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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Cap. 4, v. 25. 26. an die Epheser.
[Spaltenumbruch] keit gegen einander zustehet, nach dem Grun-
de: Was ihr wollt, daß euch die Leute
thun sollen, das thut ihnen auch.
Matth.
7, 12.

Anmerckungen.
1. Da der alte Mensch sich durch die Lüste
reget, und die Lüste sind tes apates, der Ver-
führung und des Betrugs v. 21. so ist es kein
Wunder, daß das lügenhafte, falsche und be-
trügliche Wesen in Worten, so aus einem ar-
gen Hertzen kömmt, gleichsam ein Haupt-Glied
des alten Menschen ist.
2. Da die Lügen der Wahrheit entgegen
gesetzet ist, so ist Lügen und Unwahrheit einer-
ley. Jst denn gleich eine Art der Lügen, oder
Unwahrheit ärger, auch dem Nechsten schädli-
cher, als die andere; so ist doch alle Unwahrheit
lügenhaft und Sünde. Und das ist insonder-
heit auch von der also genannten Noth-Lügen zu
verstehen.
3. Es ist im menschlichen Leben nichts ge-
meiners, als daß man sich mit der Unwahrheit
behilft, ja es giebt leider solche Moralisten, wel-
che es theils entschuldigen, theils vertheidigen,
sonderlich in solchen Fällen, da man einem an-
dern nicht schade, sich selbst aber nütze. Allein
so scheinbar gleich diese Cautel dabey ist, so
schädlich ist sie doch. Denn wer wird doch wol
von der verderbten Eigen-Liebe also gereiniget
seyn, daß er, wenn einmal die Regel bey ihm
zum Grunde lieget, daß er durch allerhand Ver-
stellungen in Worten und Wercken seinen eig-
nen Vortheil suchen könne und müsse, er dabey
recht erwege, ob es dem Nechsten nicht schädlich
sey. Und wie viele Fälle werden sich denn wol
finden, da der eigne Nutze durch unwahre Wor-
te und allerhand simulation und dissimulation,
(der man sich bey dem andern bedienen muß,
und dadurch er doch gewiß hinter das Licht ge-
führet wird,) ohne des Nechsten Schaden kön-
ne befördert werden? Wird nicht das interes-
sir
te Gemüth das eine Auge, das auf den Nech-
sten sehen soll, zuthun, und mit dem andern so
scharf und eigennützig auf sich selbst sehen, als
wenn es mehr als zwey Augen auf sich selbst ge-
richtet hätte? Und wie kan man auch einem sol-
chen Menschen, von dem man weiß, daß er sich
aus der Verstellung und aus unwahren Wor-
ten gar kein Gewissen machet, das geringste zu-
trauen; da man ja immer gedencken muß, er re-
de um seines interesse willen anders, als es
ihm ums Hertze ist, und es die Sache mit sich
bringet. Und wie wolte doch ein Gewissen, das
in der Lauterkeit und Wahrheit vor GOTT,
dem GOTT der Lauterkeit und Wahrheit, of-
fenbar ist und seyn will, immer mehr mit der
Unwahrheit vor ihm bestehen, und sich unter an-
dern sonderlich gegen diesen so klaren Ausspruch
Pauli rechtfertigen, da es heißt: Leget die
Lügen ab, und redet die Wahrheit ein ieg-
licher mit seinem Nechsten?
4. Ein anders aber ist die Unwahrheit
sagen,
ein anders die Wahrheit verschwei-
gen.
Denn gleichwie jenes ein Laster ist: so ist
dieses, nachdem es die Umstände erfordern, oft
[Spaltenumbruch] eine Tugend, oder doch eine schuldige Pflicht
des Menschen. Denn wo man allemal und ei-
nem ieden dasjenige sagen wolte, was man von
andern weiß, so würde es oft auf eine Plaude-
rey, oder auf eine unbefugte Anklage, ja wol
gar auf eine Verrätherey, hinaus laufen, und
würde man den Nechsten in ein grosses Unglück
stürtzen, oder ihme doch wehe thun und Scha-
den zufügen.
