Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 3, 16. [Spaltenumbruch]
5. Nachdem der Apostel solcher gestalt überhaupt gesaget hat, wie man mit GOttes Wort umgehen solle, so zeiget er darauf an, wie es solle zur Erbauung gerichtet werden. Da er denn spricht: lehret und vermahnet euch selbst. Dabey folgendes zu mercken ist: a. Die Participia didaskontes, nouthetou~ntes, leh- rende, ermahnende, stehen nach dem Grae- cismo mit dem ausgelassenen Worte seyd an statt des imperativi, lehret und ermahnet, wie es Lutherus auch übersetzet hat. Zu dem wird mit dem Worte enoikeito den Gläubi- gen eine geheiligte Beschäftigung, die sie mit dem Worte GOttes haben sollen, zugeschrie- ben: daher es auch gar wohl übersetzet ist: lasset es wohnen. Darauf sich denn die participia wohl schicken, da sie so viel heissen, als: also, daß ihr lehret und vermah- net. b. Das Lehren gehet auf den Unterricht, welcher zum richtigen Begriff von einer Lehre und Sache gegeben wird: das ermahnen aber auf die Application, da der würdige Ge- brauch der durch den Unterricht geschöpften Erkäntniß angewiesen wird: wie denn diese beyde Stücke Lehre und Ermahnung alle- mal bey einander seyn müssen. Die Lehre gehet sonderlich auf den Verstand, die Er- mahnung auf den Willen. Die Lehre bringet die Uberzeugung: die Ermah- nung dringet auf die Treue und auf den Ge- horsam. c. Es ist diese Erinnerung nicht allein an die Leh- rer, sondern auch an die Zuhörer gerichtet: als deren geistliches Priesterthum es also mit sich bringet, daß sie sich auch unter einander mit GOttes Wort erbauen. Darauf wir hin und wieder geführet werden, sonder- lich 1 Thess. 5, 11. 14. da diese Pflicht also ein- geschärfet ist, daß auch v. 12. 13. gedacht wird, wie das öffentliche Lehr-Amt dabey gar wohl bestehen könne und solle. Siehe auch Hebr. 10, 24. 6. Es soll aber die Erbauung bey uns selbst und andern gesuchet werden mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern. Da zu mercken ist: a. Daß die Erbauung dadurch noch mehr erwe- cket werden soll ausser der zuvorgedachten übrigen Handlung des göttlichen Worts. Und ist diese Art, da GOttes Wort Gesang- weise betrachtet wird, sonderlich sehr erweck- lich. Und hat unsere teutsche Nation vor an- dern GOtt zu dancken, daß wir einen so sehr reichen und so herrlichen Vorrath alter und neuer geistreicher Gesänge haben, welche, wenn man die so vielen unterschiedenen Ge- sang-Bücher so vieler Orten durchsiehet, kaum zu zehlen sind. Und da auch von mehrern Jahren her die teutsche Poesie, ihrer anmuthi- gen Reinlichkeit nach, zu einem grossen Grad ihrer Vollkommenheit gebracht ist; so ist sie hiezu am besten gebrauchet und geheiliget wor- den. Und daß in der Music, so wol der voca- len, als instrumentalen, ein besonderer Cha- [Spaltenumbruch] racter der Weisheit und Güte GOttes liege, das ist gar mercklich. b. Psalmen sind eigentlich solche Gesänge, da- zu mit einem musicalischen Jnstrumente zu- gleich gespielet wurde: wie von den Psalmen Davids bekant ist, daß ihr Gebrauch mit ein Stück vom öffentlichen GOttesdienste gewe- sen ist. Es ist auch kein Zweifel, daß die er- sten Christen aus der Fülle des Geistes nicht viel andere solcher Psalm-Lieder, dazu auch die musicalischen Jnstrumente sind gebrauchet worden, gemachet und unter sich zur gemei- nen Erbauung gehabt haben, sonderlich zu solchen Zeiten, da ihnen die völlige Freyheit des öffentlichen Gottesdienstes so wol, als den Juden, ist verstattet worden. c. Lobgesänge, hymni, sind solche Lieder, dar- innen man GOtt lobet in Betrachtung seines Wesens, seines Willens, und seiner Wer- cke und Wohlthaten: dergleichen wir unter- schiedliche in den Schriften des alten Testa- ments haben. d. Die Lieder, Oden