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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
gehoben, und man reiche folglich dadurch nur zu einem
gewissen Grade der Wahrscheinlichkeit. Es ist aller-
dings unstreitig, daß man in dieser Absicht sowohl bey
physischen Hypothesen als auch in rednerischen und mo-
ralischen Beweisen Schlüsse auf Schlüsse, oder Argu-
mente auf Argumente häuft, und durch die Menge der-
selben die Leser und Zuhörer gleichsam übertäubt. Die
Lebhaftigkeit des Vortrages und die Erregung der Af-
fecten mag auch viel dazu verhelfen, die Seele mit sol-
chen Argumenten gleichsam auszufüllen, daß sie sich
nicht so gleich auf die Lücken besinnt, die bey solchen Ar-
gumenten noch zurücke bleiben. Man findet aber etwan
nachher jede einzelne Argumente zu schwach, ohne zu
wissen, ob ihre Summe die völlige Gewißheit ausma-
che. Endlich ist es auch an sich leichter, aus einem
Satze Schlüsse zu ziehen, als denselben aus Gründen zu
beweisen, und auf diese Art hat das Argumentiren und
Consequenzen ziehen etwas Natürliches und Leichtes, und
es scheint gleichsam viel zu leicht zu seyn, als daß die
dabey zurückbleibenden Schwierigkeiten dadurch geho-
ben werden könnten. Wir wollen aber die verschiede-
nen Arten solcher Argumente durchgehen.

§. 167. Man habe demnach den Satz: A ist B,
der durch seine Folgen solle bewiesen werden, und den
wir in dieser Absicht die Hypothese nennen können.
Man mache ihn zum Untersatze in der ersten Figur, und
mit Zuziehung wahrer Obersätze: B ist C, D, E, F, etc.
folgere man die Schlußsätze: A ist C, D, E, F, etc.
daraus, und diese seyen vermög der Erfahrung oder aus
andern Gründen sämtlich wahr. Wir nehmen hiebey
die Obersätze sämtlich bejahend, weil die verneinenden
mehrentheils nur terminos infinitos angeben, woraus
für A nichts positives folgt. Unter dieser Vorausse-
tzung lassen sich die Obersätze sämtlich in einen copula-
tiven Satz: B ist C, und D, und E, etc. zusammenzie-

hen.

V. Hauptſtuͤck.
gehoben, und man reiche folglich dadurch nur zu einem
gewiſſen Grade der Wahrſcheinlichkeit. Es iſt aller-
dings unſtreitig, daß man in dieſer Abſicht ſowohl bey
phyſiſchen Hypotheſen als auch in redneriſchen und mo-
raliſchen Beweiſen Schluͤſſe auf Schluͤſſe, oder Argu-
mente auf Argumente haͤuft, und durch die Menge der-
ſelben die Leſer und Zuhoͤrer gleichſam uͤbertaͤubt. Die
Lebhaftigkeit des Vortrages und die Erregung der Af-
fecten mag auch viel dazu verhelfen, die Seele mit ſol-
chen Argumenten gleichſam auszufuͤllen, daß ſie ſich
nicht ſo gleich auf die Luͤcken beſinnt, die bey ſolchen Ar-
gumenten noch zuruͤcke bleiben. Man findet aber etwan
nachher jede einzelne Argumente zu ſchwach, ohne zu
wiſſen, ob ihre Summe die voͤllige Gewißheit ausma-
che. Endlich iſt es auch an ſich leichter, aus einem
Satze Schluͤſſe zu ziehen, als denſelben aus Gruͤnden zu
beweiſen, und auf dieſe Art hat das Argumentiren und
Conſequenzen ziehen etwas Natuͤrliches und Leichtes, und
es ſcheint gleichſam viel zu leicht zu ſeyn, als daß die
dabey zuruͤckbleibenden Schwierigkeiten dadurch geho-
ben werden koͤnnten. Wir wollen aber die verſchiede-
nen Arten ſolcher Argumente durchgehen.

§. 167. Man habe demnach den Satz: A iſt B,
der durch ſeine Folgen ſolle bewieſen werden, und den
wir in dieſer Abſicht die Hypotheſe nennen koͤnnen.
Man mache ihn zum Unterſatze in der erſten Figur, und
mit Zuziehung wahrer Oberſaͤtze: B iſt C, D, E, F, ꝛc.
folgere man die Schlußſaͤtze: A iſt C, D, E, F, ꝛc.
daraus, und dieſe ſeyen vermoͤg der Erfahrung oder aus
andern Gruͤnden ſaͤmtlich wahr. Wir nehmen hiebey
die Oberſaͤtze ſaͤmtlich bejahend, weil die verneinenden
mehrentheils nur terminos infinitos angeben, woraus
fuͤr A nichts poſitives folgt. Unter dieſer Vorausſe-
tzung laſſen ſich die Oberſaͤtze ſaͤmtlich in einen copula-
tiven Satz: B iſt C, und D, und E, ꝛc. zuſammenzie-

hen.
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[334/0340] V. Hauptſtuͤck. gehoben, und man reiche folglich dadurch nur zu einem gewiſſen Grade der Wahrſcheinlichkeit. Es iſt aller- dings unſtreitig, daß man in dieſer Abſicht ſowohl bey phyſiſchen Hypotheſen als auch in redneriſchen und mo- raliſchen Beweiſen Schluͤſſe auf Schluͤſſe, oder Argu- mente auf Argumente haͤuft, und durch die Menge der- ſelben die Leſer und Zuhoͤrer gleichſam uͤbertaͤubt. Die Lebhaftigkeit des Vortrages und die Erregung der Af- fecten mag auch viel dazu verhelfen, die Seele mit ſol- chen Argumenten gleichſam auszufuͤllen, daß ſie ſich nicht ſo gleich auf die Luͤcken beſinnt, die bey ſolchen Ar- gumenten noch zuruͤcke bleiben. Man findet aber etwan nachher jede einzelne Argumente zu ſchwach, ohne zu wiſſen, ob ihre Summe die voͤllige Gewißheit ausma- che. Endlich iſt es auch an ſich leichter, aus einem Satze Schluͤſſe zu ziehen, als denſelben aus Gruͤnden zu beweiſen, und auf dieſe Art hat das Argumentiren und Conſequenzen ziehen etwas Natuͤrliches und Leichtes, und es ſcheint gleichſam viel zu leicht zu ſeyn, als daß die dabey zuruͤckbleibenden Schwierigkeiten dadurch geho- ben werden koͤnnten. Wir wollen aber die verſchiede- nen Arten ſolcher Argumente durchgehen. §. 167. Man habe demnach den Satz: A iſt B, der durch ſeine Folgen ſolle bewieſen werden, und den wir in dieſer Abſicht die Hypotheſe nennen koͤnnen. Man mache ihn zum Unterſatze in der erſten Figur, und mit Zuziehung wahrer Oberſaͤtze: B iſt C, D, E, F, ꝛc. folgere man die Schlußſaͤtze: A iſt C, D, E, F, ꝛc. daraus, und dieſe ſeyen vermoͤg der Erfahrung oder aus andern Gruͤnden ſaͤmtlich wahr. Wir nehmen hiebey die Oberſaͤtze ſaͤmtlich bejahend, weil die verneinenden mehrentheils nur terminos infinitos angeben, woraus fuͤr A nichts poſitives folgt. Unter dieſer Vorausſe- tzung laſſen ſich die Oberſaͤtze ſaͤmtlich in einen copula- tiven Satz: B iſt C, und D, und E, ꝛc. zuſammenzie- hen.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/340>, abgerufen am 27.11.2024.