Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Hauptstück.
wahrscheinlich zeigen, daß der Entschluß besser als jeder
andere sey, den man statt dessen in vorgegebenen Um-
ständen nehmen könnte. Da das Allgemeine hievon
in die Agathologie gehört, das Besondere aber aus den
jedesmal vorkommenden Umständen hergenommen wer-
den muß; so halten wir uns dabey nicht auf, weil wir
hier nicht das Gute, sondern das Wahre, zum Ge-
genstand haben. Jndessen mußten wir den Begriff
der Argumente für den Willen hier überhaupt anzei-
gen, weil er uns zu der Betrachtung der Argumente
von dem Willen, oder der von dem Willen her-
genommenen Argumente
dient. Diese kommen
nun bey Beurtheilung geschehener oder künftiger Din-
ge, welche von menschlichen Entschließungen abhängen,
imgleichen auch bey der Beurtheilung der Aufrichtig-
keit
und Glaubwürdigkeit der Zeugen häufig vor,
und beruhen auf der Kenntniß der Gedenkensart,
Kräfte,
des Verstandes und Willens, Gemüths-
beschaffenheit, Umstände
und Verhältnisse der-
jenigen Personen, von welchen gefragt wird, ob sie eine
vorgegebene Sache gethan haben, oder thun werden,
oder die Wahrheit sagen, oder aufrichtig handeln etc.
Hiebey werden nun die Begriffe der Nothwendig-
keit, Möglichkeit, Unmöglichkeit
etc. auf eine drey-
fache Art genommen. 1. Metaphysisch, was nämlich
an sich nothwendig, möglich, unmöglich ist. 2. Phy-
sisch, was es in der gegenwärtigen Welt nach den Ge-
setzen ihrer Einrichtung und Veränderungen ist. 3. Mo-
ralisch, was es nach den Gesetzen und Kräften des Wil-
lens, und bey bestimmten Graden und Vollkommenhei-
ten oder Unvollkommenheiten desselben ist. Man sieht
leicht, daß die von dem Willen hergenommene Argu-
mente vornehmlich auf das gehen, was man mora-
lisch möglich, unmöglich, nothwendig
nennt,
und daß man dabey den Vorsatz von dem Versehen,

Un-

V. Hauptſtuͤck.
wahrſcheinlich zeigen, daß der Entſchluß beſſer als jeder
andere ſey, den man ſtatt deſſen in vorgegebenen Um-
ſtaͤnden nehmen koͤnnte. Da das Allgemeine hievon
in die Agathologie gehoͤrt, das Beſondere aber aus den
jedesmal vorkommenden Umſtaͤnden hergenommen wer-
den muß; ſo halten wir uns dabey nicht auf, weil wir
hier nicht das Gute, ſondern das Wahre, zum Ge-
genſtand haben. Jndeſſen mußten wir den Begriff
der Argumente fuͤr den Willen hier uͤberhaupt anzei-
gen, weil er uns zu der Betrachtung der Argumente
von dem Willen, oder der von dem Willen her-
genommenen Argumente
dient. Dieſe kommen
nun bey Beurtheilung geſchehener oder kuͤnftiger Din-
ge, welche von menſchlichen Entſchließungen abhaͤngen,
imgleichen auch bey der Beurtheilung der Aufrichtig-
keit
und Glaubwuͤrdigkeit der Zeugen haͤufig vor,
und beruhen auf der Kenntniß der Gedenkensart,
Kraͤfte,
des Verſtandes und Willens, Gemuͤths-
beſchaffenheit, Umſtaͤnde
und Verhaͤltniſſe der-
jenigen Perſonen, von welchen gefragt wird, ob ſie eine
vorgegebene Sache gethan haben, oder thun werden,
oder die Wahrheit ſagen, oder aufrichtig handeln ꝛc.
Hiebey werden nun die Begriffe der Nothwendig-
keit, Moͤglichkeit, Unmoͤglichkeit
ꝛc. auf eine drey-
fache Art genommen. 1. Metaphyſiſch, was naͤmlich
an ſich nothwendig, moͤglich, unmoͤglich iſt. 2. Phy-
ſiſch, was es in der gegenwaͤrtigen Welt nach den Ge-
ſetzen ihrer Einrichtung und Veraͤnderungen iſt. 3. Mo-
raliſch, was es nach den Geſetzen und Kraͤften des Wil-
lens, und bey beſtimmten Graden und Vollkommenhei-
ten oder Unvollkommenheiten deſſelben iſt. Man ſieht
leicht, daß die von dem Willen hergenommene Argu-
mente vornehmlich auf das gehen, was man mora-
liſch moͤglich, unmoͤglich, nothwendig
nennt,
und daß man dabey den Vorſatz von dem Verſehen,

