Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver- gnügen durchgelesen, zeigt mir, daß Sie sich in kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit und Ungewißheit unserer Weltweisen bekannt gemacht, und allem Ansehen nach mehr gefunden haben, als Sie anfänglich wissen wollten. Aber darüber befremden Sie sich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen und Zweifeln Anlaß geben. Dieses ist der gemeine Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern kommen, und es ist nur zu bedauern, daß es damit et- was langsamer zugeht, als wir es wünschten. Ge- denken Sie aber je nicht, daß es bey diesen Zweifeln bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man sie nach und nach erörtern, aber auch zugleich neue Fra- gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach- welt wird vorbehalten seyn. Begnügen Sie sich im- mer mit dem, was wir gewiß wissen, und lassen Sie künftige Möglichkeiten den Nachkommen zu bestimmen übrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.
Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die- se Muthmassungen der Weltweisen nur deßwegen so förchterlich vor, weil sie Ihnen neuer sind, und Sie werden sich unvermerkt an die Sprache von solchen Möglichkeiten gewöhnen, die gewiß noch keinem den Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns auch das schlimmere setzen. Wenn gleich in wenig Zeit der Erde ein solches Uebel bevorstünde, was wol-
len
Coſmologiſche Briefe
Zweyter Brief.
Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver- gnuͤgen durchgeleſen, zeigt mir, daß Sie ſich in kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit und Ungewißheit unſerer Weltweiſen bekannt gemacht, und allem Anſehen nach mehr gefunden haben, als Sie anfaͤnglich wiſſen wollten. Aber daruͤber befremden Sie ſich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen und Zweifeln Anlaß geben. Dieſes iſt der gemeine Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern kommen, und es iſt nur zu bedauern, daß es damit et- was langſamer zugeht, als wir es wuͤnſchten. Ge- denken Sie aber je nicht, daß es bey dieſen Zweifeln bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man ſie nach und nach eroͤrtern, aber auch zugleich neue Fra- gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach- welt wird vorbehalten ſeyn. Begnuͤgen Sie ſich im- mer mit dem, was wir gewiß wiſſen, und laſſen Sie kuͤnftige Moͤglichkeiten den Nachkommen zu beſtimmen uͤbrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.
Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die- ſe Muthmaſſungen der Weltweiſen nur deßwegen ſo foͤrchterlich vor, weil ſie Ihnen neuer ſind, und Sie werden ſich unvermerkt an die Sprache von ſolchen Moͤglichkeiten gewoͤhnen, die gewiß noch keinem den Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns auch das ſchlimmere ſetzen. Wenn gleich in wenig Zeit der Erde ein ſolches Uebel bevorſtuͤnde, was wol-
len
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0041"n="8"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Coſmologiſche Briefe</hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Zweyter Brief.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>hr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver-<lb/><hirendition="#et">gnuͤgen durchgeleſen, zeigt mir, daß Sie ſich in<lb/>
kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit</hi><lb/>
und Ungewißheit unſerer Weltweiſen bekannt gemacht,<lb/>
und allem Anſehen nach mehr gefunden haben, als Sie<lb/>
anfaͤnglich wiſſen wollten. Aber daruͤber befremden<lb/>
Sie ſich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen<lb/>
und Zweifeln Anlaß geben. Dieſes iſt der gemeine<lb/>
Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern<lb/>
kommen, und es iſt nur zu bedauern, daß es damit et-<lb/>
was langſamer zugeht, als wir es wuͤnſchten. Ge-<lb/>
denken Sie aber je nicht, daß es bey dieſen Zweifeln<lb/>
bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man ſie<lb/>
nach und nach eroͤrtern, aber auch zugleich neue Fra-<lb/>
gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach-<lb/>
welt wird vorbehalten ſeyn. Begnuͤgen Sie ſich im-<lb/>
mer mit dem, was wir gewiß wiſſen, und laſſen Sie<lb/>
kuͤnftige Moͤglichkeiten den Nachkommen zu beſtimmen<lb/>
uͤbrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.</p><lb/><p>Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die-<lb/>ſe Muthmaſſungen der Weltweiſen nur deßwegen ſo<lb/>
foͤrchterlich vor, weil ſie Ihnen neuer ſind, und Sie<lb/>
werden ſich unvermerkt an die Sprache von ſolchen<lb/>
Moͤglichkeiten gewoͤhnen, die gewiß noch keinem den<lb/>
Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns<lb/>
auch das ſchlimmere ſetzen. Wenn gleich in wenig<lb/>
Zeit der Erde ein ſolches Uebel bevorſtuͤnde, was wol-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">len</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[8/0041]
Coſmologiſche Briefe
Zweyter Brief.
Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver-
gnuͤgen durchgeleſen, zeigt mir, daß Sie ſich in
kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit
und Ungewißheit unſerer Weltweiſen bekannt gemacht,
und allem Anſehen nach mehr gefunden haben, als Sie
anfaͤnglich wiſſen wollten. Aber daruͤber befremden
Sie ſich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen
und Zweifeln Anlaß geben. Dieſes iſt der gemeine
Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern
kommen, und es iſt nur zu bedauern, daß es damit et-
was langſamer zugeht, als wir es wuͤnſchten. Ge-
denken Sie aber je nicht, daß es bey dieſen Zweifeln
bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man ſie
nach und nach eroͤrtern, aber auch zugleich neue Fra-
gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach-
welt wird vorbehalten ſeyn. Begnuͤgen Sie ſich im-
mer mit dem, was wir gewiß wiſſen, und laſſen Sie
kuͤnftige Moͤglichkeiten den Nachkommen zu beſtimmen
uͤbrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.
Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die-
ſe Muthmaſſungen der Weltweiſen nur deßwegen ſo
foͤrchterlich vor, weil ſie Ihnen neuer ſind, und Sie
werden ſich unvermerkt an die Sprache von ſolchen
Moͤglichkeiten gewoͤhnen, die gewiß noch keinem den
Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns
auch das ſchlimmere ſetzen. Wenn gleich in wenig
Zeit der Erde ein ſolches Uebel bevorſtuͤnde, was wol-
len
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/41>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.