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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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VII. Hauptstück.

§. 253. Wir haben ferner ebensalls angemerkt
(§. 126.), daß die Sprachen viel zu weitläuftig gewor-
den wären, wenn man nicht Mittel gefunden hätte, die
Anzahl der Wurzelwörter auf mehrerley Arten geringer
zu machen, wodurch aus einem einzigen Wurzelwort ei-
ne ganze Classe von Wörtern zugleich und auf eine fast
bloß charakteristische Art gebildet werden kann (§. 130.).
Zu diesen Mitteln gehören die Zusammensetzung, die
Ableitung, die Abänderung und Abwandlung (§. 126.).
Die Etymologie oder die Wortforschung ist derjenige
Theil der Sprachlehre, worinn die Wörter auf diese
Art betrachtet werden, ungeacht in den Sprachlehren
der wirklichen Sprachen größtentheils nur die Lehre
von der Abänderung und Abwandlung der Nennwör-
ter und Zeitwörter und ihrer Anomalien vorkömmt,
und hingegen die Ausforschung der Wurzelwörter und
der Bedeutung jeder Ableitungsart den Criticis und
Philologen überlassen wird.

§. 254. Die Ursache hievon ist, weil die Sprach-
lehren fast alle nur für Anfänger geschrieben werden,
und überdieß in den wirklichen Sprachen in der Ablei-
tung der Wörter, sowohl der Form als der Bedeutung
nach, das Metaphysische mit dem Willkührlichen gar
zu sehr untermengt ist, und unstreitig viele Wurzelwör-
ter, nebst ihrer ursprünglichen Gestalt und Bedeutung,
in Vergessenheit gekommen. Diese Verwirrung und
Unvollständigkeit machen den wichtigern Theil der Ety-
mologie bey den wirklichen Sprachen sehr schwer, und
ihre Regeln von der Bestimmung der Bedeutung ab-
geleiteter Wörter aus der Ableitungsart, in einem ge-
wissen Grade unzuverläßig, so daß man sie in vielen
Fällen höchstens nur als einen Anlaß zum Vermuthen
ansehen kann, die aus der Ableitungsart bestimmte Be-
deutung des Wortes möchte mit der wirklichen über-
einkommen, oder wenigstens zu ihrer Erfindung den

Weg
VII. Hauptſtuͤck.

§. 253. Wir haben ferner ebenſalls angemerkt
(§. 126.), daß die Sprachen viel zu weitlaͤuftig gewor-
den waͤren, wenn man nicht Mittel gefunden haͤtte, die
Anzahl der Wurzelwoͤrter auf mehrerley Arten geringer
zu machen, wodurch aus einem einzigen Wurzelwort ei-
ne ganze Claſſe von Woͤrtern zugleich und auf eine faſt
bloß charakteriſtiſche Art gebildet werden kann (§. 130.).
Zu dieſen Mitteln gehoͤren die Zuſammenſetzung, die
Ableitung, die Abaͤnderung und Abwandlung (§. 126.).
Die Etymologie oder die Wortforſchung iſt derjenige
Theil der Sprachlehre, worinn die Woͤrter auf dieſe
Art betrachtet werden, ungeacht in den Sprachlehren
der wirklichen Sprachen groͤßtentheils nur die Lehre
von der Abaͤnderung und Abwandlung der Nennwoͤr-
ter und Zeitwoͤrter und ihrer Anomalien vorkoͤmmt,
und hingegen die Ausforſchung der Wurzelwoͤrter und
der Bedeutung jeder Ableitungsart den Criticis und
Philologen uͤberlaſſen wird.

§. 254. Die Urſache hievon iſt, weil die Sprach-
lehren faſt alle nur fuͤr Anfaͤnger geſchrieben werden,
und uͤberdieß in den wirklichen Sprachen in der Ablei-
tung der Woͤrter, ſowohl der Form als der Bedeutung
nach, das Metaphyſiſche mit dem Willkuͤhrlichen gar
zu ſehr untermengt iſt, und unſtreitig viele Wurzelwoͤr-
ter, nebſt ihrer urſpruͤnglichen Geſtalt und Bedeutung,
in Vergeſſenheit gekommen. Dieſe Verwirrung und
Unvollſtaͤndigkeit machen den wichtigern Theil der Ety-
mologie bey den wirklichen Sprachen ſehr ſchwer, und
ihre Regeln von der Beſtimmung der Bedeutung ab-
geleiteter Woͤrter aus der Ableitungsart, in einem ge-
wiſſen Grade unzuverlaͤßig, ſo daß man ſie in vielen
Faͤllen hoͤchſtens nur als einen Anlaß zum Vermuthen
anſehen kann, die aus der Ableitungsart beſtimmte Be-
deutung des Wortes moͤchte mit der wirklichen uͤber-
einkommen, oder wenigſtens zu ihrer Erfindung den

Weg
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[152/0158] VII. Hauptſtuͤck. §. 253. Wir haben ferner ebenſalls angemerkt (§. 126.), daß die Sprachen viel zu weitlaͤuftig gewor- den waͤren, wenn man nicht Mittel gefunden haͤtte, die Anzahl der Wurzelwoͤrter auf mehrerley Arten geringer zu machen, wodurch aus einem einzigen Wurzelwort ei- ne ganze Claſſe von Woͤrtern zugleich und auf eine faſt bloß charakteriſtiſche Art gebildet werden kann (§. 130.). Zu dieſen Mitteln gehoͤren die Zuſammenſetzung, die Ableitung, die Abaͤnderung und Abwandlung (§. 126.). Die Etymologie oder die Wortforſchung iſt derjenige Theil der Sprachlehre, worinn die Woͤrter auf dieſe Art betrachtet werden, ungeacht in den Sprachlehren der wirklichen Sprachen groͤßtentheils nur die Lehre von der Abaͤnderung und Abwandlung der Nennwoͤr- ter und Zeitwoͤrter und ihrer Anomalien vorkoͤmmt, und hingegen die Ausforſchung der Wurzelwoͤrter und der Bedeutung jeder Ableitungsart den Criticis und Philologen uͤberlaſſen wird. §. 254. Die Urſache hievon iſt, weil die Sprach- lehren faſt alle nur fuͤr Anfaͤnger geſchrieben werden, und uͤberdieß in den wirklichen Sprachen in der Ablei- tung der Woͤrter, ſowohl der Form als der Bedeutung nach, das Metaphyſiſche mit dem Willkuͤhrlichen gar zu ſehr untermengt iſt, und unſtreitig viele Wurzelwoͤr- ter, nebſt ihrer urſpruͤnglichen Geſtalt und Bedeutung, in Vergeſſenheit gekommen. Dieſe Verwirrung und Unvollſtaͤndigkeit machen den wichtigern Theil der Ety- mologie bey den wirklichen Sprachen ſehr ſchwer, und ihre Regeln von der Beſtimmung der Bedeutung ab- geleiteter Woͤrter aus der Ableitungsart, in einem ge- wiſſen Grade unzuverlaͤßig, ſo daß man ſie in vielen Faͤllen hoͤchſtens nur als einen Anlaß zum Vermuthen anſehen kann, die aus der Ableitungsart beſtimmte Be- deutung des Wortes moͤchte mit der wirklichen uͤber- einkommen, oder wenigſtens zu ihrer Erfindung den Weg

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/158>, abgerufen am 23.11.2024.