5. Es ist auch ein anders im Umgange mit
andern insgemein, und insonderheit im Handel
und Wandel die Unwahrheit zur Regel und
zum principio seines eigenen Nutzens setzen: ein
anders ex lege prudentiae, nach der Vorschrift
Christlicher Klugheit, und mit einem auf des
Nechsten sein Bestes gerichteten Zweck eine Ver-
suchung zum Guten anstellen, und unter den
Worten, auch wol Geberden, einen andern
Verstand haben, als sie äusserlich lauten und
das Ansehen haben. Dergleichen Eltern mit
ihren Kindern und Praeceptores mit ihren Schü-
lern oft vornehmen: ja dergleichen wir bey
GOTT selbst an der Versuchung Abrahams 1
B. Mos. 22. und bey unserm theuresten Heilan-
de an den zweyen mit ihm nach Emmaus gegan-
genen Jüngern finden. Luc. 24.
6. Vor allen Dingen aber haben Eltern
und Praeceptores dahin zu sehen, daß sie die Kin-
der von der ihnen so sehr gewöhnlichen Unwahr-
heit abhalten, und hingegen zur Liebe der Wahr-
heit in Worten und Wercken anhalten, und
dahero nichts ernstlicher bestrafen, als das
Laster der Lügen. Denn wenn sie sich dazu ge-
wöhnen, und sie auch nur einige Hoffnung sich
machen können, daß sie damit durchkommen, so
ist ihnen damit die Thüre zu allen Lastern geöff-
net. Dannenhero man wohl thut, daß, wenn
Kinder etwas versehen, und ihre Schuld noch
dazu mit der Unwahrheit vermehret haben, man
ihnen den ersten Fehler selbst vergebe, sie aber
um der dabey gebrauchten Lügen willen bestra-
fet, damit sie künftig mit der Bekäntniß auf-
richtiger heraus gehen. Jst es aber bey Kin-
dern mit Bezeugung der Unwahrheit zur Ge-
wohnheit worden, so hänget es auch hernach den
Erwachsenen und Alten an, und führet auch
wol die in Versuchung, welche wahrhaftig zu
GOTT bekehret sind. Und eben dieses ists,
welches Paulus bey manchen unter den Ephe-
siern besorgete, und sie daher so ernstlich dage-
gen warnet.
V. 26.

Zürnet (wenn ihr etwa vom Affect des
Zorns übereilet werdet,) und sündiget nicht,
(so hänget demselben nicht nach, damit nicht
die Sünde der Schwachheit zur Sünde der Bos-
heit werde,) lasset die Sonne nicht unter-
gehen über euren Zorn,
(und also dämpfet
ihn bald, ehe er recht zu Kräften kömmt und in
eigene Rache und allerhand andere Versündi-
gung wider den Nechsten ausbricht.)

Anmerckungen.
1. Der Affect des Zorns ist einer der aller-
gemeinesten und zugleich auch der heftigste, da-
mit
M m m m 3

Cap. 4, v. 25. 26. an die Epheſer.
[Spaltenumbruch] keit gegen einander zuſtehet, nach dem Grun-
de: Was ihr wollt, daß euch die Leute
thun ſollen, das thut ihnen auch.
Matth.
7, 12.

Anmerckungen.
1. Da der alte Menſch ſich durch die Luͤſte
reget, und die Luͤſte ſind τῆς ἀπάτης, der Ver-
fuͤhrung und des Betrugs v. 21. ſo iſt es kein
Wunder, daß das luͤgenhafte, falſche und be-
truͤgliche Weſen in Worten, ſo aus einem ar-
gen Hertzen koͤmmt, gleichſam ein Haupt-Glied
des alten Menſchen iſt.
2. Da die Luͤgen der Wahrheit entgegen
geſetzet iſt, ſo iſt Luͤgen und Unwahrheit einer-
ley. Jſt denn gleich eine Art der Luͤgen, oder
Unwahrheit aͤrger, auch dem Nechſten ſchaͤdli-
cher, als die andere; ſo iſt doch alle Unwahrheit
luͤgenhaft und Suͤnde. Und das iſt inſonder-
heit auch von der alſo genannten Noth-Luͤgen zu
verſtehen.