sind alle übrige Gesän- ge, welche von allerhand geistreichen Mate- rien handeln, theils in der Form der Lehre, theils auch der Ermahnung, Aufmunterung und der Tröstungen mit darbey eingebrach- ten Lobe GOttes. Welche Lieder, wie auch die zuvor gedachten besondern Lob-Gesänge, in Ansehung der dabey gebrauchten musicali- schen Jnstrumenten, auch wol zugleich Psal- men waren. e. Geistliche heissen die Lieder, wie auch die Psalmen und Lobgesänge, sonderlich von ih- rer Materie der geistlichen Sachen. War nun die Composition bey dem Verfer- tiger aus einem guten Schatz des Hertzens geflossen und voller Geist und Kraft, so wa- ren sie denn auch zugleich geistreich: wie sie billig alle seyn sollen: sintemal ein trocknes und magers Lied wenig erweckung giebet. f. Lieblich, en khariti, sind sie denn eben daher, wenn sie fein geistreich sind, und nicht allein recht anmuthig und erbaulich sind zu hören, sondern auch aus der Fülle eines durch die Gnade GOttes geheiligten Hertzens ange- stimmet werden. Daher denn von sich selbst erfolget, daß sie auch GOtt angenehm sind. 7. Es soll aber alle Erbauung und dabey alle musicalische Andacht zu GOttes Ehren gerichtet werden. Es muß demnach nichts nur aus blosser Gewohnheit, und folglich nur bloß mit dem Munde geschehen, sondern mit rechtem Affect des Hertzens: darum der Apostel dieses dabey ausdrücklich fodert. Da es nun gar leicht geschehen kan, daß ein Mensch sich mit den Gedancken zerstreuet, so hat man im Singen und Beten wohl über sich selbst zu wachen, und sich von der bemerckten Zerstreuung so bald wie- der zu sammlen: Und da es auch geschiehet, daß ein Mensch sich bey dem Singen und Spielen in seine eigene Kunst und Stimme verliebet, und daher das Werck mehr auf ihn selbst, als auf GOtt gerichtet ist, so hat man das ta kurio, dem
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, 16. [Spaltenumbruch]
5. Nachdem der Apoſtel ſolcher geſtalt uͤberhaupt geſaget hat, wie man mit GOttes Wort umgehen ſolle, ſo zeiget er darauf an, wie es ſolle zur Erbauung gerichtet werden. Da er denn ſpricht: lehret und vermahnet euch ſelbſt. Dabey folgendes zu mercken iſt: a. Die Participia διδάσκοντες, νουϑετου῀ντες, leh- rende, ermahnende, ſtehen nach dem Græ- ciſmo mit dem ausgelaſſenen Worte ſeyd an ſtatt des imperativi, lehret und ermahnet, wie es Lutherus auch uͤberſetzet hat. Zu dem wird mit dem Worte ἐνοικείτω den Glaͤubi- gen eine geheiligte Beſchaͤftigung, die ſie mit dem Worte GOttes haben ſollen, zugeſchrie- ben: daher es auch gar wohl uͤberſetzet iſt: laſſet es wohnen. Darauf ſich denn die participia wohl ſchicken, da ſie ſo viel heiſſen, als: alſo, daß ihr lehret und vermah- net. b. Das Lehren gehet auf den Unterricht, welcher zum richtigen Begriff von einer Lehre und Sache gegeben wird: das ermahnen aber auf die Application, da der wuͤrdige Ge- brauch der durch den Unterricht geſchoͤpften Erkaͤntniß angewieſen wird: wie denn dieſe beyde Stuͤcke Lehre und Ermahnung alle- mal bey einander ſeyn muͤſſen. Die Lehre gehet ſonderlich auf den Verſtand, die Er- mahnung auf den Willen. Die Lehre bringet die Uberzeugung: die Ermah- nung dringet auf die Treue und auf den Ge- horſam. c. Es iſt dieſe Erinnerung nicht allein an die Leh- rer, ſondern auch an die Zuhoͤrer gerichtet: als deren geiſtliches Prieſterthum es alſo mit ſich bringet, daß ſie ſich auch unter einander mit GOttes Wort erbauen. Darauf wir hin und wieder gefuͤhret werden, ſonder- lich 1 Theſſ. 5, 11. 14. da dieſe Pflicht alſo ein- geſchaͤrfet iſt, daß auch v. 12. 13. gedacht wird, wie das oͤffentliche Lehr-Amt dabey gar wohl beſtehen koͤnne und ſolle. Siehe auch Hebr. 10, 24. 