Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 4, 8. [Spaltenumbruch]
Und da sonderlich diese durch die falsche Frey-heit dem Frieden sehr nachstellet, so muß man dagegen wohl auf seiner Hut seyn. Einen schönen Parallel-Ort vom Frieden GOttes in der Seele sehe man unter andern sonderlich Col. 3, 15. da es heißt: Der Friede GOt- tes regiere in euren Hertzen. Weil am Frieden so viel gelegen ist, so hat Paulus ihn daher allen Gemeinen im Anfange der Briefe, mit einer liebreichen und Segens-vollen Be- grüssung angewünschet. Siehe auch Joh. 14, 27. V. 8. Weiter (im übrigen) lieben Brüder, Anmerckungen. 1. Weil der Apostel zum Beschluß des Briefes eilet, und ihm doch das Hertz noch voll war von mehren Erinnerungen gegen die Philip- per, alles aber insonderheit sich nicht an- und ausführen liesse, so giebet er ihnen hiemit eine allgemeine Regel zur Application bey aller Ge- legenheit. 2. Zuvorderst recommendiret er ihnen die Liebe zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit, und damit führet er sie von aller Unlauterkeit, Falschheit und Verstellung in Worten und Wercken, und so vielmehr von allem lügenhaf- ten Wesen ab. Denn wer aus der Wahrheit ist, als gleichsam neugeboren, der muß auch nach der Wahrheit reden, und in der Wahrheit wan- deln. Was dagegen einige böse Moralisten von der Kunst der Verstellung vorgeben, ist nicht einmal heidnisch, oder vernünftig, vielweniger weise und Christlich. 3. Was der Apostel alhier nennet semna, ehrbar, Ehrbarkeit, ist eigentlich eine wohl- anständige Gravität und Ernsthaftigkeit, welche weisen Leuten gebühret, sonderlich in Ansehung dessen, daß sie vor den Augen des allgegenwär- tigen GOttes in seiner heiligen Furcht wandeln. Und ist diese Ernsthaftigkeit allem eitelen leicht- sinnigen, und schertzhaften Wesen entgegen ge- setzet, und gehet sonderlich auf den Christlichen Wohlstand in Worten, Geberden, Wercken und Kleidungen 1 Tim. 2, 2. da die rechte christ- liche Ehrbarkeit zur innern Gottseligkeit gesetzet wird. Siehe auch 1 Tim. 3, 4. 8. 11. Tit. 2, 2. 7. da sie sonderlich den Kirchen-Dienern und ihren Weibern anbefohlen wird. 4. Die Gerechtigkeit gehet alhier auf die Pflichten in der Ausübung der Liebe gegen den Nechsten, und also auf das, was gegen den Nechsten und gegen iederman, er sey Freund, oder Feind, recht und billig, dem guten Gewissen gemäß, und der Christlichen Religion anständig ist, sonderlich im Handel und Wandel. Diese Gerechtigkeit wird uns von unserm Heilande da- mit eingeschärfet, wenn er Matth. 7, 12. spricht: Alles, was ihr wollet, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen, mit dem Zu- [Spaltenumbruch] satze: das ist das Gesetz und die Pro- pheten. 5. Keusch ist alhier so viel, als alles, was nicht allein von allen Gattungen der würcklichen Unkeuschheit, Geilheit und Unreinigkeit entfer- net ist, sondern auch allem bösen Schein und dazu reitzender Gelegenheit entgegen gesetzet ist. 6. Was lieblich oder liebens-würdig ist, das ist von solcher Art, daß es keiner, wenn er auch gleich aus Haß gerne wolte, übel deuten und verlästern kan, und wenn er es dennoch übel deutet und verlästert, sich damit selbst bloß gie- bet. So wenig es dem guten Gewissen nach er- laubet ist, in Eigenliebe sich bey andern nur selbst zu suchen; so sehr lieget es hingegen einem Chri- sten ob, sich durch einen wohlanständigen Wan- del bey allen Menschen, sonderlich bey den Fein- den der Wahrheit, beliebt und liebens-werth zu machen. 