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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
keit zu bestimmen, weil man sich in der Jugend zu der
Aussprache von Sylben gewöhnen kann, die aus sehr
vielen Buchstaben zusammengesetzt sind. Die wirkli-
chen Sprachen gehen hierinn Stufenweise, und die
Deutsche und Slavonische haben zusammengesetztere
Sylben, als die Lateinische und davon abstammenden
Sprachen. Es läßt sich aber nicht wohl erörtern, wo
die Structur der Gliedmaßen der Sprache selbst an-
fängt Schranken zu setzen, und es ist unstreitig eine Ue-
bung
hierinn, wie bey jeden übrigen Leibesübungen,
z. E. bey dem Springen, Seiltanzen etc. möglich, wo-
durch man es bis zum Unglaublichen sollte bringen kön-
nen. Solche Uebungen im Aussprechen würden auch
leicht eingeführt werden, wenn erhebliche Gründe eine
Sprache, die sie ersordern würde, nothwendig machen
sollten.

§. 91. Hingegen hat die Zusammensetzung der Syl-
ben keine Einschränkung. Denn es können in zwo
auf einander folgenden Sylben eben so viel Consonan-
ten an einander stoßen, als in zwey auf einander fol-
genden Wörtern, weil man im Reden die Wörter wie
Sylben zusammenhängt. Man kann sich hievon ver-
sichern, wenn man jemanden eine ganz fremde Sprache
reden hört. Eine ganze Periode wird ein einiges Wort
zu seyn scheinen. Man hat sie vorzeiten auch an ein-
ander hängend geschrieben, bis man anfieng, die Wör-
ter abzusetzen. Jm Deutschen gieng man weiter, und
theilte auch die zusammengesetzten Wörter durch Strich-
lein, indem man z. E. Hof-Rath, Lust-Haus etc.
schrieb, welches aber wiederum in Abgang kömmt.

§. 92. Die Anzahl der Sylben, um ein Wort zu
machen, ist ebenfalls unbestimmt, in so fern man nur
die Möglichkeit betrachtet, ein Wort aus Sylben zu-
sammen zu setzen. Hingegen so lange die Wörter nur
willkührliche Zeichen der Dinge und Begriffe bleiben,

wird

II. Hauptſtuͤck.
keit zu beſtimmen, weil man ſich in der Jugend zu der
Ausſprache von Sylben gewoͤhnen kann, die aus ſehr
vielen Buchſtaben zuſammengeſetzt ſind. Die wirkli-
chen Sprachen gehen hierinn Stufenweiſe, und die
Deutſche und Slavoniſche haben zuſammengeſetztere
Sylben, als die Lateiniſche und davon abſtammenden
Sprachen. Es laͤßt ſich aber nicht wohl eroͤrtern, wo
die Structur der Gliedmaßen der Sprache ſelbſt an-
faͤngt Schranken zu ſetzen, und es iſt unſtreitig eine Ue-
bung
hierinn, wie bey jeden uͤbrigen Leibesuͤbungen,
z. E. bey dem Springen, Seiltanzen ꝛc. moͤglich, wo-
durch man es bis zum Unglaublichen ſollte bringen koͤn-
nen. Solche Uebungen im Ausſprechen wuͤrden auch
leicht eingefuͤhrt werden, wenn erhebliche Gruͤnde eine
Sprache, die ſie erſordern wuͤrde, nothwendig machen
ſollten.

§. 91. Hingegen hat die Zuſammenſetzung der Syl-
ben keine Einſchraͤnkung. Denn es koͤnnen in zwo
auf einander folgenden Sylben eben ſo viel Conſonan-
ten an einander ſtoßen, als in zwey auf einander fol-
genden Woͤrtern, weil man im Reden die Woͤrter wie
Sylben zuſammenhaͤngt. Man kann ſich hievon ver-
ſichern, wenn man jemanden eine ganz fremde Sprache
reden hoͤrt. Eine ganze Periode wird ein einiges Wort
zu ſeyn ſcheinen. Man hat ſie vorzeiten auch an ein-
ander haͤngend geſchrieben, bis man anfieng, die Woͤr-
ter abzuſetzen. Jm Deutſchen gieng man weiter, und
theilte auch die zuſammengeſetzten Woͤrter durch Strich-
lein, indem man z. E. Hof-Rath, Luſt-Haus ꝛc.
ſchrieb, welches aber wiederum in Abgang koͤmmt.

§. 92. Die Anzahl der Sylben, um ein Wort zu
machen, iſt ebenfalls unbeſtimmt, in ſo fern man nur
die Moͤglichkeit betrachtet, ein Wort aus Sylben zu-
ſammen zu ſetzen. Hingegen ſo lange die Woͤrter nur
willkuͤhrliche Zeichen der Dinge und Begriffe bleiben,

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[56/0062] II. Hauptſtuͤck. keit zu beſtimmen, weil man ſich in der Jugend zu der Ausſprache von Sylben gewoͤhnen kann, die aus ſehr vielen Buchſtaben zuſammengeſetzt ſind. Die wirkli- chen Sprachen gehen hierinn Stufenweiſe, und die Deutſche und Slavoniſche haben zuſammengeſetztere Sylben, als die Lateiniſche und davon abſtammenden Sprachen. Es laͤßt ſich aber nicht wohl eroͤrtern, wo die Structur der Gliedmaßen der Sprache ſelbſt an- faͤngt Schranken zu ſetzen, und es iſt unſtreitig eine Ue- bung hierinn, wie bey jeden uͤbrigen Leibesuͤbungen, z. E. bey dem Springen, Seiltanzen ꝛc. moͤglich, wo- durch man es bis zum Unglaublichen ſollte bringen koͤn- nen. Solche Uebungen im Ausſprechen wuͤrden auch leicht eingefuͤhrt werden, wenn erhebliche Gruͤnde eine Sprache, die ſie erſordern wuͤrde, nothwendig machen ſollten. §. 91. Hingegen hat die Zuſammenſetzung der Syl- ben keine Einſchraͤnkung. Denn es koͤnnen in zwo auf einander folgenden Sylben eben ſo viel Conſonan- ten an einander ſtoßen, als in zwey auf einander fol- genden Woͤrtern, weil man im Reden die Woͤrter wie Sylben zuſammenhaͤngt. Man kann ſich hievon ver- ſichern, wenn man jemanden eine ganz fremde Sprache reden hoͤrt. Eine ganze Periode wird ein einiges Wort zu ſeyn ſcheinen. Man hat ſie vorzeiten auch an ein- ander haͤngend geſchrieben, bis man anfieng, die Woͤr- ter abzuſetzen. Jm Deutſchen gieng man weiter, und theilte auch die zuſammengeſetzten Woͤrter durch Strich- lein, indem man z. E. Hof-Rath, Luſt-Haus ꝛc. ſchrieb, welches aber wiederum in Abgang koͤmmt. §. 92. Die Anzahl der Sylben, um ein Wort zu machen, iſt ebenfalls unbeſtimmt, in ſo fern man nur die Moͤglichkeit betrachtet, ein Wort aus Sylben zu- ſammen zu ſetzen. Hingegen ſo lange die Woͤrter nur willkuͤhrliche Zeichen der Dinge und Begriffe bleiben, wird

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/62>, abgerufen am 27.11.2024.