Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 12-14. [Spaltenumbruch]
Unlust zuwächset, und er daher Klage hat wi-der den andern; nicht eben eine gerichtliche, sondern eine solche, da er sich über ihn be- schweren kan, daß er ihm lästig sey. Da denn nun zwar billig niemand dem andern zur Last werden soll, und, wenn er es wider sei- nen Vorsatz worden ist, ihm die Last wieder, so viel er kan, abzunehmen hat: unterdessen aber, wenn sie doch gleichwol gemachet ist: so ist nichts besser, als sie in Christlicher Großmüthigkeit und Liebe zu ertragen, ohne in Unmuth darüber zu gerathen, und ohne mit dem andern das Band des Friedens zu bre- chen. Darum Paulus Galat. 6, 2. gesaget hat: Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz CHristi erfüllen. b. Was sie für eine besondere Veranlas- sung habe. Diß sind die besondere Schwachheiten, welche einem Menschen bey seinem natürlichen Temperament an- hangen, und gleichsam rechte idiotismi mo- rales sind; und einem andern pflegen so viel schwerer zu ertragen zu seyn; ie mehr er von solchem Temperament entfernet ist. Zwar muß die verderbte Natur bey keinem Men- schen herrschen: aber es geschiehet doch, daß die Schwachheiten, welche einem vor dem andern nach seinem Temperamente, oder na- türlichen Leibes- und Gemüths-Beschaffen- heit anhangen, sich vor andern bey gegebener Gelegenheit und Reitzung bey ihm regen und sehen lassen; bey dem andern aber nicht, da muß aber der andere dencken, daß der Nechste etwa an ihm hingegen andere Fehler zu tragen habe: Z. E. Wenn ihrer zweene, deren einer eines von Natur etwas hitzigen, und dabey schnellen und geschwinden, We- sens in allen seinen Verrichtungen, der an- dere aber langsamerer Natur ist, viel mit ein- ander umzugehen und manche Geschäfte mit einander zugleich zu verrichten haben, so wird immer einer an dem andern etwas zu tragen haben. Geschiehet aber auch ausser dem ein Versehen, und gibt Anstoß, so muß es auch ohne Friedens-Bruch übersehen werden. c. Das vollkommenste Exempel CHristi zur Nachfolge. Davon Paulus alhier aus- drücklich spricht: Gleichwie CHristus euch vergeben hat, also auch ihr. Wie hat uns aber CHristus vergeben? Als wir noch seine Feinde waren, und nicht allein aus Schwachheit, sondern auch aus Muthwil- len uns wider ihn versündiget hatten: da hat er uns solches alles doch vergeben; und zwar wie aus lauter Gnade, also auch hertzlich und willig; ja also, daß er uns noch dazu hat viel gutes erwiesen. Gleichwie aber CHristus niemanden die Vergebung angedeien läßt, es sey denn, daß er die Sünde erkenne, und durch seine Gnade davon ablasse: also hat auch der, der einen andern eine Last gemachet hat, solches mit Reue zu erkennen und davon abzulassen. Thut er es nicht, so bleibet der andere, weil er auch ein Sünder ist, und da- her mit CHristo sich nicht vergleichen und sei- [Spaltenumbruch] ne Verzeihung an die Ordnung der Bekeh- rung bey dem andern binden kan, zwar doch zur Vergebung verbunden; aber der sündi- gende ladet bey seiner Beharrung desto mehr Schuld vor GOTT auf sein Gewissen. Man conferire hiebey Matth. 6, 14. 15. Eph. 4, 2. 32. 