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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem psychologischen Schein.
Hauptclassen theile, daß bey der einen die Sprache des
Scheins von der wahren Sprache nur in dem Gebrauch
der Worte, bey der andern aber in den Worten selbst
abgehe, die wahre Sprache aber einerley Worte behalte
und gebrauche. Wir haben dabey angemerkt, daß die
Bilder der Farben, des Schalls etc. nicht die Sache
selbst vorstellen, sondern gleichsam nur Zeichen davon
sind (§. 89.), und daß hingegen die Bilder der Aus-
dehnung,
der Solidität und Beweglichkeit, die
Sache selbst vorstellen, doch so, daß die Sprache des
Scheins dabey optisch, die wahre aber geometrisch
und mechanisch ist, und mit Beybehaltung der Worte
eine in die andere übersetzt werden kann. Jn dieser
Absicht kann man allerdings sagen, daß die reine Ma-
thematik und ihre Anwendung auf die Chronometrie
und Mechanik, ein Werk des reinen Verstandes sey,
weil dabey das Physische von dem Optischen durchaus
getrennt werden kann.

§. 121. So ferne die Begriffe der Ausdehnung, des
Raums, der Zeit, und der Dauer, nur auf die Geome-
trie, Mechanik und Chronometrie angewandt werden,
hat es noch, so viel mir bewußt ist, keine erhebliche
Schwierigkeiten gegeben. Hingegen hat man in der
Metaphysik derselben desto mehrere finden wollen, und
sie nicht anders zu heben gewußt, als dadurch, daß man
diese Begriffe für bloße Bilder der Einbildungskraft
angebe. Diese Schwierigkeiten liegen nicht in den Be-
griffen selbst, als welche einfach sind, und eben des-
wegen keine innere Widersprüche haben können
(Alethiol. §. 4.). Sie können daher auch nur aus der
Vergleichung dieser Begriffe mit andern Begriffen ent-
stehen, und auch nur darinn haben sie sich geäußert.
Dahin gehören z. E. die Fragen: ob der Raum von
den Körpern unabhängig sey, ob er für sich existire, ob
er habe müssen erschaffen werden, ob er vor Erschaffung

der
T 4

Von dem pſychologiſchen Schein.
Hauptclaſſen theile, daß bey der einen die Sprache des
Scheins von der wahren Sprache nur in dem Gebrauch
der Worte, bey der andern aber in den Worten ſelbſt
abgehe, die wahre Sprache aber einerley Worte behalte
und gebrauche. Wir haben dabey angemerkt, daß die
Bilder der Farben, des Schalls ꝛc. nicht die Sache
ſelbſt vorſtellen, ſondern gleichſam nur Zeichen davon
ſind (§. 89.), und daß hingegen die Bilder der Aus-
dehnung,
der Soliditaͤt und Beweglichkeit, die
Sache ſelbſt vorſtellen, doch ſo, daß die Sprache des
Scheins dabey optiſch, die wahre aber geometriſch
und mechaniſch iſt, und mit Beybehaltung der Worte
eine in die andere uͤberſetzt werden kann. Jn dieſer
Abſicht kann man allerdings ſagen, daß die reine Ma-
thematik und ihre Anwendung auf die Chronometrie
und Mechanik, ein Werk des reinen Verſtandes ſey,
weil dabey das Phyſiſche von dem Optiſchen durchaus
getrennt werden kann.

§. 121. So ferne die Begriffe der Ausdehnung, des
Raums, der Zeit, und der Dauer, nur auf die Geome-
trie, Mechanik und Chronometrie angewandt werden,
hat es noch, ſo viel mir bewußt iſt, keine erhebliche
Schwierigkeiten gegeben. Hingegen hat man in der
Metaphyſik derſelben deſto mehrere finden wollen, und
ſie nicht anders zu heben gewußt, als dadurch, daß man
dieſe Begriffe fuͤr bloße Bilder der Einbildungskraft
angebe. Dieſe Schwierigkeiten liegen nicht in den Be-
griffen ſelbſt, als welche einfach ſind, und eben des-
wegen keine innere Widerſpruͤche haben koͤnnen
(Alethiol. §. 4.). Sie koͤnnen daher auch nur aus der
Vergleichung dieſer Begriffe mit andern Begriffen ent-
ſtehen, und auch nur darinn haben ſie ſich geaͤußert.
Dahin gehoͤren z. E. die Fragen: ob der Raum von
den Koͤrpern unabhaͤngig ſey, ob er fuͤr ſich exiſtire, ob
er habe muͤſſen erſchaffen werden, ob er vor Erſchaffung

der
T 4
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[295/0301] Von dem pſychologiſchen Schein. Hauptclaſſen theile, daß bey der einen die Sprache des Scheins von der wahren Sprache nur in dem Gebrauch der Worte, bey der andern aber in den Worten ſelbſt abgehe, die wahre Sprache aber einerley Worte behalte und gebrauche. Wir haben dabey angemerkt, daß die Bilder der Farben, des Schalls ꝛc. nicht die Sache ſelbſt vorſtellen, ſondern gleichſam nur Zeichen davon ſind (§. 89.), und daß hingegen die Bilder der Aus- dehnung, der Soliditaͤt und Beweglichkeit, die Sache ſelbſt vorſtellen, doch ſo, daß die Sprache des Scheins dabey optiſch, die wahre aber geometriſch und mechaniſch iſt, und mit Beybehaltung der Worte eine in die andere uͤberſetzt werden kann. Jn dieſer Abſicht kann man allerdings ſagen, daß die reine Ma- thematik und ihre Anwendung auf die Chronometrie und Mechanik, ein Werk des reinen Verſtandes ſey, weil dabey das Phyſiſche von dem Optiſchen durchaus getrennt werden kann. §. 121. So ferne die Begriffe der Ausdehnung, des Raums, der Zeit, und der Dauer, nur auf die Geome- trie, Mechanik und Chronometrie angewandt werden, hat es noch, ſo viel mir bewußt iſt, keine erhebliche Schwierigkeiten gegeben. Hingegen hat man in der Metaphyſik derſelben deſto mehrere finden wollen, und ſie nicht anders zu heben gewußt, als dadurch, daß man dieſe Begriffe fuͤr bloße Bilder der Einbildungskraft angebe. Dieſe Schwierigkeiten liegen nicht in den Be- griffen ſelbſt, als welche einfach ſind, und eben des- wegen keine innere Widerſpruͤche haben koͤnnen (Alethiol. §. 4.). Sie koͤnnen daher auch nur aus der Vergleichung dieſer Begriffe mit andern Begriffen ent- ſtehen, und auch nur darinn haben ſie ſich geaͤußert. Dahin gehoͤren z. E. die Fragen: ob der Raum von den Koͤrpern unabhaͤngig ſey, ob er fuͤr ſich exiſtire, ob er habe muͤſſen erſchaffen werden, ob er vor Erſchaffung der T 4

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/301>, abgerufen am 23.11.2024.