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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des Briefs Pauli Cap. 3, 12-14.
[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.
1. Niemand kan das ewige Leben ergreif-
fen,
er sey denn erst selbst ergriffen; wie denn
niemand glauben kan, es sey denn der Glaube in
ihm gewircket. Unser Heiland aber strecket sei-
ne Hand aus den gantzen Tag, oder beständig,
auch so gar gegen die, welche widersprechen Jes.
65, 2. Rom. 10, 21. und will sie ergreiffen; daß
es demnach, wenn sie nicht ergriffen werden, ihre
eigene Schuld ist, daß sie sich nicht ergreiffen
lassen.
2. Dieses Ergreiffen heißt Joh. 6, 44.
Der Zug des Vaters zn dem Sohne. Auch
das zu sich ziehen des Sohnes selbst c. 12, 32.
Siehe auch Jes. 8, 11. 1 Tim. 6, 12. heißt es be-
rufen seyn,
wenn der Apostel spricht: Käm-
pfe den guten Kampf des Glaubens, er-
greiffe das ewige Leben, dazu du auch be-
ruffen bist.
3. Hatte nun Paulus es noch nicht völlig
ergriffen, wozu er war beruffen worden; so wäre
es gewiß eine sehr gefährliche Einbildung, wenn
einer sich schon für vollkommen halten wolte, und
eine Anzeigung, daß es einem wol noch gar an
dem rechten Anfange, oder doch gewisse an dem
rechten Fortgange fehlet.
4. Es zweifelte aber Paulus an der gewis-
sen Ergreiffung gar nicht, sondern er gibt mit den
Worten nur der Sachen Wichtigkeit und seinen
Ernst zu erkennen.
V. 13. 14.

Meine Brüder, ich schätze mich selbst
noch nicht, daß ichs ergriffen habe: eines
aber
(und das was rechts, darauf alles an-
kömmt) sage ich (oder thue ich) ich vergesse,
was dahinten ist, und strecke mich zu dem,
das da vorne ist, und jage nach dem vor-
gesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches
vorhält die himmlische Berufung GOttes
in Christo JEsu.

Anmerckungen.
1. Die gantze Phraseologie ist hergenom-
men von der Gewohnheit der Griechen, da sie,
ihre Jugend zu kriegerischen Verrichtungen ge-
schickt zu machen, allerhand Ubungen anstelle-
ten; als da unter andern war das Kämpfen,
Fechten,
auf einem Lauff-Platze zur Ergreif-
fung eines gewissen vorgesteckten Ziels um die
Wette lauffen.
Da nun die Christen etwas
bessers vor sich hatten, so bedienet sich der Apo-
stel dazu solcher bekanten Redens-Arten, und
zeiget damit an, was die Gnade vor der Natur
und der Kunst voraus habe.
2. Es sind aber bey diesem Texte folgende
Stücke zu mercken: erstlich das Ziel und Klei-
nod, wornach der Lauff gerichtet ist: hernach
der Läuffer: und denn der Lauff selbst.
3. Das Ziel ist das ewige Leben, wel-
ches Paulus 2 Tim. 4, 8. nennet die Krone
der Gerechtigkeit,
die ihm im Himmel beyge-
leget war. Denn ob man schon im Reiche der
Gnaden würcklich selig ist; so ist es doch nur erst
[Spaltenumbruch] ein Vorschmack der Seligkeit. Und von diesem
Ziele saget Paulus, daß die himmlische Beru-
fung, oder die Berufung, die man von GOtt
aus dem Himmel hat, und die uns auch himm-
lisch gesinnnet machet, sie uns vorhalte. Und
da diese mit dem Kleinode selbst ihren Grund
hatte in Christo und seinem Verdienste, so wird
sie genennet eine Berufung in CHristo JESU.
Was Paulum betrifft, so kam seine Berufung
auf eine unmittelbare Art auch sinnlicher Weise
aus dem Himmel von Christo, da er auf dem
Wege gen Damascus mitten im Lauffe seines
Grimmes wider Christi Glieder ihm zurief und
sprach: Saul, Saul, was verfolgest du
mich! es wird dir schwer werden wider
den Stachel lecken.
Ap. Gesch. 9, 4. 5.
