heit setzen, nachdem er die geistliche mit der be-
rufenden Gnade GOttes muthwillig ausgeschla-
gen hatte. Weil Colossen nicht weit von Ephe-
sus, Ephesus aber am Aegeischen Meere lag,
und von dannen zum öftern Schiffe nach Rom
abgingen, so ist er vermuthlich nach Ephesus,
und von da zu Schiffe nach Rom gegangen: Hat
aber das böse Gewissen allenthalben mit sich
genommen: welches ihm allen Ansehen nach so
viel weniger Ruhe wird gelassen haben, so viel
mehrere Uberzeugung er schon vorhin zum öftern
von seinem verdammlichen Zustande bey so man-
cher Gelegenheit wird überkommen haben. Das
Andencken, wie daß seine Herrschaft mit ihrer
ihme erzeigten so grossen Liebe und Geduld sol-
ches übeles Verhalten gar nicht verschuldet hät-
te, mag auch wol nicht wenig zur Gewissens-
Angst beygetragen haben. Und wer weiß, was
ihme unter Weges auf dem Meere begegnet,
und in welcher augenscheinlichen Todes-Gefahr
er bey diesem und jenem Sturm sich mag befun-
den haben; da er denn hat gedencken können:
Siehe, du Bösewicht, was helfen dir nun die ge-
stohlene Sachen? wie wirst du ihrer froh werden,
wenn du nun in diesem Augenblick in den Ab-
grund des Meeres hinunter fährest und nach
[Spaltenumbruch] Leib und Seele verloren gehest? vielleicht hat er
in solcher Angst den Schluß gemachet, und es
GOtt angelobet, daß, wofern er ihn aus der
äussersten Lebens-Gefahr erretten würde, er sich
zu ihm von Hertzen bekehren, und ein Christe
werden wolle. Wie denn das Ungewitter auf
dem Meere noch manchem Menschen dazu dienen
muß.

5. Da nun Onesimus nach Rom gekom-
men, da ist er in Pauli Schule gerathen; auf
was Art, oder bey welcher Gelegenheit, das
ist unbekannt: aber vermuthlich ist es, daß ihn
die bereits auf dem Meere empfundene grosse
Gewissens-Angst dazu angetrieben habe. Wie-
wol es auch seyn kan, daß, nachdem er die ge-
stohlne Sachen zu Rom erst durchgebracht ge-
habt, das Gewissen erst nachher bey ihm aufge-
wachet: oder er Paulum, von dem er so vieles
gehöret hatte, aus Neugierigkeit besuchet, und,
da er ihn gehöret, durch ihn erstlich ist gerühret
worden.

6. Dem sey nun wie ihm wolle, so ist doch
dieses gewiß, daß er in der Schule Pauli erstlich
ist zu GOtt wahrhaftig bekehret worden. Da
er denn zuvorderst Paulo seine Sünde wird be-
kannt, und seine hertzliche Reue darüber bezeu-
get haben; denn woher würde es Paulus sonst so
leichtlich erfahren haben, als von ihm selbst?
Daraus man denn siehet, daß die Gewissens-
Angst über alle Tortur gehet. Vielleicht hätte
er zu Colossen, ehe er den Diebstal bekannt
hätte, diese ausgestanden: welchen aber frey-
willig zu bekennen, ihn die von der kräftig wir-
ckenden Gnade GOttes herrührende Unruhe des
Gewissens angetrieben hat.

7. Es wäre demnach zu wünschen, daß
Christliche Obrigkeiten mit den Delinquenten;
welche in Verhaft sitzen, eine gantz andere An-
stalt machten, als itzo, soviel ich weiß, überall,
leider, ist. Denn da läßt man zu solchen Leuten
nicht eher einen Prediger kommen, als bis das
Todes-Urtheil nach schon vollendetem Proceß
über sie eingeholet wird, oder schon da ist, und
wenn auch die Torturen schon vorbey sind: da
denn zuletzt in so kurtzer Zeit bey vielen der ge-
suchte Zweck gar nicht erhalten wird. Jst einer
nicht bis zum Tode graviret, so wird an seiner
Seelen gar nicht gearbeitet. Es solten hinge-
gen solche Leute zu gewissen Zeiten mit liebreicher
Vorstellung von GOtt, seinem Worte, seinem
Willen und Wercken, und dabey von dem jam-
merlichen Zustande ihrer Seelen, unterrichtet
werden; so würde bey manchem gar keine Folter
zur Bekenntniß ihrer Thaten nöthig seyn, und
manche Seele errettet, und unter denen, mit
welchen es nicht zum Tode kömmt, mancher
durch Veränderung des Hertzens zu einem gantz
andern Lebens-Wandel gebracht werden.

