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Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904.

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nichts tut, als täglich mit demselben Handgriff zahllose Male die
an ihm auf einem Triebrad vorbeigeführten Tiere töten. Das
ist ein besonders krasses, aber für das Wesen der industriellen Arbeit
doch typisches Beispiel. Wenn so das Leben von Millionen von
Arbeitern sich um einen und denselben Handgriff dreht, so kann
die Frau nicht erwarten, davon eine Ausnahme zu machen. Ob
und wie diese Zustände zu ändern sind, ob der größte Teil der
Menschheit dauernd darauf verzichten muß, in der Berufsarbeit
zugleich die volle innere Befriedigung zu finden, kann niemand
voraussagen. Einstweilen aber darf man nicht für die arbeitende
Frau Jdeale aufstellen, die auch für den Mann unter den heutigen
wirtschaftlichen Verhältnissen gar nicht verwirklicht werden können.
Deshalb bleibt es natürlich doch mit die wichtigste sozialpolitische
Aufgabe, durch einen den Verhältnissen vorsichtig angepaßten
Arbeiterinnenschutz die Frau aus der ungeheuren Tretmühle der
Jndustrie für ihren Mutterberuf zurückzugewinnen. Sonst würde
hier allmählich ein Stück weiblichen Einflusses verloren gehen, das
an keiner andern Stelle zu ersetzen, auf keine andere Weise wieder
einzubringen wäre.

Da aber, wo die Arbeit noch Persönlichkeitsausdruck sein kann,
wo wirklich geistige und seelische Werte in ihr Leben gewinnen können,
wo es sich um den Aufbau der Kultur im eigentlichen Sinne handelt,
soll das weibliche Prinzip überall neben das männliche treten.
Wäre die Welt des Mannes die beste der Welten, erfüllte sie tat-
sächlich, wenigstens in ihren großen Richtlinien, ein sittliches Jdeal,
so könnte man diesen Anspruch der Frauen bestreiten. Aber wenn
die gewaltige wissenschaftliche und technische Kultur unserer Zeit als
spezifische Leistung des Mannes anerkannt werden muß, so tragen
doch auch die großen sozialen Mißstände, die mit dieser Kultur empor-
gewachsen sind, ebenso sein Gepräge. Und vieles von dem, was diesen
sozialen Mißständen zugrunde liegt, hat seinen natürlichen Gegner
in der Frau. Nicht ihr entspricht es, daß immer noch das Faustrecht
zwischen den Völkern herrscht, wenn auch unter rechtlichen Formen;
nicht sie ist verantwortlich, wenn Verwahrlosung und Alkohol die
Gefängnisse füllen und der Staat das sittliche Bewußtsein der
männlichen Jugend vergiftet durch das von ihm geduldete und unter-
stützte Laster. Mit dem Männerstaat sind diese Zustände zu furcht-

nichts tut, als täglich mit demselben Handgriff zahllose Male die
an ihm auf einem Triebrad vorbeigeführten Tiere töten. Das
ist ein besonders krasses, aber für das Wesen der industriellen Arbeit
doch typisches Beispiel. Wenn so das Leben von Millionen von
Arbeitern sich um einen und denselben Handgriff dreht, so kann
die Frau nicht erwarten, davon eine Ausnahme zu machen. Ob
und wie diese Zustände zu ändern sind, ob der größte Teil der
Menschheit dauernd darauf verzichten muß, in der Berufsarbeit
zugleich die volle innere Befriedigung zu finden, kann niemand
voraussagen. Einstweilen aber darf man nicht für die arbeitende
Frau Jdeale aufstellen, die auch für den Mann unter den heutigen
wirtschaftlichen Verhältnissen gar nicht verwirklicht werden können.
Deshalb bleibt es natürlich doch mit die wichtigste sozialpolitische
Aufgabe, durch einen den Verhältnissen vorsichtig angepaßten
Arbeiterinnenschutz die Frau aus der ungeheuren Tretmühle der
Jndustrie für ihren Mutterberuf zurückzugewinnen. Sonst würde
hier allmählich ein Stück weiblichen Einflusses verloren gehen, das
an keiner andern Stelle zu ersetzen, auf keine andere Weise wieder
einzubringen wäre.

