Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 4, v. 20. 21. [Spaltenumbruch]
der Kranckheit ihr Zunehmen, Abnehmen und Zu-fälle eigentlich bemercket, und ihm daher viel bes- ser mündlich rathen kan, als wenn er in Abwe- senheit schriftlich consuliret wird, und seinen Rath schriftlich ertheilet. 2. Also wünschte Paulus persönlich mit den Galatern umzugehen, und seine Stimme, samt dem Vortrage selbst, also wandeln, oder verändern und einrichten zu können, wie es ihre Beschaffenheit überhaupt und eines ieden inson- derheit erfodern würde. 3. Was Paulus von den Briefen saget, daß sich darinnen der Vortrag nicht also einrich- ten lasse, als in der mündlichen Rede, das gilt auch von dem Unterscheide einer öffentlichen und Privat-Vorstellung. Zwar läßt sich in einer münd- lichen Rede auch öffentlich eine Sache viel lebhaf- ter und eigentlicher ausdrücken, als in einem Schreiben: aber doch lange nicht also, wie es mit einigen Seelen besonders geschehen kan. Denn da in der Gemeine die Seelen von gar un- terschiedenem Zustande sind; so kan es leichtlich geschehen, daß diesen und jenen nach ihrer eigent- lichen Beschaffenheit gar kein Genüge geschie- het; daß auch wol manche auf sich appliciren, was doch für sie sich nicht eigentlich schicket. Da hin- gegen, wenn man es mit diesen und jenen beson- ders zu thun hat, man sich nach ihrem eigentlichen Zustande recht erkundigen, und so denn alles dar- nach weislich einrichten kan. Gleichwie ein Me- dicus zwar vielen hundert Patienten von einerley Kranckheit einerley Artzney und einerley Diaet vorschreiben kan; allein, wenn ihme dieses und jenes besonderer Zustand recht kund wird, nöthig findet, in seiner Verordnung mancherley Ver- änderung zu treffen. 4. Es erfolget hieraus so viel, daß eines rechtschafnen Lehrers Pflicht ist, ausser dem öf- fentlichen Vortrage sich auch privatim und beson- ders der Seelen recht anzunehmen. Denn gleich- wie es ein Kennzeichen ist eines Mietlings, oder gar eines Bauch-Dieners, wenn er zwar man- chen Ptivat-Umgang mit vielen von seinen Zuhö- rern hat; aber ohne alle wahre Erbauung, ja wol nicht selten gar zu ihrem nicht geringen Aerger- nisse: also ists hingegen ein gewisser Character ei- nes getreuen Seelen-Hirten, wenn er alle seine Privat-Conversation zur Erbauung richtet, und zu dem Ende nicht nur die Krancken, sondern auch die Gesunden besuchet, und zu ihnen auch unge- rufen kommet. Welches gar wohl angehet, wenn er nur in einem zwar ernstlichen aber dabey doch demüthigen, liebreichen und sanftmüthigen Gei- ste stehet, und daraus handelt: und zwar wenn er es zuvorderst bey armen und geringen Leuten, dero Seelen GOTT doch eben so werth sind, versu- chet: als welche ihm einen so wohlgemeinten Zu- spruch so gar nicht werden übel nehmen, daß sie ihn wol vielmehr gleichsam als einen Engel GOttes ansehen werden: wie es Paulo an- fangs bey den Galatern begegnet ist. v. 14. 5. Es haben demnach Schafe, die einen sol- chen Hirten haben, solches für eine so viel grössere Wohlthat GOttes zu achten; so viel rarer sol- che sind; und sich ihrer Seelen-Sorge auch pri- vatim heilsamlich zu bedienen. Haben sie solche [Spaltenumbruch] aber nicht: so kan ihnen endlich das göttliche Wort, das sie theils hören, theils lesen und be- trachten können, genug seyn. 6. Man hat sich ja dem mündlichen Vor- trage des Worts, zumal wo er in der rechten Lauterkeit und Kraft geschiehet, nicht zu entzie- hen, unter dem Vorwand, daß man alles, was man hören werde, lesen könne. Denn es giebt das Anhören unter einer lebhaften und geistrei- chen Vorstellung immer mehrern Eindruck, als das blosse Lesen. V. 21. Saget mir, die ihr unter dem Gesetze Anmerckungen. 