Gleichwie nun diese Berufung Christi selbst war;
also war sie auch, wegen der Einigkeit des We-
sens, des Vaters in Christo; zuvorderst zum
Christenthum, und dabey auch zum Apostel-
Amte. Darum er den Brief an die Galater al-
so anhebet: Paulus, ein Apostel, nicht von
Menschen, auch nicht durch Menschen,
sondern durch JEsum Christum und
GOtt den Vater.
4. Der Läuffer war nun Paulus, der
von sich saget, er schatze sich noch nicht, daß er das
Kleinod ergriffen habe. Wie einem denn nichts
mehr zum rechten Lauffe antreiben kan, als die
Erwegung dessen, was einem an der Vollendung
noch fehle, und was man noch vor sich habe.
Paulus sahe mit diesen Worten zugleich auf die
Hoffnung, die er hatte, noch länger zu leben, und
noch weiter eine grosse Reise nach dem Orient
und nach Griechenland zu thun; und also hatte
er noch einen grossen Theil seines Kampfes und
Lauffes vor sich: hingegen als er in der letz-
tern Gefangenschaft zu Rom war, und den Tod
gewisser und näher vor Augen sahe, da sprach
er 2 Tim. 4, 7. Jch habe einen guten Kampf
gekämpfet, ich habe den Lauf vollendet,
ich habe Glauben gehalten: hinfort ist
mir beygeleget die Crone der Gerechtig-
keit
u. f.
5. Zum Lauffe selbst gehöret nach diesem
Texte dreyerley:
a. Das Vergessen, was dahinten ist.
Denn nachdem durch die Gnade GOttes in
der Bekehrung einmal eine solche Wendung
geschiehet, da man der Welt und allem dem,
was dazu gehöret, als unter andern auch der
Pharisäische vorige Zustand war, den Rücken,
und GOtt das Angesicht zugekehret hat, so ist
nichts nöthiger, als dieses, daß man nicht wie-
der zurück sehe mit neuer Anhänglichkeit: wie
es Lots Weib machete und darüber in ein gros-
ses Straf-Gerichte GOttes verfiel, und wie
es hernach die Jsraeliten nach ihrem Ausgan-
ge aus Aegypten macheten. Würde sich ein
Läuffer im Lauf-Platze mit dem Zurücksehen
dergestalt aufhalten, so würde er nimmer-
mehr das Ziel vor andern erreichen, und da-
her unterläßt er es. Darum hat man im
Lauffe des Christenthums sich so vielmehr da-
vor zu hüten, und sich oft vorzustellen die Wor-
te
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, 12-14.
[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.
1. Niemand kan das ewige Leben ergreif-
fen,
er ſey denn erſt ſelbſt ergriffen; wie denn
niemand glauben kan, es ſey denn der Glaube in
ihm gewircket. Unſer Heiland aber ſtrecket ſei-
ne Hand aus den gantzen Tag, oder beſtaͤndig,
auch ſo gar gegen die, welche widerſprechen Jeſ.
65, 2. Rom. 10, 21. und will ſie ergreiffen; daß
es demnach, wenn ſie nicht ergriffen werden, ihre
eigene Schuld iſt, daß ſie ſich nicht ergreiffen
laſſen.
2. Dieſes Ergreiffen heißt Joh. 6, 44.
Der Zug des Vaters zn dem Sohne. Auch
das zu ſich ziehen des Sohnes ſelbſt c. 12, 32.
Siehe auch Jeſ. 8, 11. 1 Tim. 6, 12. heißt es be-
rufen ſeyn,
wenn der Apoſtel ſpricht: Kaͤm-
pfe den guten Kampf des Glaubens, er-
greiffe das ewige Leben, dazu du auch be-
ruffen biſt.
3. Hatte nun Paulus es noch nicht voͤllig
ergriffen, wozu er war beruffen worden; ſo waͤre
es gewiß eine ſehr gefaͤhrliche Einbildung, wenn
einer ſich ſchon fuͤr vollkommen halten wolte, und
eine Anzeigung, daß es einem wol noch gar an
dem rechten Anfange, oder doch gewiſſe an dem
rechten Fortgange fehlet.
4. Es zweifelte aber Paulus an der gewiſ-
ſen Ergreiffung gar nicht, ſondern er gibt mit den
Worten nur der Sachen Wichtigkeit und ſeinen
Ernſt zu erkennen.