9. Da wir nun bisher betrachtet haben so wol wer die Tugenden ausüben soll, nemlich die Auserwehlten, Heiligen und Gelieb- ten GOttes: als auch welche Tugenden es sind, welchen sie ergeben seyn sollen: so haben wir nun auch die Ausübung selbst noch mit we- nigen zu erwegen. Diese wird nun gefodert mit dem gleich anfangs gesetzten Worte endu- sasthe, ziehet an: Dabey zu mercken ist: a. Der Grund dieser Redens-Art, die Tu- genden anziehen. Welcher lieget in den vorhin gebrauchten Worten von Anziehung des neuen Menschen, davon diese Tugen- den gleichsam Glieder sind. So sind auch, nechst der Gerechtigkeit CHristi, als unserm eigentlichen Ehren-Kleide, die Christliche Tugenden ein rechter Schmuck unserer See- len und unsers Wandels. Leget man nun dem Leibe mehr, als ein Stück der Kleidung an, da gewisse Glieder ihre besondere Pflege erfodern: so soll auch der Seelen-Schmuck aus vielen Tugenden bestehen. b. Der Nachdruck: welcher ist, theils daß man die Tugenden solle bey sich in einer fertigen Beständigkeit in der Ausübung bleiben las- sen; gleichwie man ein Kleid nicht nur an sich hanget, sondern es am Leibe recht veste an- leget, daß es einem kein Wind hinweg we- hen kan: theils daß man damit seine natür- liche Blösse decket, sich auch gegen die kalte Luft und gegen den Regen verwahret. Denn also müssen einem die Tugenden auch zu Was- fen werden. Darum sie Paulus ausdrück- lich Waffen des Lichts nennet, wenn er Rom. 13, 12. spricht: Lasset uns ablegen die Wercke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichts. Und weil unser Heiland das allervollkommenste Muster aller Tugenden ist, so muß es auch sonder- lich alhier heissen, wie Paulus v. 14. dazu se- tzet: Ziehet an den HErrn JEsum. V. 14. Uber alles aber (was vorhin von Tu- Anmerckungen. 1. Die Vollkommenheit ist von gedop- pelter Art, absoluta, das ist, eine solche, wel- che nicht allein alle Stücke, die zu einer Sache erfodert werden, sondern auch alle Stuffen, die dazu gehören, an sich hat: oder limitata, welche ohne die Grad, oder Stuffen, nur die gehörigen Theile eines Dinges hat. Welchen Unterscheid der Vollkommenheit man an einem Men-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 12-14. [Spaltenumbruch]
Unluſt zuwaͤchſet, und er daher Klage hat wi-der den andern; nicht eben eine gerichtliche, ſondern eine ſolche, da er ſich uͤber ihn be- ſchweren kan, daß er ihm laͤſtig ſey. Da denn nun zwar billig niemand dem andern zur Laſt werden ſoll, und, wenn er es wider ſei- nen Vorſatz worden iſt, ihm die Laſt wieder, ſo viel er kan, abzunehmen hat: unterdeſſen aber, wenn ſie doch gleichwol gemachet iſt: ſo iſt nichts beſſer, als ſie in Chriſtlicher Großmuͤthigkeit und Liebe zu ertragen, ohne in Unmuth daruͤber zu gerathen, und ohne mit dem andern das Band des Friedens zu bre- chen. Darum Paulus Galat. 6, 2. geſaget hat: Einer trage des andern Laſt, ſo werdet ihr das Geſetz CHriſti erfuͤllen. b. Was ſie fuͤr eine beſondere Veranlaſ- ſung habe. Diß ſind die beſondere Schwachheiten, welche einem Menſchen bey ſeinem natuͤrlichen Temperament an- hangen, und gleichſam rechte idiotiſmi mo- rales ſind; und einem andern pflegen ſo viel ſchwerer zu ertragen zu ſeyn; ie mehr er von ſolchem Temperament entfernet iſt. Zwar muß die verderbte Natur bey keinem Men- ſchen herrſchen: aber es geſchiehet doch, daß die Schwachheiten, welche einem vor dem andern nach ſeinem Temperamente, oder na- tuͤrlichen Leibes- und Gemuͤths-Beſchaffen- heit anhangen, ſich vor andern bey gegebener Gelegenheit und Reitzung bey ihm regen und ſehen laſſen; bey dem andern aber nicht, da muß aber der andere dencken, daß der Nechſte etwa an ihm hingegen andere Fehler zu tragen habe: Z. E. Wenn ihrer zweene, deren einer eines von Natur etwas hitzigen, und dabey ſchnellen und geſchwinden, We- ſens in allen ſeinen Verrichtungen, der an- dere aber langſamerer Natur iſt, viel mit ein- ander umzugehen und manche Geſchaͤfte mit einander zugleich zu