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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Sprache an sich betrachtet.
kührliche, so viel immer möglich ist, theils wegschaffen,
theils mit dem Natürlichen und Nothwendigen in en-
gere Verbindung setzen. Die Classischen Schriftsteller
haben in jeden gelehrten Sprachen viel hierinn gethan,
ohne noch eine wissenschaftliche allgemeine Sprachlehre
vor sich zu haben. Es kann auch eine Sprache nicht
wohl zur gelehrten Sprache werden, es sey denn, daß
sie nach dieser Theorie ausgebessert werde. Die Ver-
dienste der Wolsischen Weltweisheit um die deutsche
Sprache, sind in dieser Absicht bekannt, weil ungemein
viele, theils alte, theils auch neue Wörter, dadurch eine
bestimmte Bedeutung bekommen haben.

§. 72. Wir gedenken nicht, die eine oder die andere
dieser Wissenschaften bey unsern gegenwärtigen Betrach-
tungen zur Absicht zu machen, oder sie uns als einen
Leitfaden, dem wir folgen könnten, vorzusetzen, sondern
werden nach den im vorhergehenden Hauptstücke geleg-
ten Gründen, den Weg zu bestimmen suchen, den sie
uns zu der Betrachtung der Sprache anbieten, ohne
eben vorläufig auszumachen, wohin, noch wie weit er
führen werde. So weit wir aber kommen, wird sich
jedesmal finden lassen, was theils zum Behufe dieser
beyden Wissenschaften, theils auch überhaupt zu jeden
nützlichen Absichten dienen kann. Zu diesem Ende wer-
den uns wirkliche und mögliche Sprachen gleich-
gültig seyn, weil die Weglassung dieses Unterschiedes
uns nicht einschränkt, die Sprachen schlechthin zu neh-
men, wie sie sind, oder uns statt ächter Gründe, mit
dem: es ist so, weil es so ist, zu begnügen. Man
kann noch beyfügen, daß die allmähliche Abänderung
der lebenden Sprachen noch viele Möglichkeiten zuläßt,
die es gut ist, vorher zu wissen, und deren viele, nur
weil man sie nicht weiß, auf Anläße warten. Solche
Möglichkeiten werden wir aufzusuchen bemüht seyn, und
sie auch da anzeigen, wo die Mittel und Wege, sie

brauch-

Von der Sprache an ſich betrachtet.
kuͤhrliche, ſo viel immer moͤglich iſt, theils wegſchaffen,
theils mit dem Natuͤrlichen und Nothwendigen in en-
gere Verbindung ſetzen. Die Claſſiſchen Schriftſteller
haben in jeden gelehrten Sprachen viel hierinn gethan,
ohne noch eine wiſſenſchaftliche allgemeine Sprachlehre
vor ſich zu haben. Es kann auch eine Sprache nicht
wohl zur gelehrten Sprache werden, es ſey denn, daß
ſie nach dieſer Theorie ausgebeſſert werde. Die Ver-
dienſte der Wolſiſchen Weltweisheit um die deutſche
Sprache, ſind in dieſer Abſicht bekannt, weil ungemein
viele, theils alte, theils auch neue Woͤrter, dadurch eine
beſtimmte Bedeutung bekommen haben.

§. 72. Wir gedenken nicht, die eine oder die andere
dieſer Wiſſenſchaften bey unſern gegenwaͤrtigen Betrach-
tungen zur Abſicht zu machen, oder ſie uns als einen
Leitfaden, dem wir folgen koͤnnten, vorzuſetzen, ſondern
werden nach den im vorhergehenden Hauptſtuͤcke geleg-
ten Gruͤnden, den Weg zu beſtimmen ſuchen, den ſie
uns zu der Betrachtung der Sprache anbieten, ohne
eben vorlaͤufig auszumachen, wohin, noch wie weit er
fuͤhren werde. So weit wir aber kommen, wird ſich
jedesmal finden laſſen, was theils zum Behufe dieſer
beyden Wiſſenſchaften, theils auch uͤberhaupt zu jeden
nuͤtzlichen Abſichten dienen kann. Zu dieſem Ende wer-
den uns wirkliche und moͤgliche Sprachen gleich-
guͤltig ſeyn, weil die Weglaſſung dieſes Unterſchiedes
uns nicht einſchraͤnkt, die Sprachen ſchlechthin zu neh-
men, wie ſie ſind, oder uns ſtatt aͤchter Gruͤnde, mit
dem: es iſt ſo, weil es ſo iſt, zu begnuͤgen. Man
kann noch beyfuͤgen, daß die allmaͤhliche Abaͤnderung
der lebenden Sprachen noch viele Moͤglichkeiten zulaͤßt,
die es gut iſt, vorher zu wiſſen, und deren viele, nur
weil man ſie nicht weiß, auf Anlaͤße warten. Solche
Moͤglichkeiten werden wir aufzuſuchen bemuͤht ſeyn, und
ſie auch da anzeigen, wo die Mittel und Wege, ſie

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[45/0051] Von der Sprache an ſich betrachtet. kuͤhrliche, ſo viel immer moͤglich iſt, theils wegſchaffen, theils mit dem Natuͤrlichen und Nothwendigen in en- gere Verbindung ſetzen. Die Claſſiſchen Schriftſteller haben in jeden gelehrten Sprachen viel hierinn gethan, ohne noch eine wiſſenſchaftliche allgemeine Sprachlehre vor ſich zu haben. Es kann auch eine Sprache nicht wohl zur gelehrten Sprache werden, es ſey denn, daß ſie nach dieſer Theorie ausgebeſſert werde. Die Ver- dienſte der Wolſiſchen Weltweisheit um die deutſche Sprache, ſind in dieſer Abſicht bekannt, weil ungemein viele, theils alte, theils auch neue Woͤrter, dadurch eine beſtimmte Bedeutung bekommen haben. §. 72. Wir gedenken nicht, die eine oder die andere dieſer Wiſſenſchaften bey unſern gegenwaͤrtigen Betrach- tungen zur Abſicht zu machen, oder ſie uns als einen Leitfaden, dem wir folgen koͤnnten, vorzuſetzen, ſondern werden nach den im vorhergehenden Hauptſtuͤcke geleg- ten Gruͤnden, den Weg zu beſtimmen ſuchen, den ſie uns zu der Betrachtung der Sprache anbieten, ohne eben vorlaͤufig auszumachen, wohin, noch wie weit er fuͤhren werde. So weit wir aber kommen, wird ſich jedesmal finden laſſen, was theils zum Behufe dieſer beyden Wiſſenſchaften, theils auch uͤberhaupt zu jeden nuͤtzlichen Abſichten dienen kann. Zu dieſem Ende wer- den uns wirkliche und moͤgliche Sprachen gleich- guͤltig ſeyn, weil die Weglaſſung dieſes Unterſchiedes uns nicht einſchraͤnkt, die Sprachen ſchlechthin zu neh- men, wie ſie ſind, oder uns ſtatt aͤchter Gruͤnde, mit dem: es iſt ſo, weil es ſo iſt, zu begnuͤgen. Man kann noch beyfuͤgen, daß die allmaͤhliche Abaͤnderung der lebenden Sprachen noch viele Moͤglichkeiten zulaͤßt, die es gut iſt, vorher zu wiſſen, und deren viele, nur weil man ſie nicht weiß, auf Anlaͤße warten. Solche Moͤglichkeiten werden wir aufzuſuchen bemuͤht ſeyn, und ſie auch da anzeigen, wo die Mittel und Wege, ſie brauch-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/51>, abgerufen am 03.12.2024.