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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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IX. Hauptstück.
weil dieses Wort ehender auf die besondern Wendun-
gen geht, die einer Sprache eigen sind, und überhaupt
mehr das Metaphysische als das Charakteristische der
Sprachen zu betreffen scheint. Jn dieser Absicht kann
man dasjenige zu dem Genio einer Sprache rechnen,
wodurch sie zu einer gewissen Art und Form der Er-
kenntniß biegsamer ist, als zu andern. Sie kann z. E.
männlicher, nachdrücklicher, bedeutender, bestimmter etc.
seyn, als eine andere, oder sie kann zur Dichtkunst, Be-
redsamkeit, zu höhern Wissenschaften etc. besser als an-
dere dienen, oder sie giebt die Aehnlichkeit, Verschie-
denheit, wesentliche Merkmale der Dinge etc. besser an,
oder sie ist mehr für den Witz, Scharfsinnigkeit, Ver-
nunft, oder mehr für die untern Erkenntnißkräfte etc.
Alles dieses sind Absichten, in denen sich die wirklichen
Sprachen betrachten und beurtheilen lassen. Wir ha-
ben gleich Anfangs (§. 1.) angemerkt, daß jede Sprache
eine gewisse Anzahl von Wörtern hat, und daß unsere
Erkenntniß dadurch eine gewisse Form oder Gestalt er-
halte. Besonders ist die Anzahl der Wurzelwörter
ziemlich eingeschränkt, und wird selten anders als mit
Wörtern aus andern Sprachen vermehrt Die Mit-
tel, aus den Wurzelwörtern zusammengesetzte und abge-
leitete zu bilden, und ihre Anzahl durch Metaphern zu
vermehren, geben bald jeder Sprache einen besondern
Schwung, und da sie die Dinge mehrentheils nur von
einer gewissen Seite betrachtet, benennen (§. 265.), so
decken sie auch nur diese Seite unmittelbarer auf, und
veranlassen Umwege, die übrigen Seiten der Dinge
ebenfalls aufzudecken, wobey auch jede Sprache wieder-
um einen ihr eigenen Schwung nimmt.

§. 318. Wir können ferner noch anmerken, daß es
viel darauf ankömmt, von welcher Art der Gelehrsam-
keit die classischen Schriftsteller einer Sprache sind.
Die Philosophen suchen vornehmlich das Bedeutende,

das

IX. Hauptſtuͤck.
weil dieſes Wort ehender auf die beſondern Wendun-
gen geht, die einer Sprache eigen ſind, und uͤberhaupt
mehr das Metaphyſiſche als das Charakteriſtiſche der
Sprachen zu betreffen ſcheint. Jn dieſer Abſicht kann
man dasjenige zu dem Genio einer Sprache rechnen,
wodurch ſie zu einer gewiſſen Art und Form der Er-
kenntniß biegſamer iſt, als zu andern. Sie kann z. E.
maͤnnlicher, nachdruͤcklicher, bedeutender, beſtimmter ꝛc.
ſeyn, als eine andere, oder ſie kann zur Dichtkunſt, Be-
redſamkeit, zu hoͤhern Wiſſenſchaften ꝛc. beſſer als an-
dere dienen, oder ſie giebt die Aehnlichkeit, Verſchie-
denheit, weſentliche Merkmale der Dinge ꝛc. beſſer an,
oder ſie iſt mehr fuͤr den Witz, Scharfſinnigkeit, Ver-
nunft, oder mehr fuͤr die untern Erkenntnißkraͤfte ꝛc.
Alles dieſes ſind Abſichten, in denen ſich die wirklichen
Sprachen betrachten und beurtheilen laſſen. Wir ha-
ben gleich Anfangs (§. 1.) angemerkt, daß jede Sprache
eine gewiſſe Anzahl von Woͤrtern hat, und daß unſere
Erkenntniß dadurch eine gewiſſe Form oder Geſtalt er-
halte. Beſonders iſt die Anzahl der Wurzelwoͤrter
ziemlich eingeſchraͤnkt, und wird ſelten anders als mit
Woͤrtern aus andern Sprachen vermehrt Die Mit-
tel, aus den Wurzelwoͤrtern zuſammengeſetzte und abge-
leitete zu bilden, und ihre Anzahl durch Metaphern zu
vermehren, geben bald jeder Sprache einen beſondern
Schwung, und da ſie die Dinge mehrentheils nur von
einer gewiſſen Seite betrachtet, benennen (§. 265.), ſo
decken ſie auch nur dieſe Seite unmittelbarer auf, und
veranlaſſen Umwege, die uͤbrigen Seiten der Dinge
ebenfalls aufzudecken, wobey auch jede Sprache wieder-
um einen ihr eigenen Schwung nimmt.

§. 318. Wir koͤnnen ferner noch anmerken, daß es
viel darauf ankoͤmmt, von welcher Art der Gelehrſam-
keit die claſſiſchen Schriftſteller einer Sprache ſind.
Die Philoſophen ſuchen vornehmlich das Bedeutende,

das
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[192/0198] IX. Hauptſtuͤck. weil dieſes Wort ehender auf die beſondern Wendun- gen geht, die einer Sprache eigen ſind, und uͤberhaupt mehr das Metaphyſiſche als das Charakteriſtiſche der Sprachen zu betreffen ſcheint. Jn dieſer Abſicht kann man dasjenige zu dem Genio einer Sprache rechnen, wodurch ſie zu einer gewiſſen Art und Form der Er- kenntniß biegſamer iſt, als zu andern. Sie kann z. E. maͤnnlicher, nachdruͤcklicher, bedeutender, beſtimmter ꝛc. ſeyn, als eine andere, oder ſie kann zur Dichtkunſt, Be- redſamkeit, zu hoͤhern Wiſſenſchaften ꝛc. beſſer als an- dere dienen, oder ſie giebt die Aehnlichkeit, Verſchie- denheit, weſentliche Merkmale der Dinge ꝛc. beſſer an, oder ſie iſt mehr fuͤr den Witz, Scharfſinnigkeit, Ver- nunft, oder mehr fuͤr die untern Erkenntnißkraͤfte ꝛc. Alles dieſes ſind Abſichten, in denen ſich die wirklichen Sprachen betrachten und beurtheilen laſſen. Wir ha- ben gleich Anfangs (§. 1.) angemerkt, daß jede Sprache eine gewiſſe Anzahl von Woͤrtern hat, und daß unſere Erkenntniß dadurch eine gewiſſe Form oder Geſtalt er- halte. Beſonders iſt die Anzahl der Wurzelwoͤrter ziemlich eingeſchraͤnkt, und wird ſelten anders als mit Woͤrtern aus andern Sprachen vermehrt Die Mit- tel, aus den Wurzelwoͤrtern zuſammengeſetzte und abge- leitete zu bilden, und ihre Anzahl durch Metaphern zu vermehren, geben bald jeder Sprache einen beſondern Schwung, und da ſie die Dinge mehrentheils nur von einer gewiſſen Seite betrachtet, benennen (§. 265.), ſo decken ſie auch nur dieſe Seite unmittelbarer auf, und veranlaſſen Umwege, die uͤbrigen Seiten der Dinge ebenfalls aufzudecken, wobey auch jede Sprache wieder- um einen ihr eigenen Schwung nimmt. §. 318. Wir koͤnnen ferner noch anmerken, daß es viel darauf ankoͤmmt, von welcher Art der Gelehrſam- keit die claſſiſchen Schriftſteller einer Sprache ſind. Die Philoſophen ſuchen vornehmlich das Bedeutende, das

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/198>, abgerufen am 23.11.2024.