3. Es iſt im menſchlichen Leben nichts ge-
meiners, als daß man ſich mit der Unwahrheit
behilft, ja es giebt leider ſolche Moraliſten, wel-
che es theils entſchuldigen, theils vertheidigen,
ſonderlich in ſolchen Faͤllen, da man einem an-
dern nicht ſchade, ſich ſelbſt aber nuͤtze. Allein
ſo ſcheinbar gleich dieſe Cautel dabey iſt, ſo
ſchaͤdlich iſt ſie doch. Denn wer wird doch wol
von der verderbten Eigen-Liebe alſo gereiniget
ſeyn, daß er, wenn einmal die Regel bey ihm
zum Grunde lieget, daß er durch allerhand Ver-
ſtellungen in Worten und Wercken ſeinen eig-
nen Vortheil ſuchen koͤnne und muͤſſe, er dabey
recht erwege, ob es dem Nechſten nicht ſchaͤdlich
ſey. Und wie viele Faͤlle werden ſich denn wol
finden, da der eigne Nutze durch unwahre Wor-
te und allerhand ſimulation und diſſimulation,
(der man ſich bey dem andern bedienen muß,
und dadurch er doch gewiß hinter das Licht ge-
fuͤhret wird,) ohne des Nechſten Schaden koͤn-
ne befoͤrdert werden? Wird nicht das interes-
ſir
te Gemuͤth das eine Auge, das auf den Nech-
ſten ſehen ſoll, zuthun, und mit dem andern ſo
ſcharf und eigennuͤtzig auf ſich ſelbſt ſehen, als
wenn es mehr als zwey Augen auf ſich ſelbſt ge-
richtet haͤtte? Und wie kan man auch einem ſol-
chen Menſchen, von dem man weiß, daß er ſich
aus der Verſtellung und aus unwahren Wor-
ten gar kein Gewiſſen machet, das geringſte zu-
trauen; da man ja immer gedencken muß, er re-
de um ſeines intereſſe willen anders, als es
ihm ums Hertze iſt, und es die Sache mit ſich
bringet. Und wie wolte doch ein Gewiſſen, das
in der Lauterkeit und Wahrheit vor GOTT,
dem GOTT der Lauterkeit und Wahrheit, of-
fenbar iſt und ſeyn will, immer mehr mit der
Unwahrheit vor ihm beſtehen, und ſich unter an-
dern ſonderlich gegen dieſen ſo klaren Ausſpruch
Pauli rechtfertigen, da es heißt: Leget die
Luͤgen ab, und redet die Wahrheit ein ieg-
licher mit ſeinem Nechſten?
4. Ein anders aber iſt die Unwahrheit
ſagen,
ein anders die Wahrheit verſchwei-
gen.
Denn gleichwie jenes ein Laſter iſt: ſo iſt
dieſes, nachdem es die Umſtaͤnde erfordern, oft
[Spaltenumbruch] eine Tugend, oder doch eine ſchuldige Pflicht
des Menſchen. Denn wo man allemal und ei-
nem ieden dasjenige ſagen wolte, was man von
andern weiß, ſo wuͤrde es oft auf eine Plaude-
rey, oder auf eine unbefugte Anklage, ja wol
gar auf eine Verraͤtherey, hinaus laufen, und
wuͤrde man den Nechſten in ein groſſes Ungluͤck
ſtuͤrtzen, oder ihme doch wehe thun und Scha-
den zufuͤgen.
5. Es iſt auch ein anders im Umgange mit
andern insgemein, und inſonderheit im Handel
und Wandel die Unwahrheit zur Regel und
zum principio ſeines eigenen Nutzens ſetzen: ein
anders ex lege prudentiæ, nach der Vorſchrift
Chriſtlicher Klugheit, und mit einem auf des
Nechſten ſein Beſtes gerichteten Zweck eine Ver-
ſuchung zum Guten anſtellen, und unter den
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Verſtand haben, als ſie aͤuſſerlich lauten und
das Anſehen haben. Dergleichen Eltern mit
ihren Kindern und Præceptores mit ihren Schuͤ-
lern oft vornehmen: ja dergleichen wir bey
GOTT ſelbſt an der Verſuchung Abrahams 1
B. Moſ. 22. und bey unſerm theureſten Heilan-
de an den zweyen mit ihm nach Emmaus gegan-
genen Juͤngern finden. Luc. 24.
6. Vor allen Dingen aber haben Eltern
und Præceptores dahin zu ſehen, daß ſie die Kin-
der von der ihnen ſo ſehr gewoͤhnlichen Unwahr-
heit abhalten, und hingegen zur Liebe der Wahr-
heit in Worten und Wercken anhalten, und
dahero nichts ernſtlicher beſtrafen, als das
Laſter der Luͤgen. Denn wenn ſie ſich dazu ge-
woͤhnen, und ſie auch nur einige Hoffnung ſich
machen koͤnnen, daß ſie damit durchkommen, ſo
iſt ihnen damit die Thuͤre zu allen Laſtern geoͤff-
net. Dannenhero man wohl thut, daß, wenn
Kinder etwas verſehen, und ihre Schuld noch
dazu mit der Unwahrheit vermehret haben, man
ihnen den erſten Fehler ſelbſt vergebe, ſie aber
um der dabey gebrauchten Luͤgen willen beſtra-
fet, damit ſie kuͤnftig mit der Bekaͤntniß auf-
richtiger heraus gehen. Jſt es aber bey Kin-
dern mit Bezeugung der Unwahrheit zur Ge-
wohnheit worden, ſo haͤnget es auch hernach den
Erwachſenen und Alten an, und fuͤhret auch
wol die in Verſuchung, welche wahrhaftig zu
GOTT bekehret ſind. Und eben dieſes iſts,
welches Paulus bey manchen unter den Ephe-
ſiern beſorgete, und ſie daher ſo ernſtlich dage-
gen warnet.