1. Das Wort Gesetz stehet alhier in ei- nem gedoppelten, doch aber gar gebräuchlichen und bekanten Verstande. Zuerst heißt es so viel, als die Vorschrift der zum Moral- und Ce- remonial-Gesetze gehörigen Gebote GOTTes, durch dero Erfüllung die Galater, aus Verlei- tung der falschen Lehrer, selig zu werden suchten. Hernach wird das Wort gebrauchet von den Schriften Mosis und allem dem, was darinnen stehet; darunter vieles war, so zum Evangelio gehörete. Dergleichen Ort vom zwiefachen Verstande des Wortes Gesetz ist auch der Rom. 3, 21. Es ist ohne Zuthun des Ge- setzes die Gerechtigkeit, die vor GOTT gilt, offenbaret, und bezeuget durch das Gesetz, (durch die Schriften Mosis und die Propheten.) 2. Das von Paulo alhier gemißbilligte, unter dem Gesetz seyn wollen, muß ja nicht dahin gezogen werden, als wären wir durch CHristum vom Gehorsam des Gesetzes frey ge- sprochen. Denn ob gleich sein vollkommener Gehorsam unsern natürlichen Ungehorsam und unser Unvermögen ersetzet; so kömmt uns doch auch seine kräftige Gnade darinnen zu statten, daß uns ein geistliches und übernatürliches Ver- mögen geschencket wird, nicht allein an dem Gesetze GOttes unsere Hertzens-Lust zu haben, sondern auch nach demselben einher zu gehen; ob gleich in grosser Unvollkommenheit, doch in aller Lauterkeit und Wahrheit; und darinn zu wachsen. Gewißlich so übel es gethan ist, un- ter der Zuchtmeisterschaft des Gesetzes stehen bleiben wollen, als ein Unmündiger, da man durch CHristum zur völligen Kindschaft und Freyheit versetzet ist, oder doch gelangen kan: so thöricht und noch ärger ist es, unter der Gna- de auch noch der Sünde dienen. Siehe Rom. 6, 14. seqq. 3. Was der Apostel von der Familie des Abrahams, oder dessen beyden gar ungleichen Söhnen anführet, und damit den Unterscheid der gedoppelten Oeconomie GOttes, der alten unter dem Gesetze, und der neuen unter dem Evan-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 4, v. 20. 21. [Spaltenumbruch]
der Kranckheit ihr Zunehmen, Abnehmen und Zu-faͤlle eigentlich bemercket, und ihm daher viel beſ- ſer muͤndlich rathen kan, als wenn er in Abwe- ſenheit ſchriftlich conſuliret wird, und ſeinen Rath ſchriftlich ertheilet. 2. Alſo wuͤnſchte Paulus perſoͤnlich mit den Galatern umzugehen, und ſeine Stimme, ſamt dem Vortrage ſelbſt, alſo wandeln, oder veraͤndern und einrichten zu koͤnnen, wie es ihre Beſchaffenheit uͤberhaupt und eines ieden inſon- derheit erfodern wuͤrde. 3. Was Paulus von den Briefen ſaget, daß ſich darinnen der Vortrag nicht alſo einrich- ten laſſe, als in der muͤndlichen Rede, das gilt auch von dem Unterſcheide einer oͤffentlichen und Privat-Vorſtellung. Zwar laͤßt ſich in einer muͤnd- lichen Rede auch oͤffentlich eine Sache viel lebhaf- ter und eigentlicher ausdruͤcken, als in einem Schreiben: aber doch lange nicht alſo, wie es mit einigen Seelen beſonders geſchehen kan. Denn da in der Gemeine die Seelen von gar un- terſchiedenem Zuſtande ſind; ſo kan es leichtlich geſchehen, daß dieſen und jenen nach ihrer eigent- lichen Beſchaffenheit gar kein Genuͤge geſchie- het; daß auch wol manche auf ſich appliciren, was doch fuͤr ſie ſich nicht eigentlich ſchicket. Da hin- gegen, wenn man es mit dieſen und jenen beſon- ders zu thun hat, man ſich nach ihrem eigentlichen Zuſtande recht erkundigen, und ſo denn alles dar- nach weislich einrichten kan. Gleichwie ein Me- dicus zwar vielen hundert Patienten von einerley Kranckheit einerley Artzney und einerley Diæt vorſchreiben kan; allein, wenn ihme dieſes und jenes beſonderer Zuſtand recht kund wird, noͤthig findet, in ſeiner Verordnung mancherley Ver- aͤnderung zu treffen. 