6. Es ſoll aber die Erbauung bey uns ſelbſt und andern geſuchet werden mit Pſalmen, Lobgeſaͤngen und geiſtlichen lieblichen Liedern. Da zu mercken iſt: a. Daß die Erbauung dadurch noch mehr erwe- cket werden ſoll auſſer der zuvorgedachten uͤbrigen Handlung des goͤttlichen Worts. Und iſt dieſe Art, da GOttes Wort Geſang- weiſe betrachtet wird, ſonderlich ſehr erweck- lich. Und hat unſere teutſche Nation vor an- dern GOtt zu dancken, daß wir einen ſo ſehr reichen und ſo herrlichen Vorrath alter und neuer geiſtreicher Geſaͤnge haben, welche, wenn man die ſo vielen unterſchiedenen Ge- ſang-Buͤcher ſo vieler Orten durchſiehet, kaum zu zehlen ſind. Und da auch von mehrern Jahren her die teutſche Poeſie, ihrer anmuthi- gen Reinlichkeit nach, zu einem groſſen Grad ihrer Vollkommenheit gebracht iſt; ſo iſt ſie hiezu am beſten gebrauchet und geheiliget wor- den. Und daß in der Muſic, ſo wol der voca- len, als inſtrumentalen, ein beſonderer Cha- [Spaltenumbruch] racter der Weisheit und Guͤte GOttes liege, das iſt gar mercklich. b. Pſalmen ſind eigentlich ſolche Geſaͤnge, da- zu mit einem muſicaliſchen Jnſtrumente zu- gleich geſpielet wurde: wie von den Pſalmen Davids bekant iſt, daß ihr Gebrauch mit ein Stuͤck vom oͤffentlichen GOttesdienſte gewe- ſen iſt. Es iſt auch kein Zweifel, daß die er- ſten Chriſten aus der Fuͤlle des Geiſtes nicht viel andere ſolcher Pſalm-Lieder, dazu auch die muſicaliſchen Jnſtrumente ſind gebrauchet worden, gemachet und unter ſich zur gemei- nen Erbauung gehabt haben, ſonderlich zu ſolchen Zeiten, da ihnen die voͤllige Freyheit des oͤffentlichen Gottesdienſtes ſo wol, als den Juden, iſt verſtattet worden. c. Lobgeſaͤnge, hymni, ſind ſolche Lieder, dar- innen man GOtt lobet in Betrachtung ſeines Weſens, ſeines Willens, und ſeiner Wer- cke und Wohlthaten: dergleichen wir unter- ſchiedliche in den Schriften des alten Teſta- ments haben. d. Die Lieder, Oden ſind alle uͤbrige Geſaͤn- ge, welche von allerhand geiſtreichen Mate- rien handeln, theils in der Form der Lehre, theils auch der Ermahnung, Aufmunterung und der Troͤſtungen mit darbey eingebrach- ten Lobe GOttes. Welche Lieder, wie auch die zuvor gedachten beſondern Lob-Geſaͤnge, in Anſehung der dabey gebrauchten muſicali- ſchen Jnſtrumenten, auch wol zugleich Pſal- men waren. e. Geiſtliche heiſſen die Lieder, wie auch die Pſalmen und Lobgeſaͤnge, ſonderlich von ih- rer Materie der geiſtlichen Sachen. War nun die Compoſition bey dem Verfer- tiger aus einem guten Schatz des Hertzens gefloſſen und voller Geiſt und Kraft, ſo wa- ren ſie denn auch zugleich geiſtreich: wie ſie billig alle ſeyn ſollen: ſintemal ein trocknes und magers Lied wenig erweckung giebet. f. Lieblich, ἐν χάριτι, ſind ſie denn eben daher, wenn ſie fein geiſtreich ſind, und nicht allein recht anmuthig und erbaulich ſind zu hoͤren, ſondern auch aus der Fuͤlle eines durch die Gnade GOttes geheiligten Hertzens ange- ſtimmet werden. Daher denn von ſich ſelbſt erfolget, daß ſie auch GOtt angenehm ſind. 7. Es ſoll aber alle Erbauung und dabey alle muſicaliſche Andacht zu GOttes Ehren gerichtet werden. Es muß demnach nichts nur aus bloſſer Gewohnheit, und folglich nur bloß mit dem Munde geſchehen, ſondern mit rechtem Affect des Hertzens: darum der Apoſtel dieſes dabey ausdruͤcklich fodert. Da es nun gar leicht geſchehen kan, daß ein Menſch ſich mit den Gedancken zerſtreuet, ſo hat man im Singen und Beten wohl uͤber ſich ſelbſt zu wachen, und ſich von der bemerckten Zerſtreuung ſo bald wie- der zu ſammlen: Und da es auch geſchiehet, daß ein Menſch ſich bey dem Singen und Spielen in ſeine eigene Kunſt und Stimme verliebet, und daher das Werck mehr auf ihn ſelbſt, als auf GOtt gerichtet iſt, ſo hat man das τᾷ κυρίῳ, dem
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, 16.