8. Was nun des Onesimi Exempel betrifft,
so siehet man darinn sonderlich die Langmuth
GOttes,
wie die einem Sünder nachgehet,
und ihn zur Busse locket, und manchen noch her-
um holet. Und wenn auch bey manchem alles
vergeblich zu seyn scheinet, so soll man doch nicht

alle
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v. 10. an den Philemonem.
[Spaltenumbruch] GOtt dienen ſahe und hoͤrete: andern theils
aber hat er ihn doch zum Chriſtenthum nicht ge-
zwungen, ob es ihm gleich bey einem leibeignen
Knechte nach den damaligen Zeiten an Zwanges-
Mitteln nicht fehlete; ſondern er hat ihn mit
aller Geduld liebreich getragen, und auf ſeine
Bekehrung gewartet. Und alſo haben wir an
Philemone ein Exempel von dem, wie ſich eine
Chriſtliche Herrſchaft gegen ihr unchriſtliches
Geſinde zu verhalten habe: gleichwie hingegen
Paulus 1 Tim. 6, 1. 2. anzeiget, wie ſich das
Chriſtliche Geſinde gegen die unchriſtliche, theils
auch Chriſtliche, Herrſchaft zu bezeigen habe.

3. Und dabey ließ es Oneſimus nicht, daß
er die Berufungs-Gnade zum Chriſtenthum und
Reiche GOttes ausſchlug, ſondern er verfiel
bey ſeinem heydniſchen und unbekehrten Sinn
auch dahin, daß er ſich an ſeines Herrn Guͤter
durch Diebſtal vergriff: davor ihn der Glau-
be an Chriſtum, wenn er ſich dazu haͤtte brin-
gen laſſen, gewiß genug wuͤrde bewahret haben.
Daraus man demnach billig dieſe Lehre ziehet,
wie daß das Chriſtenthum einem auch zur leibli-
chen Wohlfarth mit nuͤtzlich ſey; hingegen aber
die Verachtung der Bekehrungs-Gnade wie
manche Suͤnde, alſo auch manches zeitliches
Ungluͤck nach ſich zu ziehen pflege.

4. Worinn der Diebſtal beſtanden, und
wie hoch er ſich belaufen, das laͤßt ſich nicht ſa-
gen: daß er aber nicht gering geweſen ſeyn muͤſſe,
das iſt aus der Flucht zu ſchlieſſen. Da ſich nun
Oneſimus der Strafe wegen furchte; ſintemal
er leichtlich erachten konte, daß er, als der Thaͤ-
ter, nicht verborgen bleiben wuͤrde, das geſtohl-
ne Gut auch in dem Dienſte ſeines Herrn nicht zu
gebrauchen wußte: ſo entſchlieſſet er ſich zur
Flucht, und will ſich, bey der Sclaverey ſeiner
Suͤnden, durch die Flucht in die leibliche Frey-
heit ſetzen, nachdem er die geiſtliche mit der be-
rufenden Gnade GOttes muthwillig ausgeſchla-
gen hatte. Weil Coloſſen nicht weit von Ephe-
ſus, Epheſus aber am Aegeiſchen Meere lag,
und von dannen zum oͤftern Schiffe nach Rom
abgingen, ſo iſt er vermuthlich nach Epheſus,
und von da zu Schiffe nach Rom gegangen: Hat
aber das boͤſe Gewiſſen allenthalben mit ſich
genommen: welches ihm allen Anſehen nach ſo
viel weniger Ruhe wird gelaſſen haben, ſo viel
mehrere Uberzeugung er ſchon vorhin zum oͤftern
von ſeinem verdammlichen Zuſtande bey ſo man-
cher Gelegenheit wird uͤberkommen haben. Das
Andencken, wie daß ſeine Herrſchaft mit ihrer
ihme erzeigten ſo groſſen Liebe und Geduld ſol-
ches uͤbeles Verhalten gar nicht verſchuldet haͤt-
te, mag auch wol nicht wenig zur Gewiſſens-
Angſt beygetragen haben. Und wer weiß, was
ihme unter Weges auf dem Meere begegnet,
und in welcher augenſcheinlichen Todes-Gefahr
er bey dieſem und jenem Sturm ſich mag befun-
den haben; da er denn hat gedencken koͤnnen:
Siehe, du Boͤſewicht, was helfen dir nun die ge-
ſtohlene Sachen? wie wirſt du ihrer froh werden,
wenn du nun in dieſem Augenblick in den Ab-
grund des Meeres hinunter faͤhreſt und nach
[Spaltenumbruch] Leib und Seele verloren geheſt? vielleicht hat er
in ſolcher Angſt den Schluß gemachet, und es
GOtt angelobet, daß, wofern er ihn aus der
aͤuſſerſten Lebens-Gefahr erretten wuͤrde, er ſich
zu ihm von Hertzen bekehren, und ein Chriſte
werden wolle. Wie denn das Ungewitter auf
dem Meere noch manchem Menſchen dazu dienen
muß.