V. 13. 14.

Meine Bruͤder, ich ſchaͤtze mich ſelbſt
noch nicht, daß ichs ergriffen habe: eines
aber
(und das was rechts, darauf alles an-
koͤmmt) ſage ich (oder thue ich) ich vergeſſe,
was dahinten iſt, und ſtrecke mich zu dem,
das da vorne iſt, und jage nach dem vor-
geſteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches
vorhaͤlt die himmliſche Berufung GOttes
in Chriſto JEſu.

Anmerckungen.
1. Die gantze Phraſeologie iſt hergenom-
men von der Gewohnheit der Griechen, da ſie,
ihre Jugend zu kriegeriſchen Verrichtungen ge-
ſchickt zu machen, allerhand Ubungen anſtelle-
ten; als da unter andern war das Kaͤmpfen,
Fechten,
auf einem Lauff-Platze zur Ergreif-
fung eines gewiſſen vorgeſteckten Ziels um die
Wette lauffen.
Da nun die Chriſten etwas
beſſers vor ſich hatten, ſo bedienet ſich der Apo-
ſtel dazu ſolcher bekanten Redens-Arten, und
zeiget damit an, was die Gnade vor der Natur
und der Kunſt voraus habe.
2. Es ſind aber bey dieſem Texte folgende
Stuͤcke zu mercken: erſtlich das Ziel und Klei-
nod, wornach der Lauff gerichtet iſt: hernach
der Laͤuffer: und denn der Lauff ſelbſt.
3. Das Ziel iſt das ewige Leben, wel-
ches Paulus 2 Tim. 4, 8. nennet die Krone
der Gerechtigkeit,
die ihm im Himmel beyge-
leget war. Denn ob man ſchon im Reiche der
Gnaden wuͤrcklich ſelig iſt; ſo iſt es doch nur erſt
[Spaltenumbruch] ein Vorſchmack der Seligkeit. Und von dieſem
Ziele ſaget Paulus, daß die himmliſche Beru-
fung, oder die Berufung, die man von GOtt
aus dem Himmel hat, und die uns auch himm-
liſch geſinnnet machet, ſie uns vorhalte. Und
da dieſe mit dem Kleinode ſelbſt ihren Grund
hatte in Chriſto und ſeinem Verdienſte, ſo wird
ſie genennet eine Berufung in CHriſto JESU.
Was Paulum betrifft, ſo kam ſeine Berufung
auf eine unmittelbare Art auch ſinnlicher Weiſe
aus dem Himmel von Chriſto, da er auf dem
Wege gen Damaſcus mitten im Lauffe ſeines
Grimmes wider Chriſti Glieder ihm zurief und
ſprach: Saul, Saul, was verfolgeſt du
mich! es wird dir ſchwer werden wider
den Stachel lecken.
Ap. Geſch. 9, 4. 5.
Gleichwie nun dieſe Berufung Chriſti ſelbſt war;
alſo war ſie auch, wegen der Einigkeit des We-
ſens, des Vaters in Chriſto; zuvorderſt zum
Chriſtenthum, und dabey auch zum Apoſtel-
Amte. Darum er den Brief an die Galater al-
ſo anhebet: Paulus, ein Apoſtel, nicht von
Menſchen, auch nicht durch Menſchen,
ſondern durch JEſum Chriſtum und
GOtt den Vater.
4. Der Laͤuffer war nun Paulus, der
von ſich ſaget, er ſchatze ſich noch nicht, daß er das
Kleinod ergriffen habe. Wie einem denn nichts
mehr zum rechten Lauffe antreiben kan, als die
Erwegung deſſen, was einem an der Vollendung
noch fehle, und was man noch vor ſich habe.
Paulus ſahe mit dieſen Worten zugleich auf die
Hoffnung, die er hatte, noch laͤnger zu leben, und
noch weiter eine groſſe Reiſe nach dem Orient
und nach Griechenland zu thun; und alſo hatte
er noch einen groſſen Theil ſeines Kampfes und
Lauffes vor ſich: hingegen als er in der letz-
tern Gefangenſchaft zu Rom war, und den Tod
gewiſſer und naͤher vor Augen ſahe, da ſprach
er 2 Tim. 4, 7. Jch habe einen guten Kampf
gekaͤmpfet, ich habe den Lauf vollendet,
ich habe Glauben gehalten: hinfort iſt
mir beygeleget die Crone der Gerechtig-
keit
u. f.