V. 26.

Zuͤrnet (wenn ihr etwa vom Affect des
Zorns uͤbereilet werdet,) und ſuͤndiget nicht,
(ſo haͤnget demſelben nicht nach, damit nicht
die Suͤnde der Schwachheit zur Suͤnde der Bos-
heit werde,) laſſet die Sonne nicht unter-
gehen uͤber euren Zorn,
(und alſo daͤmpfet
ihn bald, ehe er recht zu Kraͤften koͤmmt und in
eigene Rache und allerhand andere Verſuͤndi-
gung wider den Nechſten ausbricht.)

Anmerckungen.
1. Der Affect des Zorns iſt einer der aller-
gemeineſten und zugleich auch der heftigſte, da-
mit
M m m m 3
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[645/0673] Cap. 4, v. 25. 26. an die Epheſer. keit gegen einander zuſtehet, nach dem Grun- de: Was ihr wollt, daß euch die Leute thun ſollen, das thut ihnen auch. Matth. 7, 12. Anmerckungen. 1. Da der alte Menſch ſich durch die Luͤſte reget, und die Luͤſte ſind τῆς ἀπάτης, der Ver- fuͤhrung und des Betrugs v. 21. ſo iſt es kein Wunder, daß das luͤgenhafte, falſche und be- truͤgliche Weſen in Worten, ſo aus einem ar- gen Hertzen koͤmmt, gleichſam ein Haupt-Glied des alten Menſchen iſt. 2. Da die Luͤgen der Wahrheit entgegen geſetzet iſt, ſo iſt Luͤgen und Unwahrheit einer- ley. Jſt denn gleich eine Art der Luͤgen, oder Unwahrheit aͤrger, auch dem Nechſten ſchaͤdli- cher, als die andere; ſo iſt doch alle Unwahrheit luͤgenhaft und Suͤnde. Und das iſt inſonder- heit auch von der alſo genannten Noth-Luͤgen zu verſtehen. 3. Es iſt im menſchlichen Leben nichts ge- meiners, als daß man ſich mit der Unwahrheit behilft, ja es giebt leider ſolche Moraliſten, wel- che es theils entſchuldigen, theils vertheidigen, ſonderlich in ſolchen Faͤllen, da man einem an- dern nicht ſchade, ſich ſelbſt aber nuͤtze. Allein ſo ſcheinbar gleich dieſe Cautel dabey iſt, ſo ſchaͤdlich iſt ſie doch. Denn wer wird doch wol von der verderbten Eigen-Liebe alſo gereiniget ſeyn, daß er, wenn einmal die Regel bey ihm zum Grunde lieget, daß er durch allerhand Ver- ſtellungen in Worten und Wercken ſeinen eig- nen Vortheil ſuchen koͤnne und muͤſſe, er dabey recht erwege, ob es dem Nechſten nicht ſchaͤdlich ſey. Und wie viele Faͤlle werden ſich denn wol finden, da der eigne Nutze durch unwahre Wor- te und allerhand ſimulation und diſſimulation, (der man ſich bey dem andern bedienen muß, und dadurch er doch gewiß hinter das Licht ge- fuͤhret wird,) ohne des Nechſten Schaden koͤn- ne befoͤrdert werden? Wird nicht das interes- ſirte Gemuͤth das eine Auge, das auf den Nech- ſten ſehen ſoll, zuthun, und mit dem andern ſo ſcharf und eigennuͤtzig auf ſich ſelbſt ſehen, als wenn es mehr als zwey Augen auf ſich ſelbſt ge- richtet haͤtte? Und wie kan man auch einem ſol- chen Menſchen, von dem man weiß, daß er ſich aus der Verſtellung und aus unwahren Wor- ten gar kein Gewiſſen machet, das geringſte zu- trauen; da man ja immer gedencken muß, er re- de um ſeines intereſſe willen anders, als es ihm ums Hertze iſt, und es die Sache mit ſich bringet. Und wie wolte doch ein Gewiſſen, das in der Lauterkeit und Wahrheit vor GOTT, dem GOTT der Lauterkeit und Wahrheit, of- fenbar iſt und ſeyn will, immer mehr mit der Unwahrheit vor ihm beſtehen, und ſich unter an- dern ſonderlich gegen dieſen ſo klaren Ausſpruch Pauli rechtfertigen, da es heißt: Leget die Luͤgen ab, und redet die Wahrheit ein ieg- licher mit ſeinem Nechſten? 