5. Da nun Oneſimus nach Rom gekom-
men, da iſt er in Pauli Schule gerathen; auf
was Art, oder bey welcher Gelegenheit, das
iſt unbekannt: aber vermuthlich iſt es, daß ihn
die bereits auf dem Meere empfundene groſſe
Gewiſſens-Angſt dazu angetrieben habe. Wie-
wol es auch ſeyn kan, daß, nachdem er die ge-
ſtohlne Sachen zu Rom erſt durchgebracht ge-
habt, das Gewiſſen erſt nachher bey ihm aufge-
wachet: oder er Paulum, von dem er ſo vieles
gehoͤret hatte, aus Neugierigkeit beſuchet, und,
da er ihn gehoͤret, durch ihn erſtlich iſt geruͤhret
worden.

6. Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo iſt doch
dieſes gewiß, daß er in der Schule Pauli erſtlich
iſt zu GOtt wahrhaftig bekehret worden. Da
er denn zuvorderſt Paulo ſeine Suͤnde wird be-
kannt, und ſeine hertzliche Reue daruͤber bezeu-
get haben; denn woher wuͤrde es Paulus ſonſt ſo
leichtlich erfahren haben, als von ihm ſelbſt?
Daraus man denn ſiehet, daß die Gewiſſens-
Angſt uͤber alle Tortur gehet. Vielleicht haͤtte
er zu Coloſſen, ehe er den Diebſtal bekannt
haͤtte, dieſe ausgeſtanden: welchen aber frey-
willig zu bekennen, ihn die von der kraͤftig wir-
ckenden Gnade GOttes herruͤhrende Unruhe des
Gewiſſens angetrieben hat.

7. Es waͤre demnach zu wuͤnſchen, daß
Chriſtliche Obrigkeiten mit den Delinquenten;
welche in Verhaft ſitzen, eine gantz andere An-
ſtalt machten, als itzo, ſoviel ich weiß, uͤberall,
leider, iſt. Denn da laͤßt man zu ſolchen Leuten
nicht eher einen Prediger kommen, als bis das
Todes-Urtheil nach ſchon vollendetem Proceß
uͤber ſie eingeholet wird, oder ſchon da iſt, und
wenn auch die Torturen ſchon vorbey ſind: da
denn zuletzt in ſo kurtzer Zeit bey vielen der ge-
ſuchte Zweck gar nicht erhalten wird. Jſt einer
nicht bis zum Tode graviret, ſo wird an ſeiner
Seelen gar nicht gearbeitet. Es ſolten hinge-
gen ſolche Leute zu gewiſſen Zeiten mit liebreicher
Vorſtellung von GOtt, ſeinem Worte, ſeinem
Willen und Wercken, und dabey von dem jam-
merlichen Zuſtande ihrer Seelen, unterrichtet
werden; ſo wuͤrde bey manchem gar keine Folter
zur Bekenntniß ihrer Thaten noͤthig ſeyn, und
manche Seele errettet, und unter denen, mit
welchen es nicht zum Tode koͤmmt, mancher
durch Veraͤnderung des Hertzens zu einem gantz
andern Lebens-Wandel gebracht werden.