4. Es erfolget hieraus ſo viel, daß eines rechtſchafnen Lehrers Pflicht iſt, auſſer dem oͤf- fentlichen Vortrage ſich auch privatim und beſon- ders der Seelen recht anzunehmen. Denn gleich- wie es ein Kennzeichen iſt eines Mietlings, oder gar eines Bauch-Dieners, wenn er zwar man- chen Ptivat-Umgang mit vielen von ſeinen Zuhoͤ- rern hat; aber ohne alle wahre Erbauung, ja wol nicht ſelten gar zu ihrem nicht geringen Aerger- niſſe: alſo iſts hingegen ein gewiſſer Character ei- nes getreuen Seelen-Hirten, wenn er alle ſeine Privat-Converſation zur Erbauung richtet, und zu dem Ende nicht nur die Krancken, ſondern auch die Geſunden beſuchet, und zu ihnen auch unge- rufen kommet. Welches gar wohl angehet, wenn er nur in einem zwar ernſtlichen aber dabey doch demuͤthigen, liebreichen und ſanftmuͤthigen Gei- ſte ſtehet, und daraus handelt: und zwar wenn er es zuvorderſt bey armen und geringen Leuten, dero Seelen GOTT doch eben ſo werth ſind, verſu- chet: als welche ihm einen ſo wohlgemeinten Zu- ſpruch ſo gar nicht werden uͤbel nehmen, daß ſie ihn wol vielmehr gleichſam als einen Engel GOttes anſehen werden: wie es Paulo an- fangs bey den Galatern begegnet iſt. v. 14. 5. Es haben demnach Schafe, die einen ſol- chen Hirten haben, ſolches fuͤr eine ſo viel groͤſſere Wohlthat GOttes zu achten; ſo viel rarer ſol- che ſind; und ſich ihrer Seelen-Sorge auch pri- vatim heilſamlich zu bedienen. Haben ſie ſolche [Spaltenumbruch] aber nicht: ſo kan ihnen endlich das goͤttliche Wort, das ſie theils hoͤren, theils leſen und be- trachten koͤnnen, genug ſeyn. 6. Man hat ſich ja dem muͤndlichen Vor- trage des Worts, zumal wo er in der rechten Lauterkeit und Kraft geſchiehet, nicht zu entzie- hen, unter dem Vorwand, daß man alles, was man hoͤren werde, leſen koͤnne. Denn es giebt das Anhoͤren unter einer lebhaften und geiſtrei- chen Vorſtellung immer mehrern Eindruck, als das bloſſe Leſen. V. 21. Saget mir, die ihr unter dem Geſetze Anmerckungen. 1. Das Wort Geſetz ſtehet alhier in ei- nem gedoppelten, doch aber gar gebraͤuchlichen und bekanten Verſtande. Zuerſt heißt es ſo viel, als die Vorſchrift der zum Moral- und Ce- remonial-Geſetze gehoͤrigen Gebote GOTTes, durch dero Erfuͤllung die Galater, aus Verlei- tung der falſchen Lehrer, ſelig zu werden ſuchten. Hernach wird das Wort gebrauchet von den Schriften Moſis und allem dem, was darinnen ſtehet; darunter vieles war, ſo zum Evangelio gehoͤrete. Dergleichen Ort vom zwiefachen Verſtande des Wortes Geſetz iſt auch der Rom. 3, 21. Es iſt ohne Zuthun des Ge- ſetzes die Gerechtigkeit, die vor GOTT gilt, offenbaret, und bezeuget durch das Geſetz, (durch die Schriften Moſis und die Propheten.) 2. Das von Paulo alhier gemißbilligte, unter dem Geſetz ſeyn wollen, muß ja nicht dahin gezogen werden, als waͤren wir durch CHriſtum vom Gehorſam des Geſetzes frey ge- ſprochen. Denn ob gleich ſein vollkommener Gehorſam unſern natuͤrlichen Ungehorſam und unſer Unvermoͤgen erſetzet; ſo koͤmmt uns doch auch ſeine kraͤftige Gnade darinnen zu ſtatten, daß uns ein geiſtliches und uͤbernatuͤrliches Ver- moͤgen geſchencket wird, nicht allein an dem Geſetze GOttes unſere Hertzens-Luſt zu haben, ſondern auch nach demſelben einher zu gehen; ob gleich in groſſer Unvollkommenheit, doch in aller Lauterkeit und Wahrheit; und darinn zu wachſen. Gewißlich ſo uͤbel es gethan iſt, un- ter der Zuchtmeiſterſchaft des Geſetzes ſtehen bleiben wollen, als ein Unmuͤndiger, da man durch CHriſtum zur voͤlligen Kindſchaft und Freyheit verſetzet iſt, oder doch gelangen kan: ſo thoͤricht und noch aͤrger iſt es, unter der Gna- de auch noch der Suͤnde dienen. Siehe Rom. 6, 14. ſeqq. 3. Was der Apoſtel von der Familie des Abrahams, oder deſſen beyden gar ungleichen Soͤhnen anfuͤhret, und damit den Unterſcheid der gedoppelten Oeconomie GOttes, der alten unter dem Geſetze, und der neuen unter dem Evan-
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 4, v. 20. 21.