5. Nachdem der Apoſtel ſolcher geſtalt
uͤberhaupt geſaget hat, wie man mit GOttes
Wort umgehen ſolle, ſo zeiget er darauf an, wie
es ſolle zur Erbauung gerichtet werden.
Da er denn ſpricht: lehret und vermahnet
euch ſelbſt. Dabey folgendes zu mercken iſt:
a. Die Participia διδάσκοντες, νουϑετου῀ντες, leh-
rende, ermahnende, ſtehen nach dem Græ-
ciſmo mit dem ausgelaſſenen Worte ſeyd an
ſtatt des imperativi, lehret und ermahnet,
wie es Lutherus auch uͤberſetzet hat. Zu dem
wird mit dem Worte ἐνοικείτω den Glaͤubi-
gen eine geheiligte Beſchaͤftigung, die ſie mit
dem Worte GOttes haben ſollen, zugeſchrie-
ben: daher es auch gar wohl uͤberſetzet iſt:
laſſet es wohnen. Darauf ſich denn die
participia wohl ſchicken, da ſie ſo viel heiſſen,
als: alſo, daß ihr lehret und vermah-
net.
b. Das Lehren gehet auf den Unterricht,
welcher zum richtigen Begriff von einer Lehre
und Sache gegeben wird: das ermahnen
aber auf die Application, da der wuͤrdige Ge-
brauch der durch den Unterricht geſchoͤpften
Erkaͤntniß angewieſen wird: wie denn dieſe
beyde Stuͤcke Lehre und Ermahnung alle-
mal bey einander ſeyn muͤſſen. Die Lehre
gehet ſonderlich auf den Verſtand, die Er-
mahnung auf den Willen. Die Lehre
bringet die Uberzeugung: die Ermah-
nung dringet auf die Treue und auf den Ge-
horſam.
c. Es iſt dieſe Erinnerung nicht allein an die Leh-
rer, ſondern auch an die Zuhoͤrer gerichtet:
als deren geiſtliches Prieſterthum es alſo mit
ſich bringet, daß ſie ſich auch unter einander
mit GOttes Wort erbauen. Darauf wir
hin und wieder gefuͤhret werden, ſonder-
lich 1 Theſſ. 5, 11. 14. da dieſe Pflicht alſo ein-
geſchaͤrfet iſt, daß auch v. 12. 13. gedacht wird,
wie das oͤffentliche Lehr-Amt dabey gar wohl
beſtehen koͤnne und ſolle. Siehe auch Hebr.
10, 24.
6. Es ſoll aber die Erbauung bey uns ſelbſt
und andern geſuchet werden mit Pſalmen,
Lobgeſaͤngen und geiſtlichen lieblichen
Liedern. Da zu mercken iſt:
a. Daß die Erbauung dadurch noch mehr erwe-
cket werden ſoll auſſer der zuvorgedachten
uͤbrigen Handlung des goͤttlichen Worts.
