ganz weg, dahingegen die Mathematiker es als unbe- stimmt anzeigen, um es so zu reden nicht aus dem Gesichte zu verlieren, sondern es jedesmal nach Er- forderniß oder auch nach Belieben bestimmen zu können.
§. 111.
Ungeachtet wir also hierinne in Ansehung der Qua- litäten noch merklich zurück bleiben, so lassen sich dennoch zum Behufe des hier verlangten Mittels ver- schiedene Betrachtungen anstellen. Einmal scheint es, daß nicht alle unsre allgemeinen Begriffe von dem Bilde dessen, was in jeden Arten und Indiuiduis besondere Bestimmungen hat, so ganz entblößt seyn, ungeachtet wir uns dessen nur auf eine confuse Art be- wußt sind. Dieses geht um desto mehr an, je besser uns die Indiuidua und alle Arten einer Gattung be- kannt sind, und je mehr sie einerley und ähnliche Partes integrantes haben, die nämlich zusammen ge- nommen das ganze Indiuiduum ausmachen. So z. E. ist das Bild, so wir uns machen, wenn wir uns den allgemeinen Begriff eines Menschen, eines Bau- mes, eines Hauses, einer geometrischen Figur etc. vor- stellen, so beschaffen, daß wir uns auf eine confuse Art, wenigstens der bekanntesten Theile bewußt sind. Man stelle sich einen Baum überhaupt vor, so ist unstreitig, daß der Begriff der Blätter, Aeste, des Stammes und der Wurzel, in dem Bilde deutlicher vorkommen werden, als die kleinern Theile, woraus diese bestehen. Dieses Bild wird noch ungleich be- stimmter, wenn wir uns eine gewisse Art von Bäu- men vorstellen, und Maler, die eine geübtere Ein- bildungskraft und Augenmaaß haben, sind im Stande, solche Arten, ohne das Urbild vor sich zu haben, vor- zuzeichnen. Will man hingegen sich nur eine Pflanze
über-
II. Hauptſtuͤck,
ganz weg, dahingegen die Mathematiker es als unbe- ſtimmt anzeigen, um es ſo zu reden nicht aus dem Geſichte zu verlieren, ſondern es jedesmal nach Er- forderniß oder auch nach Belieben beſtimmen zu koͤnnen.
§. 111.
Ungeachtet wir alſo hierinne in Anſehung der Qua- litaͤten noch merklich zuruͤck bleiben, ſo laſſen ſich dennoch zum Behufe des hier verlangten Mittels ver- ſchiedene Betrachtungen anſtellen. Einmal ſcheint es, daß nicht alle unſre allgemeinen Begriffe von dem Bilde deſſen, was in jeden Arten und Indiuiduis beſondere Beſtimmungen hat, ſo ganz entbloͤßt ſeyn, ungeachtet wir uns deſſen nur auf eine confuſe Art be- wußt ſind. Dieſes geht um deſto mehr an, je beſſer uns die Indiuidua und alle Arten einer Gattung be- kannt ſind, und je mehr ſie einerley und aͤhnliche Partes integrantes haben, die naͤmlich zuſammen ge- nommen das ganze Indiuiduum ausmachen. So z. E. iſt das Bild, ſo wir uns machen, wenn wir uns den allgemeinen Begriff eines Menſchen, eines Bau- mes, eines Hauſes, einer geometriſchen Figur ꝛc. vor- ſtellen, ſo beſchaffen, daß wir uns auf eine confuſe Art, wenigſtens der bekannteſten Theile bewußt ſind. Man ſtelle ſich einen Baum uͤberhaupt vor, ſo iſt unſtreitig, daß der Begriff der Blaͤtter, Aeſte, des Stammes und der Wurzel, in dem Bilde deutlicher vorkommen werden, als die kleinern Theile, woraus dieſe beſtehen. Dieſes Bild wird noch ungleich be- ſtimmter, wenn wir uns eine gewiſſe Art von Baͤu- men vorſtellen, und Maler, die eine geuͤbtere Ein- bildungskraft und Augenmaaß haben, ſind im Stande, ſolche Arten, ohne das Urbild vor ſich zu haben, vor- zuzeichnen. Will man hingegen ſich nur eine Pflanze
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II. Hauptſtuͤck,
ganz weg, dahingegen die Mathematiker es als unbe-
ſtimmt anzeigen, um es ſo zu reden nicht aus dem
Geſichte zu verlieren, ſondern es jedesmal nach Er-
forderniß oder auch nach Belieben beſtimmen zu
koͤnnen.
§. 111.
Ungeachtet wir alſo hierinne in Anſehung der Qua-
litaͤten noch merklich zuruͤck bleiben, ſo laſſen ſich
dennoch zum Behufe des hier verlangten Mittels ver-
ſchiedene Betrachtungen anſtellen. Einmal ſcheint
es, daß nicht alle unſre allgemeinen Begriffe von
dem Bilde deſſen, was in jeden Arten und Indiuiduis
beſondere Beſtimmungen hat, ſo ganz entbloͤßt ſeyn,
ungeachtet wir uns deſſen nur auf eine confuſe Art be-
wußt ſind. Dieſes geht um deſto mehr an, je beſſer
uns die Indiuidua und alle Arten einer Gattung be-
kannt ſind, und je mehr ſie einerley und aͤhnliche
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nommen das ganze Indiuiduum ausmachen. So
z. E. iſt das Bild, ſo wir uns machen, wenn wir uns
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mes, eines Hauſes, einer geometriſchen Figur ꝛc. vor-
ſtellen, ſo beſchaffen, daß wir uns auf eine confuſe
Art, wenigſtens der bekannteſten Theile bewußt ſind.
Man ſtelle ſich einen Baum uͤberhaupt vor, ſo iſt
unſtreitig, daß der Begriff der Blaͤtter, Aeſte, des
Stammes und der Wurzel, in dem Bilde deutlicher
vorkommen werden, als die kleinern Theile, woraus
dieſe beſtehen. Dieſes Bild wird noch ungleich be-
ſtimmter, wenn wir uns eine gewiſſe Art von Baͤu-
men vorſtellen, und Maler, die eine geuͤbtere Ein-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/92>, abgerufen am 21.11.2024.
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