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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem Wahrscheinlichen.
bewiesen werden könne? Daß es überhaupt be-
trachtet bey jeden Sätzen angehe, haben wir in der Ale-
thiologie erwiesen, wo wir (§. 175.) zeigten, daß ein
Satz nothwendig wahr sey, so oft sich nichts
widersprechendes daraus herleiten läßt.
Wenn
demnach jede Schlußsätze, die man mit Zuziehung wah-
rer Sätze und in richtiger Form aus einem Satze her-
leiten kann, wahr befunden werden, so ist der Satz selbst
ebenfalls wahr, und man ist dadurch von seiner Wahr-
heit versichert, ohne daß man ihn aus Gründen herzu-
leiten oder zu beweisen nöthig habe. Bey dieser Art
zu beweisen wird der Satz selbst als eine Hypothese an-
genommen, und mit Zuziehung wahrer Sätze Folgen
daraus gezogen, von deren Wahrheit man sich aus an-
dern Gründen oder durch die Erfahrung versichert. Wir
haben uns an angezogenem Orte begnügt, die allgemei-
ne Möglichkeit und Zuläßigkeit dieses Verfahrens zu
beweisen, und über die Anwendung desselben auf physi-
sche Hypothesen einige Anmerkungen beygefügt. Es
kömmt aber nicht nur bey diesen Hypothesen, sondern
vornehmlich auch bey den sogenannten moralischen Be-
weisen sehr häufig vor. Daher ist hier eigentlich der
Ort, dasselbe umständlicher aus einander zu setzen, um
zu sehen, woran es fehle, wenn man dabey bey
dem Wahrscheinlichen zurücke bleibt, und
nicht bis zur völligen Gewißheit ausreicht.

§. 166. Die Hauptschwierigkeit, die sich wider die
Brauchbarkeit dieses Verfahrens äußert, ist nämlich die,
daß es den Anschein hat, man könne sich dadurch von
der Wahrheit des Satzes nicht wohl anders, als durch
eine unendliche Menge von Schlüssen versichern, indem
man alle mögliche Folgen aus dem Satze gleichsam
müsse durch die Musterung gehen lassen. Bleibe man
aber nur bey einer gewissen Anzahl stehen, so werde der
Anstand in Ansehung der Richtigkeit der übrigen nicht

geho-

Von dem Wahrſcheinlichen.
bewieſen werden koͤnne? Daß es uͤberhaupt be-
trachtet bey jeden Saͤtzen angehe, haben wir in der Ale-
thiologie erwieſen, wo wir (§. 175.) zeigten, daß ein
Satz nothwendig wahr ſey, ſo oft ſich nichts
widerſprechendes daraus herleiten laͤßt.
Wenn
demnach jede Schlußſaͤtze, die man mit Zuziehung wah-
rer Saͤtze und in richtiger Form aus einem Satze her-
leiten kann, wahr befunden werden, ſo iſt der Satz ſelbſt
ebenfalls wahr, und man iſt dadurch von ſeiner Wahr-
heit verſichert, ohne daß man ihn aus Gruͤnden herzu-
leiten oder zu beweiſen noͤthig habe. Bey dieſer Art
zu beweiſen wird der Satz ſelbſt als eine Hypotheſe an-
genommen, und mit Zuziehung wahrer Saͤtze Folgen
daraus gezogen, von deren Wahrheit man ſich aus an-
dern Gruͤnden oder durch die Erfahrung verſichert. Wir
haben uns an angezogenem Orte begnuͤgt, die allgemei-
ne Moͤglichkeit und Zulaͤßigkeit dieſes Verfahrens zu
beweiſen, und uͤber die Anwendung deſſelben auf phyſi-
ſche Hypotheſen einige Anmerkungen beygefuͤgt. Es
koͤmmt aber nicht nur bey dieſen Hypotheſen, ſondern
vornehmlich auch bey den ſogenannten moraliſchen Be-
weiſen ſehr haͤufig vor. Daher iſt hier eigentlich der
Ort, daſſelbe umſtaͤndlicher aus einander zu ſetzen, um
zu ſehen, woran es fehle, wenn man dabey bey
dem Wahrſcheinlichen zuruͤcke bleibt, und
nicht bis zur voͤlligen Gewißheit ausreicht.

§. 166. Die Hauptſchwierigkeit, die ſich wider die
Brauchbarkeit dieſes Verfahrens aͤußert, iſt naͤmlich die,
daß es den Anſchein hat, man koͤnne ſich dadurch von
der Wahrheit des Satzes nicht wohl anders, als durch
eine unendliche Menge von Schluͤſſen verſichern, indem
man alle moͤgliche Folgen aus dem Satze gleichſam
muͤſſe durch die Muſterung gehen laſſen. Bleibe man
aber nur bey einer gewiſſen Anzahl ſtehen, ſo werde der
Anſtand in Anſehung der Richtigkeit der uͤbrigen nicht

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[333/0339] Von dem Wahrſcheinlichen. bewieſen werden koͤnne? Daß es uͤberhaupt be- trachtet bey jeden Saͤtzen angehe, haben wir in der Ale- thiologie erwieſen, wo wir (§. 175.) zeigten, daß ein Satz nothwendig wahr ſey, ſo oft ſich nichts widerſprechendes daraus herleiten laͤßt. Wenn demnach jede Schlußſaͤtze, die man mit Zuziehung wah- rer Saͤtze und in richtiger Form aus einem Satze her- leiten kann, wahr befunden werden, ſo iſt der Satz ſelbſt ebenfalls wahr, und man iſt dadurch von ſeiner Wahr- heit verſichert, ohne daß man ihn aus Gruͤnden herzu- leiten oder zu beweiſen noͤthig habe. Bey dieſer Art zu beweiſen wird der Satz ſelbſt als eine Hypotheſe an- genommen, und mit Zuziehung wahrer Saͤtze Folgen daraus gezogen, von deren Wahrheit man ſich aus an- dern Gruͤnden oder durch die Erfahrung verſichert. Wir haben uns an angezogenem Orte begnuͤgt, die allgemei- ne Moͤglichkeit und Zulaͤßigkeit dieſes Verfahrens zu beweiſen, und uͤber die Anwendung deſſelben auf phyſi- ſche Hypotheſen einige Anmerkungen beygefuͤgt. Es koͤmmt aber nicht nur bey dieſen Hypotheſen, ſondern vornehmlich auch bey den ſogenannten moraliſchen Be- weiſen ſehr haͤufig vor. Daher iſt hier eigentlich der Ort, daſſelbe umſtaͤndlicher aus einander zu ſetzen, um zu ſehen, woran es fehle, wenn man dabey bey dem Wahrſcheinlichen zuruͤcke bleibt, und nicht bis zur voͤlligen Gewißheit ausreicht. §. 166. Die Hauptſchwierigkeit, die ſich wider die Brauchbarkeit dieſes Verfahrens aͤußert, iſt naͤmlich die, daß es den Anſchein hat, man koͤnne ſich dadurch von der Wahrheit des Satzes nicht wohl anders, als durch eine unendliche Menge von Schluͤſſen verſichern, indem man alle moͤgliche Folgen aus dem Satze gleichſam muͤſſe durch die Muſterung gehen laſſen. Bleibe man aber nur bey einer gewiſſen Anzahl ſtehen, ſo werde der Anſtand in Anſehung der Richtigkeit der uͤbrigen nicht geho-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/339>, abgerufen am 23.11.2024.