7. Und eben hiezu gehören ta euphema, Dinge, die wohl lauten, welche so wol der Person eines Christen, als dem Evangelio, ei- nen Ruhm und Ruff bringen, und gleichsam ei- nen guten Geruch von sich geben. Ein anders aber ist, einen Ruhm suchen, und den eigenen Ruhm zum Zweck seiner Handlungen setzen; welches gar nicht christlich, sondern eine Art der subtilen Abgötterey ist: ein anders, alles so ver- richten, daß ein guter Nachruhm und guter Na- me daher von sich selbst entstehe: als welches geschiehet, wenn ein Mensch bloß nach dem Trie- be seines Gewissens und zur Ehre GOttes, auch seinem Nechsten zu Dienste lebet, und dabey im- mer in der Verleugnung seiner selbst bleibet. Da denn der gute Ruff von einem solchen Tu- gend-Wandel ungesuchet fällt, wie ein Schat- te von einem Cörper. 8. Und alles vorhergehende erläutert der Apostel damit, daß er hinzu setzet: ist etwa ei- ne Tugend, ist etwa ein Lob, da er denn eine jede tugendhafte und löbliche Sache verstehet: aber auch bey den Philippern dieses zum Grun- de setzet, daß sie nicht allein an dem im Gesetze geoffenbareten Willen GOttes eine richtige und vollkommene Vorschrift, sondern dabey auch an ihrem erleuchteten Sinne und an ihrer bereits erlangten vielen Erfahrung eine hinlängliche Wissenschaft hatten, das, was tugendhaft und löblich ist, wohl zu erkennen, und in der Prü- fung das wahre von dem falschen wohl zu unter- scheiden: zu welchem Ende, um darinnen immer völliger und geübter zu werden, er ihnen oben c. 1, 9. 10. 11. noch immer mehrern Wachsthum an- gewünschet hat. 9. Zu allen diesen Stücken gehöret nun der Ubung nach das tauta logizesthe, welches Lutherus übersetzet hat: dem dencket nach. Welches Nachdencken eine solche Uberlegung und Beurtheilung des Verstandes erfodert, da- bey auch der Wille mit der würcklichen Ausü- bung geschäftig ist: wie denn ohne das eines ohne das andere nicht statt findet. 10. Man siehet im übrigen hieraus, daß die Christen, gelehrte und ungelehrte, nicht nö- thig haben, sich ausser der heiligen Schrift nach der heidnischen Sitten-Lehre umzusehen. V. 9.
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 4, 8. [Spaltenumbruch]
Und da ſonderlich dieſe durch die falſche Frey-heit dem Frieden ſehr nachſtellet, ſo muß man dagegen wohl auf ſeiner Hut ſeyn. Einen ſchoͤnen Parallel-Ort vom Frieden GOttes in der Seele ſehe man unter andern ſonderlich Col. 3, 15. da es heißt: Der Friede GOt- tes regiere in euren Hertzen. Weil am Frieden ſo viel gelegen iſt, ſo hat Paulus ihn daher allen Gemeinen im Anfange der Briefe, mit einer liebreichen und Segens-vollen Be- gruͤſſung angewuͤnſchet. Siehe auch Joh. 14, 27. V. 8. Weiter (im uͤbrigen) lieben Bruͤder, Anmerckungen. 1. Weil der Apoſtel zum Beſchluß des Briefes eilet, und ihm doch das Hertz noch voll war von mehren Erinnerungen gegen die Philip- per, alles aber inſonderheit ſich nicht an- und ausfuͤhren lieſſe, ſo giebet er ihnen hiemit eine allgemeine Regel zur Application bey aller Ge- legenheit. 2. Zuvorderſt recommendiret er ihnen die Liebe zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit, und damit fuͤhret er ſie von aller Unlauterkeit, Falſchheit und Verſtellung in Worten und Wercken, und ſo vielmehr von allem luͤgenhaf- ten Weſen ab. Denn wer aus der Wahrheit iſt, als gleichſam neugeboren, der muß auch nach der Wahrheit reden, und in der Wahrheit wan- deln. Was dagegen einige boͤſe Moraliſten von der Kunſt der Verſtellung vorgeben, iſt nicht einmal heidniſch, oder vernuͤnftig, vielweniger weiſe und Chriſtlich. 3. Was der Apoſtel alhier nennet σεμνὰ, ehrbar, Ehrbarkeit, iſt eigentlich eine wohl- anſtaͤndige Gravitaͤt und Ernſthaftigkeit, welche weiſen Leuten gebuͤhret, ſonderlich in Anſehung deſſen, daß ſie vor den Augen des allgegenwaͤr- tigen GOttes in ſeiner heiligen Furcht wandeln. Und iſt dieſe Ernſthaftigkeit allem eitelen leicht- ſinnigen, und ſchertzhaften Weſen entgegen ge- ſetzet, und gehet ſonderlich auf den Chriſtlichen Wohlſtand in Worten, Geberden, Wercken und Kleidungen 1 Tim. 2, 2. da die rechte chriſt- liche Ehrbarkeit zur innern Gottſeligkeit geſetzet wird. Siehe auch 1 Tim. 3, 4. 