Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Hauptstück.
merkt und gleichsam zufälliger Weise zusammen einfin-
den. Die Aufmerksamkeit auf solche Umstände und
die Einsicht in den Zusammenhang ihrer Folgen, die
größtentheils aus der Erfahrung erlangt wird, macht
einen beträchtlichen Theil der Kunst zu muthmaßen
und das Künftige voraus zu vermuthen
aus,
die sich, in ihrem weitläuftigsten Umfange genommen,
auf jede an keine einfache und nothwendige Gesetze ge-
bundene Veränderungen in dem Lauf der Dinge er-
streckt. Man muß dabey wissen, welche Umstände und
Ursachen einer Veränderung vorgehen müssen, ehe sie
erfolgen kann, und welche dazu erfordert werden, damit
sie wirklich erfolge, oder wenigstens ohne neue Hinder-
nisse erfolgen könne. Oefters lassen auch die Umstände,
so weit sie sich entdecken, eine Lücke, die sich ohne die
Voraussetzung, daß eine gewisse Sache vorgegangen
sey, oder vorgehen müsse, nicht ausfüllen läßt. Die
Betrachtungen, daß nichts durch einen Sprung
geschieht; daß eine nicht verhinderte Ursache
ihre Wirkung äußert; daß jede Veränderung
verursacht werde; daß die Menschen nach
Trieben und Beweggründen handeln
etc. werden
bey solchen Untersuchungen häufig angewandt.

§. 165. Wir werden nun von den physischen
Folgen,
die eigentlich Wirkungen und Veränderungen
sind, zu den logischen fortschreiten, welche allgemeiner
sind, und jene als eine besondere Classe unter sich be-
greifen, in so fern sie in Schlußreden vorgetragen wer-
den. Hier betrachten wir demnach nicht die Sachen
selbst,
sondern die Begriffe und Sätze, die sie uns
angeben, und dabey giebt es nun wiederum verschiedne
Arten von Wahrscheinlichkeiten, wobey zu untersuchen
vorkömmt, worinn sie bestehen, und worinn sie von der
Gewißheit abgehen. Die erste nehmen wir von der
Frage her, wieferne ein Satz aus seinen Folgen

bewie-

V. Hauptſtuͤck.
merkt und gleichſam zufaͤlliger Weiſe zuſammen einfin-
den. Die Aufmerkſamkeit auf ſolche Umſtaͤnde und
die Einſicht in den Zuſammenhang ihrer Folgen, die
groͤßtentheils aus der Erfahrung erlangt wird, macht
einen betraͤchtlichen Theil der Kunſt zu muthmaßen
und das Kuͤnftige voraus zu vermuthen
aus,
die ſich, in ihrem weitlaͤuftigſten Umfange genommen,
auf jede an keine einfache und nothwendige Geſetze ge-
bundene Veraͤnderungen in dem Lauf der Dinge er-
ſtreckt. Man muß dabey wiſſen, welche Umſtaͤnde und
Urſachen einer Veraͤnderung vorgehen muͤſſen, ehe ſie
erfolgen kann, und welche dazu erfordert werden, damit
ſie wirklich erfolge, oder wenigſtens ohne neue Hinder-
niſſe erfolgen koͤnne. Oefters laſſen auch die Umſtaͤnde,
ſo weit ſie ſich entdecken, eine Luͤcke, die ſich ohne die
Vorausſetzung, daß eine gewiſſe Sache vorgegangen
ſey, oder vorgehen muͤſſe, nicht ausfuͤllen laͤßt. Die
Betrachtungen, daß nichts durch einen Sprung
geſchieht; daß eine nicht verhinderte Urſache
ihre Wirkung aͤußert; daß jede Veraͤnderung
verurſacht werde; daß die Menſchen nach
Trieben und Beweggruͤnden handeln
ꝛc. werden
bey ſolchen Unterſuchungen haͤufig angewandt.

§. 165. Wir werden nun von den phyſiſchen
Folgen,
die eigentlich Wirkungen und Veraͤnderungen
ſind, zu den logiſchen fortſchreiten, welche allgemeiner
ſind, und jene als eine beſondere Claſſe unter ſich be-
greifen, in ſo fern ſie in Schlußreden vorgetragen wer-
den. Hier betrachten wir demnach nicht die Sachen
ſelbſt,
ſondern die Begriffe und Saͤtze, die ſie uns
angeben, und dabey giebt es nun wiederum verſchiedne
Arten von Wahrſcheinlichkeiten, wobey zu unterſuchen
vorkoͤmmt, worinn ſie beſtehen, und worinn ſie von der
Gewißheit abgehen. Die erſte nehmen wir von der
Frage her, wieferne ein Satz aus ſeinen Folgen