verrichten haben, ſo wird immer einer an dem andern etwas zu tragen haben. Geſchiehet aber auch auſſer dem ein Verſehen, und gibt Anſtoß, ſo muß es auch ohne Friedens-Bruch uͤberſehen werden. c. Das vollkommenſte Exempel CHriſti zur Nachfolge. Davon Paulus alhier aus- druͤcklich ſpricht: Gleichwie CHriſtus euch vergeben hat, alſo auch ihr. Wie hat uns aber CHriſtus vergeben? Als wir noch ſeine Feinde waren, und nicht allein aus Schwachheit, ſondern auch aus Muthwil- len uns wider ihn verſuͤndiget hatten: da hat er uns ſolches alles doch vergeben; und zwar wie aus lauter Gnade, alſo auch hertzlich und willig; ja alſo, daß er uns noch dazu hat viel gutes erwieſen. Gleichwie aber CHriſtus niemanden die Vergebung angedeien laͤßt, es ſey denn, daß er die Suͤnde erkenne, und durch ſeine Gnade davon ablaſſe: alſo hat auch der, der einen andern eine Laſt gemachet hat, ſolches mit Reue zu erkennen und davon abzulaſſen. Thut er es nicht, ſo bleibet der andere, weil er auch ein Suͤnder iſt, und da- her mit CHriſto ſich nicht vergleichen und ſei- [Spaltenumbruch] ne Verzeihung an die Ordnung der Bekeh- rung bey dem andern binden kan, zwar doch zur Vergebung verbunden; aber der ſuͤndi- gende ladet bey ſeiner Beharrung deſto mehr Schuld vor GOTT auf ſein Gewiſſen. Man conferire hiebey Matth. 6, 14. 15. Eph. 4, 2. 32. 9. Da wir nun bisher betrachtet haben ſo wol wer die Tugenden ausuͤben ſoll, nemlich die Auserwehlten, Heiligen und Gelieb- ten GOttes: als auch welche Tugenden es ſind, welchen ſie ergeben ſeyn ſollen: ſo haben wir nun auch die Ausuͤbung ſelbſt noch mit we- nigen zu erwegen. Dieſe wird nun gefodert mit dem gleich anfangs geſetzten Worte ἐνδύ- σασϑε, ziehet an: Dabey zu mercken iſt: a. Der Grund dieſer Redens-Art, die Tu- genden anziehen. Welcher lieget in den vorhin gebrauchten Worten von Anziehung des neuen Menſchen, davon dieſe Tugen- den gleichſam Glieder ſind. So ſind auch, nechſt der Gerechtigkeit CHriſti, als unſerm eigentlichen Ehren-Kleide, die Chriſtliche Tugenden ein rechter Schmuck unſerer See- len und unſers Wandels. Leget man nun dem Leibe mehr, als ein Stuͤck der Kleidung an, da gewiſſe Glieder ihre beſondere Pflege erfodern: ſo ſoll auch der Seelen-Schmuck aus vielen Tugenden beſtehen. b. Der Nachdruck: welcher iſt, theils daß man die Tugenden ſolle bey ſich in einer fertigen Beſtaͤndigkeit in der Ausuͤbung bleiben laſ- ſen; gleichwie man ein Kleid nicht nur an ſich hanget, ſondern es am Leibe recht veſte an- leget, daß es einem kein Wind hinweg we- hen kan: theils daß man damit ſeine natuͤr- liche Bloͤſſe decket, ſich auch gegen die kalte Luft und gegen den Regen verwahret. Denn alſo muͤſſen einem die Tugenden auch zu Waſ- fen werden. Darum ſie Paulus ausdruͤck- lich Waffen des Lichts nennet, wenn er Rom. 13, 12. ſpricht: Laſſet uns ablegen die Wercke der Finſterniß und anlegen die Waffen des Lichts. Und weil unſer Heiland das allervollkommenſte Muſter aller Tugenden iſt, ſo muß es auch ſonder- lich alhier heiſſen, wie Paulus v. 14. dazu ſe- tzet: Ziehet an den HErrn JEſum. V. 14. Uber alles aber (was vorhin von Tu- Anmerckungen. 1. Die Vollkommenheit iſt von gedop- pelter Art, abſoluta, das iſt, eine ſolche, wel- che nicht allein alle Stuͤcke, die zu einer Sache erfodert werden, ſondern auch alle Stuffen, die dazu gehoͤren, an ſich hat: oder limitata, welche ohne die Grad, oder Stuffen, nur die gehoͤrigen Theile eines Dinges hat. Welchen Unterſcheid der Vollkommenheit man an einem Men-
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 12-14.