8. 11. Tit. 2, 2. 7. da ſie ſonderlich den Kirchen-Dienern und ihren Weibern anbefohlen wird. 4. Die Gerechtigkeit gehet alhier auf die Pflichten in der Ausuͤbung der Liebe gegen den Nechſten, und alſo auf das, was gegen den Nechſten und gegen iederman, er ſey Freund, oder Feind, recht und billig, dem guten Gewiſſen gemaͤß, und der Chriſtlichen Religion anſtaͤndig iſt, ſonderlich im Handel und Wandel. Dieſe Gerechtigkeit wird uns von unſerm Heilande da- mit eingeſchaͤrfet, wenn er Matth. 7, 12. ſpricht: Alles, was ihr wollet, daß euch die Leute thun ſollen, das thut ihr ihnen, mit dem Zu- [Spaltenumbruch] ſatze: das iſt das Geſetz und die Pro- pheten. 5. Keuſch iſt alhier ſo viel, als alles, was nicht allein von allen Gattungen der wuͤrcklichen Unkeuſchheit, Geilheit und Unreinigkeit entfer- net iſt, ſondern auch allem boͤſen Schein und dazu reitzender Gelegenheit entgegen geſetzet iſt. 6. Was lieblich oder liebens-wuͤrdig iſt, das iſt von ſolcher Art, daß es keiner, wenn er auch gleich aus Haß gerne wolte, uͤbel deuten und verlaͤſtern kan, und wenn er es dennoch uͤbel deutet und verlaͤſtert, ſich damit ſelbſt bloß gie- bet. So wenig es dem guten Gewiſſen nach er- laubet iſt, in Eigenliebe ſich bey andern nur ſelbſt zu ſuchen; ſo ſehr lieget es hingegen einem Chri- ſten ob, ſich durch einen wohlanſtaͤndigen Wan- del bey allen Menſchen, ſonderlich bey den Fein- den der Wahrheit, beliebt und liebens-werth zu machen. 7. Und eben hiezu gehoͤren τὰ ἐύφημα, Dinge, die wohl lauten, welche ſo wol der Perſon eines Chriſten, als dem Evangelio, ei- nen Ruhm und Ruff bringen, und gleichſam ei- nen guten Geruch von ſich geben. Ein anders aber iſt, einen Ruhm ſuchen, und den eigenen Ruhm zum Zweck ſeiner Handlungen ſetzen; welches gar nicht chriſtlich, ſondern eine Art der ſubtilen Abgoͤtterey iſt: ein anders, alles ſo ver- richten, daß ein guter Nachruhm und guter Na- me daher von ſich ſelbſt entſtehe: als welches geſchiehet, wenn ein Menſch bloß nach dem Trie- be ſeines Gewiſſens und zur Ehre GOttes, auch ſeinem Nechſten zu Dienſte lebet, und dabey im- mer in der Verleugnung ſeiner ſelbſt bleibet. Da denn der gute Ruff von einem ſolchen Tu- gend-Wandel ungeſuchet faͤllt, wie ein Schat- te von einem Coͤrper. 8. Und alles vorhergehende erlaͤutert der Apoſtel damit, daß er hinzu ſetzet: iſt etwa ei- ne Tugend, iſt etwa ein Lob, da er denn eine jede tugendhafte und loͤbliche Sache verſtehet: aber auch bey den Philippern dieſes zum Grun- de ſetzet, daß ſie nicht allein an dem im Geſetze geoffenbareten Willen GOttes eine richtige und vollkommene Vorſchrift, ſondern dabey auch an ihrem erleuchteten Sinne und an ihrer bereits erlangten vielen Erfahrung eine hinlaͤngliche Wiſſenſchaft hatten, das, was tugendhaft und loͤblich iſt, wohl zu erkennen, und in der Pruͤ- fung das wahre von dem falſchen wohl zu unter- ſcheiden: zu welchem Ende, um darinnen immer voͤlliger und geuͤbter zu werden, er ihnen oben c. 1, 9. 10. 11. noch immer mehrern Wachsthum an- gewuͤnſchet hat. 9. Zu allen dieſen Stuͤcken gehoͤret nun der Ubung nach das ταῦτα λογίζεσϑε, welches Lutherus uͤberſetzet hat: dem dencket nach. Welches Nachdencken eine ſolche Uberlegung und Beurtheilung des Verſtandes erfodert, da- bey auch der Wille mit der wuͤrcklichen Ausuͤ- bung geſchaͤftig iſt: wie denn ohne das eines ohne das andere nicht ſtatt findet. 10. Man ſiehet im uͤbrigen hieraus, daß die Chriſten, gelehrte und ungelehrte, nicht noͤ- thig haben, ſich auſſer der heiligen Schrift nach der heidniſchen Sitten-Lehre umzuſehen. V. 9.