Un-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0396" n="390"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
wahr&#x017F;cheinlich zeigen, daß der Ent&#x017F;chluß be&#x017F;&#x017F;er als jeder<lb/>
andere &#x017F;ey, den man &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en in vorgegebenen Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden nehmen ko&#x0364;nnte. Da das Allgemeine hievon<lb/>
in die Agathologie geho&#x0364;rt, das Be&#x017F;ondere aber aus den<lb/>
jedesmal vorkommenden Um&#x017F;ta&#x0364;nden hergenommen wer-<lb/>
den muß; &#x017F;o halten wir uns dabey nicht auf, weil wir<lb/>
hier nicht das <hi rendition="#fr">Gute,</hi> &#x017F;ondern das <hi rendition="#fr">Wahre,</hi> zum Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand haben. Jnde&#x017F;&#x017F;en mußten wir den Begriff<lb/>
der Argumente <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r</hi> den Willen hier u&#x0364;berhaupt anzei-<lb/>
gen, weil er uns zu der Betrachtung der Argumente<lb/><hi rendition="#fr">von</hi> dem Willen, oder <hi rendition="#fr">der von dem Willen her-<lb/>
genommenen Argumente</hi> dient. Die&#x017F;e kommen<lb/>
nun bey Beurtheilung ge&#x017F;chehener oder ku&#x0364;nftiger Din-<lb/>
ge, welche von men&#x017F;chlichen Ent&#x017F;chließungen abha&#x0364;ngen,<lb/>
imgleichen auch bey der Beurtheilung der <hi rendition="#fr">Aufrichtig-<lb/>
keit</hi> und <hi rendition="#fr">Glaubwu&#x0364;rdigkeit</hi> der <hi rendition="#fr">Zeugen</hi> ha&#x0364;ufig vor,<lb/>
und beruhen auf der Kenntniß der <hi rendition="#fr">Gedenkensart,<lb/>
Kra&#x0364;fte,</hi> des <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tandes</hi> und <hi rendition="#fr">Willens, Gemu&#x0364;ths-<lb/>
be&#x017F;chaffenheit, Um&#x017F;ta&#x0364;nde</hi> und <hi rendition="#fr">Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e</hi> der-<lb/>
jenigen Per&#x017F;onen, von welchen gefragt wird, ob &#x017F;ie eine<lb/>
vorgegebene Sache gethan haben, oder thun werden,<lb/>
oder die Wahrheit &#x017F;agen, oder aufrichtig handeln &#xA75B;c.<lb/>
Hiebey werden nun die Begriffe der <hi rendition="#fr">Nothwendig-<lb/>
keit, Mo&#x0364;glichkeit, Unmo&#x0364;glichkeit</hi> &#xA75B;c. auf eine drey-<lb/>
fache Art genommen. 1. Metaphy&#x017F;i&#x017F;ch, was na&#x0364;mlich<lb/>
an &#x017F;ich nothwendig, mo&#x0364;glich, unmo&#x0364;glich i&#x017F;t. 2. Phy-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;ch, was es in der gegenwa&#x0364;rtigen Welt nach den Ge-<lb/>
&#x017F;etzen ihrer Einrichtung und Vera&#x0364;nderungen i&#x017F;t. 3. Mo-<lb/>
rali&#x017F;ch, was es nach den Ge&#x017F;etzen und Kra&#x0364;ften des Wil-<lb/>
lens, und bey be&#x017F;timmten Graden und Vollkommenhei-<lb/>
ten oder Unvollkommenheiten de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t. Man &#x017F;ieht<lb/>
leicht, daß die von dem Willen hergenommene Argu-<lb/>
mente vornehmlich auf das gehen, was man <hi rendition="#fr">mora-<lb/>
li&#x017F;ch mo&#x0364;glich, unmo&#x0364;glich, nothwendig</hi> nennt,<lb/>
und daß man dabey den <hi rendition="#fr">Vor&#x017F;atz</hi> von dem <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;ehen,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Un-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0396] V. Hauptſtuͤck. wahrſcheinlich zeigen, daß der Entſchluß beſſer als jeder andere ſey, den man ſtatt deſſen in vorgegebenen Um- ſtaͤnden nehmen koͤnnte. Da das Allgemeine hievon in die Agathologie gehoͤrt, das Beſondere aber aus den jedesmal vorkommenden Umſtaͤnden hergenommen wer- den muß; ſo halten wir uns dabey nicht auf, weil wir hier nicht das Gute, ſondern das Wahre, zum Ge- genſtand haben. Jndeſſen mußten wir den Begriff der Argumente fuͤr den Willen hier uͤberhaupt anzei- gen, weil er uns zu der Betrachtung der Argumente von dem Willen, oder der von dem Willen her- genommenen Argumente dient. Dieſe kommen nun bey Beurtheilung geſchehener oder kuͤnftiger Din- ge, welche von menſchlichen Entſchließungen abhaͤngen, imgleichen auch bey der Beurtheilung der Aufrichtig- keit und Glaubwuͤrdigkeit der Zeugen haͤufig vor, und beruhen auf der Kenntniß der Gedenkensart, Kraͤfte, des Verſtandes und Willens, Gemuͤths- beſchaffenheit, Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe der- jenigen Perſonen, von welchen gefragt wird, ob ſie eine vorgegebene Sache gethan haben, oder thun werden, oder die Wahrheit ſagen, oder aufrichtig handeln ꝛc. Hiebey werden nun die Begriffe der Nothwendig- keit, Moͤglichkeit, Unmoͤglichkeit ꝛc. auf eine drey- fache Art genommen. 1. Metaphyſiſch, was naͤmlich an ſich nothwendig, moͤglich, unmoͤglich iſt. 2. Phy- ſiſch, was es in der gegenwaͤrtigen Welt nach den Ge- ſetzen ihrer Einrichtung und Veraͤnderungen iſt. 3. Mo- raliſch, was es nach den Geſetzen und Kraͤften des Wil- lens, und bey beſtimmten Graden und Vollkommenhei- ten oder Unvollkommenheiten deſſelben iſt. Man ſieht leicht, daß die von dem Willen hergenommene Argu- mente vornehmlich auf das gehen, was man mora- liſch moͤglich, unmoͤglich, nothwendig nennt, und daß man dabey den Vorſatz von dem Verſehen, Un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/396
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/396>, abgerufen am 23.11.2024.