Da aber, wo die Arbeit noch Persönlichkeitsausdruck sein kann,
wo wirklich geistige und seelische Werte in ihr Leben gewinnen können,
wo es sich um den Aufbau der Kultur im eigentlichen Sinne handelt,
soll das weibliche Prinzip überall neben das männliche treten.
Wäre die Welt des Mannes die beste der Welten, erfüllte sie tat-
sächlich, wenigstens in ihren großen Richtlinien, ein sittliches Jdeal,
so könnte man diesen Anspruch der Frauen bestreiten. Aber wenn
die gewaltige wissenschaftliche und technische Kultur unserer Zeit als
spezifische Leistung des Mannes anerkannt werden muß, so tragen
doch auch die großen sozialen Mißstände, die mit dieser Kultur empor-
gewachsen sind, ebenso sein Gepräge. Und vieles von dem, was diesen
sozialen Mißständen zugrunde liegt, hat seinen natürlichen Gegner
in der Frau. Nicht ihr entspricht es, daß immer noch das Faustrecht
zwischen den Völkern herrscht, wenn auch unter rechtlichen Formen;
nicht sie ist verantwortlich, wenn Verwahrlosung und Alkohol die
Gefängnisse füllen und der Staat das sittliche Bewußtsein der
männlichen Jugend vergiftet durch das von ihm geduldete und unter-
stützte Laster. Mit dem Männerstaat sind diese Zustände zu furcht-

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[14/0014] nichts tut, als täglich mit demselben Handgriff zahllose Male die an ihm auf einem Triebrad vorbeigeführten Tiere töten. Das ist ein besonders krasses, aber für das Wesen der industriellen Arbeit doch typisches Beispiel. Wenn so das Leben von Millionen von Arbeitern sich um einen und denselben Handgriff dreht, so kann die Frau nicht erwarten, davon eine Ausnahme zu machen. Ob und wie diese Zustände zu ändern sind, ob der größte Teil der Menschheit dauernd darauf verzichten muß, in der Berufsarbeit zugleich die volle innere Befriedigung zu finden, kann niemand voraussagen. Einstweilen aber darf man nicht für die arbeitende Frau Jdeale aufstellen, die auch für den Mann unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen gar nicht verwirklicht werden können. Deshalb bleibt es natürlich doch mit die wichtigste sozialpolitische Aufgabe, durch einen den Verhältnissen vorsichtig angepaßten Arbeiterinnenschutz die Frau aus der ungeheuren Tretmühle der Jndustrie für ihren Mutterberuf zurückzugewinnen. Sonst würde hier allmählich ein Stück weiblichen Einflusses verloren gehen, das an keiner andern Stelle zu ersetzen, auf keine andere Weise wieder einzubringen wäre. Da aber, wo die Arbeit noch Persönlichkeitsausdruck sein kann, wo wirklich geistige und seelische Werte in ihr Leben gewinnen können, wo es sich um den Aufbau der Kultur im eigentlichen Sinne handelt, soll das weibliche Prinzip überall neben das männliche treten. Wäre die Welt des Mannes die beste der Welten, erfüllte sie tat- sächlich, wenigstens in ihren großen Richtlinien, ein sittliches Jdeal, so könnte man diesen Anspruch der Frauen bestreiten. Aber wenn die gewaltige wissenschaftliche und technische Kultur unserer Zeit als spezifische Leistung des Mannes anerkannt werden muß, so tragen doch auch die großen sozialen Mißstände, die mit dieser Kultur empor- gewachsen sind, ebenso sein Gepräge. Und vieles von dem, was diesen sozialen Mißständen zugrunde liegt, hat seinen natürlichen Gegner in der Frau. Nicht ihr entspricht es, daß immer noch das Faustrecht zwischen den Völkern herrscht, wenn auch unter rechtlichen Formen; nicht sie ist verantwortlich, wenn Verwahrlosung und Alkohol die Gefängnisse füllen und der Staat das sittliche Bewußtsein der männlichen Jugend vergiftet durch das von ihm geduldete und unter- stützte Laster. Mit dem Männerstaat sind diese Zustände zu furcht-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-11-05T13:58:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-11-05T13:58:55Z)

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_endziel_1904/14>, abgerufen am 29.03.2024.