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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
sind. Denn die wahre Ausdehnung, Solidität und
Bewegung ist von der empfundenen oder scheinba-
ren
fast immer verschieden. Jndessen giebt es Fälle,
wo sie zusammentreffen, und die Bestimmung derselben
macht demnach die Auflösung der erst vorgelegten Frage
(§. 82.) vollständig. Wir sind nicht gesonnen, dieselbe
hier so vollständig vorzutragen, weil wir einen beträcht-
lichen Theil der Optik ausschreiben müßten, sondern
werden nur einige Beyspiele anführen. Die schein-
bare Größe
ist der flache oder auch der solide Winkel,
den die Objecte im Auge machen. Man kann leicht
zeigen, daß es möglich ist, einen gleichseitigen Triangel
so anzuschauen, daß die scheinbare Größe jeder Seite
ebenfalls gleich ist. Hier trifft demnach Wahrheit und
Schein zusammen. Der Triangel ist und scheint gleich-
seitig. Wiederum ein Körper, der sich mit gleicher Ge-
schwindigkeit in einem Circul bewegt, oder bewegt wird,
in dessen Mittelpunkt oder Axe das Auge ist, wird auch
eine scheinbare gleiche Geschwindigkeit haben. Jn An-
sehung der Solidität ist das Gefühl nicht empfindlich
genug, die kleinern Unterschiede in der Härtigkeit der
Körper zu bemerken, ungeacht es bey weichern die Gra-
de noch ziemlich unterscheidet, und bey gleich weichen
ebenfalls eine bemerkbare Gleichheit fühlet.

§. 84. Es geben uns aber überhaupt die Sinnen
die Grade der Empfindungen nicht genau an, und die
kleinern Unterschiede zwischen denselben sind uns un-
merkbar. Wir finden dieses in denen Fällen, wo wir
das Urtheil des Sinnes durch Wiederholung der Em-
pfindung oder durch andere Proben prüfen können. So
z. E. wenn auf dem Felde einerley Winkel mehrmalen
gemessen wird, so findet sich fast immer ein kleiner Un-
terschied. Zwo Farben können uns gleich scheinen, wenn
wir schon aus den Jngredientien offenbar wissen, daß
sich ein kleiner Unterschied zeigen sollte. Zwo Hellig-

keiten

II. Hauptſtuͤck.
ſind. Denn die wahre Ausdehnung, Soliditaͤt und
Bewegung iſt von der empfundenen oder ſcheinba-
ren
faſt immer verſchieden. Jndeſſen giebt es Faͤlle,
wo ſie zuſammentreffen, und die Beſtimmung derſelben
macht demnach die Aufloͤſung der erſt vorgelegten Frage
(§. 82.) vollſtaͤndig. Wir ſind nicht geſonnen, dieſelbe
hier ſo vollſtaͤndig vorzutragen, weil wir einen betraͤcht-
lichen Theil der Optik ausſchreiben muͤßten, ſondern
werden nur einige Beyſpiele anfuͤhren. Die ſchein-
bare Groͤße
iſt der flache oder auch der ſolide Winkel,
den die Objecte im Auge machen. Man kann leicht
zeigen, daß es moͤglich iſt, einen gleichſeitigen Triangel
ſo anzuſchauen, daß die ſcheinbare Groͤße jeder Seite
ebenfalls gleich iſt. Hier trifft demnach Wahrheit und
Schein zuſammen. Der Triangel iſt und ſcheint gleich-
ſeitig. Wiederum ein Koͤrper, der ſich mit gleicher Ge-
ſchwindigkeit in einem Circul bewegt, oder bewegt wird,
in deſſen Mittelpunkt oder Axe das Auge iſt, wird auch
eine ſcheinbare gleiche Geſchwindigkeit haben. Jn An-
ſehung der Soliditaͤt iſt das Gefuͤhl nicht empfindlich
genug, die kleinern Unterſchiede in der Haͤrtigkeit der
Koͤrper zu bemerken, ungeacht es bey weichern die Gra-
de noch ziemlich unterſcheidet, und bey gleich weichen
ebenfalls eine bemerkbare Gleichheit fuͤhlet.

§. 84. Es geben uns aber uͤberhaupt die Sinnen
die Grade der Empfindungen nicht genau an, und die
kleinern Unterſchiede zwiſchen denſelben ſind uns un-
merkbar. Wir finden dieſes in denen Faͤllen, wo wir
das Urtheil des Sinnes durch Wiederholung der Em-
pfindung oder durch andere Proben pruͤfen koͤnnen. So
z. E. wenn auf dem Felde einerley Winkel mehrmalen
gemeſſen wird, ſo findet ſich faſt immer ein kleiner Un-
terſchied. Zwo Farben koͤnnen uns gleich ſcheinen, wenn
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ſich ein kleiner Unterſchied zeigen ſollte. Zwo Hellig-

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[268/0274] II. Hauptſtuͤck. ſind. Denn die wahre Ausdehnung, Soliditaͤt und Bewegung iſt von der empfundenen oder ſcheinba- ren faſt immer verſchieden. Jndeſſen giebt es Faͤlle, wo ſie zuſammentreffen, und die Beſtimmung derſelben macht demnach die Aufloͤſung der erſt vorgelegten Frage (§. 82.) vollſtaͤndig. Wir ſind nicht geſonnen, dieſelbe hier ſo vollſtaͤndig vorzutragen, weil wir einen betraͤcht- lichen Theil der Optik ausſchreiben muͤßten, ſondern werden nur einige Beyſpiele anfuͤhren. Die ſchein- bare Groͤße iſt der flache oder auch der ſolide Winkel, den die Objecte im Auge machen. Man kann leicht zeigen, daß es moͤglich iſt, einen gleichſeitigen Triangel ſo anzuſchauen, daß die ſcheinbare Groͤße jeder Seite ebenfalls gleich iſt. Hier trifft demnach Wahrheit und Schein zuſammen. Der Triangel iſt und ſcheint gleich- ſeitig. Wiederum ein Koͤrper, der ſich mit gleicher Ge- ſchwindigkeit in einem Circul bewegt, oder bewegt wird, in deſſen Mittelpunkt oder Axe das Auge iſt, wird auch eine ſcheinbare gleiche Geſchwindigkeit haben. Jn An- ſehung der Soliditaͤt iſt das Gefuͤhl nicht empfindlich genug, die kleinern Unterſchiede in der Haͤrtigkeit der Koͤrper zu bemerken, ungeacht es bey weichern die Gra- de noch ziemlich unterſcheidet, und bey gleich weichen ebenfalls eine bemerkbare Gleichheit fuͤhlet. §. 84. Es geben uns aber uͤberhaupt die Sinnen die Grade der Empfindungen nicht genau an, und die kleinern Unterſchiede zwiſchen denſelben ſind uns un- merkbar. Wir finden dieſes in denen Faͤllen, wo wir das Urtheil des Sinnes durch Wiederholung der Em- pfindung oder durch andere Proben pruͤfen koͤnnen. So z. E. wenn auf dem Felde einerley Winkel mehrmalen gemeſſen wird, ſo findet ſich faſt immer ein kleiner Un- terſchied. Zwo Farben koͤnnen uns gleich ſcheinen, wenn wir ſchon aus den Jngredientien offenbar wiſſen, daß ſich ein kleiner Unterſchied zeigen ſollte. Zwo Hellig- keiten

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/274>, abgerufen am 23.11.2024.