der Kranckheit ihr Zunehmen, Abnehmen und Zu-
faͤlle eigentlich bemercket, und ihm daher viel beſ-
ſer muͤndlich rathen kan, als wenn er in Abwe-
ſenheit ſchriftlich conſuliret wird, und ſeinen Rath
ſchriftlich ertheilet.
2. Alſo wuͤnſchte Paulus perſoͤnlich mit
den Galatern umzugehen, und ſeine Stimme,
ſamt dem Vortrage ſelbſt, alſo wandeln, oder
veraͤndern und einrichten zu koͤnnen, wie es ihre
Beſchaffenheit uͤberhaupt und eines ieden inſon-
derheit erfodern wuͤrde.
3. Was Paulus von den Briefen ſaget,
daß ſich darinnen der Vortrag nicht alſo einrich-
ten laſſe, als in der muͤndlichen Rede, das gilt
auch von dem Unterſcheide einer oͤffentlichen und
Privat-Vorſtellung. Zwar laͤßt ſich in einer muͤnd-
lichen Rede auch oͤffentlich eine Sache viel lebhaf-
ter und eigentlicher ausdruͤcken, als in einem
Schreiben: aber doch lange nicht alſo, wie es
mit einigen Seelen beſonders geſchehen kan.
Denn da in der Gemeine die Seelen von gar un-
terſchiedenem Zuſtande ſind; ſo kan es leichtlich
geſchehen, daß dieſen und jenen nach ihrer eigent-
lichen Beſchaffenheit gar kein Genuͤge geſchie-
het; daß auch wol manche auf ſich appliciren, was
doch fuͤr ſie ſich nicht eigentlich ſchicket. Da hin-
gegen, wenn man es mit dieſen und jenen beſon-
ders zu thun hat, man ſich nach ihrem eigentlichen
Zuſtande recht erkundigen, und ſo denn alles dar-
nach weislich einrichten kan. Gleichwie ein Me-
dicus zwar vielen hundert Patienten von einerley
Kranckheit einerley Artzney und einerley Diæt
vorſchreiben kan; allein, wenn ihme dieſes und
jenes beſonderer Zuſtand recht kund wird, noͤthig
findet, in ſeiner Verordnung mancherley Ver-
aͤnderung zu treffen.
4. Es erfolget hieraus ſo viel, daß eines
rechtſchafnen Lehrers Pflicht iſt, auſſer dem oͤf-
fentlichen Vortrage ſich auch privatim und beſon-
ders der Seelen recht anzunehmen. Denn gleich-
wie es ein Kennzeichen iſt eines Mietlings, oder
gar eines Bauch-Dieners, wenn er zwar man-
chen Ptivat-Umgang mit vielen von ſeinen Zuhoͤ-
rern hat; aber ohne alle wahre Erbauung, ja wol
nicht ſelten gar zu ihrem nicht geringen Aerger-
niſſe: alſo iſts hingegen ein gewiſſer Character ei-
nes getreuen Seelen-Hirten, wenn er alle ſeine
Privat-Converſation zur Erbauung richtet, und
zu dem Ende nicht nur die Krancken, ſondern auch
die Geſunden beſuchet, und zu ihnen auch unge-
rufen kommet. Welches gar wohl angehet, wenn
er nur in einem zwar ernſtlichen aber dabey doch
demuͤthigen, liebreichen und ſanftmuͤthigen Gei-
ſte ſtehet, und daraus handelt: und zwar wenn er
es zuvorderſt bey armen und geringen Leuten, dero
Seelen GOTT doch eben ſo werth ſind, verſu-
chet: als welche ihm einen ſo wohlgemeinten Zu-
ſpruch ſo gar nicht werden uͤbel nehmen, daß ſie
ihn wol vielmehr gleichſam als einen Engel
GOttes anſehen werden: wie es Paulo an-
fangs bey den Galatern begegnet iſt. v. 14.