8. Was nun des Oneſimi Exempel betrifft,
ſo ſiehet man darinn ſonderlich die Langmuth
GOttes,
wie die einem Suͤnder nachgehet,
und ihn zur Buſſe locket, und manchen noch her-
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vergeblich zu ſeyn ſcheinet, ſo ſoll man doch nicht

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[227/0229] v. 10. an den Philemonem. GOtt dienen ſahe und hoͤrete: andern theils aber hat er ihn doch zum Chriſtenthum nicht ge- zwungen, ob es ihm gleich bey einem leibeignen Knechte nach den damaligen Zeiten an Zwanges- Mitteln nicht fehlete; ſondern er hat ihn mit aller Geduld liebreich getragen, und auf ſeine Bekehrung gewartet. Und alſo haben wir an Philemone ein Exempel von dem, wie ſich eine Chriſtliche Herrſchaft gegen ihr unchriſtliches Geſinde zu verhalten habe: gleichwie hingegen Paulus 1 Tim. 6, 1. 2. anzeiget, wie ſich das Chriſtliche Geſinde gegen die unchriſtliche, theils auch Chriſtliche, Herrſchaft zu bezeigen habe. 3. Und dabey ließ es Oneſimus nicht, daß er die Berufungs-Gnade zum Chriſtenthum und Reiche GOttes ausſchlug, ſondern er verfiel bey ſeinem heydniſchen und unbekehrten Sinn auch dahin, daß er ſich an ſeines Herrn Guͤter durch Diebſtal vergriff: davor ihn der Glau- be an Chriſtum, wenn er ſich dazu haͤtte brin- gen laſſen, gewiß genug wuͤrde bewahret haben. Daraus man demnach billig dieſe Lehre ziehet, wie daß das Chriſtenthum einem auch zur leibli- chen Wohlfarth mit nuͤtzlich ſey; hingegen aber die Verachtung der Bekehrungs-Gnade wie manche Suͤnde, alſo auch manches zeitliches Ungluͤck nach ſich zu ziehen pflege. 4. Worinn der Diebſtal beſtanden, und wie hoch er ſich belaufen, das laͤßt ſich nicht ſa- gen: daß er aber nicht gering geweſen ſeyn muͤſſe, das iſt aus der Flucht zu ſchlieſſen. Da ſich nun Oneſimus der Strafe wegen furchte; ſintemal er leichtlich erachten konte, daß er, als der Thaͤ- ter, nicht verborgen bleiben wuͤrde, das geſtohl- ne Gut auch in dem Dienſte ſeines Herrn nicht zu gebrauchen wußte: ſo entſchlieſſet er ſich zur Flucht, und will ſich, bey der Sclaverey ſeiner Suͤnden, durch die Flucht in die leibliche Frey- heit ſetzen, nachdem er die geiſtliche mit der be- rufenden Gnade GOttes muthwillig ausgeſchla- gen hatte. Weil Coloſſen nicht weit von Ephe- ſus, Epheſus aber am Aegeiſchen Meere lag, und von dannen zum oͤftern Schiffe nach Rom abgingen, ſo iſt er vermuthlich nach Epheſus, und von da zu Schiffe nach Rom gegangen: Hat aber das boͤſe Gewiſſen allenthalben mit ſich genommen: welches ihm allen Anſehen nach ſo viel weniger Ruhe wird gelaſſen haben, ſo viel mehrere Uberzeugung er ſchon vorhin zum oͤftern von ſeinem verdammlichen Zuſtande bey ſo man- cher Gelegenheit wird uͤberkommen haben. Das Andencken, wie daß ſeine Herrſchaft mit ihrer ihme erzeigten ſo groſſen Liebe und Geduld ſol- ches uͤbeles Verhalten gar nicht verſchuldet haͤt- te, mag auch wol nicht wenig zur Gewiſſens- Angſt beygetragen haben. Und wer weiß, was ihme unter Weges auf dem Meere begegnet, und in welcher augenſcheinlichen Todes-Gefahr er bey dieſem und jenem Sturm ſich mag befun- den haben; da er denn hat gedencken koͤnnen: