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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
brauchbar zu machen, noch dermalen etwas weiter zu-
rücke zu bleiben scheinen. Die Bestimmung jeder Man-
nichfaltigkeiten, die uns die Sprache, als Sprache be-
trachtet, anbeut, die damit verbundene Untersuchung,
wozu jede dieser Mannichfaltigkeiten dienen kann, macht
die Charakteristische Theorie der Sprache aus,
die wir vornehmen werden. Wir haben dabey die
Sprache als ein Datum, und können sie durch jede
Combinationen und Proben durchführen, um zu sehen,
welcher Theorien und Verwandlungen sie, an sich be-
trachtet, fähig ist, und welche Aehnlichkeiten sie mit den
Theorien der Dinge hat, die sie bezeichnen kann, sie
mag sie nun wirklich bezeichnen oder nicht.

§. 73. Man wird sich daher nicht verwundern,
wenn wir bey den ersten Elementen der Sprache anfan-
gen, und nach der in der Dianoiologie (§. 517. seqq.)
gegebenen Anleitung, die einfachsten Möglichkeiten auf-
suchen. Dieses sind die einfachen Laute, die wir durch
Buchstaben vorstellen. Jhre Anzahl hängt von der
Structur der Gliedmaßen der Sprache, der Lippen, Zäh-
ne, Zungen, Gaumen und Kehle ab. Die Erfahrung
lehrt uns, daß diejenigen Wendungen dieser Gliedmas-
sen, die man nicht in der Kindheit zu einer Fertigkeit
macht, uns im höhern Alter, theils schwer, theils ganz
unmöglich werden. Das Schibbolet der Jüden, das
th der Engländer, das mst der Russen, sind verhältniß-
weise von dieser Art. Die Welschen haben Mühe zu
aspiriren, und werden leicht Hengelland und Oland
aussprechen, die Deutschen treffen das Französische eu
nach seinen beyden Aussprachen sehr selten, und verwech-
seln es leicht mit i und e. Das Griechische y scheint
ein Mittelton zwischen e und i gewesen zu seyn, dessen
Aussprache die Lateiner mit e verwechselten; und da die
Lateiner das Griechische ph durch ph und nicht durch f
geben, so scheint auch, daß es ein Mittel zwischen ph

und

II. Hauptſtuͤck.
brauchbar zu machen, noch dermalen etwas weiter zu-
ruͤcke zu bleiben ſcheinen. Die Beſtimmung jeder Man-
nichfaltigkeiten, die uns die Sprache, als Sprache be-
trachtet, anbeut, die damit verbundene Unterſuchung,
wozu jede dieſer Mannichfaltigkeiten dienen kann, macht
die Charakteriſtiſche Theorie der Sprache aus,
die wir vornehmen werden. Wir haben dabey die
Sprache als ein Datum, und koͤnnen ſie durch jede
Combinationen und Proben durchfuͤhren, um zu ſehen,
welcher Theorien und Verwandlungen ſie, an ſich be-
trachtet, faͤhig iſt, und welche Aehnlichkeiten ſie mit den
Theorien der Dinge hat, die ſie bezeichnen kann, ſie
mag ſie nun wirklich bezeichnen oder nicht.

§. 73. Man wird ſich daher nicht verwundern,
wenn wir bey den erſten Elementen der Sprache anfan-
gen, und nach der in der Dianoiologie (§. 517. ſeqq.)
gegebenen Anleitung, die einfachſten Moͤglichkeiten auf-
ſuchen. Dieſes ſind die einfachen Laute, die wir durch
Buchſtaben vorſtellen. Jhre Anzahl haͤngt von der
Structur der Gliedmaßen der Sprache, der Lippen, Zaͤh-
ne, Zungen, Gaumen und Kehle ab. Die Erfahrung
lehrt uns, daß diejenigen Wendungen dieſer Gliedmaſ-
ſen, die man nicht in der Kindheit zu einer Fertigkeit
macht, uns im hoͤhern Alter, theils ſchwer, theils ganz
unmoͤglich werden. Das Schibbolet der Juͤden, das
th der Englaͤnder, das mſt der Ruſſen, ſind verhaͤltniß-
weiſe von dieſer Art. Die Welſchen haben Muͤhe zu
aſpiriren, und werden leicht Hengelland und Oland
ausſprechen, die Deutſchen treffen das Franzoͤſiſche eu
nach ſeinen beyden Ausſprachen ſehr ſelten, und verwech-
ſeln es leicht mit i und e. Das Griechiſche y ſcheint
ein Mittelton zwiſchen e und i geweſen zu ſeyn, deſſen
Ausſprache die Lateiner mit e verwechſelten; und da die
Lateiner das Griechiſche φ durch ph und nicht durch f
geben, ſo ſcheint auch, daß es ein Mittel zwiſchen ph

und
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[46/0052] II. Hauptſtuͤck. brauchbar zu machen, noch dermalen etwas weiter zu- ruͤcke zu bleiben ſcheinen. Die Beſtimmung jeder Man- nichfaltigkeiten, die uns die Sprache, als Sprache be- trachtet, anbeut, die damit verbundene Unterſuchung, wozu jede dieſer Mannichfaltigkeiten dienen kann, macht die Charakteriſtiſche Theorie der Sprache aus, die wir vornehmen werden. Wir haben dabey die Sprache als ein Datum, und koͤnnen ſie durch jede Combinationen und Proben durchfuͤhren, um zu ſehen, welcher Theorien und Verwandlungen ſie, an ſich be- trachtet, faͤhig iſt, und welche Aehnlichkeiten ſie mit den Theorien der Dinge hat, die ſie bezeichnen kann, ſie mag ſie nun wirklich bezeichnen oder nicht. §. 73. Man wird ſich daher nicht verwundern, wenn wir bey den erſten Elementen der Sprache anfan- gen, und nach der in der Dianoiologie (§. 517. ſeqq.) gegebenen Anleitung, die einfachſten Moͤglichkeiten auf- ſuchen. Dieſes ſind die einfachen Laute, die wir durch Buchſtaben vorſtellen. Jhre Anzahl haͤngt von der Structur der Gliedmaßen der Sprache, der Lippen, Zaͤh- ne, Zungen, Gaumen und Kehle ab. Die Erfahrung lehrt uns, daß diejenigen Wendungen dieſer Gliedmaſ- ſen, die man nicht in der Kindheit zu einer Fertigkeit macht, uns im hoͤhern Alter, theils ſchwer, theils ganz unmoͤglich werden. Das Schibbolet der Juͤden, das th der Englaͤnder, das mſt der Ruſſen, ſind verhaͤltniß- weiſe von dieſer Art. Die Welſchen haben Muͤhe zu aſpiriren, und werden leicht Hengelland und Oland ausſprechen, die Deutſchen treffen das Franzoͤſiſche eu nach ſeinen beyden Ausſprachen ſehr ſelten, und verwech- ſeln es leicht mit i und e. Das Griechiſche y ſcheint ein Mittelton zwiſchen e und i geweſen zu ſeyn, deſſen Ausſprache die Lateiner mit e verwechſelten; und da die Lateiner das Griechiſche φ durch ph und nicht durch f geben, ſo ſcheint auch, daß es ein Mittel zwiſchen ph und

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/52>, abgerufen am 23.11.2024.