5. Zum Lauffe ſelbſt gehoͤret nach dieſem
Texte dreyerley:
a. Das Vergeſſen, was dahinten iſt.
Denn nachdem durch die Gnade GOttes in
der Bekehrung einmal eine ſolche Wendung
geſchiehet, da man der Welt und allem dem,
was dazu gehoͤret, als unter andern auch der
Phariſaͤiſche vorige Zuſtand war, den Ruͤcken,
und GOtt das Angeſicht zugekehret hat, ſo iſt
nichts noͤthiger, als dieſes, daß man nicht wie-
der zuruͤck ſehe mit neuer Anhaͤnglichkeit: wie
es Lots Weib machete und daruͤber in ein groſ-
ſes Straf-Gerichte GOttes verfiel, und wie
es hernach die Jſraeliten nach ihrem Ausgan-
ge aus Aegypten macheten. Wuͤrde ſich ein
Laͤuffer im Lauf-Platze mit dem Zuruͤckſehen
dergeſtalt aufhalten, ſo wuͤrde er nimmer-
mehr das Ziel vor andern erreichen, und da-
her unterlaͤßt er es. Darum hat man im
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[424/0752] Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, 12-14. Anmerckungen. 1. Niemand kan das ewige Leben ergreif- fen, er ſey denn erſt ſelbſt ergriffen; wie denn niemand glauben kan, es ſey denn der Glaube in ihm gewircket. Unſer Heiland aber ſtrecket ſei- ne Hand aus den gantzen Tag, oder beſtaͤndig, auch ſo gar gegen die, welche widerſprechen Jeſ. 65, 2. Rom. 10, 21. und will ſie ergreiffen; daß es demnach, wenn ſie nicht ergriffen werden, ihre eigene Schuld iſt, daß ſie ſich nicht ergreiffen laſſen. 2. Dieſes Ergreiffen heißt Joh. 6, 44. Der Zug des Vaters zn dem Sohne. Auch das zu ſich ziehen des Sohnes ſelbſt c. 12, 32. Siehe auch Jeſ. 8, 11. 1 Tim. 6, 12. heißt es be- rufen ſeyn, wenn der Apoſtel ſpricht: Kaͤm- pfe den guten Kampf des Glaubens, er- greiffe das ewige Leben, dazu du auch be- ruffen biſt. 3. Hatte nun Paulus es noch nicht voͤllig ergriffen, wozu er war beruffen worden; ſo waͤre es gewiß eine ſehr gefaͤhrliche Einbildung, wenn einer ſich ſchon fuͤr vollkommen halten wolte, und eine Anzeigung, daß es einem wol noch gar an dem rechten Anfange, oder doch gewiſſe an dem rechten Fortgange fehlet. 4. Es zweifelte aber Paulus an der gewiſ- ſen Ergreiffung gar nicht, ſondern er gibt mit den Worten nur der Sachen Wichtigkeit und ſeinen Ernſt zu erkennen. V. 13. 14. Meine Bruͤder, ich ſchaͤtze mich ſelbſt noch nicht, daß ichs ergriffen habe: eines aber (und das was rechts, darauf alles an- koͤmmt) ſage ich (oder thue ich) ich vergeſſe, was dahinten iſt, und ſtrecke mich zu dem, das da vorne iſt, und jage nach dem vor- geſteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhaͤlt die himmliſche Berufung GOttes in Chriſto JEſu. Anmerckungen. 1. Die gantze Phraſeologie iſt hergenom- men von der Gewohnheit der Griechen, da ſie, ihre Jugend zu kriegeriſchen Verrichtungen ge- ſchickt zu machen, allerhand Ubungen anſtelle- ten; als da unter andern war das Kaͤmpfen, Fechten, auf einem Lauff-Platze zur Ergreif- fung eines gewiſſen vorgeſteckten Ziels um die Wette lauffen. Da nun die Chriſten etwas beſſers vor ſich hatten, ſo bedienet ſich der Apo- ſtel dazu ſolcher bekanten Redens-Arten, und zeiget damit an, was die Gnade vor der Natur und der Kunſt voraus habe. 2. Es ſind aber bey dieſem Texte folgende Stuͤcke zu mercken: erſtlich das Ziel und Klei- nod, wornach der Lauff gerichtet iſt: hernach der Laͤuffer: und denn der Lauff ſelbſt. 