Siehe, du Boͤſewicht, was helfen dir nun die ge- ſtohlene Sachen? wie wirſt du ihrer froh werden, wenn du nun in dieſem Augenblick in den Ab- grund des Meeres hinunter faͤhreſt und nach Leib und Seele verloren geheſt? vielleicht hat er in ſolcher Angſt den Schluß gemachet, und es GOtt angelobet, daß, wofern er ihn aus der aͤuſſerſten Lebens-Gefahr erretten wuͤrde, er ſich zu ihm von Hertzen bekehren, und ein Chriſte werden wolle. Wie denn das Ungewitter auf dem Meere noch manchem Menſchen dazu dienen muß. 5. Da nun Oneſimus nach Rom gekom- men, da iſt er in Pauli Schule gerathen; auf was Art, oder bey welcher Gelegenheit, das iſt unbekannt: aber vermuthlich iſt es, daß ihn die bereits auf dem Meere empfundene groſſe Gewiſſens-Angſt dazu angetrieben habe. Wie- wol es auch ſeyn kan, daß, nachdem er die ge- ſtohlne Sachen zu Rom erſt durchgebracht ge- habt, das Gewiſſen erſt nachher bey ihm aufge- wachet: oder er Paulum, von dem er ſo vieles gehoͤret hatte, aus Neugierigkeit beſuchet, und, da er ihn gehoͤret, durch ihn erſtlich iſt geruͤhret worden. 6. Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo iſt doch dieſes gewiß, daß er in der Schule Pauli erſtlich iſt zu GOtt wahrhaftig bekehret worden. Da er denn zuvorderſt Paulo ſeine Suͤnde wird be- kannt, und ſeine hertzliche Reue daruͤber bezeu- get haben; denn woher wuͤrde es Paulus ſonſt ſo leichtlich erfahren haben, als von ihm ſelbſt? Daraus man denn ſiehet, daß die Gewiſſens- Angſt uͤber alle Tortur gehet. Vielleicht haͤtte er zu Coloſſen, ehe er den Diebſtal bekannt haͤtte, dieſe ausgeſtanden: welchen aber frey- willig zu bekennen, ihn die von der kraͤftig wir- ckenden Gnade GOttes herruͤhrende Unruhe des Gewiſſens angetrieben hat. 7. Es waͤre demnach zu wuͤnſchen, daß Chriſtliche Obrigkeiten mit den Delinquenten; welche in Verhaft ſitzen, eine gantz andere An- ſtalt machten, als itzo, ſoviel ich weiß, uͤberall, leider, iſt. Denn da laͤßt man zu ſolchen Leuten nicht eher einen Prediger kommen, als bis das Todes-Urtheil nach ſchon vollendetem Proceß uͤber ſie eingeholet wird, oder ſchon da iſt, und wenn auch die Torturen ſchon vorbey ſind: da denn zuletzt in ſo kurtzer Zeit bey vielen der ge- ſuchte Zweck gar nicht erhalten wird. Jſt einer nicht bis zum Tode graviret, ſo wird an ſeiner Seelen gar nicht gearbeitet. Es ſolten hinge- gen ſolche Leute zu gewiſſen Zeiten mit liebreicher Vorſtellung von GOtt, ſeinem Worte, ſeinem Willen und Wercken, und dabey von dem jam- merlichen Zuſtande ihrer Seelen, unterrichtet werden; ſo wuͤrde bey manchem gar keine Folter zur Bekenntniß ihrer Thaten noͤthig ſeyn, und manche Seele errettet, und unter denen, mit welchen es nicht zum Tode koͤmmt, mancher durch Veraͤnderung des Hertzens zu einem gantz andern Lebens-Wandel gebracht werden. 8. Was nun des Oneſimi Exempel betrifft, ſo ſiehet man darinn ſonderlich die Langmuth GOttes, wie die einem Suͤnder nachgehet, und ihn zur Buſſe locket, und manchen noch her- um holet. Und wenn auch bey manchem alles vergeblich zu ſeyn ſcheinet, ſo ſoll man doch nicht alle F f 2

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/229>, abgerufen am 23.11.2024.