Unluſt zuwaͤchſet, und er daher Klage hat wi-
der den andern; nicht eben eine gerichtliche,
ſondern eine ſolche, da er ſich uͤber ihn be-
ſchweren kan, daß er ihm laͤſtig ſey. Da
denn nun zwar billig niemand dem andern zur
Laſt werden ſoll, und, wenn er es wider ſei-
nen Vorſatz worden iſt, ihm die Laſt wieder,
ſo viel er kan, abzunehmen hat: unterdeſſen
aber, wenn ſie doch gleichwol gemachet iſt:
ſo iſt nichts beſſer, als ſie in Chriſtlicher
Großmuͤthigkeit und Liebe zu ertragen, ohne
in Unmuth daruͤber zu gerathen, und ohne mit
dem andern das Band des Friedens zu bre-
chen. Darum Paulus Galat. 6, 2. geſaget
hat: Einer trage des andern Laſt, ſo
werdet ihr das Geſetz CHriſti erfuͤllen.
b. Was ſie fuͤr eine beſondere Veranlaſ-
ſung habe. Diß ſind die beſondere
Schwachheiten, welche einem Menſchen
bey ſeinem natuͤrlichen Temperament an-
hangen, und gleichſam rechte idiotiſmi mo-
rales ſind; und einem andern pflegen ſo viel
ſchwerer zu ertragen zu ſeyn; ie mehr er von
ſolchem Temperament entfernet iſt. Zwar
muß die verderbte Natur bey keinem Men-
ſchen herrſchen: aber es geſchiehet doch, daß
die Schwachheiten, welche einem vor dem
andern nach ſeinem Temperamente, oder na-
tuͤrlichen Leibes- und Gemuͤths-Beſchaffen-
heit anhangen, ſich vor andern bey gegebener
Gelegenheit und Reitzung bey ihm regen
und ſehen laſſen; bey dem andern aber nicht,
da muß aber der andere dencken, daß der
Nechſte etwa an ihm hingegen andere Fehler
zu tragen habe: Z. E. Wenn ihrer zweene,
deren einer eines von Natur etwas hitzigen,
und dabey ſchnellen und geſchwinden, We-
ſens in allen ſeinen Verrichtungen, der an-
dere aber langſamerer Natur iſt, viel mit ein-
ander umzugehen und manche Geſchaͤfte mit
einander zugleich zu verrichten haben, ſo wird
immer einer an dem andern etwas zu tragen
haben. Geſchiehet aber auch auſſer dem ein
Verſehen, und gibt Anſtoß, ſo muß es auch
ohne Friedens-Bruch uͤberſehen werden.