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 4, 8.
Und da ſonderlich dieſe durch die falſche Frey-
heit dem Frieden ſehr nachſtellet, ſo muß man
dagegen wohl auf ſeiner Hut ſeyn. Einen
ſchoͤnen Parallel-Ort vom Frieden GOttes in
der Seele ſehe man unter andern ſonderlich
Col. 3, 15. da es heißt: Der Friede GOt-
tes regiere in euren Hertzen. Weil am
Frieden ſo viel gelegen iſt, ſo hat Paulus ihn
daher allen Gemeinen im Anfange der Briefe,
mit einer liebreichen und Segens-vollen Be-
gruͤſſung angewuͤnſchet. Siehe auch Joh.
14, 27.
V. 8.
Weiter (im uͤbrigen) lieben Bruͤder,
was wahrhaftig iſt, was ehrbar, was ge-
recht, was keuſch, was lieblich, was wohl
lautet, iſt etwa eine Tugend, iſt etwa ein
Lob, dem dencket nach.
Anmerckungen.
1. Weil der Apoſtel zum Beſchluß des
Briefes eilet, und ihm doch das Hertz noch voll
war von mehren Erinnerungen gegen die Philip-
per, alles aber inſonderheit ſich nicht an- und
ausfuͤhren lieſſe, ſo giebet er ihnen hiemit eine
allgemeine Regel zur Application bey aller Ge-
legenheit.
2. Zuvorderſt recommendiret er ihnen die
Liebe zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit,
und damit fuͤhret er ſie von aller Unlauterkeit,
Falſchheit und Verſtellung in Worten und
Wercken, und ſo vielmehr von allem luͤgenhaf-
ten Weſen ab. Denn wer aus der Wahrheit
iſt, als gleichſam neugeboren, der muß auch nach
der Wahrheit reden, und in der Wahrheit wan-
deln. Was dagegen einige boͤſe Moraliſten von
der Kunſt der Verſtellung vorgeben, iſt nicht
einmal heidniſch, oder vernuͤnftig, vielweniger
weiſe und Chriſtlich.
3. Was der Apoſtel alhier nennet σεμνὰ,
ehrbar, Ehrbarkeit, iſt eigentlich eine wohl-
anſtaͤndige Gravitaͤt und Ernſthaftigkeit, welche
weiſen Leuten gebuͤhret, ſonderlich in Anſehung
deſſen, daß ſie vor den Augen des allgegenwaͤr-
tigen GOttes in ſeiner heiligen Furcht wandeln.
Und iſt dieſe Ernſthaftigkeit allem eitelen leicht-
ſinnigen, und ſchertzhaften Weſen entgegen ge-
ſetzet, und gehet ſonderlich auf den Chriſtlichen
Wohlſtand in Worten, Geberden, Wercken
und Kleidungen 1 Tim. 2, 2. da die rechte chriſt-
liche Ehrbarkeit zur innern Gottſeligkeit geſetzet
wird. Siehe auch 1 Tim. 3, 4. 8. 11. Tit. 2, 2. 7.
da ſie ſonderlich den Kirchen-Dienern und ihren
Weibern anbefohlen wird.
4. Die Gerechtigkeit gehet alhier auf die
Pflichten in der Ausuͤbung der Liebe gegen den
Nechſten, und alſo auf das, was gegen den
Nechſten und gegen iederman, er ſey Freund,
oder Feind, recht und billig, dem guten Gewiſſen
gemaͤß, und der Chriſtlichen Religion anſtaͤndig
iſt, ſonderlich im Handel und Wandel. Dieſe
Gerechtigkeit wird uns von unſerm Heilande da-
mit eingeſchaͤrfet, wenn er Matth. 7, 12. ſpricht:
Alles, was ihr wollet, daß euch die Leute
thun ſollen, das thut ihr ihnen, mit dem Zu-
ſatze: das iſt das Geſetz und die Pro-
pheten.