4. Ein anders aber iſt die Unwahrheit ſagen, ein anders die Wahrheit verſchwei- gen. Denn gleichwie jenes ein Laſter iſt: ſo iſt dieſes, nachdem es die Umſtaͤnde erfordern, oft eine Tugend, oder doch eine ſchuldige Pflicht des Menſchen. Denn wo man allemal und ei- nem ieden dasjenige ſagen wolte, was man von andern weiß, ſo wuͤrde es oft auf eine Plaude- rey, oder auf eine unbefugte Anklage, ja wol gar auf eine Verraͤtherey, hinaus laufen, und wuͤrde man den Nechſten in ein groſſes Ungluͤck ſtuͤrtzen, oder ihme doch wehe thun und Scha- den zufuͤgen. 5. Es iſt auch ein anders im Umgange mit andern insgemein, und inſonderheit im Handel und Wandel die Unwahrheit zur Regel und zum principio ſeines eigenen Nutzens ſetzen: ein anders ex lege prudentiæ, nach der Vorſchrift Chriſtlicher Klugheit, und mit einem auf des Nechſten ſein Beſtes gerichteten Zweck eine Ver- ſuchung zum Guten anſtellen, und unter den Worten, auch wol Geberden, einen andern Verſtand haben, als ſie aͤuſſerlich lauten und das Anſehen haben. Dergleichen Eltern mit ihren Kindern und Præceptores mit ihren Schuͤ- lern oft vornehmen: ja dergleichen wir bey GOTT ſelbſt an der Verſuchung Abrahams 1 B. Moſ. 22. und bey unſerm theureſten Heilan- de an den zweyen mit ihm nach Emmaus gegan- genen Juͤngern finden. Luc. 24. 6. Vor allen Dingen aber haben Eltern und Præceptores dahin zu ſehen, daß ſie die Kin- der von der ihnen ſo ſehr gewoͤhnlichen Unwahr- heit abhalten, und hingegen zur Liebe der Wahr- heit in Worten und Wercken anhalten, und dahero nichts ernſtlicher beſtrafen, als das Laſter der Luͤgen. Denn wenn ſie ſich dazu ge- woͤhnen, und ſie auch nur einige Hoffnung ſich machen koͤnnen, daß ſie damit durchkommen, ſo iſt ihnen damit die Thuͤre zu allen Laſtern geoͤff- net. Dannenhero man wohl thut, daß, wenn Kinder etwas verſehen, und ihre Schuld noch dazu mit der Unwahrheit vermehret haben, man ihnen den erſten Fehler ſelbſt vergebe, ſie aber um der dabey gebrauchten Luͤgen willen beſtra- fet, damit ſie kuͤnftig mit der Bekaͤntniß auf- richtiger heraus gehen. Jſt es aber bey Kin- dern mit Bezeugung der Unwahrheit zur Ge- wohnheit worden, ſo haͤnget es auch hernach den Erwachſenen und Alten an, und fuͤhret auch wol die in Verſuchung, welche wahrhaftig zu GOTT bekehret ſind. Und eben dieſes iſts, welches Paulus bey manchen unter den Ephe- ſiern beſorgete, und ſie daher ſo ernſtlich dage- gen warnet. V. 26. Zuͤrnet (wenn ihr etwa vom Affect des Zorns uͤbereilet werdet,) und ſuͤndiget nicht, (ſo haͤnget demſelben nicht nach, damit nicht die Suͤnde der Schwachheit zur Suͤnde der Bos- heit werde,) laſſet die Sonne nicht unter- gehen uͤber euren Zorn, (und alſo daͤmpfet ihn bald, ehe er recht zu Kraͤften koͤmmt und in eigene Rache und allerhand andere Verſuͤndi- gung wider den Nechſten ausbricht.) Anmerckungen. 1. Der Affect des Zorns iſt einer der aller- gemeineſten und zugleich auch der heftigſte, da- mit M m m m 3

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/673>, abgerufen am 27.11.2024.