Wahrheit, und im strengsten Verstande, was Horaz den Dichtern anräth:
Scribendi recte sapere est et principium et fons, Verbaque prouisam rem non inuita sequentur.
Denn die symbolische Erkenntniß ist uns ein unentbehr- liches Hülfsmittel zum Denken (§. 12.). Und nette Be- griffe sind bey uns fast nothwendig mit dem Bewußt- seyn ihrer Namen verbunden.
§. 278. Wieferne aber die andere Hälfte der erst angeführten Regel in Ansehung der Syntaxe erhalten werden könne, ist eine ganz andere Frage. Sie wür- de vollständig erhalten, wenn in jeden Redensarten das grammatisch richtige oder unrichtige, auch zugleich me- taphysisch richtig oder unrichtig wäre (§. 128.). So aber sind die wirklichen Sprachen nicht durchaus be- schaffen. Denn ungeacht wir allerdings statt der Sa- chen die Worte klar gedenken, so können wir es doch nicht schlechthin auf die Worte ankommen lassen, son- dern müssen immer das Bewußtseyn ihrer Bedeutung mit zu Hülfe nehmen. Und da dieses Bewußtseyn, wo die Sache nicht unmittelbar empfunden wird, nur dunkel ist, so ist es auch möglich, daß wir Wörter zu- sammenbringen, die in ihrer Verbindung gar nichts vorstellen (§. 21.). Um so viel nöthiger und wichtiger wäre es demnach, wenn man es den Worten ansehen könnte, ob sie einen möglichen und richtigen Verstand geben. Hiezu aber würde erfordert, daß die Sprachen mehr Metaphysisches hätten, als sie wirklich haben, und dadurch würde von dem Willkührlichen in der Erwählung der Wurzelwörter, ihrer Endungen und Ableitungstheilchen sehr viel wegfallen.
§. 279. Denn so haben wir z. E. in Ansehung der Conjugationen und Declinationen, imgleichen auch in Ansehung der Fallendungen und Geschlechter der Haupt- wörter (§. 156. 185. 178. 182. seqq.) angemerkt, daß sie
aller-
L 4
Von der Wortfuͤgung.
Wahrheit, und im ſtrengſten Verſtande, was Horaz den Dichtern anraͤth:
Scribendi recte ſapere eſt et principium et fons, Verbaque prouiſam rem non inuita ſequentur.
Denn die ſymboliſche Erkenntniß iſt uns ein unentbehr- liches Huͤlfsmittel zum Denken (§. 12.). Und nette Be- griffe ſind bey uns faſt nothwendig mit dem Bewußt- ſeyn ihrer Namen verbunden.
§. 278. Wieferne aber die andere Haͤlfte der erſt angefuͤhrten Regel in Anſehung der Syntaxe erhalten werden koͤnne, iſt eine ganz andere Frage. Sie wuͤr- de vollſtaͤndig erhalten, wenn in jeden Redensarten das grammatiſch richtige oder unrichtige, auch zugleich me- taphyſiſch richtig oder unrichtig waͤre (§. 128.). So aber ſind die wirklichen Sprachen nicht durchaus be- ſchaffen. Denn ungeacht wir allerdings ſtatt der Sa- chen die Worte klar gedenken, ſo koͤnnen wir es doch nicht ſchlechthin auf die Worte ankommen laſſen, ſon- dern muͤſſen immer das Bewußtſeyn ihrer Bedeutung mit zu Huͤlfe nehmen. Und da dieſes Bewußtſeyn, wo die Sache nicht unmittelbar empfunden wird, nur dunkel iſt, ſo iſt es auch moͤglich, daß wir Woͤrter zu- ſammenbringen, die in ihrer Verbindung gar nichts vorſtellen (§. 21.). Um ſo viel noͤthiger und wichtiger waͤre es demnach, wenn man es den Worten anſehen koͤnnte, ob ſie einen moͤglichen und richtigen Verſtand geben. Hiezu aber wuͤrde erfordert, daß die Sprachen mehr Metaphyſiſches haͤtten, als ſie wirklich haben, und dadurch wuͤrde von dem Willkuͤhrlichen in der Erwaͤhlung der Wurzelwoͤrter, ihrer Endungen und Ableitungstheilchen ſehr viel wegfallen.
§. 279. Denn ſo haben wir z. E. in Anſehung der Conjugationen und Declinationen, imgleichen auch in Anſehung der Fallendungen und Geſchlechter der Haupt- woͤrter (§. 156. 185. 178. 182. ſeqq.) angemerkt, daß ſie
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Von der Wortfuͤgung.
Wahrheit, und im ſtrengſten Verſtande, was Horaz
den Dichtern anraͤth:
Scribendi recte ſapere eſt et principium et fons,
Verbaque prouiſam rem non inuita ſequentur.
Denn die ſymboliſche Erkenntniß iſt uns ein unentbehr-
liches Huͤlfsmittel zum Denken (§. 12.). Und nette Be-
griffe ſind bey uns faſt nothwendig mit dem Bewußt-
ſeyn ihrer Namen verbunden.
§. 278. Wieferne aber die andere Haͤlfte der erſt
angefuͤhrten Regel in Anſehung der Syntaxe erhalten
werden koͤnne, iſt eine ganz andere Frage. Sie wuͤr-
de vollſtaͤndig erhalten, wenn in jeden Redensarten das
grammatiſch richtige oder unrichtige, auch zugleich me-
taphyſiſch richtig oder unrichtig waͤre (§. 128.). So
aber ſind die wirklichen Sprachen nicht durchaus be-
ſchaffen. Denn ungeacht wir allerdings ſtatt der Sa-
chen die Worte klar gedenken, ſo koͤnnen wir es doch
nicht ſchlechthin auf die Worte ankommen laſſen, ſon-
dern muͤſſen immer das Bewußtſeyn ihrer Bedeutung
mit zu Huͤlfe nehmen. Und da dieſes Bewußtſeyn,
wo die Sache nicht unmittelbar empfunden wird, nur
dunkel iſt, ſo iſt es auch moͤglich, daß wir Woͤrter zu-
ſammenbringen, die in ihrer Verbindung gar nichts
vorſtellen (§. 21.). Um ſo viel noͤthiger und wichtiger
waͤre es demnach, wenn man es den Worten anſehen
koͤnnte, ob ſie einen moͤglichen und richtigen Verſtand
geben. Hiezu aber wuͤrde erfordert, daß die Sprachen
mehr Metaphyſiſches haͤtten, als ſie wirklich haben,
und dadurch wuͤrde von dem Willkuͤhrlichen in der
Erwaͤhlung der Wurzelwoͤrter, ihrer Endungen und
Ableitungstheilchen ſehr viel wegfallen.
§. 279. Denn ſo haben wir z. E. in Anſehung der
Conjugationen und Declinationen, imgleichen auch in
Anſehung der Fallendungen und Geſchlechter der Haupt-
woͤrter (§. 156. 185. 178. 182. ſeqq.) angemerkt, daß ſie
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/173>, abgerufen am 23.11.2024.
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