c. Das vollkommenſte Exempel CHriſti
zur Nachfolge. Davon Paulus alhier aus-
druͤcklich ſpricht: Gleichwie CHriſtus euch
vergeben hat, alſo auch ihr. Wie hat
uns aber CHriſtus vergeben? Als wir noch
ſeine Feinde waren, und nicht allein aus
Schwachheit, ſondern auch aus Muthwil-
len uns wider ihn verſuͤndiget hatten: da hat
er uns ſolches alles doch vergeben; und zwar
wie aus lauter Gnade, alſo auch hertzlich und
willig; ja alſo, daß er uns noch dazu hat viel
gutes erwieſen. Gleichwie aber CHriſtus
niemanden die Vergebung angedeien laͤßt, es
ſey denn, daß er die Suͤnde erkenne, und
durch ſeine Gnade davon ablaſſe: alſo hat
auch der, der einen andern eine Laſt gemachet
hat, ſolches mit Reue zu erkennen und davon
abzulaſſen. Thut er es nicht, ſo bleibet der
andere, weil er auch ein Suͤnder iſt, und da-
her mit CHriſto ſich nicht vergleichen und ſei-
ne Verzeihung an die Ordnung der Bekeh-
rung bey dem andern binden kan, zwar doch
zur Vergebung verbunden; aber der ſuͤndi-
gende ladet bey ſeiner Beharrung deſto mehr
Schuld vor GOTT auf ſein Gewiſſen.
Man conferire hiebey Matth. 6, 14. 15. Eph.
4, 2. 32.
9. Da wir nun bisher betrachtet haben
ſo wol wer die Tugenden ausuͤben ſoll, nemlich
die Auserwehlten, Heiligen und Gelieb-
ten GOttes: als auch welche Tugenden es
ſind, welchen ſie ergeben ſeyn ſollen: ſo haben
wir nun auch die Ausuͤbung ſelbſt noch mit we-
nigen zu erwegen. Dieſe wird nun gefodert
mit dem gleich anfangs geſetzten Worte ἐνδύ-
σασϑε, ziehet an: Dabey zu mercken iſt:
a. Der Grund dieſer Redens-Art, die Tu-
genden anziehen. Welcher lieget in den
vorhin gebrauchten Worten von Anziehung
des neuen Menſchen, davon dieſe Tugen-
den gleichſam Glieder ſind. So ſind auch,
nechſt der Gerechtigkeit CHriſti, als unſerm
eigentlichen Ehren-Kleide, die Chriſtliche
Tugenden ein rechter Schmuck unſerer See-
len und unſers Wandels. Leget man nun
dem Leibe mehr, als ein Stuͤck der Kleidung
an, da gewiſſe Glieder ihre beſondere Pflege
erfodern: ſo ſoll auch der Seelen-Schmuck
aus vielen Tugenden beſtehen.
b. Der Nachdruck: welcher iſt, theils daß man
die Tugenden ſolle bey ſich in einer fertigen
Beſtaͤndigkeit in der Ausuͤbung bleiben laſ-
ſen; gleichwie man ein Kleid nicht nur an ſich
hanget, ſondern es am Leibe recht veſte an-
leget, daß es einem kein Wind hinweg we-
hen kan: theils daß man damit ſeine natuͤr-
liche Bloͤſſe decket, ſich auch gegen die kalte
Luft und gegen den Regen verwahret. Denn
alſo muͤſſen einem die Tugenden auch zu Waſ-
fen werden. Darum ſie Paulus ausdruͤck-
lich Waffen des Lichts nennet, wenn er
Rom. 13, 12. ſpricht: Laſſet uns ablegen
die Wercke der Finſterniß und anlegen
die Waffen des Lichts. Und weil unſer
Heiland das allervollkommenſte Muſter
aller Tugenden iſt, ſo muß es auch ſonder-
lich alhier heiſſen, wie Paulus v. 14. dazu ſe-
tzet: Ziehet an den HErrn JEſum.
V. 14.
Uber alles aber (was vorhin von Tu-
genden benennet iſt,) ziehet an die Liebe,
die da iſt das Band der Vollkommen-
heit.
Anmerckungen.
1. Die Vollkommenheit iſt von gedop-
pelter Art, abſoluta, das iſt, eine ſolche, wel-
che nicht allein alle Stuͤcke, die zu einer Sache
erfodert werden, ſondern auch alle Stuffen,
die dazu gehoͤren, an ſich hat: oder limitata,
welche ohne die Grad, oder Stuffen, nur die
gehoͤrigen Theile eines Dinges hat. Welchen
Unterſcheid der Vollkommenheit man an einem
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