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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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IX. Hauptstück.

§. 322. Dieses Allgemeine in einer Sprache fängt
schon bey den ersten Bestandtheilen, das ist, bey den
Buchstaben und Sylben an. Es geschieht selten, daß
neue Buchstaben und neue Zusammensetzungen dersel-
ben in einer Sprache aufgenommen werden, und bey
ältern Leuten fällt die Aussprache derselben ins Unmög-
liche. Wir haben dieses schon oben (§. 73. 79. 83. 84.
90.) umständlicher und in mehrerley Absichten ange-
merkt. Die wirklichen Sprachen gehen hierinn in so
ferne von einander ab, daß sie zwar einige gemeinsame
Laute von Buchstaben und Sylben haben, hingegen sich
durch viele andere von einander so unterscheiden, daß
man es den meisten Wörtern anhören kann, ob sie
Deutsch, Französisch, Jtalienisch, Slavonisch, etc. klin-
gen, und dieses findet sich besonders auch bey den Na-
men der Städte, Familien etc. ungeacht das Ohr hierinn
eben nicht durchaus ein untrüglicher Richter ist. Ue-
brigens sind es vornehmlich die Endungen der Wörter,
die die wirklichen Sprachen von einander unterscheiden,
und mehrentheils in Ableitungstheilchen bestehen, und
daher, da sie nicht in gar zu großer Anzahl sind, leicht
mit einander können verglichen werden.

§. 323. Es sind aber die Ableitungstheilchen nicht
nur in Ansehung der Buchstaben und des Klanges in
verschiedenen Sprachen verschieden, sondern dieser Un-
terschied erstreckt sich großentheils auch auf ihre Bedeu-
tung, und deren Vieldeutigkeit. Man findet nicht für
jedes Ableitungstheilchen einer Sprache ein gleichbe-
deutendes in einer andern. Da sie indessen metaphy-
sische Verhältnißbegriffe und Bestimmungen vorstellen,
so erhält dadurch jede Sprache, in so ferne sie von an-
dern abgeht, einen ihr eigenen Schwung, und sie kann
in einem Worte ausdrücken, was man in andern Spra-
chen durch Umschreibungen oder durch Wörter geben
muß, die einen ganz andern Ursprung haben, oder Wur-

zelwörter,
IX. Hauptſtuͤck.

§. 322. Dieſes Allgemeine in einer Sprache faͤngt
ſchon bey den erſten Beſtandtheilen, das iſt, bey den
Buchſtaben und Sylben an. Es geſchieht ſelten, daß
neue Buchſtaben und neue Zuſammenſetzungen derſel-
ben in einer Sprache aufgenommen werden, und bey
aͤltern Leuten faͤllt die Ausſprache derſelben ins Unmoͤg-
liche. Wir haben dieſes ſchon oben (§. 73. 79. 83. 84.
90.) umſtaͤndlicher und in mehrerley Abſichten ange-
merkt. Die wirklichen Sprachen gehen hierinn in ſo
ferne von einander ab, daß ſie zwar einige gemeinſame
Laute von Buchſtaben und Sylben haben, hingegen ſich
durch viele andere von einander ſo unterſcheiden, daß
man es den meiſten Woͤrtern anhoͤren kann, ob ſie
Deutſch, Franzoͤſiſch, Jtalieniſch, Slavoniſch, ꝛc. klin-
gen, und dieſes findet ſich beſonders auch bey den Na-
men der Staͤdte, Familien ꝛc. ungeacht das Ohr hierinn
eben nicht durchaus ein untruͤglicher Richter iſt. Ue-
brigens ſind es vornehmlich die Endungen der Woͤrter,
die die wirklichen Sprachen von einander unterſcheiden,
und mehrentheils in Ableitungstheilchen beſtehen, und
daher, da ſie nicht in gar zu großer Anzahl ſind, leicht
mit einander koͤnnen verglichen werden.

§. 323. Es ſind aber die Ableitungstheilchen nicht
nur in Anſehung der Buchſtaben und des Klanges in
verſchiedenen Sprachen verſchieden, ſondern dieſer Un-
terſchied erſtreckt ſich großentheils auch auf ihre Bedeu-
tung, und deren Vieldeutigkeit. Man findet nicht fuͤr
jedes Ableitungstheilchen einer Sprache ein gleichbe-
deutendes in einer andern. Da ſie indeſſen metaphy-
ſiſche Verhaͤltnißbegriffe und Beſtimmungen vorſtellen,
ſo erhaͤlt dadurch jede Sprache, in ſo ferne ſie von an-
dern abgeht, einen ihr eigenen Schwung, und ſie kann
in einem Worte ausdruͤcken, was man in andern Spra-
chen durch Umſchreibungen oder durch Woͤrter geben
muß, die einen ganz andern Urſprung haben, oder Wur-

zelwoͤrter,
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[196/0202] IX. Hauptſtuͤck. §. 322. Dieſes Allgemeine in einer Sprache faͤngt ſchon bey den erſten Beſtandtheilen, das iſt, bey den Buchſtaben und Sylben an. Es geſchieht ſelten, daß neue Buchſtaben und neue Zuſammenſetzungen derſel- ben in einer Sprache aufgenommen werden, und bey aͤltern Leuten faͤllt die Ausſprache derſelben ins Unmoͤg- liche. Wir haben dieſes ſchon oben (§. 73. 79. 83. 84. 90.) umſtaͤndlicher und in mehrerley Abſichten ange- merkt. Die wirklichen Sprachen gehen hierinn in ſo ferne von einander ab, daß ſie zwar einige gemeinſame Laute von Buchſtaben und Sylben haben, hingegen ſich durch viele andere von einander ſo unterſcheiden, daß man es den meiſten Woͤrtern anhoͤren kann, ob ſie Deutſch, Franzoͤſiſch, Jtalieniſch, Slavoniſch, ꝛc. klin- gen, und dieſes findet ſich beſonders auch bey den Na- men der Staͤdte, Familien ꝛc. ungeacht das Ohr hierinn eben nicht durchaus ein untruͤglicher Richter iſt. Ue- brigens ſind es vornehmlich die Endungen der Woͤrter, die die wirklichen Sprachen von einander unterſcheiden, und mehrentheils in Ableitungstheilchen beſtehen, und daher, da ſie nicht in gar zu großer Anzahl ſind, leicht mit einander koͤnnen verglichen werden. §. 323. Es ſind aber die Ableitungstheilchen nicht nur in Anſehung der Buchſtaben und des Klanges in verſchiedenen Sprachen verſchieden, ſondern dieſer Un- terſchied erſtreckt ſich großentheils auch auf ihre Bedeu- tung, und deren Vieldeutigkeit. Man findet nicht fuͤr jedes Ableitungstheilchen einer Sprache ein gleichbe- deutendes in einer andern. Da ſie indeſſen metaphy- ſiſche Verhaͤltnißbegriffe und Beſtimmungen vorſtellen, ſo erhaͤlt dadurch jede Sprache, in ſo ferne ſie von an- dern abgeht, einen ihr eigenen Schwung, und ſie kann in einem Worte ausdruͤcken, was man in andern Spra- chen durch Umſchreibungen oder durch Woͤrter geben muß, die einen ganz andern Urſprung haben, oder Wur- zelwoͤrter,

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/202>, abgerufen am 23.11.2024.