5. Keuſch iſt alhier ſo viel, als alles, was
nicht allein von allen Gattungen der wuͤrcklichen
Unkeuſchheit, Geilheit und Unreinigkeit entfer-
net iſt, ſondern auch allem boͤſen Schein und
dazu reitzender Gelegenheit entgegen geſetzet iſt.
6. Was lieblich oder liebens-wuͤrdig iſt,
das iſt von ſolcher Art, daß es keiner, wenn er
auch gleich aus Haß gerne wolte, uͤbel deuten
und verlaͤſtern kan, und wenn er es dennoch uͤbel
deutet und verlaͤſtert, ſich damit ſelbſt bloß gie-
bet. So wenig es dem guten Gewiſſen nach er-
laubet iſt, in Eigenliebe ſich bey andern nur ſelbſt
zu ſuchen; ſo ſehr lieget es hingegen einem Chri-
ſten ob, ſich durch einen wohlanſtaͤndigen Wan-
del bey allen Menſchen, ſonderlich bey den Fein-
den der Wahrheit, beliebt und liebens-werth
zu machen.
7. Und eben hiezu gehoͤren τὰ ἐύφημα,
Dinge, die wohl lauten, welche ſo wol der
Perſon eines Chriſten, als dem Evangelio, ei-
nen Ruhm und Ruff bringen, und gleichſam ei-
nen guten Geruch von ſich geben. Ein anders
aber iſt, einen Ruhm ſuchen, und den eigenen
Ruhm zum Zweck ſeiner Handlungen ſetzen;
welches gar nicht chriſtlich, ſondern eine Art der
ſubtilen Abgoͤtterey iſt: ein anders, alles ſo ver-
richten, daß ein guter Nachruhm und guter Na-
me daher von ſich ſelbſt entſtehe: als welches
geſchiehet, wenn ein Menſch bloß nach dem Trie-
be ſeines Gewiſſens und zur Ehre GOttes, auch
ſeinem Nechſten zu Dienſte lebet, und dabey im-
mer in der Verleugnung ſeiner ſelbſt bleibet.
Da denn der gute Ruff von einem ſolchen Tu-
gend-Wandel ungeſuchet faͤllt, wie ein Schat-
te von einem Coͤrper.
8. Und alles vorhergehende erlaͤutert der
Apoſtel damit, daß er hinzu ſetzet: iſt etwa ei-
ne Tugend, iſt etwa ein Lob, da er denn eine
jede tugendhafte und loͤbliche Sache verſtehet:
aber auch bey den Philippern dieſes zum Grun-
de ſetzet, daß ſie nicht allein an dem im Geſetze
geoffenbareten Willen GOttes eine richtige und
vollkommene Vorſchrift, ſondern dabey auch an
ihrem erleuchteten Sinne und an ihrer bereits
erlangten vielen Erfahrung eine hinlaͤngliche
Wiſſenſchaft hatten, das, was tugendhaft und
loͤblich iſt, wohl zu erkennen, und in der Pruͤ-
fung das wahre von dem falſchen wohl zu unter-
ſcheiden: zu welchem Ende, um darinnen immer
voͤlliger und geuͤbter zu werden, er ihnen oben c. 1,
9. 10. 11. noch immer mehrern Wachsthum an-
gewuͤnſchet hat.
9. Zu allen dieſen Stuͤcken gehoͤret nun
der Ubung nach das ταῦτα λογίζεσϑε, welches
Lutherus uͤberſetzet hat: dem dencket nach.
Welches Nachdencken eine ſolche Uberlegung
und Beurtheilung des Verſtandes erfodert, da-
bey auch der Wille mit der wuͤrcklichen Ausuͤ-
bung geſchaͤftig iſt: wie denn ohne das eines ohne
das andere nicht ſtatt findet.
10. Man ſiehet im uͤbrigen hieraus, daß
die Chriſten, gelehrte und ungelehrte, nicht noͤ-
thig haben, ſich auſſer der heiligen Schrift nach
der heidniſchen Sitten-Lehre umzuſehen.
V. 9.
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