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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem sinnlichen Schein.
keiten scheinen uns gleich, wenn auch der Abstand des
Lichtes uns versichert, daß sie um oder noch merkli-
chern Theil verschieden sind. Jn Ansehung der Töne
zeigt uns die Länge der Saiten ebenfalls, daß wir die
kleinern Unterschiede nicht bemerken. Das Augen-
maaß, die Schätzung der Gleichheit zweyer Gewichter,
zweener Grade der Wärme etc. sind noch unzuverläßi-
ger, wenn wir Zirkel, Maaßstab, Wage und Thermo-
meter zur Prüfung gebrauchen. Solche Schätzungen
können zuweilen zutreffen. Denn wenn in der That
eine Gleichheit da ist, so würde es Unachtsamkeit oder
eine Veränderung in dem Sinne anzeigen, wenn sie
uns merklich ungleich vorkäme. Wird aber die Beob-
achtung mehrmalen wiederholt, so fällt dieses zufällige
Uebereinstimmen weg. Und wo man es in der That
muß auf das Urtheil der Sinnen ankommen lassen, da
ist die Wiederholung deswegen dienlich, weil sich aus
allen das Mittel nehmen läßt. Dieses wird, wofern
man nicht vorsetzlich sorglos seyn oder fehlen will, zuver-
läßiger, als jede einzelne Schätzung, für sich betrach-
tet, seyn.

§. 85. Aus der erst angestellten Untersuchung und
Auflösung der (§. 82.) vorgelegten Frage erhellet, daß
wir den physischen Schein in zwo ganz verschiedene
Hauptclassen eintheilen können, wenn wir ihn mit dem
Wahren, das dabey zum Grunde liegt, vergleichen. Zu
der ersten Classe gehören die Begriffe der Farben, des
Schalls, etc. (§. 63.) welche uns die Dinge unter ganz
fremden Bildern vorstellen, und wobey folglich der
Schein von dem Wahren der Art nach verschieden
ist, weil das, was wir uns unter diesen Begriffen vor-
stellen, nicht in den Körpern selbst ist, sondern nur durch
die Structur und den Mechanismus derselben veran-
laßt wird. Zu der andern Classe gehören die drey Be-
griffe der Ausdehnung, Solidität und Beweg-

lichkeit

Von dem ſinnlichen Schein.
keiten ſcheinen uns gleich, wenn auch der Abſtand des
Lichtes uns verſichert, daß ſie um oder noch merkli-
chern Theil verſchieden ſind. Jn Anſehung der Toͤne
zeigt uns die Laͤnge der Saiten ebenfalls, daß wir die
kleinern Unterſchiede nicht bemerken. Das Augen-
maaß, die Schaͤtzung der Gleichheit zweyer Gewichter,
zweener Grade der Waͤrme ꝛc. ſind noch unzuverlaͤßi-
ger, wenn wir Zirkel, Maaßſtab, Wage und Thermo-
meter zur Pruͤfung gebrauchen. Solche Schaͤtzungen
koͤnnen zuweilen zutreffen. Denn wenn in der That
eine Gleichheit da iſt, ſo wuͤrde es Unachtſamkeit oder
eine Veraͤnderung in dem Sinne anzeigen, wenn ſie
uns merklich ungleich vorkaͤme. Wird aber die Beob-
achtung mehrmalen wiederholt, ſo faͤllt dieſes zufaͤllige
Uebereinſtimmen weg. Und wo man es in der That
muß auf das Urtheil der Sinnen ankommen laſſen, da
iſt die Wiederholung deswegen dienlich, weil ſich aus
allen das Mittel nehmen laͤßt. Dieſes wird, wofern
man nicht vorſetzlich ſorglos ſeyn oder fehlen will, zuver-
laͤßiger, als jede einzelne Schaͤtzung, fuͤr ſich betrach-
tet, ſeyn.

§. 85. Aus der erſt angeſtellten Unterſuchung und
Aufloͤſung der (§. 82.) vorgelegten Frage erhellet, daß
wir den phyſiſchen Schein in zwo ganz verſchiedene
Hauptclaſſen eintheilen koͤnnen, wenn wir ihn mit dem
Wahren, das dabey zum Grunde liegt, vergleichen. Zu
der erſten Claſſe gehoͤren die Begriffe der Farben, des
Schalls, ꝛc. (§. 63.) welche uns die Dinge unter ganz
fremden Bildern vorſtellen, und wobey folglich der
Schein von dem Wahren der Art nach verſchieden
iſt, weil das, was wir uns unter dieſen Begriffen vor-
ſtellen, nicht in den Koͤrpern ſelbſt iſt, ſondern nur durch
die Structur und den Mechanismus derſelben veran-
laßt wird. Zu der andern Claſſe gehoͤren die drey Be-
griffe der Ausdehnung, Soliditaͤt und Beweg-

lichkeit
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[269/0275] Von dem ſinnlichen Schein. keiten ſcheinen uns gleich, wenn auch der Abſtand des Lichtes uns verſichert, daß ſie um [FORMEL] oder noch merkli- chern Theil verſchieden ſind. Jn Anſehung der Toͤne zeigt uns die Laͤnge der Saiten ebenfalls, daß wir die kleinern Unterſchiede nicht bemerken. Das Augen- maaß, die Schaͤtzung der Gleichheit zweyer Gewichter, zweener Grade der Waͤrme ꝛc. ſind noch unzuverlaͤßi- ger, wenn wir Zirkel, Maaßſtab, Wage und Thermo- meter zur Pruͤfung gebrauchen. Solche Schaͤtzungen koͤnnen zuweilen zutreffen. Denn wenn in der That eine Gleichheit da iſt, ſo wuͤrde es Unachtſamkeit oder eine Veraͤnderung in dem Sinne anzeigen, wenn ſie uns merklich ungleich vorkaͤme. Wird aber die Beob- achtung mehrmalen wiederholt, ſo faͤllt dieſes zufaͤllige Uebereinſtimmen weg. Und wo man es in der That muß auf das Urtheil der Sinnen ankommen laſſen, da iſt die Wiederholung deswegen dienlich, weil ſich aus allen das Mittel nehmen laͤßt. Dieſes wird, wofern man nicht vorſetzlich ſorglos ſeyn oder fehlen will, zuver- laͤßiger, als jede einzelne Schaͤtzung, fuͤr ſich betrach- tet, ſeyn. §. 85. Aus der erſt angeſtellten Unterſuchung und Aufloͤſung der (§. 82.) vorgelegten Frage erhellet, daß wir den phyſiſchen Schein in zwo ganz verſchiedene Hauptclaſſen eintheilen koͤnnen, wenn wir ihn mit dem Wahren, das dabey zum Grunde liegt, vergleichen. Zu der erſten Claſſe gehoͤren die Begriffe der Farben, des Schalls, ꝛc. (§. 63.) welche uns die Dinge unter ganz fremden Bildern vorſtellen, und wobey folglich der Schein von dem Wahren der Art nach verſchieden iſt, weil das, was wir uns unter dieſen Begriffen vor- ſtellen, nicht in den Koͤrpern ſelbſt iſt, ſondern nur durch die Structur und den Mechanismus derſelben veran- laßt wird. Zu der andern Claſſe gehoͤren die drey Be- griffe der Ausdehnung, Soliditaͤt und Beweg- lichkeit

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/275>, abgerufen am 23.11.2024.