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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Art einer Sprache.
das Nachdrückliche, das Bestimmte in der Bedeutung
der Wörter und Redensarten. Je gründlicher sie den-
ken, und je genauer sie gehen, desto mehr werden sie be-
müht seyn, die Wörter an fixe Begriffe zu binden, und
dabey zu erhalten. Und da sie mehr für den Verstand
als für das Ohr und die Zunge arbeiten, so sind sie auch
nicht so sehr bemüht, für das Fließende und den Wohl-
klang der Sprache zu sorgen. Diese Sorgfalt neh-
men hingegen die Dichter und Redner mehr auf sich.
Und da diese mehr für die untern Erkenntnißkräfte ar-
beiten, so ist ihnen auch an dem genauen Umfang der
Bedeutung der Wörter nicht so viel gelegen. Sie
trennen den Schein vom Wahren nicht so sorgfältig,
und vermengen die eigene Bedeutung der Wörter mit
der metaphorischen, um die Sprache zu jeden Bildern
biegsam zu machen. Dadurch fällt von dem Nachdrück-
lichen in der Sprache viel weg, die Sprache wird wei-
cher, flüßiger, und auch zum Theil kraftloser und weibi-
scher. Man kann daher annehmen, daß ein gutes und
ächtes Mittel getroffen wird, wo nicht nur die Sprache
Wörter genug hergiebt, sondern wo Weltweise und Dich-
ter zugleich an ihrer Ausbesserung arbeiten. Die Grie-
chen hatten diesen Vortheil, von denen die Lateiner ei-
nen guten Theil wissenschaftlicher Wörter borgen muß-
ten. Die Engländer arbeiten für die obern und un-
tern Erkenntnißkräfte, und ihre Sprache ist dazu desto
aufgelegter, weil sie Wörtern aus jeden andern Spra-
chen das Bürgerrecht in der ihrigen geben können. Die
Deutsche kömmt der Griechischen bey, und wächst erst
noch zu ihrer wahren Vollkommenheit, woran Welt-
weise und Dichter arbeiten. Hingegen ist die italienische
Sprache längst schon einer allzugroßen Weichheit be-
schuldigt worden. Sie hat auch fast nur Geschicht-
schreibern, Rednern und Dichtern ihre Ausbesserung zu
verdanken, weil ihre Weltweisen fast noch dermalen an

den
Lamb. Organon II B. N

Von der Art einer Sprache.
das Nachdruͤckliche, das Beſtimmte in der Bedeutung
der Woͤrter und Redensarten. Je gruͤndlicher ſie den-
ken, und je genauer ſie gehen, deſto mehr werden ſie be-
muͤht ſeyn, die Woͤrter an fixe Begriffe zu binden, und
dabey zu erhalten. Und da ſie mehr fuͤr den Verſtand
als fuͤr das Ohr und die Zunge arbeiten, ſo ſind ſie auch
nicht ſo ſehr bemuͤht, fuͤr das Fließende und den Wohl-
klang der Sprache zu ſorgen. Dieſe Sorgfalt neh-
men hingegen die Dichter und Redner mehr auf ſich.
Und da dieſe mehr fuͤr die untern Erkenntnißkraͤfte ar-
beiten, ſo iſt ihnen auch an dem genauen Umfang der
Bedeutung der Woͤrter nicht ſo viel gelegen. Sie
trennen den Schein vom Wahren nicht ſo ſorgfaͤltig,
und vermengen die eigene Bedeutung der Woͤrter mit
der metaphoriſchen, um die Sprache zu jeden Bildern
biegſam zu machen. Dadurch faͤllt von dem Nachdruͤck-
lichen in der Sprache viel weg, die Sprache wird wei-
cher, fluͤßiger, und auch zum Theil kraftloſer und weibi-
ſcher. Man kann daher annehmen, daß ein gutes und
aͤchtes Mittel getroffen wird, wo nicht nur die Sprache
Woͤrter genug hergiebt, ſondern wo Weltweiſe und Dich-
ter zugleich an ihrer Ausbeſſerung arbeiten. Die Grie-
chen hatten dieſen Vortheil, von denen die Lateiner ei-
nen guten Theil wiſſenſchaftlicher Woͤrter borgen muß-
ten. Die Englaͤnder arbeiten fuͤr die obern und un-
tern Erkenntnißkraͤfte, und ihre Sprache iſt dazu deſto
aufgelegter, weil ſie Woͤrtern aus jeden andern Spra-
chen das Buͤrgerrecht in der ihrigen geben koͤnnen. Die
Deutſche koͤmmt der Griechiſchen bey, und waͤchſt erſt
noch zu ihrer wahren Vollkommenheit, woran Welt-
weiſe und Dichter arbeiten. Hingegen iſt die italieniſche
Sprache laͤngſt ſchon einer allzugroßen Weichheit be-
ſchuldigt worden. Sie hat auch faſt nur Geſchicht-
ſchreibern, Rednern und Dichtern ihre Ausbeſſerung zu
verdanken, weil ihre Weltweiſen faſt noch dermalen an