Und iſt dieſe Art, da GOttes Wort Geſang-
weiſe betrachtet wird, ſonderlich ſehr erweck-
lich. Und hat unſere teutſche Nation vor an-
dern GOtt zu dancken, daß wir einen ſo ſehr
reichen und ſo herrlichen Vorrath alter und
neuer geiſtreicher Geſaͤnge haben, welche,
wenn man die ſo vielen unterſchiedenen Ge-
ſang-Buͤcher ſo vieler Orten durchſiehet, kaum
zu zehlen ſind. Und da auch von mehrern
Jahren her die teutſche Poeſie, ihrer anmuthi-
gen Reinlichkeit nach, zu einem groſſen Grad
ihrer Vollkommenheit gebracht iſt; ſo iſt ſie
hiezu am beſten gebrauchet und geheiliget wor-
den. Und daß in der Muſic, ſo wol der voca-
len, als inſtrumentalen, ein beſonderer Cha-
racter der Weisheit und Guͤte GOttes liege,
das iſt gar mercklich.
b. Pſalmen ſind eigentlich ſolche Geſaͤnge, da-
zu mit einem muſicaliſchen Jnſtrumente zu-
gleich geſpielet wurde: wie von den Pſalmen
Davids bekant iſt, daß ihr Gebrauch mit ein
Stuͤck vom oͤffentlichen GOttesdienſte gewe-
ſen iſt. Es iſt auch kein Zweifel, daß die er-
ſten Chriſten aus der Fuͤlle des Geiſtes nicht
viel andere ſolcher Pſalm-Lieder, dazu auch
die muſicaliſchen Jnſtrumente ſind gebrauchet
worden, gemachet und unter ſich zur gemei-
nen Erbauung gehabt haben, ſonderlich zu
ſolchen Zeiten, da ihnen die voͤllige Freyheit
des oͤffentlichen Gottesdienſtes ſo wol, als den
Juden, iſt verſtattet worden.
c. Lobgeſaͤnge, hymni, ſind ſolche Lieder, dar-
innen man GOtt lobet in Betrachtung ſeines
Weſens, ſeines Willens, und ſeiner Wer-
cke und Wohlthaten: dergleichen wir unter-
ſchiedliche in den Schriften des alten Teſta-
ments haben.
d. Die Lieder, Oden ſind alle uͤbrige Geſaͤn-
ge, welche von allerhand geiſtreichen Mate-
rien handeln, theils in der Form der Lehre,
theils auch der Ermahnung, Aufmunterung
und der Troͤſtungen mit darbey eingebrach-
ten Lobe GOttes. Welche Lieder, wie auch
die zuvor gedachten beſondern Lob-Geſaͤnge,
in Anſehung der dabey gebrauchten muſicali-
ſchen Jnſtrumenten, auch wol zugleich Pſal-
men waren.
e. Geiſtliche heiſſen die Lieder, wie auch die
Pſalmen und Lobgeſaͤnge, ſonderlich von ih-
rer Materie der geiſtlichen Sachen.
War nun die Compoſition bey dem Verfer-
tiger aus einem guten Schatz des Hertzens
gefloſſen und voller Geiſt und Kraft, ſo wa-
ren ſie denn auch zugleich geiſtreich: wie ſie
billig alle ſeyn ſollen: ſintemal ein trocknes
und magers Lied wenig erweckung giebet.
f. Lieblich, ἐν χάριτι, ſind ſie denn eben daher,
wenn ſie fein geiſtreich ſind, und nicht allein
recht anmuthig und erbaulich ſind zu hoͤren,
ſondern auch aus der Fuͤlle eines durch die
Gnade GOttes geheiligten Hertzens ange-
ſtimmet werden. Daher denn von ſich ſelbſt
erfolget, daß ſie auch GOtt angenehm
ſind.
7. Es ſoll aber alle Erbauung und dabey
alle muſicaliſche Andacht zu GOttes Ehren
gerichtet werden. Es muß demnach nichts nur
aus bloſſer Gewohnheit, und folglich nur bloß
mit dem Munde geſchehen, ſondern mit rechtem
Affect des Hertzens: darum der Apoſtel dieſes
dabey ausdruͤcklich fodert. Da es nun gar
leicht geſchehen kan, daß ein Menſch ſich mit den
Gedancken zerſtreuet, ſo hat man im Singen
und Beten wohl uͤber ſich ſelbſt zu wachen, und
ſich von der bemerckten Zerſtreuung ſo bald wie-
der zu ſammlen: Und da es auch geſchiehet, daß
ein Menſch ſich bey dem Singen und Spielen
in ſeine eigene Kunſt und Stimme verliebet,
und daher das Werck mehr auf ihn ſelbſt, als
auf GOtt gerichtet iſt, ſo hat man das τᾷ κυρίῳ,
dem
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