5. Es haben demnach Schafe, die einen ſol-
chen Hirten haben, ſolches fuͤr eine ſo viel groͤſſere
Wohlthat GOttes zu achten; ſo viel rarer ſol-
che ſind; und ſich ihrer Seelen-Sorge auch pri-
vatim heilſamlich zu bedienen. Haben ſie ſolche
aber nicht: ſo kan ihnen endlich das goͤttliche
Wort, das ſie theils hoͤren, theils leſen und be-
trachten koͤnnen, genug ſeyn.
6. Man hat ſich ja dem muͤndlichen Vor-
trage des Worts, zumal wo er in der rechten
Lauterkeit und Kraft geſchiehet, nicht zu entzie-
hen, unter dem Vorwand, daß man alles, was
man hoͤren werde, leſen koͤnne. Denn es giebt
das Anhoͤren unter einer lebhaften und geiſtrei-
chen Vorſtellung immer mehrern Eindruck, als
das bloſſe Leſen.
V. 21.
Saget mir, die ihr unter dem Geſetze
ſeyn (oder dadurch, daß ihr es haltet, die Se-
ligkeit erlangen) wollet, habet ihr das Ge-
ſetz nicht gehoͤret (Gr. hoͤret ihr daſſelbe, oder
bemercket ihr es nicht in den Stuͤcken, oder Ge-
ſchichten, worinnen ihr es ſonderlich hoͤren, oder
bemercken ſoltet?)
Anmerckungen.
1. Das Wort Geſetz ſtehet alhier in ei-
nem gedoppelten, doch aber gar gebraͤuchlichen
und bekanten Verſtande. Zuerſt heißt es ſo
viel, als die Vorſchrift der zum Moral- und Ce-
remonial-Geſetze gehoͤrigen Gebote GOTTes,
durch dero Erfuͤllung die Galater, aus Verlei-
tung der falſchen Lehrer, ſelig zu werden ſuchten.
Hernach wird das Wort gebrauchet von den
Schriften Moſis und allem dem, was darinnen
ſtehet; darunter vieles war, ſo zum Evangelio
gehoͤrete. Dergleichen Ort vom zwiefachen
Verſtande des Wortes Geſetz iſt auch der
Rom. 3, 21. Es iſt ohne Zuthun des Ge-
ſetzes die Gerechtigkeit, die vor GOTT
gilt, offenbaret, und bezeuget durch das
Geſetz, (durch die Schriften Moſis und
die Propheten.)
2. Das von Paulo alhier gemißbilligte,
unter dem Geſetz ſeyn wollen, muß ja nicht
dahin gezogen werden, als waͤren wir durch
CHriſtum vom Gehorſam des Geſetzes frey ge-
ſprochen. Denn ob gleich ſein vollkommener
Gehorſam unſern natuͤrlichen Ungehorſam und
unſer Unvermoͤgen erſetzet; ſo koͤmmt uns doch
auch ſeine kraͤftige Gnade darinnen zu ſtatten,
daß uns ein geiſtliches und uͤbernatuͤrliches Ver-
moͤgen geſchencket wird, nicht allein an dem
Geſetze GOttes unſere Hertzens-Luſt zu haben,
ſondern auch nach demſelben einher zu gehen;
ob gleich in groſſer Unvollkommenheit, doch in
aller Lauterkeit und Wahrheit; und darinn zu
wachſen. Gewißlich ſo uͤbel es gethan iſt, un-
ter der Zuchtmeiſterſchaft des Geſetzes ſtehen
bleiben wollen, als ein Unmuͤndiger, da man
durch CHriſtum zur voͤlligen Kindſchaft und
Freyheit verſetzet iſt, oder doch gelangen kan:
ſo thoͤricht und noch aͤrger iſt es, unter der Gna-
de auch noch der Suͤnde dienen. Siehe Rom.
6, 14. ſeqq.
3. Was der Apoſtel von der Familie des
Abrahams, oder deſſen beyden gar ungleichen
Soͤhnen anfuͤhret, und damit den Unterſcheid
der gedoppelten Oeconomie GOttes, der alten
unter dem Geſetze, und der neuen unter dem
Evan-
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