den
Lamb. Organon II B. N
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[193/0199] Von der Art einer Sprache. das Nachdruͤckliche, das Beſtimmte in der Bedeutung der Woͤrter und Redensarten. Je gruͤndlicher ſie den- ken, und je genauer ſie gehen, deſto mehr werden ſie be- muͤht ſeyn, die Woͤrter an fixe Begriffe zu binden, und dabey zu erhalten. Und da ſie mehr fuͤr den Verſtand als fuͤr das Ohr und die Zunge arbeiten, ſo ſind ſie auch nicht ſo ſehr bemuͤht, fuͤr das Fließende und den Wohl- klang der Sprache zu ſorgen. Dieſe Sorgfalt neh- men hingegen die Dichter und Redner mehr auf ſich. Und da dieſe mehr fuͤr die untern Erkenntnißkraͤfte ar- beiten, ſo iſt ihnen auch an dem genauen Umfang der Bedeutung der Woͤrter nicht ſo viel gelegen. Sie trennen den Schein vom Wahren nicht ſo ſorgfaͤltig, und vermengen die eigene Bedeutung der Woͤrter mit der metaphoriſchen, um die Sprache zu jeden Bildern biegſam zu machen. Dadurch faͤllt von dem Nachdruͤck- lichen in der Sprache viel weg, die Sprache wird wei- cher, fluͤßiger, und auch zum Theil kraftloſer und weibi- ſcher. Man kann daher annehmen, daß ein gutes und aͤchtes Mittel getroffen wird, wo nicht nur die Sprache Woͤrter genug hergiebt, ſondern wo Weltweiſe und Dich- ter zugleich an ihrer Ausbeſſerung arbeiten. Die Grie- chen hatten dieſen Vortheil, von denen die Lateiner ei- nen guten Theil wiſſenſchaftlicher Woͤrter borgen muß- ten. Die Englaͤnder arbeiten fuͤr die obern und un- tern Erkenntnißkraͤfte, und ihre Sprache iſt dazu deſto aufgelegter, weil ſie Woͤrtern aus jeden andern Spra- chen das Buͤrgerrecht in der ihrigen geben koͤnnen. Die Deutſche koͤmmt der Griechiſchen bey, und waͤchſt erſt noch zu ihrer wahren Vollkommenheit, woran Welt- weiſe und Dichter arbeiten. Hingegen iſt die italieniſche Sprache laͤngſt ſchon einer allzugroßen Weichheit be- ſchuldigt worden. Sie hat auch faſt nur Geſchicht- ſchreibern, Rednern und Dichtern ihre Ausbeſſerung zu verdanken, weil ihre Weltweiſen faſt noch dermalen an den Lamb. Organon II B. N

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/199>, abgerufen am 23.11.2024.