bewie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0338" n="332"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
merkt und gleich&#x017F;am zufa&#x0364;lliger Wei&#x017F;e zu&#x017F;ammen einfin-<lb/>
den. Die Aufmerk&#x017F;amkeit auf &#x017F;olche Um&#x017F;ta&#x0364;nde und<lb/>
die Ein&#x017F;icht in den Zu&#x017F;ammenhang ihrer Folgen, die<lb/>
gro&#x0364;ßtentheils aus der Erfahrung erlangt wird, macht<lb/>
einen betra&#x0364;chtlichen Theil der <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t zu muthmaßen<lb/>
und das Ku&#x0364;nftige voraus zu vermuthen</hi> aus,<lb/>
die &#x017F;ich, in ihrem weitla&#x0364;uftig&#x017F;ten Umfange genommen,<lb/>
auf jede an keine einfache und nothwendige Ge&#x017F;etze ge-<lb/>
bundene Vera&#x0364;nderungen in dem Lauf der Dinge er-<lb/>
&#x017F;treckt. Man muß dabey wi&#x017F;&#x017F;en, welche Um&#x017F;ta&#x0364;nde und<lb/>
Ur&#x017F;achen einer Vera&#x0364;nderung vorgehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ehe &#x017F;ie<lb/>
erfolgen kann, und welche dazu erfordert werden, damit<lb/>
&#x017F;ie wirklich erfolge, oder wenig&#x017F;tens ohne neue Hinder-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e erfolgen ko&#x0364;nne. Oefters la&#x017F;&#x017F;en auch die Um&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
&#x017F;o weit &#x017F;ie &#x017F;ich entdecken, eine Lu&#x0364;cke, die &#x017F;ich ohne die<lb/>
Voraus&#x017F;etzung, daß eine gewi&#x017F;&#x017F;e Sache vorgegangen<lb/>
&#x017F;ey, oder vorgehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, nicht ausfu&#x0364;llen la&#x0364;ßt. Die<lb/>
Betrachtungen, <hi rendition="#fr">daß nichts durch einen Sprung<lb/>
ge&#x017F;chieht; daß eine nicht verhinderte Ur&#x017F;ache<lb/>
ihre Wirkung a&#x0364;ußert; daß jede Vera&#x0364;nderung<lb/>
verur&#x017F;acht werde; daß die Men&#x017F;chen nach<lb/>
Trieben und Beweggru&#x0364;nden handeln</hi> &#xA75B;c. werden<lb/>
bey &#x017F;olchen Unter&#x017F;uchungen ha&#x0364;ufig angewandt.</p><lb/>
          <p>§. 165. Wir werden nun von den <hi rendition="#fr">phy&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Folgen,</hi> die eigentlich Wirkungen und Vera&#x0364;nderungen<lb/>
&#x017F;ind, zu den <hi rendition="#fr">logi&#x017F;chen</hi> fort&#x017F;chreiten, welche allgemeiner<lb/>
&#x017F;ind, und jene als eine be&#x017F;ondere Cla&#x017F;&#x017F;e unter &#x017F;ich be-<lb/>
greifen, in &#x017F;o fern &#x017F;ie in Schlußreden vorgetragen wer-<lb/>
den. Hier betrachten wir demnach nicht die <hi rendition="#fr">Sachen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t,</hi> &#x017F;ondern die <hi rendition="#fr">Begriffe</hi> und <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;tze,</hi> die &#x017F;ie uns<lb/>
angeben, und dabey giebt es nun wiederum ver&#x017F;chiedne<lb/>
Arten von Wahr&#x017F;cheinlichkeiten, wobey zu unter&#x017F;uchen<lb/>
vorko&#x0364;mmt, worinn &#x017F;ie be&#x017F;tehen, und worinn &#x017F;ie von der<lb/>
Gewißheit abgehen. Die er&#x017F;te nehmen wir von der<lb/>
Frage her, <hi rendition="#fr">wieferne ein Satz aus &#x017F;einen Folgen</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">bewie-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0338] V. Hauptſtuͤck. merkt und gleichſam zufaͤlliger Weiſe zuſammen einfin- den. Die Aufmerkſamkeit auf ſolche Umſtaͤnde und die Einſicht in den Zuſammenhang ihrer Folgen, die groͤßtentheils aus der Erfahrung erlangt wird, macht einen betraͤchtlichen Theil der Kunſt zu muthmaßen und das Kuͤnftige voraus zu vermuthen aus, die ſich, in ihrem weitlaͤuftigſten Umfange genommen, auf jede an keine einfache und nothwendige Geſetze ge- bundene Veraͤnderungen in dem Lauf der Dinge er- ſtreckt. Man muß dabey wiſſen, welche Umſtaͤnde und Urſachen einer Veraͤnderung vorgehen muͤſſen, ehe ſie erfolgen kann, und welche dazu erfordert werden, damit ſie wirklich erfolge, oder wenigſtens ohne neue Hinder- niſſe erfolgen koͤnne. Oefters laſſen auch die Umſtaͤnde, ſo weit ſie ſich entdecken, eine Luͤcke, die ſich ohne die Vorausſetzung, daß eine gewiſſe Sache vorgegangen ſey, oder vorgehen muͤſſe, nicht ausfuͤllen laͤßt. Die Betrachtungen, daß nichts durch einen Sprung geſchieht; daß eine nicht verhinderte Urſache ihre Wirkung aͤußert; daß jede Veraͤnderung verurſacht werde; daß die Menſchen nach Trieben und Beweggruͤnden handeln ꝛc. werden bey ſolchen Unterſuchungen haͤufig angewandt. §. 165. Wir werden nun von den phyſiſchen Folgen, die eigentlich Wirkungen und Veraͤnderungen ſind, zu den logiſchen fortſchreiten, welche allgemeiner ſind, und jene als eine beſondere Claſſe unter ſich be- greifen, in ſo fern ſie in Schlußreden vorgetragen wer- den. Hier betrachten wir demnach nicht die Sachen ſelbſt, ſondern die Begriffe und Saͤtze, die ſie uns angeben, und dabey giebt es nun wiederum verſchiedne Arten von Wahrſcheinlichkeiten, wobey zu unterſuchen vorkoͤmmt, worinn ſie beſtehen, und worinn ſie von der Gewißheit abgehen. Die erſte nehmen wir von der Frage her, wieferne ein Satz aus ſeinen Folgen bewie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/338
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/338>, abgerufen am 23.11.2024.