3. Das Ziel iſt das ewige Leben, wel- ches Paulus 2 Tim. 4, 8. nennet die Krone der Gerechtigkeit, die ihm im Himmel beyge- leget war. Denn ob man ſchon im Reiche der Gnaden wuͤrcklich ſelig iſt; ſo iſt es doch nur erſt ein Vorſchmack der Seligkeit. Und von dieſem Ziele ſaget Paulus, daß die himmliſche Beru- fung, oder die Berufung, die man von GOtt aus dem Himmel hat, und die uns auch himm- liſch geſinnnet machet, ſie uns vorhalte. Und da dieſe mit dem Kleinode ſelbſt ihren Grund hatte in Chriſto und ſeinem Verdienſte, ſo wird ſie genennet eine Berufung in CHriſto JESU. Was Paulum betrifft, ſo kam ſeine Berufung auf eine unmittelbare Art auch ſinnlicher Weiſe aus dem Himmel von Chriſto, da er auf dem Wege gen Damaſcus mitten im Lauffe ſeines Grimmes wider Chriſti Glieder ihm zurief und ſprach: Saul, Saul, was verfolgeſt du mich! es wird dir ſchwer werden wider den Stachel lecken. Ap. Geſch. 9, 4. 5. Gleichwie nun dieſe Berufung Chriſti ſelbſt war; alſo war ſie auch, wegen der Einigkeit des We- ſens, des Vaters in Chriſto; zuvorderſt zum Chriſtenthum, und dabey auch zum Apoſtel- Amte. Darum er den Brief an die Galater al- ſo anhebet: Paulus, ein Apoſtel, nicht von Menſchen, auch nicht durch Menſchen, ſondern durch JEſum Chriſtum und GOtt den Vater. 4. Der Laͤuffer war nun Paulus, der von ſich ſaget, er ſchatze ſich noch nicht, daß er das Kleinod ergriffen habe. Wie einem denn nichts mehr zum rechten Lauffe antreiben kan, als die Erwegung deſſen, was einem an der Vollendung noch fehle, und was man noch vor ſich habe. Paulus ſahe mit dieſen Worten zugleich auf die Hoffnung, die er hatte, noch laͤnger zu leben, und noch weiter eine groſſe Reiſe nach dem Orient und nach Griechenland zu thun; und alſo hatte er noch einen groſſen Theil ſeines Kampfes und Lauffes vor ſich: hingegen als er in der letz- tern Gefangenſchaft zu Rom war, und den Tod gewiſſer und naͤher vor Augen ſahe, da ſprach er 2 Tim. 4, 7. Jch habe einen guten Kampf gekaͤmpfet, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten: hinfort iſt mir beygeleget die Crone der Gerechtig- keit u. f. 5. Zum Lauffe ſelbſt gehoͤret nach dieſem Texte dreyerley: a. Das Vergeſſen, was dahinten iſt. Denn nachdem durch die Gnade GOttes in der Bekehrung einmal eine ſolche Wendung geſchiehet, da man der Welt und allem dem, was dazu gehoͤret, als unter andern auch der Phariſaͤiſche vorige Zuſtand war, den Ruͤcken, und GOtt das Angeſicht zugekehret hat, ſo iſt nichts noͤthiger, als dieſes, daß man nicht wie- der zuruͤck ſehe mit neuer Anhaͤnglichkeit: wie es Lots Weib machete und daruͤber in ein groſ- ſes Straf-Gerichte GOttes verfiel, und wie es hernach die Jſraeliten nach ihrem Ausgan- ge aus Aegypten macheten. Wuͤrde ſich ein Laͤuffer im Lauf-Platze mit dem Zuruͤckſehen dergeſtalt aufhalten, ſo wuͤrde er nimmer- mehr das Ziel vor andern erreichen, und da- her unterlaͤßt er es. Darum hat man im Lauffe des Chriſtenthums ſich ſo vielmehr da- vor zu huͤten, und ſich oft vorzuſtellen die Wor- te

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/752>, abgerufen am 24.11.2024.